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Fokke lachte urplötzlich auf. Herausfordernd stemmte er die Fäuste in die Hüften. »Und wie wollt Ihr das bewerkstelligen, wenn Ihr kein Zauberer seid?«
»Ich verfüge über besondere Kräfte, genau wie Ihr, Barend Fokke«, antwortete der Schwarze.
Fokkes Lachen wurde noch lauter. »Und welche wären das? Sollen mir Flügel wachsen?«
»Seht gut her«, befahl der Schwarze, ballte die Faust und richtete sie auf van Straten, dessen Augen ängstlich hin und her huschten. Der Fremde hielt nur die Faust auf den Unterkaufmann gerichtet, ohne etwas zu sagen.
»Bi … bi … bitte«, flehte van Straten. »Was habt Ihr vor? Wollt Ihr mich umbringen? Ich bin nur ein kleiner Unterkaufmann der Gesellschaft. Ich hab nie etwas Unrechtes getan und wenn, dann tut es mir leid. Bitte, bitte tötet mich nicht.«
Der Schwarze öffnete die Faust und spreizte die Finger. »Doch«, zischte er kalt. Eine unsichtbare Druckwelle schoss aus seiner Hand heraus, erfasste van Straten und schleuderte ihn, einer Kanonenkugel gleich, über den Rand der Klippe.
Marten blieb beinahe das Herz stehen, während der entsetzte Schrei des Unterkaufmanns in der Tiefe verhallte.
»Er ist der Satan, Kapitän!«, schrie Marten und bekreuzigte sich.
Fokke blieb ungerührt. »Warum habt Ihr das getan?«
»Um meine Macht zu demonstrieren. Das ist die Simarell. Sie wird mir von meinem Meister verliehen. Auch Ihr besitzt diese Fähigkeiten – weitaus stärker und mächtiger als ich, Kapitän«, erklärte der Fremde. »Mit der Macht der Simarell könnt Ihr Euer Schiff heben und die Fähigkeit erlernen, es ohne jede Mannschaft zu steuern.«
Marten bemerkte, wie sich im Schimmer des Mondes auf dem Gesicht Fokkes die Gefühle abwechselten, Zorn und Neugier, Sehnsucht und Verlangen. Marten wusste, dass sein Kapitän weder Tod noch Teufel fürchtete und alles tun würde, um nach Hause zurückzukehren. In Amsterdam wartete eine Frau auf ihn, die er heiß und innig liebte und der er von jeder Fahrt Geschenke aus Indien und China mitbrachte.
»Ihr sagt mir wahrhaftig, ich könne mein Schiff heben und es wieder flottmachen? Es ohne Mannschaft steuern und navigieren? Nach Hause zurückkehren?«, wollte Fokke von dem Verhüllten wissen.
Marten sah in dem dunklen Gesicht weiße Zähne aufblitzen. Ihm erschien es wie ein teuflisches Grinsen.
»So ist es.«
»Was verlangt Ihr dafür als Preis?«
Der Fremde verschränkte in bestimmender Geste die Arme. »Weder Gold noch Edelsteine, keinerlei Macht, kein Land, auch sonst nichts von materiellem Wert. Nur eines will ich haben«, donnerte er.
Fokke richtete sich zu voller Größe auf. »Dann sprecht es endlich aus, verflucht!«
»Eure Seele, Kapitän. Allein Eure Seele, auf dass sie mir diene, wenn ich es verlange.«
Der Schwarze streckte seine Hand aus und wartete geduldig darauf, dass eingeschlagen wurde.
Marten starrte seinen Kapitän ungläubig an. Diesen Preis würde Fokke doch nicht wirklich zahlen, oder? Das käme einem Pakt mit dem Teufel gleich, wenn es nicht gar ein solcher war. »Kapitän«, wimmerte er, doch Fokke ignorierte ihn.
Seine Kieferknochen malmten, so sehr rang er mit der Entscheidung. Dann machte er einen Schritt auf den Fremden zu, um die angebotene Hand zu ergreifen.
Nein! Das durfte nicht sein! Marten sprang vor, um seinen Kapitän zurückzudrängen und ihm ins Gewissen zu reden. Alle Kreise der Hölle wären ihnen sicher, wenn sie diesen Bund eingingen. Eine solche Sünde würde der Allmächtige niemals vergeben. Keine Menschenseele durfte sich dem Leibhaftigen verschreiben.
