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»Und du, Satti, was spielst du?« Kief verstaute grinsend den Lappen in der Gesäßtasche seiner Jeans.
»Ich werde den Jungs journalistisch zur Seite stehen«, sagte ich.
»Das klingt so, als hättet ihr das alles richtig durchdacht. Also, ihr angehenden Rockstars, habt ihr schon einen Proberaum?«
Mark rieb sich die Nase. »Nein, das ist ja das Problem.«
Kief machte eine gönnerhafte Geste. »Wenn ihr wollt, könnt ihr den Keller unterm Rats haben, der steht leer. Alles dicke Mauern. Da stört ihr niemanden. Aber herrichten, das müsst ihr schon selber machen, und ein bisschen Kohle für Unkosten wie Strom und so müsstet ihr auch abdrücken. Versteht sich doch, oder?«
»Alter Gauner, hast du heute deinen sozialen Tag?«, fragte ich.
»Nein, aber Andi hat mir erzählt, dass Marks Schlagzeugeinlage richtig gut war. Und wenn man schon mal so ein Talent unter seinen Gästen hat, sollte man das fördern. Aber wie gesagt, umsonst ist der Tod. Und noch nicht einmal der. Denkt darüber nach. Und jetzt bring ich euch ein Bier.«
So so, Andi war also von Marks Getrommel beeindruckt, darüber musste ich Genaueres in Erfahrung bringen.
*
Das Hot Rats war das Sammelbecken für Freaks, Flippies und Musikverrückte. Von denen gab es in unserem Kaff reichlich.
Der Laden war immer voll. Außer montags, da war Ruhetag.
Der Dienstag gehörte den Alt-Hippies. Wir – die Korona – nannten sie so. Zu ihnen gehörten Jule, Hucky und Werner vom Hausboot. Sie waren fünf bis sechs jahre älter als wir und hatten schon gekifft und Trips eingeworfen, als Brian Jones und Janis Joplin noch lebten. Sie fuhren ab auf diesen Westcoast-Sound, auf Gruppen wie Quicksilver Messenger Service, Jefferson Airplane und Grateful Dead. Na ja, ein wenig britischer Rock von Stone the Crows, Family und Traffic durfte es auch sein.
Donnerstag und Freitag waren für die Progressiv-Rocker reserviert. Dann wurden Platten von Gentle Giant, Yes, Genesis, Colosseum, Renaissance, aber auch The Flock und If rauf und runter gespielt. Samstags gab es die obligatorische Rockdisco. Die Tanzfläche, auf der höchstens zwanzig Leute Platz hatten, quoll über. In erster Linie war sie von Jungs bevölkert, die auf Led Zeppelin und Deep Purple die Matte kreisen ließen. Besonders beliebt waren auch, obwohl schon über ein Jahr alt, »All Right Now« von Free und neuerdings »Locomotive Breath« von Jethro Tull.
Immer öfter setzte sich auch eine Runde mit Soul Music durch, Sachen von Curtis Mayfield, Stevie Wonder und James Brown. Das war die Stunde der Mädels. Karen tanzte am liebsten zu Edwin Starrs »War« und »Get Ready«, einem Stück der Temptations in der Version von Rare Earth. Und auf The Doors rockte sie ab. Obwohl das nicht gerade viel mit Soul zu tun hatte. Die Truppe um Jim Morrison war aber ihre absolute Lieblingsband.
Sonntags ging es gemächlicher zu. Kief stieg selbst hinters DJ-Pult und legte Blues auf. Er liebte Muddy Waters und John Lee Hooker, manchmal spielte er was von John Mayall und Alexis Korner. Diese Blues-Songs konnten mich, wenn ich sie allein zu Hause hörte, zum Heulen bringen.
Der Eingang zum Rats lag fast ebenerdig zur Straße. Zwei Stufen, und schon war man durch die Tür. Gleich rechts stand ein Flipper, an der Stirnseite thronte die Theke, flankiert von einer Reihe Barhocker, die fest im Boden verankert waren. An der Theke vorbei ging es zu den Toiletten.
