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Angenommen unsere Landschaft hätte sich inzwischen rosarot verfärbt: Wiesen und Blumen, alles pink. Paulchen und seine Freunde wären demnach kaum sichtbare Phantome, Ton in Tönchen mit ihrer Umwelt. Dann täten wir gut daran, wenigstens ihren Fußspuren nachzugehen.
Möglicherweise hat Paulchen auch sein Fell gewechselt. Nach einem rosaroten Zeitgenossen zu fahnden erwiese sich nicht nur sinn-, sondern auch chancenlos. Womöglich ist Indigo der neue Trend? Doch dazu noch später.
Was, wenn sich herausstellt, dass wir überhaupt keine Paulchen finden können? Und das vor allem deshalb, weil wir selbst bereits zu rosaroten Panthern mutiert sind? Vielleicht sehen wir nur deshalb keine esoterische (Massen-)Bewegung, weil wir schon selbst in Bewegung sind. Vielleicht sind es vielmehr wir selbst, die wir suchen oder doch eher untersuchen sollten.
Vermutlich ist es, wie so oft, eine Mischung, die der Wahrheit am nächsten kommt. Hartmut Zinser, Professor für Religionswissenschaft an der FU Berlin, thematisiert diese Schwierigkeiten in unserer Wahrnehmung. „Die Esoterik dringt zunehmend in den ganz normalen Alltag ein“, erklärt der Religionswissenschaftler. Ursprünglichkeitssehnsucht, Apparateglaube, Technikfaszination und die Begeisterung für Magisches werden bedient. Esoterische Angebote wirken für Zinser wie „schwankende Gestalten“ zwischen Wissenschaft und Religion. Spiritistische Produkte und energetische Dienstleistungen etablieren sich zusehends zu fixen Bestandteilen der täglichen Konsumation. Der Szenekenner fasst zusammen: „Viele nehmen sie schon gar nicht mehr als esoterisch wahr. Und das macht es so problematisch.“ [19]
Keiner ist Esoteriker, aber der Markt ist da: die Zahlen der Zahlenden
Esoterik hat was von „Modern Talking“, jeder findet sie dämlich, doch das Geschäft boomt trotzdem. Von „Schamanismus“ über „Okkultismus“ bis hin zu „Kohlemachismus“ reichen die Headlines, „zehn Milliarden Euro“ generiere der Handel mit magischen Erzeugnissen und Diensten Jahr für Jahr in Deutschland. So eine vorsichtige Expertenschätzung aus dem Jahre 2004 [20]. Aber dennoch, „wie groß der Esoterik-Markt wirklich ist, weiß niemand – zumal schon Volkshochschulen Handauflegen in ihren Katalogen haben“, schreibt Die Welt. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass es immer mühsamer wird, Magisches und Nicht-Magisches auseinanderzuhalten. Denn, „die Esoterik ist längst keine Spielwiese mehr für ein paar Spinner, sondern hat sich tief in die Gesellschaft eingeschlichen“, bemerkt die Kult- und Sektenexpertin Ursula Caberta [20]. Wir haben es also mit einem Unschärfeproblem zu tun. Doch wie verschwommen unsere Sicht der Dinge auch immer sein mag, es geht hier in jedem Fall um einen Milliardenmarkt, der stetig wächst.
So gehören Neo-Spiritualität und das Faible für Übersinnliches zu den Kerngebieten der Konsumforschung, und das nicht von ungefähr. Spricht der Spiegel noch im Jahr 1994 von einem Marktvolumen von circa 18 Milliarden DM jährlich [21], so schätzt Eike Wenzel die Umsätze in diesem Segment 2010 bereits auf 18 bis 20 Milliarden Euro [22]. Und das in einem Jahr, wo uns allen noch die Finanzkrise im Nacken saß. Ein Abflauen des Hypes ist nach Wenzel nicht in Sicht. Bis 2020 soll der Umsatz mit spirituell-esoterischen Angeboten auf ganze „35 Milliarden“ Euro ansteigen [19]. Nur zum Vergleich: Die deutsche Brauwirtschaft setzt aktuell gerade einmal knappe acht Milliarden Euro um [23]. Und wehe dem, der auf diesen Zug nicht aufspringt. Denn beim „Konsum zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab“ [24]. Fernab von schnöden Statussymbolen etabliert sich „Sinnsuche als neue Wirtschaftsgröße“. Die Flyer der Wirtschaftsberater sprechen von „gigantischen Zukunftsmärkten“. Nicht umsonst gehören Transzendenz, Selbstfindung und Esoterik schon längst in jede bessere Marketingschulung. Vom mystischen Waschmittel oder dem „Balance-Kaugummi“ bis hin zur Partnervermittlung im Dienste der Selbstvervollkommnung: Unsere Produkt- und Dienstleistungswelt erfährt zusehends eine spirituelle Aufladung.
