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„Auraspray Engelmeditation“ –
„Affirmation: Ich lasse mich auf die Engelwelt ein.“[48]
Das Innerweltliche erblühte zum neuen verbindenden Element. Die beiden schwammen gemeinsam im Ozean des Lichtes. Die Fragen des Alltags wurden an höhere Ebenen delegiert. Channeling und Pendel gediehen zum Werkzeug der Entscheidungsfindung. Die Innenwelt begann mehr und mehr die Außenwelt zu überlagern. Manuel fühlte Anschluss. Alles bekam Bedeutung. Das Universum kommunizierte mit ihm. Der ehemalige Fan Bach’scher Kantaten lauschte nun den Gesängen „aufgestiegener Meister“. Dem CD-Regal widerfuhr energetische Säuberung, die wertvolle Klassiksammlung wurde verschenkt. Hochfrequente Lichtmusik fand nun neben Aurasprays und Engelstinkturen ein würdiges Plätzchen. Als flankierende Maßnahmen dienten, über die gesamte Wohnung verteilt, allerhand Räucherstäbchen und Glöckchen.
„Auraspray Engel Sonael“ –
„Ich bin vor äußeren Einflüssen geschützt.“
Unbedarfte Besucher waren oft überrascht, warum denn nun das eigene Foto inmitten von Chamuel, Michael und Uriel, ihres Zeichens Erzengel, herauslachte. „Das ist dein Schutzkreis, den haben wir für dich gelegt“, bedeutete Manuela mit einem wohlmeinenden Lächeln. Das bunte Kartenset bestätigte den begründeten Verdacht: Die beiden sahen sich nun als spirituelle Leuchttürme, Berufene in einer heiligen Mission.
Und so war es ein Ding der Unmöglichkeit, ihre Wohnung ohne den feinstofflichen Segen Marke Raphael zu verlassen. Ob man nun wollte oder nicht, das Pumpfläschchen mit dem vieldeutigen Symbol stand stets bereit. Jeder Gast sollte diese „Energien der neuen Zeit“ in die Welt hinaustragen. Besonders gute Freunde kamen in den Genuss exquisiter Gastgeschenke: Meister-Elixiere, Engelstropfen und Transformations-Öle, Manuel verschenkte das „Neue Zeitalter“ literweise. Denn „es kommt alles zurück“, wähnte er sich zuversichtlich. Dass es im Universum gerecht zugeht, wussten sie ja schon lange vor der Lektüre von Kryon und Konsorten.
Esoterisches „Who is Who“: Kryon vom magnetischen Dienst
Wer ist Kryon? „Kryon ist ein Nuni, ein magnetisches Licht, aus dem Universum Quadril 5. Er wurde von Adamis und Adamea erschaffen. Um in unserem Universum wirken zu können, musste Kryon zunächst mit einer Engelgruppe verschmelzen (Kryon und das Gefolge). Die Aufgabe von Kryon ist die Ausrichtung des Magnetgitternetzes der Erde.“ (Quelle: www.kryonschule.de)
Aus Sicht der Alltagsrealität ist „Kryon“ ein vom amerikanischen Esoterikautor Lee Carroll erfundenes Lichtwesen. Dieses soll in der Lage sein, zu ausgewählten Personen Kontakt aufzunehmen. Die als „Channeling“ bezeichneten Durchsagen gelten in esoterischen Kreisen als Mitteilungen aus einer höheren Dimension und helfen der Menschheit beim Übergang in die sogenannte „Neue Zeit“.
Kryon, dessen Name nicht nur an die aus Gletschern austretenden Fließgewässer (Kryale) erinnert, sondern ebenso sehr als eine Anlehnung an das Christliche „Kýrie eléison“ (griechisch „Herr, erbarme Dich“) interpretiert werden kann, wird von verschiedensten Medien empfangen.
Bekannte „Kryon-Kanäle“ im deutschsprachigen Raum:
Lee Carroll selbst
die esoterische Buchautorin und Kongressveranstalterin Barbara Bessen
die „Lichtarbeiterin“ und Begründerin der Kryonschule Sabine „Sangitar“ Wenig.