Der Laden war nur spärlich ausgeleuchtet. Kleine Lampen über den Tischen verliehen dem Ganzen die Atmosphäre eines Speakeasy zur Zeit der amerikanischen Prohibition. Illegal und gefährlich. Wo man auch hinblickte, überall war Holz, das dringend einer neuen Lackierung bedurfte. Tische, Bänke und die Vertäfelung der Wand verwiesen deutlich auf ihre Vergangenheit als »Western-Saloon«. Vielleicht hatte das mal gut ausgesehen, als der Laden noch Treffpunkt hieß und die Kinks und Small Faces die Heroen waren. Doch der Glanz jener Jahre war verblasst.
Die Freaks machten sich keine Gedanken darüber, sie liebten es so.
Den Mittwoch hatte vor drei Monaten Andi übernommen. Kurz zuvor war er in die Einzimmerwohnung über dem Rats gezogen und brachte seine eigenen Platten mit. Andi stand auf Virtuosität. Ein Musiker musste sein Instrument beherrschen, besonders Saxophonisten hatten es ihm angetan, wenn sie ihr Horn ordentlich röhren ließen.
Sehr zum Missfallen der Alt-Hippies, die den schrägen Tönen eher skeptisch gegenüberstanden. Außerdem hatte der Mittwoch einst ihnen gehört. Doch Kief ließ Andi gewähren. Zumal seine Anhängerschar immer größer wurde und ordentlich Asbach-Cola wegschlürfte. Es waren Gymnasiasten; einige aus meiner alten Klasse, der Oberprima, gehörten auch dazu.
Zum Beispiel Dixie, der in seiner Makellosigkeit gut als Zwilling von Dorian Gray hätte durchgehen können. Stets trug er einen Angorapulli über den Schultern. Dann war da noch Odi, der die Zigarette zwischen Mittel- und Ringfinger rauchte und nach jedem Inhalieren ein »Aaah« von sich gab. Ständig waren die beiden in Andis Nähe, immer darum bemüht, nichts zu versäumen, wenn ihr Meister eine Eingebung hatte. Andi war für sie die Sonne, um die sie wie Planeten ihre Bahnen zogen.
Ich schob mich an Dixie und Odi vorbei, erklomm das Discjockeypodest und baute mich neben Andi auf. Aus den Boxen quakte ein Saxophon, wie Andi es liebte, unglaublich schrill und ekstatisch.
»Was ist das für ein Sound, den habe ich ja noch nie gehört?«, fragte ich.
Ohne aufzusehen, kramte er weiter in seiner Plattenkiste. »Ich dachte, du bist Existenzialist. Da solltest du dich aber besser mit Jazz auskennen.«
»Ich habe dir eine ganz normale Frage gestellt.«
Andi hielt ein Cover hoch. »Krieg dich wieder ein.«
Ich nahm die Platte und versuchte die verschnörkelten Buchstaben zu entziffern. Escalator Over the Hill stand da. Ein Doppelalbum.
»Kenn ich nicht«, sagte ich.
»Ist so was wie eine Jazz-Oper, eine Komposition für Big Band. Ein paar Rockleute machen auch mit, Jack Bruce von Cream und die Country-Sängerin Linda Ronstadt. Und Gato Barbieri.«
»Gato wer?«
»Das ist der, den du gerade hörst«, antwortete Andi. »Saxophon ist das Instrument, das der menschlichen Stimme am nächsten kommt. Und Barbieri lässt die Emotionen fließen, er holt alles aus dem Instrument raus. Hör mal.«
Eine pfeilschnelle Phrasierung quietschte aus den Boxen, das Instrument schrie, Barbieri schien die Puste nicht auszugehen. Die Läufe wurden wilder und verrückter, begleitet von einem mitreißenden Jazz-Beat. Gleich wird er abstürzen, dachte ich. Aber nichts da. Er hielt das Tempo, blies um sein Leben. Diesen Saxspieler musste ich mir merken.
»Da staunst du, was? Der Typ hat es drauf. Das ist Ekstase pur. Aber das alles ist nichts gegen John Coltrane«, sagte Andi.
Der schon wieder. John Coltrane war Gott. Für Andi.
A Love Supreme war Andis Hymne.
