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Und damit traten alle, von einem kleinen, bis dahin besichtigten Vorzimmer her, in den großen Thronsaal ein, in welchem, neben der so ruhmvoll erwähnten Damasttapete, nur noch der getäfelte Fußboden an die frühere Herrlichkeit erinnerte.
Rosa sah sich verlegen um, was dem Führer nicht entging, weshalb er seinen Vortrag rasch wieder auf nahm, um durch Erzählungskunst den absoluten Mangel an Sehenswürdigkeiten auszugleichen. »Also, der Thronsaal, gnädige Frau«, hob er an. »Und hier, wo die Tapete fehlt, genau hier stand der Thron selbst, der Thron der Fürst-Abbatissinnen, ebenfalls rot, aber von rotem Samt und mit Hermelin verbrämt. Und mit dem zuständigen Wappen: Zwei Kelche mit einem Pokal.«
»Ah«, sagte Rosa, »mit zwei Kelchen und einem Pokal... Sehr interessant.«
»Und hier«, fuhr der Kastellan, während er auf einen großen, aber leeren Goldrahmen zeigte, mit einer immer volltönender und beinah feierlich werdenden Stimme fort, »hier in diesem Goldrahmen befand sich die Hauptsehenswürdigkeit des Schlosses: der Spiegel aus Bergkristall. Der Spiegel aus Bergkristall, sag ich, der sich zurzeit in den skandinavischen Reichen, und zwar in dem Königreiche Schweden, befindet.«
»In Schweden?« wiederholte St. Arnaud. »Aber wie kam er dahin?«
»Auf Umwegen und durch allerlei seltsame Schicksale«, nahm der Kastellan seinen historischen Vortrag wieder auf. »Unsre letzte Fürst-Abbatissin war nämlich eine Prinzessin von Schweden, Josephine Albertine, Tochter der Königin Ulrike, Schwester Friedrichs des Großen. Über zwanzig Jahre hatte Josephine Albertine hier glänzend und segensreich residiert und sich an dem Kristallspiegel, der ihr Stolz und ihr Lieblingsstück war, erfreut, als diese Gegenden eines Tages westfälisch wurden und unter König Jerome kamen. Da mußte sie sich trennen von ihrem Schloß, samt allem, was darinnen war, und natürlich auch von ihrem Spiegel. Denn es ward ihr kaum Zeit gelassen zum Notwendigsten, geschweige zum Einpacken und Mitnehmen dessen, was das Nebensächliche, wenn auch freilich für sie das Liebste war.«
»Und was wurde?«
»Nun, König Jerome, der, wegen dem ewigen ›Morgen wieder lustik sein‹, sehr viel Geld brauchte, stand alsbald vor der Notwendigkeit, das ganze Schloßinventar unter den Hammer zu bringen, und eines Tages hieß es in allen Zeitungen, deutschen und fremden, daß, neben den anderen Schätzen des Schlosses, auch der berühmte Kristallspiegel versteigert werden solle. Das war der Moment, auf den Prinzessin Josephine Albertine, die mittlerweile nach Schweden zurückgekehrt war, denn die Bernadottesche Zeit war noch nicht da, gewartet hatte, weshalb sie nunmehr strikten Befehl gab, auf den Spiegel zu fahnden und jeden Preis zu zahlen, zu dem er angesetzt oder am Auktionstage selbst hinaufgetrieben werden würde. Wie hoch er kam, weiß ich nicht; nur das eine weiß ich, daß es ein Vermögen gewesen sein soll. Ich habe von einer Tonne Goldes sprechen hören. Unter allen Umständen aber kam der Spiegel nach Schweden, nach Stockholm, woselbst er sich bis diesen Tag befindet und im Ridderholm-Museum gezeigt wird.«
»Allerliebst«, sagte St. Arnaud. »Im ganzen genommen ist mir die Geschichte lieber als der Spiegel«, eine Meinung, die von Gordon und Rosa vollkommen, keineswegs aber von Cécile geteilt wurde. Diese hätte sich gern in dem Kristallspiegel gesehen und war während der zweiten Hälfte der ihr viel zu weit ausgesponnenen Erzählung an ein offenstehendes Balkonfenster getreten, das nicht nur einen Blick auf das Gebirge, sondern auch auf die weiten Gartenanlagen hatte, die sich, im Halbkreis, um die Schloßfundamente herumzogen. In diesen Gartenanlagen wechselten Strauchwerk und Blumenterrassen; was aber das Auge Céciles bald ausschließlich in Anspruch nahm, war ein Sandsteinobelisk von mäßiger Höhe, der, halb in dem Schloßunterbau drinsteckend, hautreliefartig aus einer alten Mauerwand vorsprang. Der Sockel war mit Girlanden ornamentiert und schien auch eine Inschrift zu haben.