Doch auch klassische Magie kann an diesem Kuchen mitnaschen. „Eine Viertelmilliarde“ sollen die rund 10.000 haupt- und nebenberuflichen Wahrsager und Handaufleger einnehmen. 150 Millionen Euro erwirtschaftet die Astrologiebranche, „mehrere hundert Millionen der seit Jahren zum Teil zweistellig wachsende esoterische Buchmarkt“, so die Zahlen in der Welt [20]. [20]
Dass auch noch altgediente Hellseherei durchaus profitabel vermarktet wird, beweist beispielsweise das Berliner Unternehmen „Questico AG“. Astrologie-Shows der Marke „Astro TV“ im Fernsehen und Telefonberatungen zählen zu seinen Einnahmequellen. Matthias Pöhlmann und die „Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (Berlin) beziffern den Umsatz bei Questico auf jährlich 70 bis 80 Millionen Euro [25]. Rund eine Million Questico-Kunden gelten als registriert. Über die Questico-Hotlines laufen täglich mehr als 20.000 Gespräche. 2600 „Experten“ – ihres Zeichens Kartenleger, Wahrsager, Astrologen, Hellsichtige und Sensitive – bieten „liebevolle, kompetente Lebensberatung“, natürlich gegen Geld, minutengenau abgerechnet versteht sich.
Esoterik im Buchladen
Ein noch deutlicheres Bild zeichnet der Büchermarkt. Wer sein Geld noch dem Laden im Stadtzentrum anvertraut, der rufe sich den letzten Besuch des Selbigen noch einmal ins Gedächtnis. Wie viele Quadratmeter verschlingen inzwischen die Abteilungen Lebenshilfe, Esoterik, Spiritualität, Astrologie, Bewusstsein und Co.? In welcher Relation stehen diese zu den Bereichen Politik, Kochen oder gar Sprachen? Wie war das früher? Lässt sich hier eine Tendenz erkennen?
Zumindest wohl dieselbe, die auch in den Geschäftsbüchern ihren Niederschlag findet. So lag 2005 der Anteil esoterischer Veröffentlichungen im Bereich „Sachbuch“ bei 13,4 Prozent. 2007 betrug der Umsatz mit Werken dieses Genres schon 500 Millionen Euro [25]. Ergab die Stichwortsuche „Esoterik“ beim Onlinehändler Amazon im Jahr 2004 noch 6072 [14] Titel, so finden sich 2013 an die 100.000 Treffer. Meinungsforscher konstatieren 20-prozentige Umsatzzuwächse in Sachen Metaphysik, und das in einem stagnierenden Buchmarkt [14].
Wenn klassische Eso-Shops ihre Pforten schließen, dann wohl nur deshalb, weil viele herkömmliche Buchläden ihnen in Sachen Runenorakel und Seelenbotschaften sprichwörtlich das Weihwasser abgraben. Engelsfigürchen, Abwehr-Essenzen und Heilkristalle, alles, was man für das spirituelle Erwachen so braucht, aber mit Literatur herzlich wenig gemein hat. Die ehemalige Esoterikecke nimmt mancherorts derartige Ausmaße an, als stünde man mitten in einem New-Age-Supermarkt. Dabei bleibt dem klassischen Händler gar nichts anderes übrig, denn der Löwenanteil in Sachen Lebenshilfe findet zweifelsohne mittels der übermächtigen Online-Bookseller seine Käufer. Schließlich versteht sich Spiritualität heute vielmehr als eine Angelegenheit des Selbst-Wählens, des Sichselbst-Aussuchens. Wer braucht da noch Beratung? Hier fühlt sich jeder selbst schon als Experte. Man folgt seiner Intuition und bestellt diskret online.