Eine dreiunddreißigminütige Suite in vier eigenständigen Teilen. McCoy Tyner, Piano, Jimmy Garrison, Kontrabass, Elvin Jones, Schlagzeug, und Coltrane am Saxophon. Aufgenommen im Dezember 1964. Coltrane, oder Trane, wie er genannt wurde, war am 17. Juli 1967, zwei Monate vor seinem einundvierzigsten Geburtstag, an Leberkrebs gestorben.
A Love Supreme lief dreimal am Abend. Auf der Platte ging es irgendwie um Glauben, auf dem Cover war ein Poem abgedruckt, in dem Coltrane den Herrn pries. Ich hatte es nicht so mit Religion und all dem, aber die Musik, die Coltrane auf A Love Supreme spielte, hatte was. Ja, sie war phantastisch.
Ich brauchte nicht zu fragen, Andi fing von selbst an. »Ich muss schon sagen, die Einlage von Mark bei Guru Guru, die hätte ich ihm nicht zugetraut. Er spielt zwar sehr rockig, aber trommeln kann er.«
»Er hat eine Band gegründet. Dreamlight.« Ich sagte es so beiläufig wie möglich. Ich wollte der Erste sein, von dem er es erfuhr.
»Ich werde auch eine Band aufmachen. Fra Mauro wird sie heißen.«
»Fra Mauro, was soll denn das sein?«
»Das ist ein Krater auf dem Mond, benannt nach einem Kartographen aus dem Mittelalter. Fra Mauro war ein Mönch, als einer der Ersten fertigte er eine brauchbare Weltkarte an. Fra Mauro, ich finde, das passt, ich will unbekannte musikalische Landschaften entdecken.«
»Darf man wissen, wer deine Mitspieler sind?«
»Die kennst du nicht. Sind nicht von hier. Ich habe einen Saxophonisten gefunden, der spielen kann wie Gato Barbieri.«
Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich beeindruckt war. »Dann haben wir jetzt zwei Bands in unserem Kaff.«
»Ich denke, da wird sich noch mehr tun«, sagte er.
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe hier und da was aufgeschnappt. Seit Marks Trommeleinlage gehen Gerüchte um. Du bist doch hier der Schreiber, der alles in seinem kleinen Notizheft festhält. Recherchier doch mal.«
Dreamlight und Fra Mauro.
Zwei Bandgründungen innerhalb weniger Tage. Das hatte es in unserem Kaff noch nie gegeben. Vor meinen Augen war etwas im Gange. Mit einem Mal musste ich an Dons Worte denken. Etwas ganz Großes, hatte er gesagt.
Auf dem Weg zur Toilette lief ich Falko und Bab in die Arme. Falko war ein Hüne mit langen blonden Haaren. Bab war kompakt und muskulös, seine Locken hatten sich zu einem beeindruckenden Afro formiert.
Automatisch zupfte ich an meinen Haaren. Die waren vor einer Woche auf dem Hemdkragen angekommen. Zwei Jahre hatte das gedauert. Ich kannte im Rats niemanden, der keine Matte hatte.
Babs Afro wackelte beim Reden. »Alter, wir machen eine Band auf.«
Falko schob sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Was meinst du, Electric Junk, klingt doch gut, ist doch ein abgefahrener Name, oder?«
Electric Junk, das kam mir bekannt vor. Ja, so hieß doch ein Stück von Hinten, der neuen Guru-Guru-Scheibe, den Song hatten sie beim Auftritt im Wilhelm-Leuschner-Haus vorgestellt.
Himmel und Hölle, das war die dritte Bandgründung. Das konnte ja noch heiter werden.
»Und wer spielt was? Ihr seid doch nur zu zweit?«, fragte ich.
»Falko spielt Gitarre, ich übernehme den Bass. Und als Schlagzeuger hatten wir an Mark gedacht. Sein Solo war phänomenal«, sagte Bab.
Sieh an, sie waren auch dort gewesen und hatten ihn auf der Bühne erlebt.
»Da kommt ihr zu spät. Mark hat mit Skip, Gero und Paul gerade Dreamlight gegründet«, sagte ich.