»Was ist das?« fragte Cécile.
»Ein Grabstein.«
»Von einer Äbtissin?«
»Nein, von einem Schoßhündchen, das Anna Sophie, Pfalzgräfin von bei Rhein und vorletzte Fürst-Abbatissin, an dieser Stelle beisetzen ließ.«
»Sonderbar. Und mit einer Inschrift?«
»Zu dienen«, antwortete der Kastellan.
Und den Damen ein Opernglas überreichend, das er zu diesem Behufe stets mit sich führte, las Cécile: »Jedes Geschöpf hat eine Bestimmung. Auch der Hund. Dieser Hund erfüllte die seine, denn er war treu bis in den Tod.«
Gordon lachte herzlich. »Denkmal für Hundetreue! Brillant. Wie sähe die Welt aus, wenn jedem treuen Hunde ein Obelisk errichtet würde. Ganz im Stil einer Barockprinzessin.«
Rosa stimmte zu, während Cécile verwirrt vom Fenster zurücktrat und mechanisch und ohne zu wissen, was sie tat, an die Wandstelle klopfte, wo der Kristallspiegel seinen Platz gehabt hatte.
»Was haben wir noch zu gewärtigen?« fragte Gordon.
»Die Zimmer Friedrich Wilhelms IV.«
»Friedrich Wilhelms IV.? Wie kam der hierher?«
»In den ersten Jahren seiner Regierung erschien er jeden Herbst, um von hier aus die großen Harzjagden abzuhalten. Als aber Anno 48 die Jagdfreiheit aufkam und Stadt und Bürgerschaft ihm die Jagd verweigerten, wurd er so verstimmt, daß er nicht wiederkam.«
»Was ich nur in der Ordnung finde. Bourgeoismanieren. Aber nun die Zimmer.«
Und damit traten sie, vom Thronsaal her, in ein paar niedrige, mit kleinen Mahagonimöbeln ausgestattete Räume, deren Spießbürgerlichkeit nur noch von ihrer Langweil übertroffen wurde.
Rosa sah ihre Hoffnung auf große Tierstücke mehr und mehr hinschwinden, hielt aber eine darauf gerichtete Frage immer noch für zulässig.
Freilich erfolglos.
»Tierstücke«, antwortete der Kastellan in einem Tone, darin unsere Künstlerin eine kleine Spitze zu hören glaubte, »Tierstücke haben wir in diesem Schlosse nicht. Wir haben nur Fürst-Abbatissinnen. Aber diese haben wir auch vollständig. Und außerdem die Quedlinburger Geistlichen lutherischer Konfession (ebenfalls beinah vollständig), deren einer, altem Herkommen gemäß, allsonntäglich hier oben predigte, so daß er neben seinem Stadtdienst auch noch Hofdienst hatte. Nach der Predigt blieb er dann zu Tisch und mitunter auch bis zur Dunkelstunde. So beispielsweise dieser hier, ein schöner Mann, etwas blaß, der in seinen besten Jahren an der Auszehrung starb. Er war Prediger zur Zeit der schwedischen Prinzessin Josephine Albertine, derselben, die den Kristallspiegel wiedererstand. Und hier ist die Prinzessin in Person.«
Dabei wies er auf das Bild einer mittelalterlichen Dame mit großer Kurfürsten-Nase, Stirnlöckchen und Agraffenturban, aus deren ganz ungewöhnlicher Stattlichkeit sich die vom Kastellan nur leis angedeuteten Anfechtungen ihres Seelsorgers unschwer erklären ließen.
