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Uffreduzzi hat offen zugegeben, dass er ob seiner nazi-faschistischen Vergangenheit glücklich sei, dem Land einen Dienst erweisen zu können. Er hat versprochen, mit uns nach den Anweisungen zusammenarbeiten, die wir ihm von Fall zu Fall geben. Wir sind so verblieben, dass er sofort unser Büro verständigt, sollte Bertol – so wie ausgemacht – ihn wieder aufsuchen. Ich habe von ihm höchste Geheimhaltung eingefordert, damit die Aktion nicht in Gefahr gebracht wird.81
Massimo Uffreduzzi liefert ab diesem Zeitpunkt periodisch Berichte über das StB-Netzwerk ab. Zudem beschattet der SIFAR Erich Bertol bei jedem seiner Besuche im Rom. Schon bald kennt der italienische Nachrichtendienst alle Mitglieder des gesamten Südtiroler StB-Netzes. Dass man die italienischen Staatsbürger, die für einen ausländischen Nachrichtendienst in Italien Spionage betreiben, nicht umgehend verhaftet, hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund: Der SIFAR sieht die Chance, mit Massimo Uffreduzzi einen sogenannten Doppelagenten im StB zu platzieren. Er soll vermeintlich für die ČSR arbeiten und in Wirklichkeit so dem italienischen Nachrichtendienst Informationen über die Ziele, Interessen und Methoden des StB in Italien liefern. Man führt Uffreduzzi deshalb ganz bewusst immer näher an den StB heran. Es ist bekanntlich Hans Morandell alias „Korsičan“, der Anfang Mai 1951 Uffreduzzi in Wien konkret für die tschechoslowakische Staatssicherheit anwirbt. Auch diese Wien-Reise wird vom SIFAR geplant. So schreibt der Leiter des für Südtirol zuständigen SIFAR-Büros Verona Tullio Filippo Recchia an Uffreduzzis Führungsoffizier, den Leiter der römischen SIFAR-Zentrale Eugenio Piccardo, am 12. Mai 1951:
Lieber Pik,
zuallererst meine Glückwünsche für den wirklich glänzenden Ausgang der Reise Uffreduzzis nach Wien. Eine Reise, die nicht ohne Risiko war, letztlich aber mit Fortschritten zu Ende ging, die für die Weiterführung unserer Aktion sehr wichtig sind.82
Aus den Akten geht klar hervor, dass der SIFAR Uffreduzzis Reise im Herbst 1951 in die ČSR und seine Verpflichtung als StB-Agent „Hrabec“ genehmigt hat. „Damit sollte die Zusammenarbeit für uns noch lohnender werden“, schreibt Piccardo in einem seiner Dienstberichte. Obwohl der SIFAR durch Massimo Uffreduzzi Einblick in die Arbeitsweise des StB erhält, fällt die Zwischenbilanz des italienischen Nachrichtendienstes zu seiner Person zwiespältig aus:
Über ein Jahr lang hat er intelligent und loyal gedient. Auch wenn wir ihn öfters ermahnen mussten, weil er Initiativen ergriffen hat, die nicht mit den Vorgaben vereinbar waren, die wir ihm gegeben haben.83
Uffreduzzi merkt spätestens im Sommer 1952, dass er mit der tschechoslowakischen Staatssicherheit viel Geld verdienen kann. Während er vom SIFAR zwar Geldspritzen für seine Agentur Mercury und Spesenvergütungen bekommt, zahlt der StB für die Informationen äußerst gut. Er beginnt deshalb, Informationen – und zwar nicht nur die vom SIFAR freigegebenen – auf eigene Faust und ohne Wissen des italienischen Dienstes an den StB zu liefern und zu verkaufen. Dazu trifft er sich, wie oben beschrieben, im Herbst 1952 mehrmals mit seinen StB-Kollegen, bis sich diese Situation zuspitzt. Im Akt der „Azione Stelio“ findet sich eine genaue Aufstellung der Treffen mit Hans Morandell, Edgar Meininger und Franz Flies sowie der Übergaben von Dokumenten, die Massimo Uffreduzzi am SIFAR vorbei den Tschechoslowaken übermittelte. Der Tropfen, der schließlich das Fass zum Überlaufen bringt, ist die Übergabe des italienischen Chiffrierbuches „Cifrario Diplomatico-Militare (sistema Mengarini Duca)“ an den StB. Die römische SIFAR-Zentrale entscheidet, Massimo Uffreduzzi in die Mangel zu nehmen. Man will ihn unter Druck setzen, indem man ihm androht, ihn wegen Landesverrats und Spionage zu verhaften. Ende Jänner 1953 unterzieht Eugenio Piccardo seinen Informanten einem strengen Verhör. Uffreduzzi bricht zusammen und gesteht, dass er über Monate hinweg ohne Wissen des SIFAR den Tschechoslowaken Informationen und Dokumente geliefert habe. SIFAR-Mann Eugenio Piccardo:
Er wurde verwarnt und es wurde ihm verboten in keinem Fall und aus keinem Grund nicht genehmigte Kontakte mit den Tschechoslowaken und deren Agenten zu unterhalten und genauso wenig Material zu übergeben, das von uns nicht vorab geprüft worden ist. Zudem habe ich von ihm einen vollständigen Bericht verlangt über alle Aktivitäten, die er ohne unser Wissen entfaltet hat. Ich gehe davon aus, dass diese Lektion ihren Sinn erfüllt und Uffreduzzi die Zusammenarbeit ehrlich weiterführen wird.84

Angeblich streng geheimes italienisches Chiffrierbuch: Viel Geld für eine plumpe Fälschung.
Am 3. Februar 1953 übergibt Uffreduzzi dem SIFAR eine zehn Seiten lange Sachverhaltsdarstellung, in der er seine Aktivitäten detailliert nachzeichnet. Dabei beschreibt er auch das, was er bereits im Verhör seinem SIFAR-Führungsoffizier erklärt hatte: Dass der große Coup in Wirklichkeit ein Schwindel ist! Weil es Massimo Uffreduzzi nicht schaffte, ein echtes italienisches Chiffrierbuch zu beschaffen, fabrizierte er kurzerhand eines. Dazu nimmt er einen Verschlüsselungskodex aus dem Jahr 1929, aus dem er einige Seiten entfernt, die allzu sehr an den Faschismus erinnerten. Er entwirft einen neuen Umschlag mit der Aufschrift „segreto“ und „Ministero della Difesa“, sowie die Datierung 1951 und lässt das Konvolut in einer Buchbinderei in Rom neu binden. Gleichzeitig legt Agent „Hrabec“ mehrere interessante Berichte dazu, die den StB etwas ablenken sollten. „Ich hätte mir nie gedacht, dass die Tschechoslowaken den Kodex für echt halten und bezahlen würden“, gibt Uffreduzzi gegenüber dem SIFAR zu Protokoll. Seine Sachverhaltsdarstellung garniert der römische Doppelagent mit einem persönlichen Brief voller Reue an den Direktor des SIFAR.
Auch wenn ich Ihr persönliches Vertrauen und jenes des Dienstes verspielt habe, weil ich nach meinem eigenen Kopf gehandelt habe, so sollen Sie, Herr Direktor, wissen, dass Sie bei den riskantesten Dingen immer auf mich zählen können. […] Gegenüber Sostero [= Hans Morandell alias „Korsičan“ – Anm. d. Autors] habe ich immer das Dienstgeheimnis eingehalten und er hat überhaupt keinen Verdacht, dass ich für die italienische Gegenspionage arbeite. Ebenso die Tschechoslowaken, die glauben, mit mir eine europäische Organisation verpflichtet zu haben. Sie dürsten jetzt nach diesen gefälschten Informationen. Das Ansehen, das ich bei ihnen jetzt habe, ist enorm. Und Sie können das gesamte Netz so manövrieren, wie Sie wollen.85
Massimo Uffreduzzi weiß noch nicht, dass er sich mit dieser Einschätzung gleich doppelt täuscht.
Bozner Schlangengrube
Es fällt auf, dass der Mann, der als „Hrabec“ für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst StB arbeitet und gleichzeitig vom italienischen SIFAR als Agent geführt wird, eine zentrale Frage in dieser Phase nie anschneidet: Wie ist der SIFAR ihm auf die Schliche gekommen? Und warum weiß Eugenio Piccardo über seine Treffen in Bozen, Innsbruck und Wien so genau Bescheid? Die logische Antwort: Massimo Uffreduzzi dürfte davon ausgegangen sein, dass der SIFAR im StB eigene Zuträger hat, die ihn verraten haben.