Falko runzelte die Stirn. »Dreamlight, was ist das denn für ein Name? Egal. Alter, weißt du nicht jemanden, den wir fragen könnten?«
»Da kann ich euch nicht helfen. Bin ja selbst überrascht, dass jetzt anscheinend jeder in einer Band spielen will. Aber ich halte Augen und Ohren offen. Ich höre mich mal um, versprochen.«
Auf dem Klo pinkelte Rössel wie ein Gaul ins Becken. Ein nicht enden wollender Riesenstrahl. Ich stellte mich daneben und ließ es ebenfalls laufen.
Rössel war Bastler. Früher hatte er Radios gebaut, er war der Einzige, von dem ich wusste, dass er ein Teleskop besaß.
»Satti, hast du von Marks Auftritt gehört?«
»Klar, Mann, bin doch selbst dabei gewesen.«
»Stark, Alter, das finde ich richtig gut.«
»Was findest du gut?«
»Selbst Musik machen«, antwortete er.
»Ich dachte, du glotzt die Sterne an. Mehr nicht.«
»Ich habe mir eine Gitarre gebaut.«
»Rössel, sag mir, dass das nicht wahr ist. Du nicht auch noch.«
Ich beendete mein Geschäft und ging zum Waschbecken. Rössel kam mir hinterher.
»Ich weiß gar nicht, was du hast«, sagte er, »das Ding, das ich mir gebaut habe, funktioniert. Es ist sogar bundrein. Und jetzt gründe ich eine Band. Ich habe auch schon einen Namen.«
Er machte eine kleine Pause. »Storm.«
»Storm wie Sturm, oder was?«
»Genau, Alter. Unsere Musik wird alles hinwegfegen. Ein rockender Sturm. Wie Rory Gallagher.«
Rössel blickte siegessicher drein. Ich wusste, dass er den ehemaligen Gitarristen von Taste grandios fand.
»Rocken wie Gallagher«, wiederholte ich.
»Ja, genau. Du kennst doch noch Werner und Gerd, die machen mit. Gerd am Schlagzeug, Werner am Bass.« Und ob ich Werner und Gerd kannte. Von der Schule her, doch ich hatte sie länger nicht mehr gesehen.
Das war dann Band Nummer vier. Ich fasste noch einmal zusammen.
Dreamlight, Fra Mauro, Electric Junk und Storm.
Jetzt hatte ich keine Zweifel mehr. Eine Art Virus war ausgebrochen. Eindeutig grassierte ein Fieber. Das Musikfieber.
*
Enttäuscht versetzte Karen dem Flipper einen leichten Stoß. Tilt.
Das Gerät blinkte, die roten und gelben Birnen setzten eine Lightshow in Gang wie beim Auftritt von Heads Hands & Feet neulich im Beat-Club.
Sonny und Moses kicherten wie kleine Jungs, die sich über einen gelungenen Streich freuen. Karen zeigte ihnen die Zunge.
»Was geht ab, Mann?« Moses spreizte zwei Finger. Peace. Hatten die Hippies immer gemacht.
Karen trat zur Seite.
Sonny begann ein neues Spiel, schoss die silberne Kugel ab. Pling.
»Eigentlich wollte ich euch was erzählen. Aber ihr seid bekifft wie Weltmeister, stimmt doch?«, sagte ich.
»Wenn du deiner Alten nichts sagst«, brummte Sonny und haute auf einen der Flipperhebel.
Sein Kommentar war eine Anspielung darauf, dass meine Mutter vor ein paar Tagen in der Zeitung zitiert worden war. In dem Bericht wurde mal wieder behauptet, dass Haschisch der Einstieg in die Drogenabhängigkeit sei. Doch Karrieremama als gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Partei hatte dagegengehalten.
Huguette hatte dem Reporter gesagt, der Konsum von weichen Drogen sei zwar auf dem Vormarsch, doch statt mit Verboten sollte man mit Aufklärungskampagnen antworten. In den Niederlanden etwa gäbe es Überlegungen, Haschisch für den privaten Gebrauch freizugeben, staatlich kontrolliert, versteht sich, um ein Abrutschen der Kiffer in die Kriminalität zu verhindern. Meine Politikmama lehnte sich damit weit aus dem Fenster.
Manchmal konnte sie wirklich etwas Brauchbares von sich geben. Der Artikel aber hatte ihr ziemlichen Ärger eingebracht.