Doch Fokke wollte davon nichts hören, sondern stieß ihn, seinen treuen Steuermann, grob zu Boden. Aufrecht trat er dem Dämon entgegen, schlug ein und schüttelte die gepanzerte Hand.
»Dann sei es so, in drei Teufels Namen!«
1. Kapitel: Nicht im Dienste Ihrer Majestät
Harrow, 28. April, 333 Jahre später:
»Es ist wahrhaftig an der Zeit, diesem Drama ein Ende zu bereiten«, sagte Veyron Swift, als er aus dem Küchenfenster hinaus auf die Straße blickte.
Tom Packard blickte überrascht von seinem Frühstück auf und betrachtete seinen Patenonkel verwirrt. Veyron, schlank und hochgewachsen, mit strengen, raubvogelhaften Zügen in seinem ausgezehrten Gesicht, hielt seine Kaffeetasse in der Rechten, während er die Linke lässig in die Hosentasche gesteckt hatte. Er war ein Meister der Beobachtung, dem auf den ersten Blick Dinge auffielen, die andere selbst beim hundertsten Mal Hinschauen noch übersahen. Gerade eben war er von einem Spaziergang zurückgekehrt und hatte sich einen Kaffee geholt, um dann schnurstracks vor das Küchenfenster zu treten. Tom fragte sich, was Veyron dort draußen entdeckt haben mochte, das ihn dermaßen brennend interessierte.
»Was für ein Drama denn? Ich kapier mal wieder gar nichts«, sagte er und gesellte sich an die Seite seines Paten.
Seit fast zwei Jahren trug Veyron nun die Verantwortung für Tom, doch war er weder mit ihm verwandt noch konnte Tom von einem besonders innigen Verhältnis zwischen ihnen sprechen. Er mochte Veyron, aber er fürchtete ihn zugleich auch; nicht zuletzt wegen seiner vielen Flausen und dieser stets zur Schau gestellten geistigen Überlegenheit. Tom bewunderte seinen Patenonkel, er verehrte ihn, aber mehr wie ein Student seinen Professor oder ein Soldat seinen Hauptmann. Trotz aller Vertrautheit war da immer noch eine gehörige Portion Distanz zwischen ihnen, unausgesprochen, aber deutlich zu spüren.
»Das überrascht mich nicht«, sagte Veyron und lachte spöttisch. »Deine Augen und dein Verstand sind gegenwärtig allein auf Chloe Henderson konzentriert, diese Austauschschülerin aus Connecticut. Gegenüber dem Offensichtlichen warst du ja schon immer blind. Das ist deine Schwäche.«
Tom überging diese Gemeinheit schweigend, doch er spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen schoss, als Veyron die schöne Chloe erwähnte. Sie war neu an der Schule, und er hatte sie zum Eisessen ausgeführt – und danach zum Italiener. Er war total verknallt – aber Veyron hatte er nichts davon erzählt. Wie konnte er es also überhaupt wissen?
»Hey! Hatten wir nicht vereinbart, dass Sie mir nicht mehr hinterherspionieren?«, beschwerte sich Tom. Er hatte das letzte Mal, als Veyron glaubte, sich als Toms Beschützer aufspielen zu müssen, noch in überaus schlechter Erinnerung.
Veyron sah ihn nicht einmal an, als er erwiderte: »Ich dachte, wir wären uns einig, dass diese Vereinbarung für mich nicht gilt.«
»Veyron, diese Vereinbarung existiert allein Ihretwegen! Und lassen Sie Chloe aus dem Spiel! Von Liebe verstehen Sie nämlich gar nichts.« Während er sprach, wanderte sein Blick die Straße auf und ab, ohne etwas Ungewöhnliches feststellen zu können. »So, jetzt will ich wissen, was für ein Drama Sie meinen. Ist doch alles normal«, forderte er und schaute noch einmal genau hin. Wie jeden Sonntag parkten mehr Autos am Rand des schmalen Gehsteigs als unter der Woche. Von den Nachbarn war weit und breit nichts zu sehen, und Spaziergänger verirrten sich sowieso selten in die Wisteria Road.