In seinen Durchsagen gibt sich Kryon durchaus kryptisch – ein Stilmittel, das so ziemlich alle höheren Wesenheiten einsetzen. Umso deutlicher jedoch die gechannelten Stellungnahmen zu Umweltkatastrophen und menschlichen Tragödien. Als Beispiel hier die Channeling-Botschaft zu Erdbeben, Tsunami und Super-GAU in Japan, März 2011: „Diejenigen in diesem sanften Land [Japan], die diese Katastrophe abbekamen, sind keine Zielscheibe Gottes. (…) Ebenso wie bei ihren Gegenstücken in Südamerika haben sie sich diesen Ort zum Leben ausgesucht.“
Hier schlagen Kryon und diverse andere aufgestiegene Meister stets in dieselbe Kerbe: Jeder bekommt genau das, was für ihn bestimmt ist. Jede Erfahrung hat Sinn. Der Mensch erschafft seine Realität selbst. Ob arm, reich oder im Elend: Jeder hat sich seine Lebensumstände selbst ausgesucht. Mitleid wird somit überflüssig.
Quellen: [49] [50]
Seit Manuels intensivem Studium wegweisender Lichtarbeiter-Literatur reifte in ihm die stille Gewissheit: „Ich stehe unter besonderem Schutz.“ Damit meinte er eine eigens für ihn reservierte Form von Obhut aus der Welt jenseits des Schleiers. „Engel in meinem Haar“4 – gleichlautend dem Buchtitel des Bestsellers [51] kommunizierte Manuel fortan mit allerlei Himmelsboten. Jeder Windhauch, jedes Kribbeln am Scheitelchakra gereichte zum Zeichen ihrer Fürsorge. Ja sogar die allwinterlich wiederkehrende Sinusitis verwandelte sich von einer bloßen Nasennebenhöhlenentzündung zu einem Symptom spiritueller Transformation. Eines wurde ab diesem Punkt klar: Manuel war nun ein Werkzeug von denen da oben.
Die Engel hatten die Regie übernommen.
„Auraspray Schutzengel“ –
„Ich vertraue mich bedingungslos der Führung
meiner Schutzengel an.“
Vertrauen und Selbsthingabe prägten das neue Ideal, bedingungslose Liebe war das alles durchdringende Grundgefühl. Aber trotz aller Reife, Manuel zweifelte immer wieder. Doch das war stets nur der Verstand, der da nicht mitwollte. „Die geistige Ebene prüft mich“ oder „Ich stehe kurz vor meiner Meisterschaft“, bekamen Interessierte zu hören. Argwohn hin oder her – das Denken konnte Manuel nicht mehr gefährlich werden. Das listige Ego hatte er längst schon durchschaut.
„Erzengel Metatron“ –
„Mit deiner Hilfe erfülle ich meinen Lebensplan.“
So tat Manuel alles, um seiner neuen Rolle als Lichtbotschafter auf Erden gerecht zu werden. Engelsseminare, Heilsingen-Wochenenden, Channeling-Kurse: Kein Weg war ihm zu weit, um seine Tuchfühlung ins Feinstoffliche beständig neu aufzufrischen. Finanzielles spielte in der Welt des Transzendenten keine Rolle, denn nun war alles Energie. Der Arztkoffer mit Lichtessenzen durfte dabei niemals fehlen. Es wurde gereinigt, entstört und energetisch versiegelt, was das Zeug hält. Für Manuel war jede Begegnung von Bedeutung, jeder Mitmensch ein Auftrag. „Es kann doch kein Zufall sein, dass wir das notwendige Geld dafür schon am Sparbuch haben“, beteuerte er dabei immer wieder. Der spirituelle Webshop5 erschien plötzlich als Startseite. Seinen Job hatte er längst an den Nagel gehängt, ein weiterer Beweis seiner Ergebenheit.