Sie hatte das Sitzungsprotokoll einer ihrer Versammlungen auf dem Küchentisch liegen lassen. Ich las es heimlich, und mir wurde klar, dass sie mit ihrer Meinung in der Partei allein dastand. Der Artikel könne Wählerstimmen kosten und damit Huguettes Einzug in den Landtag, für den sie sich aufstellen lassen wollte, zunichte machen, hatten die Genossen ihr vorgeworfen. Der Politverein, dem sie angehörte, hat ja schon immer Schiss gehabt, wirklich revolutionäre Sachen zu machen, dachte ich.
Huguette wusste noch nicht, dass ich in meinem Dachzimmer manchmal einen durchzog. Wie denn auch – erstens konnte ich Räucherstäbchen vorschieben, und zweitens war sie, ständig in irgendetwas eingespannt, kaum zu Hause.
»Ich habe gelesen, in Marokko werden die Leute hundert Jahre und älter, nur weil sie in Ruhe ihre Pfeifchen rauchen«, sagte Sonny.
Pling, Freispiel. Die Zahlen auf dem Flipper ratterten nur so. Er hatte schon 180 000 Punkte geholt.
»In Dänemark wird es bald einen Ort geben, an dem du einen Joint rauchen kannst, ohne dass die Polizei kommt«, sagte Karen.
»Red kein Blech«, entgegnete ich.
»In Kopenhagen gibt es ein seit Jahren leerstehendes Kasernengelände, mitten in der Stadt und direkt am Wasser gelegen. Ein paar Freaks wollen es besetzen und zum Stadtstaat erklären. Die wollen in einer Kommune leben. Die Idee ist, alles selbst in Schuss zu halten, die Gebäude zu renovieren und nach eigenen Gesetzen zu leben. Christiania soll das Ganze heißen«, sagte sie.
Karen mit ihren Hippie-Ideen, dachte ich. Ein Freistaat für Freaks. Wie sollte das gehen?
»Nach eigenen Gesetzen? Das lassen die Spießer niemals zu. Woher weißt du das alles? So was steht doch nicht in der Zeitung«, erkundigte ich mich.
»Ich kenne zwei Mädels, die da mitmachen wollen«, antwortete sie.
»Das ist ja wie bei der Kommune I in Berlin«, mischte sich Moses ein.
»Nur dass die in Berlin nichts renovieren, sondern ausschließlich ans Ficken denken«, sagte Sonny. Er hatte die Kugel zwar versenkt, aber insgesamt immerhin 220 000 Punkte gemacht. Sein Spiel war vorbei.
Moses übernahm am Flipper. »Wir machen auch ‚ne Art Kommune auf.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Wie bitte, ihr macht was?«
»Wir haben eine Wohnung gemietet. Die richten wir uns gerade her. Endlich ein Raum, der uns gehört. Wo wir machen können, was wir wollen. Wo uns niemand etwas vorschreibt. Christiania im Kleinen. Wir haben uns auch schon einen Decknamen ausgedacht«, erklärte Moses.
»Nur wer die Parole kennt, gehört dazu. Wir nennen es Das Müsli. Ein konspirativer Treff, von dem nur Eingeweihte wissen«, sagte Sonny.
Ich lächelte. »Die Weltrevolution planen? Verarschen kann ich mich selbst. Ich glaube, ihr wollt doch nur einen Platz haben, wo ihr kiffen und Mädels flachlegen könnt.«
Aber wer hatte ihnen die Bude besorgt?
»Du brauchst ja nicht zu kommen. Wir werden bald Einweihung feiern. Meckerer wollen wir eh nicht dabeihaben.« Moses war mit einem Mal schlecht drauf. Wegen meiner Bemerkung bestimmt nicht. Er hatte zu heftig am Apparat gerüttelt. Mit großem Tamtam stand der Flipper erneut auf Tilt.
Karen schien ganz interessiert: »Was wolltest du eigentlich vorhin erzählen?« Ich legte los, berichtete davon, dass Mark eine Band gegründet hatte, dass Andi dabei war, ebenfalls eine Gruppe zusammenzustellen, und dass in der Stadt das Musikfieber ausgebrochen sei. Ich erzählte von Falko und Bab und von Rössel. Vier Bands schon, und dass da bestimmt noch mehr kommen würde.