Die zunehmende Spezialisierung in der Esoterik 2.0
Und genau diese Kursrichtung schlägt sich in vielen verschiedenen Marktsegmenten nieder. Gemeint ist die zunehmende Spezialisierung vonseiten der Anbieter als auch der Abnehmer. Man beginnt sich zu positionieren, und das innerhalb der Szene. Vergleichbar hierzu der Weg vom Web 1.0 zum interaktiven Getriebe des Web 2.0.: Den Einstieg haben die meisten schon hinter sich, nun geht es darum, sein Insiderwissen zu vertiefen. Schließlich verstehen sich esoterische Prinzipen für breite Teile der Gesellschaft schon als gelebte Praxis. Hier also immer mehr Fach-Communitys innerhalb digitaler sozialer Netzwerke, da immer extravagantere Zirkel innerhalb einer rosarot durchfärbten Geisteskultur. In diesem Zusammenhang liefern gerade die Entwicklungen am Zeitschriftenmarkt ein Spiegelbild davon, wohin uns die Esoterik 2.0 führt.
Der esoterische Blätterwald
Es sind zunächst die Klassiker, welche schon seit Jahrzehnten das magische Feld bestellen. Altbewährte Astrologie à la Astrowoche zieht da mit einer Auflagenhöhe von 100.000 [25] Exemplaren ins Feld. „Einmalige Lebensberatung, hochwertige Horoskope, Mondkalender und viele weitere Themen“ finden hier ihren Leser. Astrowoche Plus-Abonnenten erhalten zudem „einen individuell programmierbaren Mondpausenwarner“ [26] sowie ihre Tageshoroskope per E-Mail. Überboten wird die Zeitschrift aus der Bauer Media Group dennoch von Zukunftsblick aus dem Hause Questico. Und das nicht nur in Sachen Füllmenge – immerhin 268 Seiten für nur 1,40 Euro –, sondern auch im Vertrieb. 250.000 Stück [25] sollen monatlich in diversen Haushalten landen. Seitenweise finden sich Annoncen der Channel-Medien und Hellfühlenden, großteils via Telefon. Kontaktmagazine im spirituellen Format. Nur diesmal sind es nicht Sexhotlines, sondern jenseitige Tuchfühlungen, die da vermittelt werden. Und umgekehrt ist nun das Publikum durch die Bank weiblich.
Magazine für esoterische „Insider“
Mehr phantastischen Tiefgang beweist da schon der florierende Markt esoterischer Fachzeitschriften. Denn aus dem magischen Garn der ersten Generation häkelt nun jeder Kult seine ganz eigenen Muster. Die Rede ist von vielen verschiedenen Fangemeinden unterschiedlicher metaphysischer Labels. Jede Community besetzt ihr ganz eigenes Ressort und kommuniziert wiederum über ihr eigenes Medium. So zum Beispiel das Magazin Lichtfokus (Auflage circa 12.000) [25] mit den Schwerpunkten Lichtarbeit, Channeling und aufgestiegene Meister. Hier dreht sich alles um die Themen „Erwachen, Spiritualität, Neues Bewusstsein“, das Wörtchen „Esoterik“ sucht man in diesem Blatt allerdings vergebens. Wozu auch? Die Adressaten sind hier nicht „Esoteriker“, sondern schlicht die „Lichtarbeiter der Neuen Zeit“.
Seit April 2008 erfährt auch der Engelspiritismus mediale Unterstützung. Das Engelmagazin spricht dem Leser aus dem Herzen: „Du verdienst es, geliebt zu werden“, versichert das Cover [27]. Immerhin 75.000 Stück verlassen alle zwei Monate die Druckerpresse und versorgen Erwachsene mit flauschigen Engelsgeschichten, um „der Sinnsuche und Sinnfindung mehr Raum im Leben“ zu geben [25]. „Spirituelle Lebenshilfe und Engelbotschaften für jeden Tag“ werden darin geboten, bis hin zu „Tiere, unsere Seelenpartner“ [28]. Aber auch hier wieder dasselbe Bild: von „Esoterik“ oder gar „New Age“ keine Spur.