„Engel Hariel“ – „Ich vertraue mich dem Leben an.“
Manuela war nun für die finanzielle Grundversorgung zuständig. Zeitweise schwankte sie, doch die zahllosen Workshops halfen auch ihr, dieses wichtige Urvertrauen wieder zu erlangen. Und wenn die Sorgen ihr wieder einmal eine schlaflose Nacht bescherten, dann, ja dann wachte Erzengel Essenz „Jophiel“ verlässlich am Nachttisch. „Lebensfreude – Leichtigkeit – Intuition statt Verstand“: Der Anbieter versprach kaum zu viel. Schließlich wollte auch Manuela ihren Lebensplan in die Tat umsetzen.
„Engelsessenz No. 35“ – „Engel für Tatkraft und Erfolg“ [52]
Und so fanden Licht und Karmaerlösung ihren Weg bis in die Lüftungsanlage des örtlichen Krankenhauses. Per Pumpzerstäuber forcierte Manuela das globale Erwachen. Manuel und Manuela betrachteten sich nämlich als spirituelle Transformatoren. Je mehr Weltliches sie investierten, desto eher konnte das Neue Zeitalter Wirklichkeit werden. Dargebrachtes Geld und, nicht zu vergessen, der geopferte Verstand fungierten als Brennstoff und Beschleuniger in diesem Geschäft. Ballons, aufgebläht mit heißer Luft – je dünner die Atmosphäre, desto heiterer die Stimmung. Und die Engel? Die applaudierten, ja sie feuerten geradezu an. So wurde der globale Aufstieg derweil von den zwei Auserwählten zwischenfinanziert, immerzu aus eigenen Mitteln, dem Kapital für den Hausbau.
„Engelsessenz No. 17“ – „Engel für Wohlstand und Fülle“
Dieser würde sich lediglich ein wenig nach hinten verschieben. Immerhin hätten die „Angies“, wie Manuela sie liebevoll nannte, als Belohnung einen Lottogewinn prophezeit und Manuel würde bald als „Energethiker“ seine Brötchen verdienen. Und übrigens, wer Geldsorgen hat, der braucht nur die „Grüne Tara“ anzurufen. Die lässt keinen Liebesdelegierten im Stich. Mit der Affirmation „Om tara tuttare ture soha … kommt Geld in dein Leben“6. Der Rest erfordert wohl kein Übermaß an Phantasie.
Manuel und Manuela lebten ihr spirituelles Erwachen mit aller Konsequenz. Zeitweise konnten sie sogar Mitstreiter für diese höhere Sache gewinnen, doch gegen die zunehmende Kritik aus dem Umfeld half dennoch kein Mittelchen. Man beschloss abermals, seiner Intuition Folge zu leisten und übersiedelte ins schöne Kärnten. Schließlich ist der Prophet im eigenen Land nichts wert, das weiß doch jeder. Und als ob es die überirdischen Instanzen so gewollt hätten – die neue „Familie“ erwartete die beiden schon mit offenen Armen. Aber der Geldsegen stellte sich nicht ein. Ganz im Gegenteil: Auf ihrem Werbefeldzug für die Engelswelt transformierte sich das Angesparte in reine Energie. Ob das Universum gerecht ist, bleibt hier unbeantwortet. Ein Haus haben die beiden noch keines gebaut, jedenfalls nicht in dieser Dimension. Übrigens: „Esoteriker“ waren Manuel und Manuela nie. Damit hatte man freilich nichts am Hut. Und Sekten? „Das sind sowieso nur allesamt Spinner!“
Ein kurzes Resümee: All ihr Geld wechselten Manuel und Manuela gegen das buchstäbliche Gar Nichts. Andere wiederum verstehen es sehr gut, dieses Nichts äußerst gewinnbringend an ein immer breiter werdendes Publikum zu verkaufen. An welche großflächigen Trends esoterische Unternehmer dabei andocken, beleuchten wir auf den nun folgenden Seiten.
Manuel – ein Einzelschicksal?