»Darüber musst du einen Artikel schreiben.« Ich drehte mich um. Don stand hinter mir. Unter seinem rechten Arm klemmte ein Packen Flugblätter. In der freien Hand hielt er eine Zeitung.
Er hielt das Blatt hoch. »Ich habe eine Anzeige geschaltet.« Die Annonce war eine Viertelseite groß und nicht zu übersehen. In großen Lettern stand da zu lesen:
Bands gesucht für ein großes Musikfestival! Gruppen und Einzelinterpreten, meldet Euch! Das ist Eure Chance! Gegen die Langeweile! Damit endlich etwas passiert in unserer Stadt! Zeigt, dass Ihr was könnt! Der Gewinner erhält einen attraktiven Preis! Anmeldung: D-Management oder im Hot Rats. Am Ende war noch eine Telefonnummer angegeben.
Ich platzte vor Neugier. »Diese Anzeige hat doch ein Schweinegeld gekostet. Und was soll das, D-Management?«
Don reckte stolz die Brust. »Ich habe mir Kohle von meinen Alten geliehen. Die Bank hat noch was draufgelegt, um meine Geschäftsidee zu unterstützen.«
»Was redest du da?« Karen meldete Zweifel an. Berechtigt, wie ich fand, Don hatte noch nie etwas hinbekommen.
Dons Brust schwoll ein weiteres Stück an. »Ich habe eine Firma gegründet. D-Management, das bin ich. Ich werde Bands managen und Konzerte veranstalten, die Kultur fördern, so was in der Richtung.«
»Du und eine Firma gründen?«, fragte ich ungläubig und fuchtelte mit den Armen. Das hätte ich bleiben lassen sollen.
Was dann passierte, hatte ich nicht beabsichtigt.
Beim Herumfuchteln knallte meine Hand gegen Dons Arm. Das Bündel mit den Flyern segelte durch das Rats, und mitten im Flug öffnete sich die Verpackung. Es regnete DIN-A4-Blätter wie Herbstlaub. Der Rest rutschte quer über die Tanzfläche und verteilte sich vor dem Discjockeypodest.
Mit einem Mal war es mucksmäuschenstill. Keine Musik mehr, selbst der Flipper blieb stumm.
Scheiße, dachte ich und starrte Don mit offenem Mund an.
Ihn schien unser Zusammenstoß nicht weiter zu beeindrucken.
»Das ist alles ganz einfach«, sagte er. »Du gehst zur Stadtverwaltung und meldest ein Gewerbe an. Das kostet nicht viel. Dann bekommst du einen Wisch Papier. Und schon darfst du eine Firma betreiben.«
»Zum Impresario gehört mehr als nur eine nette Idee. Du musst dich mit Geschäftemachen auskennen. Meinst du, du hast das drauf?«, fragte ich.
Das war dick aufgetragen, aber es schien mir der einzige Weg, ihn wieder zurück auf die Erde zu holen.
Don war nicht mehr zu stoppen. »Ich will Bands ein Forum bieten. Und wenn dabei Geld rumkommt, dann ist das legitim, ich habe ja schließlich investiert. So funktioniert die Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage.«
Er lächelte siegessicher, als sei er schon ganz der Businessmann.
Ich starrte ihn ungläubig an. »Du konntest doch gar nicht wissen, was hier abgeht, dass sich vier Bands hier und heute im Rats gegründet haben?«
»Das macht einen guten Geschäftsmann aus, dass er weiß, was der Markt verlangt. Vier Bands, das ist doch ein guter Anfang für einen Impresario«, antwortete er selbstbewusst. »Als Mark bei Guru Guru auftrumpfte, da hatte ich einfach so ein Gefühl, dass sich daraus etwas entwickeln wird.«
Ich wusste nichts mehr zu sagen.