Doch tatsächlich gibt es eine Erklärung, die näher liegt. Dazu muss man sich die Arbeits- und Vorgangsweise der Nachrichtendienste genauer anschauen. Zu den eisernen Grundregeln, die man jedem Mitarbeiter und Agenten einbläut, zählt das absolute Wahren des Dienstgeheimnisses. Also niemandem zu sagen, dass man als Agent arbeitet und für wen man arbeitet. Das führt zwangsläufig dazu, dass immer wieder Freunde oder gemeinsame Mitstreiter in einer Bewegung gleichzeitig für denselben Arbeitgeber tätig sind, aber nichts voneinander wissen. Auch das meint Silvano Russomanno, wenn er von „mehreren Hunden am selben Knochen“ spricht. Scheint diese Konstellation auf den ersten Blick absurd, erfüllt sie für den Nachrichtendienst eine einfache und effektive Kontrollfunktion. Berichten zwei Zuträger über dieselbe Sache, lässt sich schnell ermitteln, ob die Berichte übereinstimmen und wer als Informant loyal ist und wer nicht. Wird derselbe Sachverhalt zudem noch – wie in vielen Fällen – von einem weiteren Informanten im selben Netz beschrieben, kommt man der objektiven Wahrheit schon sehr nahe. Genau diese Konstellation finden wir im Südtiroler StB-Netzwerk. Denn Massimo Uffreduzzi ist nicht der einzige Doppelagent in diesem Spiel.
Laut den Akten der „Azione Stelio“ wendet sich Uffreduzzi mit seinen Informationen über Erich Bertol erstmals Anfang Mai 1950 an den SIFAR. Damit beginnt seine Arbeit als Doppelagent und seine Einbettung in die besagte Operation. Diese läuft zu diesem Zeitpunkt aber bereits, was auch die Aktenzahl der „Azione Stelio“ deutlich macht: „1949-1.4.29.5.1.“86 Die Geheimdienstoperation wurde demnach 1949 vom SIFAR-Büro Verona gestartet und in Zusammenarbeit mit der römischen Zentralstelle umgesetzt. Geleitet wird sie, wie wir bereits gesehen haben, vom Chef des SIFAR-Büros Verona Tullio Filippo Recchia und seinem römischen Kollegen Eugenio Piccardo. Recchia gelingt die Anwerbung eines Informanten, der von Beginn an in das StB-Netzwerk eingebunden ist, gleichzeitig aber eine Randfigur bleibt: Cesare Premi. Der damals 25-jährige Bozner Geometer, Kindheitsfreund von Hans Morandell, arbeitet bereits ab 1949 unter dem Decknamen „Stelio“ für das „Centro C. S. di Verona“. Die Operation „Stelio“, die ihre Bezeichnung vom Decknamen Premis erhält, zielt auf eine Infiltrierung des tschechoslowakischen Nachrichtendienstes ab. Der SIFAR will wissen, wie der StB funktioniert, was den östlichen Nachrichtendienst in Italien interessiert und auch wer für ihn in Italien arbeitet. Spätestens als Hans Morandell – der in Italien weiterhin Giovanni Sostero heißt – seinen Freund Cesare Premi im Juni 1949 nach Brünn bringt und der StB diesen als Agent „Vandal“ anwirbt, kommt der SIFAR diesem Ziel nahe. Cesare Premi und Hans Morandell verbindet eine enge persönliche Freundschaft, weshalb Morandell alias „Korsičan“ dem SIFAR-Agenten alle Einzelheiten über seine Arbeit erzählt. Damit ist der SIFAR von Beginn an über jeden Schritt des wachsenden StB-Netzes in Italien informiert. Tullio Filippo Recchia beschreibt 1951 in einem Bericht an Eugenio Piccardo die Situation:
Sostero ist sehr auf Draht und er ist gegenüber Stelio sehr gesprächig. Er hat absolutes Vertrauen und erzählt ihm auch die Wahrheit. Was es uns ermöglicht, ihn auch weiterhin über Stelio zu kontrollieren (den ich immer weiter in die Sache hineindränge).87
Während der SIFAR in Rom Massimo Uffreduzzi anwirbt und in das Netzwerk einschleust, macht auch Tullio Filippo Recchia einen entscheidenden Schritt, der der SIFAR-Aktion gegen den StB eine neue Qualität verleiht. Ihm gelingt es nämlich, über seinen Informanten „Stelio“ auch den Kopf des StB-Netzwerks Hans Morandell für den SIFAR anzuwerben. Morandell wird vom SIFAR meist unter seinem italienischen Klarnamen „Sostero“ geführt, erhält aber zusätzlich den Decknamen „Robert“. Heute kann man nur mutmaßen, was „Korsičan“ bewogen hat, zum Doppelagenten zu werden. Sicherlich dürften finanzielle Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Zudem kann man annehmen, dass Recchia wie zuvor schon Uffreduzzi auch Morandell vor die Wahl gestellt hat: entweder wegen Spionage angeklagt zu werden oder für den SIFAR zu arbeiten.