Glauben Sie wirklich? Dann gedulden Sie sich noch bis Kapitel 4. Denn der Facettenreichtum an energetischen Webshops zeugt von der Einträglichkeit dieses Geschäfts mit Essenzen, Kristallen und dergleichen. Der Tauschhandel „Geld gegen gar nichts“ blüht und so liefert uns Manuel nur ein Musterstück für allzu zahlreiche spirituell-esoterische Werdegänge: Ein gutgläubiger Jemand sehnt sich nach Wahrheit und Erfüllung und driftet dabei vollends in eine Parallelwelt ab. Was bei manchen mit harmlosen Meditationen anfängt, endet bei anderen im finanziellen Desaster.
Laut der Düsseldorfer „Identity Foundation“ sowie der Universität Hohenheim ist inzwischen jeder siebte Deutsche ein „spiritueller Sinnsucher“. „Bereits 15 % der erwachsenen Bevölkerung“, demnach immerhin sechs Millionen Menschen, „sind aktiv auf der Suche nach spiritueller Neuorientierung“ [53]. Tendenz steigend. Damit hat man bereits die „Traditionschristen“ hinter sich gelassen. Mit einem Marktanteil von lediglich 10 Prozent gehören diese wohl oder übel zum alten Eisen.
Derartige Zahlen erschallen wie ein Weckruf in den Ohren kluger Geschäftemacher. Denn wer Transzendenzhunger und Erfahrungssehnsucht nicht bedient, dem schwimmen im globalen Tauwetter die Felle davon. Derjenige aber, der schlau genug ist, dieses Klima zu nützen, der kann ein gut gedüngtes Feld bestellen. Wer hier kräftig aussäht, dem ist eine reiche Ernte gewiss.
Guru war gestern
Doch es sind eben nicht die herkömmlichen Guru-Kulte und Sekten, die zum einträglichen Business werden. Zu viel Aufwand, zu viel Publicity und zu viele lästige Anhänger brächte ein Sektierertum alter Schule mit sich. Die Kasse würde vielleicht stimmen, doch wer will schon gerne tagelang im Schneidersitz verharren, sich den Bart in die Suppe hängen lassen und den Guru markieren? So etwas bedeutet harte Arbeit. Fortwährendes meditatives Training, Chi Gong, stundenlanges Chanten von betörenden Mantren, den ganzen Tag barfuß herumlaufen, überall Räucherstäbchen und tagein tagaus dröhnende Sitar-Klänge: Das geht an die Substanz. Immerzu müsste man seine Schäfchen im Zaum halten, nur um dann womöglich noch von lästigen Reportern bloßgestellt zu werden. Und das vielleicht noch komplett in Weiß oder Orange gekleidet, wer will das schon?
Die Religionsschaffenden von heute gehen andere Wege. Ausgesprochen elegant finden sich diese in unserem „Brand Yourself“-Zeitgeist zurecht. Liefert doch dieser ein Milieu, in dem Bedeutung und Image vom Kunden selbst erworben werden. Die hieraus resultierende Eigenmarke erweist sich dabei als Produkt unserer Kauf- und Konsumationsentscheidungen. Eine so passfertig zurechtgezimmerte Ich-AG versorgt ihren Konstrukteur mit einer neuen, glanzvollen Einhausung, sein Ego erfährt so etwas wie Aufladung. Ob nun spirituell oder mit Mausklicks, die Pflege und Vermarktung des Selbst sind im wahrsten Sinne des Wortes selbstverständlich. Und ehe wir uns versehen, landen wir im Kultischen. Denn wo weniger das „Wahre“, sondern vielmehr die „Ware Selbst“ zum Verkaufsartikel aufsteigt, avanciert eben dieser sorgfältig auswählende Konsument zum aktiv miterschaffenden User. Bekanntlich hat sich der Verkäufer- zum Käufermarkt gewandelt.