Don schaute mich triumphierend an. »Hör auf, so blöd zu glotzen, hilf mir lieber, den Scheiß aufzusammeln.«
Ein Rascheln erfüllte das Rats. Mark und Andi waren die Ersten, die sich ein Flugblatt vom Boden fischten.
drei Septober Energy
Ich lag in meinem Dachzimmer auf dem Bett und las es wieder und wieder. Der Artikel in Das Auge war aufgemacht wie eine Titelgeschichte im Spiegel. Großes Foto auf dem Cover und im Innenteil drei Seiten.
Rock Power gegen grauen Spießermief, lautete die Überschrift. Das war nicht besonders originell, Überschriften waren nicht meine Stärke. Den Begriff Rock Power hatte ich mir bei der Musikzeitschrift Sounds ausgeliehen. Einmal für dieses Blatt schreiben, das wäre der Wahnsinn. An New Musical Express oder Rolling Stone wagte ich gar nicht zu denken.
Don hatte einen Typ namens Meurer für die Fotos engagiert. Der machte das hobbymäßig, hatte aber eine Spiegelreflex und konnte mit dem Ding umgehen. Meurer bekam kein Honorar, dafür hatte Don ihm versprochen, er dürfe beim Festival fotografieren. Und wenn die Bands mal groß rauskämen, könne er die Bilder an alle großen Blätter verkaufen. Die gesamte Hot-Rats-Bande positionierte sich vor der Tür des Ladens. Meurer verschoss einen kompletten Film. Mark und Andi standen in der ersten Reihe. Das war dann auch das Titelbild. Und ich? Ich versuchte den theoretischen Überbau zu liefern. Mir kam die Aktion im Eckfritz wieder in den Sinn. Befeuert davon, kam mein Text daher wie eine politische Kampfschrift gegen Spießer und Reaktionäre:
Sie sind noch keine zwanzig. Genau das richtige Alter, um Revolutionär zu werden. Und wie alle Revolutionäre kämpfen sie für eine neue Welt. Ihre Welt ist voll mit neuen Klängen. Sie führen einen Kampf und greifen dafür zu den Waffen. Ihre Waffen sind Gitarre, Keyboard, Mikrophon, Bass und Schlagzeug. Diese Jugend verwandelt ihre Wut in kreative Energie. Eine Energie, die zu Sound wird. Ein Sound voller Rock Power, der die Mauern unserer kleinen Stadt zum Einstürzen bringen wird. Um ihre Ziele zu erreichen, formieren sie sich in Kollektiven. Nur in Kollektiven, auch Band oder Gruppe genannt, können sie ihre kreative Kraft zur wahren Blüte entfalten. Sie wollen keinen Erfolg, keine Karriere. Ihre Seelen sind für Geld nicht zu haben. Sie suchen ihr Glück in der künstlerischen Erfüllung. Gegen die Langeweile, nieder mit grauer Städte Mauern!
Es folgte eine Auflistung aller Bands, die sich innerhalb der vergangenen vier Wochen in unserem Ort formiert hatten. Ich stellte ihre Mitglieder vor und welche Stilrichtung sie spielten. Fra Mauro, Dreamlight, Storm und Electric Junk (Falko und Bab hatten inzwischen mit Nick aus der Unterprima einen Schlagzeuger gefunden) waren die Ersten. Außerdem gab es noch Alpha Centaurus, Inri, Fragile Age, Pharos und Beyond. Da sich einige Bands noch unschlüssig waren, in welche musikalische Richtung ihre Reise gehen sollte, dachte ich mir einfach etwas aus.
Ich beschrieb ihre Musik als Progressiven Rock und Underground. Keine der Bands, die es betraf, traute sich zu widersprechen, denn das wäre das Eingeständnis gewesen, von nichts, aber auch von gar nichts eine Ahnung zu haben. In einer Band zu spielen, die nicht wusste, was für eine Musik sie machte, war nur peinlich.
Alpha Centaurus und Inri waren im Grunde ein und dieselben Musiker. Das funktionierte so: Wenn Fränki Lust hatte, Bass zu spielen, hießen sie Inri. Fränki, in dem anscheinend ein kleiner Multiinstrumentalist steckte, konnte noch ein bisschen was auf der Orgel. Dann daddelte er auf einem alten Elektroklavier herum, der Gitarrist wechselte kurzfristig auf den Bass, und schon hieß der Verein Alpha Centaurus.