»Da ist ein junger Mann, etwa Mitte zwanzig, er steht schon eine ganze Weile an der dritten Laterne von rechts vor Nummer 112. Vorhin während meines Spaziergangs habe ich ihn die Straße rauf- und runterlaufen sehen, zweifellos auf der Suche nach 111. Offenbar ist ihm noch nicht in den Sinn gekommen, auf der anderen Seite nachzusehen. Ich wollte nichts sagen, solange ich mit anderen Gedanken beschäftigt war, doch nun gehört ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Geh und bitte ihn herein, Tom«, erklärte Veyron.
Als Tom den von der Laterne fast verdeckten Mann endlich entdeckte, zuckte er nur mit den Schultern. »Er könnte auch auf seine Freundin warten«, konterte er.
»Nein, sein Blick geht stets zu den Nummern der Häuser. Er will zu mir, ich weiß es. Also geh jetzt und hol ihn herein.«
Tom schnaubte und trat zurück. Diese rechthaberische und fahrige Art und Weise seines Patenonkels ärgerte ihn selbst nach fast zwei Jahren noch immer so wie am ersten Tag. Mit seinen inzwischen sechzehn Jahren fand er es an der Zeit, sich diese schroffe Art der Behandlung nicht weiter gefallen zu lassen. »Nö! Gehen Sie doch selber. Sehe ich aus wie Ihr Hausdiener?«
Veyron beachtete ihn gar nicht, sondern blickte weiterhin forschend aus dem Fenster. »Zu spät, er gibt auf«, sagte er enttäuscht, doch dann hob er überrascht die Augenbrauen. »Ah, interessant. Jetzt hat er uns gefunden. Schau nur, er kommt direkt auf uns zu.«
Gleich darauf klingelte es. Veyron wirbelte auf den Absätzen herum und verschwand aus der Küche. Würde er dem Fremden öffnen? Nein, da hatte Tom sich wohl zu früh gefreut. Stattdessen bog Veyron ins Wohnzimmer ab. Es klingelte erneut.
»Aha. Also wieder mal Showtime, was? Alles klar – Mr. Packard öffnet die Tür und geleitet den verzweifelten Besuch ins Wohnzimmer, wo Mr. Swift dann seinen großen Auftritt hat«, grummelte Tom. Widerwillig machte er sich auf den Weg zur Haustür, um ihren Besucher einzulassen, ehe der es sich wieder anders überlegte.
Seit dem letzten großen Fall war Veyron dick im Geschäft. Die Leute suchten ihn als Berater in übernatürlichen Angelegenheiten auf, wenn sie sich von Geistern bedroht fühlten, von Kobolden oder gar Vampiren. Meistens steckte natürlich nichts dahinter, doch hin und wieder war auch ein echter Fall dabei. Tom erinnerte sich noch gut an den Pureberry-Mord, zu dem Veyron hinzugezogen wurde, weil die Mörder offenbar eine Gruppe Kinder gewesen waren. Die Wahrheit hatte natürlich gänzlich anders ausgesehen. Oder etwa der verzweifelte Vampirjäger Bernie Trapstone, der zu Unrecht der Ermordung einer Vampirfürstin beschuldigt und von deren rachsüchtigen Leibwächterinnen gejagt worden war. Nicht zu vergessen die verzwickte Sache mit der Hexe von Chelsea, in deren Händen sich das Schicksal ganz Elderwelts befunden hatte.
Elderwelt …
Wann immer Tom an Elderwelt dachte, jenes fantastische Reich, das er inzwischen schon zweimal besuchen durfte, packte ihn die Sehnsucht. Von der Welt, in der er aufgewachsen war, durch eine magische Grenze getrennt, war es für alle menschlichen Augen, Ortungsgeräte und Satelliten unsichtbar. Nur durch spezielle Durchgänge konnte man dorthin gelangen. Es geschah nicht oft, dass jemand von dieser Welt nach Elderwelt reiste, viel häufiger schienen es Kreaturen Elderwelts in diese zu schaffen. Meist ausgerechnet die von der üblen Sorte: Vampire, Kobolde, Schrate, Trolle … Dabei waren das noch die harmlosesten Monster, die Elderwelt behausten. Und dennoch war es ein Reich, in dem Träume Wirklichkeit wurden, wo so viel Schönes und Fantastisches existierte. Die Elben im Lande Fabrillian zum Beispiel oder die Zwerge auf der Insel Talassair.