Sehr treffend hat hier der Internet-Papst und Chefredakteur von Wired [54], Chris Anderson, vor wenigen Jahren den sogenannten „Prosumer“ [55] wieder ins Spiel gebracht. Schließlich holen die Marken von heute den kleinen Mann mit ins Boot. Die bloßen Konsumenten von einst wandeln sich demnach zu arbeitswilligen Produzenten. Man selbst wird bedeutsam. Der User macht sich „useful“. Er empfindet sich als integraler Bestandteil eines größeren Prozesses und gestaltet diesen eigenmotiviert mit. Foren, Chatrooms und User-Conventions sind die wichtigen Identitäts-Tauschbörsen. Dabei steigt der eigene Marktwert mit zunehmender Selbstprofilierung im Virtuellen. Der Prosumer erlebt folglich nicht nur eine Art spürbaren Anschluss an ein größeres Ganzes, sondern erst durch ihn, mit ihm und in ihm nimmt das Konsumierte Gestalt an. Als Medium für diesen Energiefluss dient das Internet, doch gespeist wird das Treiben durch die Strahlkraft einer starken Marke, in deren Namen man sich engagiert. „In hoc signo vinces“7, ob nun als Siegeszeichen bei Kaiser Konstantin, auf einer Zigarettenschachtel oder in Form eines leuchtenden Emblems auf der Rückseite eines Notebooks: Man wirkt im Zeichen des Labels.
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Moderne Marken beliefern den Kunden nicht nur mit Produkten, sondern laden diesen ein, sich an einer Art „Marken-Welt“ zu beteiligen, sich zu engagieren. Als aktiver Mitgestalter derartiger „Brandlands“ erfährt der User Bedeutsamkeit. Zum Verkauf stehen nicht nur Waren, sondern vor allem auch Sinn und Identität.
Stamm-Kunden, Prosumer-Movements und Klientenreligionen
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – die Marke als Fanreligion
Beispielgebend für diesen Trend präsentiert sich zweifelsohne die Mac-Gemeinde. Wie kaum zuvor hat man es hier verstanden, eine Marke mit quasireligiöser Bedeutung aufzuladen. Natürlich finden wir auch hier die klassischen Instrumente der Produkt-Mythologisierung. Nicht umsonst spricht man von Apple, mit dem Symbol des angebissenen Apfels aus dem biblischen Paradies8, nicht von ungefähr erinnert das iPhone an Stanley Kubricks Stein der Weisen aus „2001: Odyssee im Weltraum“ [56], die Community-Zeitschrift nennt sich MacBIBEL [57], Steve Jobs stieg auf zum iGod, und laut Frankfurter Rundschau eint die Anhänger zudem auch das Einverständnis darüber, „dem richtigen Teil der Menschheit anzugehören“ [58]. Die religiöse Trickkiste ist den Werbefachleuten wohl immer noch die liebste.
Doch vor allem die Community selbst trug wesentlich dazu bei, dass sich der Börsenkurs in astronomische Höhen katapultierte. Und so versammelt man sich um etwas, was den Marx’schen Begriff des „Warenfetisch“9 radikal versinnbildlicht. Zum Insignium von Zugehörigkeit und Lifestyle über alle Grenzen hinweg wird – als könnte es nicht anders sein – ein Telefon. Stammestümelei wäre hierfür wohl das richtige Wort.
Mac-User aller Länder vereinigt euch! Was der Kommunismus niemals zuwege brachte, erleben wir hier in Form einer Art Fan-Religion. Nicht umsonst wird die Gefolgschaft des Apfels gerne als die „Apple-Jünger“ oder die „Mac-Gläubigen“ bezeichnet. Wenn Menschen tagelang vor einem Geschäft kampieren, nur um der neuesten technischen Errungenschaft teilhaftig zu werden, dann ist der „Fan“ nur die Vorstufe, „Fanatismus“ das Resultat10.
Sollte es also hier schon ein wenig nach Esoterik riechen, dann nicht ohne Grund. Denn das Macintosh-Imperium lebt auf seine ganz eigene Weise von der Energie seiner Gefolgschaft. Die User-Gemeinde ist es, die mit unzähligen selbst programmierten Apps und Features ein ganzes „Maciversum“ erschuf. Durch seinen eigenen Eifer bindet sich hier der User an das Logo. Jeder agiert als proaktiver Teil dieses technisch-ästhetischen Himmelreiches, einer Form von Techno-Religion. Die Community sonnt sich im Lichte ihres Labels.