Das Wellnessmagazin als Türöffner
Als etwas weniger exklusiv und somit für eine breitere Leserschaft konzipiert erweist sich das Monatsmagazin Visionen. „Spiritualität, Bewusstsein, Wellness“ [25] lauten hier die Themenschwerpunkte. 90.000 Stück informieren Monat für Monat in Sachen Zen-Buddhismus, Intuition und Gehirnforschung bis hin zu Tarot und Seelenpartnerschaft. Visionen liefert ein gutes Bespiel für das Ineinandergreifen von Esoterik- und Wellnessbewegung. Die Sehnsucht nach innerer Mitte und bewusstem Leben wird hier genauso angesprochen wie der Wunsch, „Engel und Sterne als Seelenführer“ [29] zu etablieren. So fungieren spirituell angehauchte Wellnessmagazine gewissermaßen als Steigbügelhalter für den oben erwähnten Insiderhandel. Sie sichern das Feld nach hinten ab und sorgen mithilfe einer marktgerechten Mixtur aus Vernunft und Unvernunft für einen tragfähigen ideologischen Unterbau, der spezialisierteren Zirkeln eine Abflugbasis bietet. Gerade also ein Streifzug durch den Blätterwald der Wellnessindustrie versinnbildlicht, wo die Themenschwerpunkte der Neuzeit anzusiedeln sind. Denn die „Zukunft steht nicht nur in den Sternen“, sie findet sich „auch zwischen den Beinen“, steht da in Body & Mind, dem Blatt für „Wellness und Wohlfühlen“ [30]. Schließlich hat die hier beworbene georgische Astrologin ihr Wissen bereits an über 4000 Genitalien erproben können. Doch intimes Handanlegen sei für eine „Prophezeiung“ nicht nötig, ein Foto genügt. Der Eros im Dienste des Spirit.
Die Zukunft heißt „Mindstyle“
Dass gerade dem gigantischen Markt der Frauenzeitschriften eine intensive Transformation bevorsteht, illustriert die Geburt der sogenannten „Mindstyle-Magazine“. Das Bauch-Beine-Po-Postulat erfährt hierbei eine trendgerechte Erweiterung. Body, Fitness und Sex bekommen Gesellschaft von Aura, Chakren und Lichtkörpern. Vormals Esoterisches avanciert stillschweigend zum neuen Life- oder eben Mindstyle. Dementsprechend pflegt man „einen bewussten Lebensstil“ [31] und schmückt sich zugleich mit spirituellem Aufputz. Genau deshalb gehört die Zeitschrift Happinez aus dem Heinrich Bauer Verlag selbstredend zur Welt der „New Luxury“-Magazine [32].
Selbstverbesserung und „emotionale Weiterentwicklung“ [33] in „hochwertigster Haptik und Optik“ [34] versinnbildlichen in den Worten der Trendforscher einmal mehr, „wie das Übersinnliche die gesellschaftliche Mitte erobert“ [14]. Auffallend hier die Überlagerung weltlicher Themen mit einem spirituellen Nimbus. Job, Gesundheit, Ernährung, Lifestyle, Reise oder Kultur: Alles wird um eine bedeutende Dimension erweitert. Die eigene Vervollkommnung mit allem, was dazugehört, lautet wohl die Devise des Blattes für 35- bis 50-Jährige. Das Magazin, das „Weisheit, Psychologie und Spiritualität“ anvisiert, propagiert neben dem Gang zum Schamanen auch Kristallwasserstäbe zum Übertragen von Heilkräften und vermiest seinem Publikum Nicht-Tantra-Sex als „eine nackte, kalte Form von Sexualität“ [35]. Themen, welche vor einigen Jahren noch in reinen Eso-Heftchen zu finden waren, bilden nun das Konsumgut einer breiten Leserschaft.