Agent „Robert“ berichtet ab 1951 dem SIFAR-Büro Verona periodisch über alle Vorgänge rund um sein StB-Netz. Dabei wissen weder „Robert“ noch „Stelio“, dass gleichzeitig auch Massimo Uffreduzzi für den SIFAR arbeitet. So listet Hans Morandell dem SIFAR nicht nur detailliert alles auf, was „Hrabec“ nach Brünn liefert, sondern er übergibt dem SIFAR-Büro Verona auch über jedes Treffen mit Uffreduzzi einen genauen Bericht. Das ist dann auch der eigentliche Grund, warum Eugenio Piccardo in Rom schnell merkt, dass Uffreduzzi dem SIFAR gegenüber mit falschen Karten spielt. Als der SIFAR im Jänner 1953 Uffreduzzi in die Zange nimmt, hat man Angst, dass dadurch auch Hans Morandells Rolle als Doppelagent auffliegen und die gesamte Operation „Stelio“ ein abruptes Ende nehmen könnte. Doch als Eugenio Piccardo Ende Jänner Uffreduzzi einem strengen Verhör unterzieht, kann er Entwarnung geben. „Im Laufe des Verhörs gab es keinen Hinweis, dass die Doppelgleisigkeit Sosteros aufgeflogen ist, deshalb kann die Aktion ruhig weiterlaufen“, schreibt der Leiter der römischen SIFAR-Zentrale.88 Eineinhalb Monate später wird Eugenio Piccardo in einem 25 Seiten langen Dienstbericht mit dem bezeichnenden Titel „Massimo Uffreduzzis Gang nach Canossa“ noch deutlicher:
Massimo ignoriert völlig, dass Robert ein Doppelagent sein könnte. Unsere Aktion, die ihn gezwungen hat, sein heimliches Handeln für den tschechoslowakischen Geheimdienst zuzugeben, hat in ihm nicht den leisesten Verdacht erweckt, woher wir unser Wissen haben könnten. […] Die Sachverhaltsdarstellung von Massimo […] liefert uns zudem den klaren Beweis der ehrlichen und lauteren Zusammenarbeit, mit der Robert alle Verpflichtungen eingehalten hat, die er mit unserem Dienst eingegangen ist.89

Grafische Darstellung des Netzwerks im Berger-Akt: StB-Sachbearbeiter schreibt Klarnamen mit Bleistift dazu.
Dass dem italienischen Nachrichtendienst die Operation „Stelio“ wichtig ist, liegt auch daran, dass noch weitere Doppelagenten darin verwickelt sind. Nicht nur Massimo Uffreduzzi, Cesare Premi und Hans Morandell arbeiten sowohl für den SIFAR als auch für den StB, das SIFAR-Büro Verona und die Außenstelle in Bozen haben noch mindestens drei weitere Südtiroler StB-Agenten angeworben: Hermann Larcher, Alfredo Macchia und vor allem Heinrich Berger (Deckname „Biro“) stehen ebenfalls im Soldbuch des SIFAR. Alle drei liefern Anfang der 1950er-Jahre Informationen über ihre Zusammenarbeit mit dem StB.90 Doch weitere Nachrichtendienste schöpfen die Informationen der Bozner StB-Zuträger ab. So ist Alfredo Macchia in Kontakt mit dem amerikanischen Militärgeheimdienst CIC, der – wie wir noch sehen werden – in den 1950er-Jahren in Bozen besonders aktiv ist. Außerdem dürfte Friedrich Stefaner bereits zu diesem Zeitpunkt nebenbei auch für die deutsche „Organisation Gehlen“ (Org.) den Vorgänger des „Bundesnachrichtendienstes“ (BND) gearbeitet haben.