Und sie missioniert – das Prosumer-Movement
Wurden Sie jemals von einem Windows-User zum Umstieg gedrängt? Vermutlich nicht, weil eben genau dieses religiöse Etwas die besondere Atmosphäre des Apple-Kosmos ausmacht. Das Kollektiv entwickelt Korpsgeist. Alle sind dabei und jeder empfindet sich als wichtig. Dabei wirkt man hier als Teil eines gemeinsamen Projektes. Gelebt wird die Markentreue. Je mehr Anhänger mitziehen, umso erfolgreicher die Unternehmung, desto erlösender die Teilhabe. Moderne Markenwelten verstehen sich zusehends als gemeinschaftlicher Werbefeldzug, eben als Prosumer-Movement.
Doch was hat das Ganze mit dem Markt des Spirituellen zu tun? Selbst wenn wir explizit von der Vermarktung vordergründig rein materieller Güter sprechen, handelt es sich stets um einen ganzheitlichen Akt, der damit einhergeht. Denn der Käufer, Kunde oder User dehnt sein Selbstverständnis über das Konsumgut hinaus aus. Er vereinigt sich gewissermaßen mit alledem, was er auf das Objekt seiner Begierde projiziert. Esoterisch gesprochen verschmilzt er mit dessen Aura11. Das Erzeugnis wird ein Teil seines Selbst- oder besser Identitätsmodells [59] und verbindet ihn so wiederum mit einer weiteren Dimension. „Get connected“, lautet die Devise. Dabei erfährt man so etwas wie Verbundenheit und vernetzt sich vor allem geistig mit weiteren Protagonisten dieser Sphäre. Der rein physische Akt des Produkterwerbs bildet demnach nur eine Seite der Medaille. Als ausschlaggebend präsentiert sich eben nicht nur die materielle Ebene, sondern auch die rituelle. Und deren Erfahrungsschatz geht, wie wir noch sehen werden, weit über das rein Symbolische hinaus.
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Markendesigner verfolgen gerne die Strategie der Produktmythologisierung. Das Erzeugnis wird dabei mit übernatürlicher Bedeutung ausgestattet. Der Konsument kann über sein eigenes Engagement am Glanz des Produktes teilhaben. Die gemeinsame Mission für die Marke formt die User zu einer Art „Gemeinde“.
Wir handeln spirituell – der Markt als Schauplatz des Religiösen
Beobachten wir uns einmal selber im Kaufhaus: Auch ganz ohne meditative Innenschau kann jeder an sich selbst wahrnehmen, welchen Einfluss die wohlarrangierten sinnlichen Reize auf unsere Befindlichkeit ausüben. Auch wenn es sich vielleicht nur um die Ausschüttung neurochemischer Botenstoffe handelt, Lifestyle-Shopping, gelebte Markenkulte und das Mitwirken in User-Communitys gehen uns wortwörtlich unter die Haut. Denn sie provozieren spürbare innere Sensationen.
Nicht von ungefähr wird hier vom Shopping-Erlebnis gesprochen. „Marketing spüren“ [60] lautet folgerichtig ein Buchtitel des Wiener Marketing-Insiders Christian Mikunda. Der „Vordenker der Erlebniswirtschaft und Begründer der Strategischen Dramaturgie“ bringt nahe, „warum wir uns Gefühle kaufen“ [61]. Kaum zufällig erfahren bei Mikunda die Sieben Todsünden des Christentums eine erlösende Sublimierung. Hochmut wird zu „Glory“, aus Wollust erwächst „Intensity“ – beide auch Zielobjekte der spirituellen Sinnsuche. Der Autor spricht definitiv von leiblich-energetischen Phänomenen.
Ob wir nun wollen oder nicht, wir frönen vielleicht dem Materialismus, aber dennoch leben wir in einer durch und durch „verspiritualisierten“ Welt. Das Universum des Kapitalismus ist der Markt, man tanzt um den Warenfetisch, der Kaufrausch fungiert als Ekstaseritus der Postmoderne. Der „Markt“ dient dabei nicht als bloßer Religionsersatz. Er entpuppt sich bei näherer Betrachtung vielmehr als Projekt unserer „Wieder-Anbindung“ (von lateinisch: re-ligare). Er offenbart sich als Schauplatz einer Art fühl- und lebbaren Religiosität.