Das Magazin erschien erstmals 2010, ist Partner der Plattform „Wunderweib“, umfasst 145 Seiten, und das in Hochglanz. Mit einem Preis von 4,95 Euro will man sich gezielt zwischen InStyle & Co. ansiedeln. Bei einer Auflage von 150.000 Stück kann man durchaus mit Zeitschriften wie Vogue mithalten. Von einem gesellschaftlichen Randbereich dürfte da kaum mehr die Rede sein. Und die Sterne stehen günstig: Denn Happinez ist keine deutsche Erfindung, sondern eine Lizenzausgabe eines gleichnamigen niederländischen Titels. Dieser hat sich seit dem Launch 2003 bereits zur auflagenstärksten monatlichen Frauenzeitschrift der Niederlande entwickelt. Und das mit einer Verkaufsauflage von knapp 200.000 Exemplaren [36] bei circa 16,5 Millionen Einwohnern. Umgerechnet auf Deutschland entspräche das einem Leserpotenzial von knapp einer Million Menschen.
Fazit: Der Zeitschriftenmarkt bringt es klar zutage. Im Zuge einer zunehmenden Ausdifferenzierung präsentiert sich esoterisches Geistesgut vermehrt als hip und trendy. Analog zur so kolportierten Hochglanz-Spiritualität besucht man folglich auch nicht mehr eine schmuddelige Esoterik-Messe, sondern bucht ein Wochenende auf einem Bewusstseins- oder gar „Zukunftskongress“ [37]. Die Zielgruppe: Manager mit Anzug und Krawatte, genächtigt wird im Grandhotel.
Schwarzmarkt aus Licht und Liebe
Auf die Wellness- und Heilerszene möchte ich aus Platzgründen hier nicht weiter eingehen. Doch abseits aller bisher gefallenen Zahlen sei ein Faktor noch gesondert hervorgehoben. Die Rede ist von den inoffiziellen Geldflüssen, die die Branche durchströmen. Eine Internetrecherche quer durch das Dickicht der Anbieter konfrontiert unentwegt mit gleich lautenden Zahlungsmodalitäten. „Energieausgleich“, Gutscheinsysteme oder „Fernbehandlungen“ mitsamt Donate-Button erscheinen am Bildschirm. Wie viel Monetäres hinter den Kulissen kursiert, darüber kann nur gemutmaßt werden. Oder glauben Sie wirklich, dass die Konsumentinnen einer spirituellen Vervollkommnung auf Intimbasis eine Quittung einfordern? Laut der Zeitschrift Neon gehört zum Beispiel die sogenannte „Yonimassage“ schon zum neuen Großstadttrend. Zweihundert Euro, nur um „die Frau in ihrer Göttlichkeit zu verehren“ [38]. Wer will hierfür schon eine Rechnung, die Krankenkasse zahlt ja nicht, noch nicht.
Wirtschaftsfaktor Feinstofflichkeit – Eskapismus en masse
„Es wirkt wie eine Kuriosität (…) die Esoterikbranche boomt“, lautet eine Schlagzeile in der TAZ [39] im März 2009, inmitten der Talfahrt auf den Finanzmärkten und zur selben Zeit, in welcher der Bierkonsum der Deutschen seine ersten massiven Einbrüche erlebt [40]. „Sie zeigt, wie sich auch in der Krise Milliardenumsätze machen lassen“ [39], ist da zu lesen. Was hier auf den ersten Blick vielleicht kurios anmutet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung eher als logische Konsequenz. Globalisierung und Beschleunigung befeuern die Sehnsucht nach Außer- oder eher Innerweltlichem gerade in Krisensituationen zusätzlich. Von einem Eskapismus en masse zu sprechen scheint hier sicher nicht übertrieben. So gehört laut dem Zukunftsforscher Matthias Horx der „personalisierte Metaphysik-Baukasten“ für viele schon zur „selbstverständlichen Realität“ [14]. Denn „Glaubenssysteme zwischen Spiritualität, Aberglauben und Esoterik“ trösten über allerlei Steuerungsverluste hinweg. Sie „avancieren zu Massenbewegungen“, so der Trendexperte und Industrieberater. Esoterik ist „endgültig in der gesellschaftlichen Mitte angekommen“ und gehört laut Horx „zu den Grundnahrungsmitteln der durchschnittlichen Alltagsphilosophien“.