Toms bislang einziges Mitbringsel aus jener Welt war ein Schwert, das oben in Veyrons Arbeitszimmer über dem Fenster hing. Nun gut, es war nicht nur irgendein Schwert, sondern erfüllt vom Geist eines mächtigen Magiers, Professor Lewis Daring. In den vorangegangenen Abenteuern war es ihnen schon einige Male eine große Hilfe gewesen, denn es verfügte über ein paar wirklich erstaunliche Fähigkeiten. Dazu gehörte sein plötzliches Erscheinen wie aus dem Nichts, wenn man seiner Hilfe bedurfte.
Der Gedanke an das magische Schwert ließ Tom inständig hoffen, bald wieder nach Elderwelt zurückzukehren. Seiner Meinung nach war das überfällig.
Ihr Besucher stellte sich als Danny Darrow vor und mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein. Tom musterte ihn. Er war von durchschnittlicher Größe, braun gebrannt und durchtrainiert, das dunkle Haar mit Gel in Form gebracht. Seine Klamotten – lauter cooles Zeug – stammten aus den besten Läden Londons. Tom mochte ihn jetzt schon. Sofort bat er ihn ins Haus und führte ihn ins Wohnzimmer.
Ganz wie erwartet lümmelte Veyron im großen Ohrensessel, die Fingerspitzen aneinandergelegt und ins Leere starrend. Tom verdrehte die Augen. Diesen theatralischen Auftritt hatte er inzwischen schon einige Male miterlebt; man konnte inzwischen fast von einem Ritual sprechen.
Veyron deutete in ausladender Geste auf die gegenüberliegende Couch. »Willkommen, Mr. Darrow. Bitte setzen Sie sich und schildern Sie mir Ihr Problem. Keine Sorge wegen Tom. Er ist mein Assistent, und Sie können vor ihm so frei reden wie vor mir. Zeigen Sie bitte keine Hemmungen und erzählen Sie mir alles. Vergessen Sie nicht …«
»… das kleinste Detail. Ja, ja. Das kenn ich jetzt schon«, unterbrach ihn Tom murrend.
Veyron überging das mit einem kurzen Lächeln. »Ganz genau, Tom. Schön, dass du dir auch einmal merkst, was ich sage. Also, Mr. Darrow, nur keine Scheu. Legen Sie los. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich mir nicht besser Sorgen um Sie machen sollte. Ihr Lebensstil ist sehr nachlässig, dabei steht Ihnen in Kürze Ärger von Amts wegen bevor, besonders von Polizei und den Ordnungsämtern aus Bristol, Oxford und Paddington. Sie sehen diese Sache jedoch sehr locker, obwohl sie durchaus kurzzeitig recht zornig darüber waren. Immerhin sind Sie finanziell gut abgesichert. Doch das alles ist wohl kaum der Grund, dass Sie den weiten Weg von Oxford hierher machen, um mich mit solchen Banalitäten zu langweilen«, sagte er.
Tom erging es genauso wie Danny Darrow: Er konnte nur die Augen aufreißen und seinen Paten ungläubig anstarren.
Darrow suchte einen Moment verdattert nach den richtigen Worten. »Woher … woher wissen Sie … ich meine … Von was zum Henker reden Sie denn da bloß?«, stammelte er, was Veyron ein sardonisches Grinsen auf seine schmalen Lippen zauberte.