Man kann der Einschätzung des Nachfolgers von Tullio Filippo Recchia in der Leitung des SIFAR-Büros Verona, Carabinieri-Hauptmann Luigi Margiotta, nur zustimmen, wenn er von einem „covo di vipere“ spricht: In einem internen Bericht von 1953 schreibt er wörtlich „Giftschlangennest, das aus jenen Elementen der Stelio besteht, die in Bozen wohnen“91. Besser kann man das Konglomerat von Spitzeln wohl kaum beschreiben.
Abrechnung in Brünn
Zur selben Zeit, als der SIFAR in Rom Massimo Uffreduzzi in die Zange nimmt, merkt man allerdings auch in Prag und Brünn, dass mit Agent „Hrabec“ und dem gelieferten Entschlüsselungshandbuch einiges nicht stimmt. Man wendet sich umgehend an jenen Mann in Wien, der den römischen Journalisten zum StB gebracht hat: Hans Morandell. „Korsičan“ weiß, dass nicht nur seine gesamte Arbeit für den StB, die er seit vier Jahren geleistet hat, auf dem Spiel steht, sondern auch seine Zusammenarbeit mit dem SIFAR auffliegen könnte. Am 20. Jänner 1953 fahren „Korsičan“ und Edgar Meininger („Pedel“) nach Rom, um Massimo Uffreduzzi zur Rede zu stellen. Kaum meldet sich Morandell bei Uffreduzzi, haut dieser aus Rom ab, versteckt sich und berichtet voller Schrecken seinem SIFAR-Führungsoffizier Eugenio Piccardo, dass er von Sostero und Meininger bedroht werde. „Korsičan“ schreibt am 23. Jänner 1953 aus Rom an seinen StB-Führungsoffizier:
Nun bin ich bereits zwei Tage hier in Rom und werde wahrscheinlich unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren müssen. Wenn ich gewusst hätte, dass dieser Primo [Primo ist der Deckname, den Uffreduzzi sich gegeben hat – Anm. d. Autors] so ein Lump ist, hätte ich mir die Zeit und das Geld für diese weite Reise ersparen können. […] Ich habe den deutlichen Eindruck, dass dieser Primo ein schlechtes Gewissen hat und deshalb um jeden Preis eine Zusammenkunft vermeiden will, um nicht über seine Schwindeleien Rechenschaft abgeben zu müssen. Denn ich bezweifle keinen Augenblick, dass von allen den Waren, die er zu besitzen behauptete, keine einzige existiert, sondern dass alles nur ein Bluff ist. Und jetzt hat er Angst, seinen Bluff eingestehen zu müssen. Aber dieses Schwein wird mir schon noch mal unter die Hände komme, damit ich mit ihm abrechne!92
Der Zorn von Hans Morandell verraucht jedoch bald. Das liegt vor allem daran, dass Massimo Uffreduzzi sich absolut reumütig gegenüber seinen Mistreitern verhält. Der SIFAR will die Operation „Stelio“ unbedingt weiterführen, deshalb weist man Uffreduzzi auch an, den Riss mit Morandell wieder zu kitten. Dieselben Vorgaben dürfte der italienische Nachrichtendienst auch seinem Informanten „Robert“, sprich Hans Morandell, gegeben haben. Zur gleichen Zeit übt der StB nun aber Druck aus, dass Morandell und Edgar Meininger zu einem weiteren Treffen in die ČSR kommen. Zwischen Jänner und März 1953 schreibt der StB-Führungsoffizier „Jaroslaw“ mehrere Briefe an „Korsičan“ und „Pedel“. Der Auftrag: Sie sollen Agent „Hrabec“, also Massimo Uffreduzzi, zu einer klärenden Aussprache mitbringen. Doch alle drei Termine verstreichen. Morandell, Meininger und Uffreduzzi kommen nicht.