Spiritual Cinema – Vom Kultfilm zum weltweiten Movement
„Was ist Wirklichkeit? Was sind Gedanken? Woher kommen sie? Wie wirklich ist unsere Realität?“
Die Antworten hierauf finden sich am boomenden Markt des sogenannten „Spiritual Cinema“. Der Film „What the Bleep do we know“ (kurz „Bleep“) gehört zweifelsohne zu den Klassikern dieses Genres. Dabei demonstrieren die Macher gekonnt, wie man göttliche Offenbarungen auf Welttournee schickt. Schließlich gilt der Streifen nach eigenen Angaben als „einer der erfolgreichsten Dokumentarfilme (sic!) der USA aller Zeiten“ und soll dort bereits über zwölf Millionen Dollar eingespielt haben. In Deutschland durften sich die Macher über mehr als 270.000 Kinobesucher freuen. Bei Amazon spricht man sogar von „weit über 500.000 Menschen“, die diesen Film „begeistert gesehen“ haben sollen.
Immerhin liefert der 108-Minüter neben der Oscar-Preisträgerin Marlee Matlin gleich „14 Wissenschaftler und Lehrmeister“, die dem Zuschauer „verblüffende Erklärungen und Erkenntnisse“ servieren. Dass seine Produzenten allesamt Absolventen von „Ramtha’s School of Enlightenment“ sind, steht nicht nur auf einem anderen Blatt, sondern erklärt auch, warum in „Bleep“ permanent eine Dame namens JZ Knight zu Wort kommt. Dieses US-amerikanische Medium channelt nämlich ebenjenes 35.000 Jahre alte lemurische Geistwesen Ramtha. Hierzu passend auch die zentrale Message des Films: „Du bist Gott!“
Gestützt auf die Eingebungen einer Spiritistin verpackt man hier ideologisch durchfärbte Glaubenssätze in eine spritzige Filmdoku. Diese eröffnet auch anderen metaphysischen Autoren eine willkommene Bühne. Gemeinsam trägt man so die Message in die Welt. Ein Massenpublikum springt auf den Zug auf. Bald darauf formen sich vielerorts Fangemeinden und spirituelle „Bleep“-Communitys. Verankert wird das Ganze in immer noch mehr „Bleep“-Filmen, -Büchern, -Study-Guides, -Kongressen, -Reisen und anderen Angeboten. Es formiert sich eine Bewegung, die Millionen umsetzt. Zusätzliche mediale Unterstützung erhält der Film schließlich noch durch prominente Gesichter.
Dass die im Film propagierten Halb- und Unwahrheiten nicht bei jedem auf positive Resonanz stoßen, beweist ausgerechnet der in spirituell-esoterischen Kreisen so geschätzte Ken Wilber: „(…) Die Physik in diesem Film ist ebenso grauenhaft wie sein Mystizismus“, meint er. Der Vordenker der transpersonalen Szene spricht wortwörtlich von „Schund“.
Quellen: [41] [42] [25][43] [44] [45]
Wir werden einen Ü-Dax brauchen
Einen Aktienindex des Übersinnlichen [39]? Peter Wippermann vom Trendbüro Hamburg spricht von „Karma-Kapitalismus“ und konstatiert dem Wellnessmarkt einen Jahresumsatz von 50 Milliarden Euro [46]. Wenn man bedenkt, dass die „World of Wellness“ oft nur als Vorhalle für den Charterflug ins Paradies der Feinstofflichkeit fungiert, dann ist dem Medienphilosophen Norbert Bolz wohl beizupflichten. In Zeiten krachender Märkte und des schwindenden Interesses an etablierten Kirchen gilt das Übersinnliche als eine der ersatzreligiösen „Produktivkräfte des 21. Jahrhunderts“ [47].