»Ich rede von Ihrem Porsche draußen auf der Straße, Modell 911 Carrera S, Baujahr 1997, nachtschwarz mit Nummer aus Oxford. Als Sie draußen die Hausnummern abklapperten, spielten Sie die ganze Zeit nervös mit Ihrem Autoschlüssel herum. Ich konnte erkennen, dass es ein Porscheschlüssel war, das Design mit dem integrierten Wappen ist unverwechselbar. Hier in der Straße fährt jedoch niemand einen Porsche. Da bis zu Ihrem Auftauchen auch noch nie einer hier parkte, kann das Modell draußen vor Nummer 114 allein Ihr Wagen sein. Nun zu Ihrer Nachlässigkeit und dem Amtsärger, der Ihnen bevorsteht: Bei meinem kleinen Spaziergang kam ich an Ihrem Wagen vorbei und konnte einen Blick ins Innere erhaschen. Auf der Rückbank Ihres Wagens tummelt sich inzwischen eine recht beachtliche Sammlung an Strafzetteln. Einige sind oben eingerissen, etwa zwei Zentimeter. Die verbogenen Ecken links und rechts zeigen mir, dass dies kein Versehen war, sondern mit Gewalt ausgeführt wurde. Dann haben Sie es sich jedoch anders überlegt und sämtliche Strafzettel einfach nach hinten geworfen. Warum? Weil Sie sie sich zwar geärgert haben, aber Ihre Sorglosigkeit schnell wieder die Oberhand gewann. Dass Sie die Strafzettel nur achtlos nach hinten werfen, verdeutlicht mir Ihre unbekümmerte Lebensführung. Sie nehmen viele Dinge weitaus weniger ernst, als Sie vielleicht sollten. Die Polizei und das Ordnungsamt werden diese unbezahlten Bußgelder jedoch nicht mehr lange hinnehmen, weswegen Ihnen zweifellos Ärger bevorsteht. Sie leisten sich teure Kleidung und den Unterhalt eines Sportwagens. Daraus schließe ich, dass Sie finanziell abgesichert sind und die bevorstehenden Buß- und Mahngelder mit Leichtigkeit begleichen könnten.«
Veyron sprach so schnell, dass Tom Mühe hatte, alles aufzunehmen. Ein Blick zu Darrow zeigte ihm, wie wenig dem Besucher diese Enthüllungen gefielen, vor allem, da sie obendrein auch noch zutrafen. Tom erwartete fast, Darrow in die Luft gehen und wütend das Haus verlassen zu sehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Veyron andere Menschen auf diese Wiese vergraulte.
Danny begann stattdessen, laut und herzlich zu lachen. »Stark!«, rief er aus. »Echt stark! Das haben Sie mit einem einzigen Blick in mein Auto alles herausgefunden?«
»Die einzig logische Analyse, wenn ich alle Fakten miteinander kombiniere. Aber genug der Spielchen. Was ist nun Ihr Problem, Mr. Darrow?«, gab Veyron im lapidaren Tonfall zurück.
»Sie haben recht, Mr. Swift«, sagte Darrow. »Aber das ist vorbei, diesen nachlässigen Danny, den gibt’s nicht mehr. Und wissen Sie, warum? Ich habe die Frau meines Lebens kennengelernt. Wissen Sie, wie es ist, wenn Sie eine Frau zum ersten Mal sehen, und es macht Kazoom, und Sie können an nichts anderes mehr denken als an sie? Das ist mir noch nie passiert. Normalerweise interessieren mich nur Arsch und Titten und vielleicht noch ein nettes Gesicht. Aber bei Fiona … Na ja, das hat mich einfach umgehauen. Ich kann eigentlich nur noch an sie denken. Das kennen Sie doch sicher, oder?«
»Nein, kenne ich nicht«, sagte Veyron kalt – und meinte es auch so. »Fahren Sie fort, und bitte nur sachliche Details. Klammern Sie alle Emotionen aus, wenn es geht.«
Darrow schaute kurz überrascht auf und musste wieder lachen. »Alles klar, Mr. Spock – äh, Swift. Nur sachliche Details. Alles klar. Also, ich hab Fiona in der Bibliothek kennengelernt. Hatte mich mal wieder dazu entschlossen, etwas zu studieren. Wirtschaftswissenschaften – mein Vater will, dass ich sein Nachfolger in der Bank werde. Es stimmt, Geld war und ist für mich kein Problem. Ich kann mir kaufen, was ich will, ich brauch auf nichts zu achten. Na ja, eigentlich geh ich ja nie in die Bibliothek, doch ein Kumpel von mir hatte sich ein paar Bücher ausgeliehen, sich aber das Bein gebrochen. Drum hab ich die ollen Schinken für ihn zurückgebracht. Und da hab ich sie gesehen. Fiona Smith. Mann, was für eine Frau! Saß einfach dort, über einem dicken Wälzer gebeugt … was war’s doch gleich? Ach, keine Ahnung. Ich hab’s fotografiert. Hier …«, erklärte er, griff in seine Hosentasche, holte ein Smartphone heraus und warf es Tom zu.