Konsum goes Spirit – vom Prosumer-Movement zur Klientenreligion
Ob nun bewusst inszeniert oder nicht: Das spirituelle Feeling wohnt modernen Warenkulten bereits inne. Labels wie Apple und Co. mögen dem kritischen Beobachter vielleicht schon ein wenig pseudoreligiös und zu abgehoben erscheinen. Doch eines sei an dieser Stelle festgehalten: Hier präsentiert sich diese geistige Ebene von Zugehörigkeit und Energietransfer immer noch in Verbindung mit einem Referenzobjekt: einem konkreten Ding, einem Produkt oder einer Dienstleistung mit einem vielleicht fragwürdigen, aber dennoch konkreten Nutzen in dieser Welt.
Doch was passiert, wenn wir dieses Geistige komplett von jeder materiellen Verwendbarkeit entkoppeln? Was erwartet uns, wenn nicht mehr das Produkt in unseren Händen, sondern Spiritualität selbst, ganz ohne diesseitigen Sinn und Zweck, zum alleinigen Verbrauchsartikel mutiert? Was geschieht, wenn wir die Ballonschnur durchschneiden? Dann steigen wir auf in die Dimension des frei schwebenden spirituellen Mehrwerts. Genau hier tummeln sich haufenweise Anbieter, die es hervorragend verstehen, aus purem Nichts bares Geld zu machen. Das Prosumer-Movement transformiert sich zu dem, was Hartmut Zinser [62] passend als „Publikums- oder Klientenreligionen“ identifiziert. Spiritualität wird zum bloßen Konsumgut, das Unsichtbare zur käuflichen Ware für die Massen. Und so erleben wir die logische Weiterentwicklung eines Zeitgeistes, in dem immer mehr Geld für immer weniger ausgegeben wird.
„If less is more, maybe nothing is everything“ (Rem Koolhaas) [63]. Es ergeht uns wie Manuel, bis letztendlich nichts mehr übrig bleibt. „Money for nothing.“
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Das in modernen Warenwelten bewusst provozierte, quasireligiöse Empfinden erfährt am Markt des Spirituellen eine Art Loslösung von allem Irdischen. Bar jeden Nutzens im Diesseits zählt hier rein der spirituelle Mehrwert. Ohne materielle Grundlage ist dieser beliebig potenzierbar. Und so wird mit gar nichts sehr viel Geld gemacht.
„Die Betreiber dieser Schule kassieren vielleicht mal an diesem Nachmittag … nur Pi mal Daumen … an die 400.000 Euro“, beteuert der Aussteller.
Seine Augen leuchten dabei wie die eines Kindes vorm Christbaum. Er wirkt aufgeputscht, angereichert mit zu viel Business und Hochgefühl. So viel, dass sein Mitteilungsbedürfnis mit ihm durchgeht. So high, dass er den Audiorekorder in meinen Händen nicht bemerkt.
„400.000 Euro … habe ich mich verhört? Ich verstehe nicht – wie soll das gehen?“, hake ich kopfschüttelnd nach.
„Das ist Esoterik, mein Freund (…). Kein Akademiker, der ein bisschen Vernunft im Kopf hat, kann das verstehen!“

Abheben im Business der Esoterik 2.0
Wenn wir verstehen wollen, was Manuel dazu bewog, Unsummen gegen Energie zu tauschen, kommen wir nicht umhin, die Geschäftsmodelle moderner Spiritualität genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn mittlerweile stehen dem esoterischen Anbieter schier unbegrenzte Möglichkeiten der Einkommensmaximierung zur Verfügung. Wer sich selbst einmal als Channelmedium oder Abfüller von Schwingungsessenzen versuchen möchte, dem seien die nun folgenden Schritte ans Herz gelegt. Wer hingegen doch noch so etwas wie Moral in sich verspürt, der sehe die kommenden Ausführungen als Versuch, das Unverständliche verständlicher zu machen.