„Money for nothing“ – wie man sein Geld in nichts verwandelt
Lassen Sie uns dieses Kapitel mit einer kleinen Geschichte beginnen. Dabei soll die latente Ironie nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier mit einer wahren Begebenheit zu tun haben. Humor hilft bekanntlich im Umgang mit dem Unfassbaren. Und wer weiß? Vielleicht kennen auch Sie ähnliche Werdegänge aus Ihrem Bekanntenkreis?
Der Fall „Manuel“: Aus magisch wird tragisch
Angefangen hat alles ganz harmlos. Der ausgebildete Altenpfleger und Hobbymusiker hatte es sich mit seiner Lebensgefährtin gemütlich eingerichtet. Double income, no kids. Manuel und Manuela trafen sich gerne mit Freunden und pflegten vitale soziale Kontakte. Von übertriebenem Luxus hielten die beiden nicht viel. „Mut zum einfachen Leben“, lautete ihr Wahlspruch. Mit Klebeband am Küchenschrank befestigt signalisierte man damit jedem Besucher ein erlösendes „Sei wie du bist“. Gemeinsames verbindet. Auch Manuela liebte die Arbeit mit Menschen. Der Job als Krankenpflegerin war da genau das Richtige. Sogar Nachtdienste störten die Enddreißigerin kaum, immerhin konnten sie somit beträchtliche finanzielle Rücklagen bilden. Ein Häuschen sollte es einmal werden, irgendwo draußen in der Natur. Die Stadtwohnung war gut gelegen, doch kein Vergleich zur Ruhe am Land, die Manuel der urbanen Hektik vorzog.
Verbindend war nicht nur die Namensgleichheit. Das Paar tat seit gut zehn Jahren jeden Schritt gemeinsam. Konzerte, Reisen, Vereine, Freundeskreis, alles wurde miteinander geteilt. Für Natur pur sorgte der örtliche Reformladen. Kuren, Heilfasten und regelmäßiges Entgiften – stets im Duett – waren treue Begleiter auf dem gemeinsamen Weg. Yogakurse und regelmäßige Meditations-Retreats trugen das Ihre zu einem harmonischeren Miteinander bei. Mit Horoskopen und anderen astrologischen Höhenflügen hingegen war das so eine Sache. Derart explizit Esoterischem gegenüber pflegten die beiden eine eher ambivalente Haltung.
Doch eines Tages traten gewisse Veränderungen in Manuels Verhalten unübersehbar zutage. Gereiztheit, Nervosität und innere Unruhe waren die Folge von Personalabbau und damit verbundener Überbelastung. Im Altenheim trieb der Rotstift sein Unwesen. Auch Manuels Beziehung erfuhr daraufhin eine gehörige Belastungsprobe. Den Job wechseln? Das kam nicht infrage. Und in den alten Beruf als Lohnbuchhalter wollte er keinesfalls zurück. Das seelische Gleichgewicht war zweifelsohne verloren gegangen. Und so erhöhte man kurzerhand das meditative Pensum. Nach der Arbeit verschwand Manuel nun regelmäßig im abgedunkelten Wohnzimmer. Yogamatte3, Kerzenschein und CDs mit kraftspendenden Affirmationen etablierten sich zum täglichen Ritual. Antworten waren es, die Manuel da suchte. Struktur und Halt schätzte Manuel seit jeher hoch. Und je mehr diese im Alltag verloren gingen, desto hoffnungsvoller suchte er sie im Außeralltäglichen. Und er wurde fündig, vorerst jedenfalls.
Mantren singen, meditieren und in unendlicher Liebe baden. Diese lichtvollen Erlebnisse und Zustände erhabener Glückseligkeit waren es, welche Manuel auf seinem Weg weiter bestärkten. Arbeitsplatzsituation, finanzielle Probleme, die Spannungen in der Beziehung, alles relativierte sich. Manuel entwickelte Sendungsbewusstsein. Ja, er strahlte geradezu. Auch Manuela konnte sich diesem Glanz nicht verweigern. Anfangs skeptisch, begrüßte sie nun diese neu gefundene Ruhe in Manuels Leben. Der innere Friede wurde zelebriert, jetzt auch von Manuela: „Schaden kann’s ja nicht.“