Der staunte nicht schlecht. Das allerneueste Modell.
»Nur zu, ist nicht Passwort-gesichert. Ich vergess so was eh schnell«, sagte Darrow.
Tom aktivierte die Bildergalerie und fand sofort ein paar Fotos eines dicken Buchs. »Griechische Sagen. Von Lewis A. Daring! Veyron, es ist ein Buch des Professors«, rief er überrascht aus, als er das Bild des Umschlags heranzoomte.
Darrow schaute verwirrt drein.
Veyron winkte ab. »Ein Insider – und uns fehlt die Zeit, das näher zu erläutern. Es ist auch unwichtig. Fahren Sie bitte fort, Mr. Darrow.«
»Okay. Also Fiona. Sie saß dort und las dieses Buch. Mir war sofort klar: Das ist die Frau meines Lebens. Ich geh zu ihr hin und stell ein paar saublöde Fragen. Über das Buch, ob es gut ist oder so. Sie findet es wohl lustig. Sie hat ein umwerfendes Lachen, kein so oberflächliches Gekicher. Na ja, auf alle Fälle sind wir irgendwie ins Gespräch gekommen – weiß gar nicht mehr, um was es ging … egal. Wir machten ein Date aus und gingen ins beste Pub von ganz Oxford. Es war ein netter Abend, wir hatten beide viel zu lachen. Danach noch kurz in den nächsten Club, ein bisschen tanzen, und zuletzt hab ich sie heimgefahren. Und das war’s dann. Normalerweise endet ein Abend mit einem Mädchen bei mir nie auf diese Weise. Frauen fliegen auf meine Autos und mein Geld. Zuletzt landen sie alle bei mir im Bett. Aber Fiona, die war nicht so leicht rumzukriegen. Sie bedankte sich für den schönen Abend, aber mehr nicht. Mann, zum ersten Mal im Leben habe ich gefragt, ob wir uns wiedersehen werden. Vielleicht hätte sie Lust, ins Kino zu gehen? Sie hat Ja gesagt! Wirklich gern, meinte sie. Stellen Sie sich das vor: Ich und um ein zweites Date bitten, ein Danny Darrow! Das gab’s noch nie. Und als sie Ja gesagt hat, da war ich aufgeregt wie ein kleiner Junge, der …«
Veyron räusperte sich und unterbrach den jungen Mann. »Keine Emotionen«, erinnerte er seinen Klienten streng.
»Ja, ja, schon klar. Auf jeden Fall kam es zu keinem zweiten Date. Sie ist einfach nicht aufgetaucht. Das hat mich echt verwirrt. Ich hatte ja ihre Handynummer, doch als ich sie anrief, sagte eine verdammte Computerstimme, die Nummer sei nicht vergeben. Aber so leicht gibt ein Danny Darrow nicht auf. Ich hab in der Uni nachgeforscht, doch kein Mensch kannte eine Fiona Smith. Sie war nicht eingeschrieben, nirgendwo. In keinem Wohnheim, in keinem einzigen Kurs. Aber Zugang zu dieser Bibliothek erhalten nur gemeldete Personen, und man muss sich eintragen, wenn man Bücher ausleiht. Ich hab auch da nachgeforscht. Dieses Buch, dieser fette Wälzer, der wurde seit drei Jahren nicht mehr ausgeliehen, hat mir der Bibliothekar erzählt«, fuhr Danny fort. Dann wurde er seine Stimme leise.
Tom erkannte, wie unangenehm es ihm war, weiterzuerzählen.