Im Frühjahr 1953 sprechen sich die drei StB-Agenten untereinander aus. „Korsičan“ überredet „Hrabec“, das Geld, das er vom StB für den gefälschten Entschlüsselungskodex erhalten hat, wieder zurückzugeben. „Hrabec“ hatte von den 2,8 Millionen Lire, die er dafür von der tschechoslowakischen Staatssicherheit erhalten hat, nur 800.000 Lire genommen. Den Rest hatte er im September 1952 in einem Schließfach in Wien deponiert. Dort holt Hans Morandell das Geld jetzt ab und retourniert es – als Zeichen des guten Willens – an den StB. Und so kommt es im Mai 1953 doch noch zu einem Treffen von Hans Morandell und Massimo Uffreduzzi mit ihren Führungsoffizieren in der ČSR. Uffreduzzi kommt am 6. Mai 1953 in Wien an und noch am selben Abend bringt Edgar Meininger ihn und Morandell im Auto an die Grenze bei Laa an der Thaya. „Korsičan“ und „Hrabec“ überschreiten auf einem Pfad die grüne Grenze, wo sie von einem Auto des StB erwartet werden, das die beiden in ein Jagdhaus nach Pohořelice bringt. Dort werden sie von ihren beiden Führungsoffizieren „Frantiček Sabotka“ und „Jaroslaw Hrazky“ erwartet.
Es kommt endlich zur lang erwarteten Aussprache. Die beiden StB-Offiziere halten „Hrabec“ vor, dass ein Teil des Materials, das er übergeben habe, gefälscht war. Man lässt die gesamte Arbeit der letzten zwei Jahre noch einmal Revue passieren. Das Gesprächsklima ist angespannt, aber nicht feindlich. Hans Morandell und Massimo Uffreduzzi planen eigentlich, am Abend des 8. Mai wieder zurück nach Österreich zu gehen. Edgar Meininger wartet an diesem Tag um 22 Uhr mit dem Auto in Laa an der Thaya aber vergeblich, denn am Abend jenes 8. Mai wird klar, dass der StB „Korsičan“ und „Hrabec“ nicht einfach so gehen lässt. Die beiden Agenten werden vom StB festgehalten und bewacht. Der Grund: Es soll ein hoher Funktionär der tschechoslowakischen Staatssicherheit kommen, um mit Uffreduzzi zu reden. Was beide nicht wissen: Aus den zwei geplanten Tagen in der ČSR wird am Ende ein Aufenthalt werden, der mehr als zwei Wochen dauert.
Am 9. Mai wird in der ČSR der Tag der Befreiung gefeiert, deshalb passiert an diesem Tag kaum etwas. Am 10. Mai erscheint dann der angekündigte hohe Prager StB-Offizier. „Korsičan“ und „Hrabec“ werden umgehend getrennt. Während Hans Morandell im Jagdhaus in Pohořelice bleibt, bringt man Uffreduzzi in ein „geschütztes Haus“ – so wird eine Immobilie genannt, die einem Nachrichtendienst für geheime und sensible Aufgaben zur Verfügung steht – bei Mikulov, wenige Kilometer sowohl von Pohořelice als auch von der österreichischen Grenze entfernt. Massimo Uffreduzzi erinnert sich später gegenüber dem SIFAR:
Der große Capo hat überraschend gut Italienisch gesprochen. Deshalb war ich sofort besonders auf der Hut. Sein Ton war von einer überwältigenden Freundlichkeit, fast schon verhöhnend. Nach jeder meiner Erklärungen, auch wenn sie noch so blöd war, meinte er: „Nur noch eine kleine Frage“. Antwortete ich dann, sagte er jedes Mal „Tausend Dank“.93
Uffreduzzi wird tagelang verhört. Der Prager StB-Mann legt ihm alle Berichte vor, die „Hrabec“ in den Jahren zuvor geliefert hat. Der Agent muss genau schriftlich angeben, woher und vom wem er die jeweilige Information bekommen hat. Uffreduzzi gibt dabei einige Fälschungen zu. Er erklärt, dass nicht die Nachrichten an sich falsch seien, er aber das Ganze etwas „aufgepeppt“ habe, etwa indem er den Stempel „segreto“ (geheim) auf verschiedene Dokumente kopiert habe. Außer der Offenlegung seiner Quellen muss „Hrabec“ mehrere schriftliche Berichte verfassen. So muss er Lebensläufe aller seiner Informanten, Zuträger und Bekannten verfassen. Am Ende sind es über 40 Personen, deren Leben er vor dem StB ausbreitet. Dazu kommen Berichte über staatliche Institutionen, Militäreinheiten sowie gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Italien. Alle Berichte zusammen füllen über 100 Seiten im StB-Akt des Agenten „Hrabec“, der heute im Prager Archiv liegt. Besonderes Interesse bei der Befragung Uffreduzzis zeigt der StB dabei an Karl Hass – ehemaliger Mitarbeiter des Nazi-Geheimdienstes „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ und als solcher in den Jahren 1944/45 Vorgesetzter von Uffreduzzi. Dieser hatte den deutschen SD-Mann Anfang der 1950er-Jahre mehrmals in Rom getroffen. Für die tschechoslowakische Staatssicherheit muss er jetzt einen detaillierten Bericht über Hass, den SD und dessen Rolle im Nachkriegsitalien verfassen.