Einige der Bilder kehrten mehrfach wieder, was die Zahl der Äbtissinnen größer erscheinen ließ, als sie tatsächlich war. Rosa drang darauf, die Namen zu hören, aber es waren tote Namen, einen ausgenommen, den der Gräfin Aurora von Königsmark.
Und vor das Porträt dieser traten jetzt alle mit ganz ersichtlicher Neugier, ja, Cécile – die, vor kaum Jahresfrist, einen historischen Roman, dessen Heldin die Gräfin war, mit besonderer Teilnahme gelesen hatte – war so hingenommen von dem Bilde, daß sie von der Unechtheit desselben nichts hören und alle dafür beigebrachten Beweisführungen nicht gelten lassen wollte.
Gordon, als er sah, daß er nicht durchdränge, wandte sich um Sukkurs an Rosa. »Helfen Sie mir. Die gnädigste Frau will sich nicht überzeugen lassen.«
Rosa lachte. »Kennen Sie die Frauen so wenig? welche...«
»Wohl, Sie haben recht. Und am Ende, wer will an Bildern Echtheit oder Unechtheit beweisen? Aber zweierlei gilt auch ohne Beweis.«
»Und das wäre?«
»Nun, zunächst das, daß es nichts Toteres gibt als solche Galerie beturbanter alter Prinzessinnen.«
»Und dann zweitens?«
»Daß der Unterschied von ›hübsch‹ und ›häßlich‹ in solcher Galerie zurechtgemachter Damenköpfe gar keine Rolle spielt, ja, daß einer Häßlichkeitsgalerie wie dieser hier vor einer sogenannten Schönheitsgalerie mit ihrer herkömmlichen Ödheit und Langerweile der Vorzug gebührt. Ach, wie viele solcher ›Galeries of beauties‹ hab ich gesehen, und eigentlich keine darunter, die mich nicht zur Verzweiflung gebracht hätte. Schon in ihrer Entstehungsgeschichte sind sie meistens beleidigend und ein Verstoß gegen Geschmack und gute Sitte. Denn wer sind denn die jedesmaligen Mäcene, Stifter und Donatoren? Immer ältliche Herren, immer mehr oder weniger mythologische Fürsten, die, Pardon, meine Damen, nicht zufrieden mit der wirklichsten Wirklichkeit, ihre Schönheiten auch noch in effigie genießen wollen. Einer von ihnen – derselbe, von dem das Bonmot existiert, er habe nie was Dummes gesagt und nie was Kluges getan – ist mit seiner Galerie von Magdalenen (selbstverständlich von Magdalenen vor dem Bußestadium) allen anderen vorauf. Er war ein Stuart, wie kaum gesagt zu werden braucht. Aber unsere deutschen Kleinkönige sind ihm gefolgt und haben nun auch dergleichen. Ich entsinne mich noch des Eindrucks, den der Kopf der Lola Montez oder, wenn Sie wollen, der Gräfin Landsfeld auf mich machte. Denn Gräfinnen werden sie schließlich alle, wenn sie nicht vorziehen, heiliggesprochen zu werden.«
»Ei, wie tugendhaft Sie sind«, lachte Rosa. »Doch Sie täuschen mich nicht, Herr von Gordon. Es ist ein alter Satz, je mehr Don Juan, je mehr Torquemada.«
Cécile schwieg und ließ sich, wie gelähmt, in einen in einer tiefen Fensternische stehenden Sessel nieder. St. Arnaud, der wohl wußte, was in ihr vorging, öffnete den einen der beiden Flügel und sagte, während die frische Luft einströmte »Du bist angegriffen, Cécile. Ruh dich.«
Und sie nahm seine Hand und drückte sie wie dankbar, während es vor Erregung um ihre Lippen zuckte.
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