»Ich fuhr sie ja nach unserem ersten Date heim. Bin schließlich ein Gentleman. Sie wohnt hier, mitten in London, in Paddington, 42b False Lane. Aber auch dort gibt es keine Fiona Smith. Der Hausmeister erzählte mir, es hätte nie eine Mieterin im Haus gegeben, auf die meine Beschreibung passt. Ich hatte an jenem Abend ihr Namensschild an der Klingel gesehen. Jetzt war es jedoch verschwunden. Mr. Swift, meinen Sie, ich hatte ein Date mit einem Geist? Also mir kommt’s fast so vor.«
Veyron Reaktion bestand in einem tiefen Durchatmen. »An wie vielen Tagen haben Sie Miss Smith gesehen?«
»Leider nur an einem.«
»Nur an diesem einen Tag?«
»Ja, klar.«
»Sie genießen an der Universität den Ruf eines Frauenhelden, nehme ich an?«
»Ja, denk schon. Ich bin nicht hässlich, wissen Sie, und ich glaub, ich bin eigentlich immer gut drauf. So was mögen die Mädels.«
»Sie haben an diesem Abend alle Rechnungen bezahlt?«
»Selbstverständlich. Ich bin ein Gentleman, zumindest meistens. War ziemlich viel. Ist ja auch ein nobler Schuppen, die lassen da nicht jeden rein.«
Veyron lachte amüsiert. Dann klatschte er in die Hände. »Sind Sie schon einmal auf die Idee gekommen, dass Miss Smith Sie belogen haben könnte? Dass Sie wegen Ihres Bekanntheitsgrades und Ihres Rufs hereingelegt wurden? Es gibt nicht nur Frauenjäger, sondern auch Männerjägerinnen, Mr. Darrow. Die Lady hat sie ausgenommen. Geben Sie eine Vermisstenanzeige auf, wenn Sie sie unbedingt finden wollen.«
»Habe ich schon gemacht. Die Polizei hat noch nichts von sich hören lassen. Die waren anfangs sehr engagiert und haben auch alles in den Computer eingeben. Aber als ich am nächsten Tag nachfragte, waren sie sehr komisch, als würde sie der ganze Fall nicht mehr interessieren. Sie würden sich dann schon melden und noch mehr Blabla«, versuchte Darrow sein Anliegen zu retten.
»Wahrscheinlich, weil man zu der gleichen Erkenntnis gelangte wie ich, Mr. Darrow. Die Sache ist es nicht wert. Fahren Sie nach Hause und vergessen Sie Miss Smith am besten sofort. Goodbye«, erwiderte Veyron kalt, schloss die Augen und beachtete Darrow nicht mehr weiter.
Sichtlich niedergeschlagen erhob sich der junge Mann und schaute Veyron noch einmal flehentlich an. Als der nicht reagierte, trat er mit einem Seufzen hinaus in den Flur. Tom folgte ihm; immerhin verlangte es seiner Meinung nach der Anstand, dass er den armen Kerl wenigstens zur Tür brachte. Veyron zeigte sich stets sehr abweisend gegenüber den Leuten, wenn ein Fall nicht sein Interesse fand.
»Tut mir leid, Mr. Darrow«, sagte Tom schließlich und versuchte ein aufmunterndes Lächeln zustande zu bringen. »Vielleicht überlegt er es sich noch anders. Wäre nicht das erste Mal. Manchmal muss er nur ein Weilchen darüber nachdenken.«
»Sag Danny zu mir, Kleiner. Hier, nimm meine Karte. Ruf mich an, wenn dein … was ist er eigentlich von dir?«
»Mein Boss«, log Tom. Die Wahrheit, dass er bei Veyron lebte, weil seine Eltern tot waren, wollte er nicht jedem erzählen. Nur seine Freunde durften davon wissen. Alle anderen ging es nichts an.
»Okay. Dein Boss eben. Hatte mir schon so was gedacht. Kann schon sein, dass ich auf ein Biest hereingefallen bin. Blöd, mich gerade in so eine verknallt zu haben, was?«, meinte Danny und lächelte verschämt. Er nahm die Sache lockerer, als Tom vermutet hätte – oder er war ein guter Schauspieler.
»Ist mir auch schon passiert. Da kommt man drüber hinweg«, gab er zurück, als wäre es für ihn etwas Alltägliches.
Das brachte Danny zum Lachen, ein lautes, von Herzen kommendes Gelächter. »Sagt mir ein Knirps, der sich noch nicht mal rasieren muss! Alles klar, Kleiner, du bist schwer in Ordnung. Ruf mich an, falls dein Boss es sich anders überlegt. Dann spendiere ich dir eine Spritztour, und wir gehen gemeinsam auf Brautschau.«