Der StB-Verhörbeamte verdächtigt „Hrabec“, offen für den amerikanischen Militärnachrichtendienst CIC zu arbeiten, weshalb es Uffreduzzi nicht schwerfällt, diesen Verdacht glaubwürdig zu zerstreuen. Eine mögliche Arbeit für den SIFAR wird nicht angesprochen. Eine halbe Autostunde von Mikulov nimmt man im bereits erwähnten Jagdhaus zur selben Zeit Hans Morandell in die Mangel. Auch „Korsičan“ wird tagelang befragt. Am Ende nötigt man beide, eine handschriftliche Erklärung zu unterzeichnen. Die Erklärungen, versehen mit jeweils einem Foto, enthalten neben der Unterschrift auch die Fingerabdrücke des Agenten. So erklärt Massimo Uffreduzzi am 21. Mai 1953:
Ich, der Unterfertigte Massimo Uffreduzzi, wohnhaft in der Via San Martino della Battaglia 31, wünsche immer besser für den Nachrichtendienst der Tschechoslowakei zu arbeiten, indem ich verspreche, in Zukunft nur noch Informationen und Dokumente zu liefern, die echt sind, ohne jeden Schwindel. Ich ersuche auch, dass ein Teil des Gewinns, der mir aus diesen guten und immer besser werdenden Arbeiten entsteht, dafür hergenommen wird, um die Schulden zu begleichen, die ich beim tschechoslowakischen Nachrichtendienst habe.94
Am Tag darauf, den 22. Mai, erhält Massimo Uffreduzzi bereits einen neuen Auftrag. Es ist ein weiterer hoher StB-Offizier, der ihm erklärt, dass er für den StB weiterarbeiten müsse. In ein paar Wochen würde er nämlich in Rom Besuch von einem StB-Mann bekommen. Als Erkennungszeichen reißt der Offizier eine Zehn-Schilling-Note in der Mitte auseinander und übergibt „Hrabec“ eine Hälfte. Bei dieser Aktion solle sich Uffreduzzi aber unbedingt von Erich Bertol und Heinrich Berger fernhalten und nicht mehr nach Bozen kommen. Mit Hans Morandell hingegen soll er weiterhin eng zusammenarbeiten. Wenig später kommen Uffreduzzi und Morandell endlich wieder zusammen. Man bringt sie an die Grenze, wo sie noch in der Nacht nach Österreich gehen und mit dem Zug nach Wien fahren.
In den Wochen danach liefern sowohl Uffreduzzi als auch Morandell dem SIFAR einen detaillierten schriftlichen Bericht über die Ereignisse während ihres unfreiwilligen Aufenthaltes in der ČSR ab. In den Akten der „Azione Stelio“ ist eine Analyse enthalten, in der die Widersprüche der beiden Darstellungen herausgearbeitet werden. Außerdem findet sich in den Akten auch eine Kopie eines zerrissenen Zehn-Schilling-Scheins. Es ist das Erkennungszeichen, das der StB seinem Agenten „Hrabec“ in Mikulov übergeben hat.95 Der angebliche StB-Emissär taucht letztlich in Rom nie auf.