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Mein lieber Hans!
Als ich gestern früh, d. h. es war inzwischen gegen 11 Uhr geworden, bereits zum dritten Mal mit einer Holzfuhre aus dem Wald kam, sah ich schon von weitem ein Auto vor unserem Haus stehen und erkannte Sigrid, die mit Dr. Gaston Oulman auf mich wartete. Ich sagte ihm gleich: »Nun Herr Doktor, da kann es wieder frisch in die Zeitung kommen: ›Frau Minister holt sich nun selbst das Holz.‹«
Oulman verfasste für den Bayerischen Rundfunk oft die täglichen Prozessberichte. Doch nicht nur Oulman sah sie mit dem Leiterwagen. Unser Dorfpolizist kam ihr einmal auf der Dürnbachstraße entgegen, sah ihr mit Dürrholz beladenes Wagerl, erinnerte sich an Frau Reichsministers Mercedes und sagte schmunzelnd: »Frankin, heut’ hast’ dös Gefährt verwechselt!«
Auch Hans will wechseln: Seine Ehefrau Brigitte gegen besagte frisch aufgetauchte Kinderliebe Lilly, die sich an Hans erinnert, weil ihr Sohn 1942 an der Ostfront vermisst wird. Sie denkt, dass ihr der inzwischen Aufgestiegene bei der Suche helfen könne.
Es gibt wohl kein anderes Ehepaar bei den Top-Nazis, das sich ab 1942 so befetzt wie Brigitte und Hans Frank. Mutter kämpft um ihren Status und verkündet: »Ich bin lieber die Witwe, als die geschiedene Frau eines Reichsministers.«
Ein Satz, der mich in seiner Härte, Klarheit und Prophetie bis heute diebisch freut.
Der damalige Generalgouverneur von Polen schäumt, versucht mit allen lauteren und unlauteren Mitteln, sich von der Familie zu lösen. Dass die Ehe schon zuvor zwischen Zu- und Abneigung schwankte, geht aus manchen Briefen hervor.
Im September 1939 schreibt er noch: Ich freue mich schon jetzt darauf, wenn ich Dich als »Landesmutti« in dieses »Dein neues Land« Mitte September geleite. (Es gibt auch noch allerhand!). So fehlst nur Du mir, liebes Weibelen. Ich habe Dich sehr, sehr lieb und bin Dir sehnsüchtig verbunden. Herzlichst Dein Hans
Die Raffgier seiner Frau weiß er als Lockmittel sehr gut einzusetzen. Die Landesmutti erinnert sich beim Lesen sicher auch daran, wie er gleich nach seiner Ernennung zum Generalgouverneur in der Berliner Villa vor ihr niedergekniet war und feierlich getönt hatte: »Brigitte, du wirst die Königin von Polen!«
Am 8. April 1942, einen Monat, bevor Lilly ihn wiedertraf, versichert er Brigitte – nahezu den Nürnberger Rassengesetzen folgend – seiner Liebe: Wenn ich Dich immer so mit all den Frauen, die man trifft und spricht und mit denen man »parliert und charmiert«, mit diesen Gesellschaftslöwinnen, vergleiche, so sage ich mir doch immer eigentlich in zunehmendem Maße, was doch eigentlich du in Deiner selbstklaren Charakterstärke eine leuchtende Rassegestalt bist, auf die man stolz zu sein hat.

Brigitte Frank als »Königin von Polen« auf dem Wawel.
Dann aber ging’s dahin. Er bereitet die Scheidung vor, schreibt am 8. August 1942 an seine neue Königin Lilly: Am Tage meiner großen Entscheidung durchgehe ich im ernsten Denken diese Burg und grüße Dich aus einem Herzen, voll des Glücks und der Sehnsucht nach der endlichen Erlösung. Lilly! Dreißig Jahre tönt es so in mir. Du bist die mir von Gott bestimmte Frau! Bleibe mir!
Dann beschwört er unter Lillys Augen Brigitte am 6. September 1942: Meine lb. Brigitte – (Nicht mal mehr liebe wollte er ausschreiben! Auch ein nachahmungswerter Trick, um Entfernung anzudeuten.)
Lass mich zur Klärung kommen. Was notwendig ist, muss eben geschehen. Du kannst mir nicht helfen. Lass’ mich nur mit mir und allein fertig werden. Lebe Dein Leben! Alles will ich tun, wenn Du mir klar in der Ferne hilfst, die mich allein noch trägt.
Mutter schreibt am gleichen Tag zurück. Sie weiß, dass sie ihn am stärksten durch den mütterlichen Duldungstrick umeinanderlassen kann: Es gibt nichts Schlimmeres, als von dem geliebten Mann und Vater meiner Kinder zu wissen, ich störe schon durch mein Dasein. Wenn alle Liebe, Güte und Verstehen, die ich für Dich habe, noch Kraft geben können, dann wirst Du für alles das Rechte finden. Für Dich und die Kinder bin ich da, soweit meine Kräfte noch reichen.
Wie sehne ich Dich herbei – doch ich warte – dulde, glaube und liebe und bleibe mit meinem Herzen und meiner Seele bis an mein Ende.
Am 9. September 1942 setzt sie noch eins drauf, analysiert aufs Trefflichste den elend schwankenden Charakter ihres Hans, den sie am Tag zuvor vermutlich in München zu einer Aussprache getroffen hat: Schmäht und beleidigt mich der grausame Hans, stellt er mich als den größten Egoisten hin, der ihn nicht nur totunglücklich, arbeitsfreudlos, ja sogar dem Selbstmord nahe gebracht hat, der mir sagt, ich lass mich nur nicht scheiden, weil ich an der Stellung und am äußeren Glanz hänge und nicht als geschiedene Frau gehen möchte. Sucht er schon Gründe zur Scheidung, die ihm, diesem großen Mann ja leicht fallen werden, braucht er dazu letzten Endes nicht mich armen, kleinen Menschen, schilt er mich grausam und hart zum Abschied, will mir kaum noch die Hand reichen, bleibt sitzen und schaut mit eiskalten Augen, so halte ich mich an das Gute, was mein Hans mir vor einigen wenigen Tagen mit gutem Gesicht und warmen Augen sagte, der mich als seine treue Lebenskameradin kennt, die mit ihm aufgebaut, mit ihm Freude und nicht zuletzt die Leiden durchgemacht hat und weiter durchmachen wird. Ist es nicht meine Pflicht, einem Menschen, der sich vor ganz kurzer Zeit als wahnsinnig und krank vor mir bezeichnet hatte, seine Rückkehr offen zu halten? Und ich tue dies in erster Linie für Dich und unsere Kinder.
Ihr Brief kreuzt sich mit seinem, den er am gleichen Tag wie Brigitte schreibt. In Herrscherpose berichtet er ausführlich über sich und sein Sehertum. Er wusste, weil er selbst daran beteiligt war, von den wachsenden Leichenbergen in seinem Gouvernement und nimmt den Holocaust als Trick, um die Scheidung zu erreichen: Ich sehe Blut und Orgien der Gewalt. Ich sehe das sich Aufeinandertürmen hemmungslos Gemetzelter. Bis endlich sieghaft die neue Form unserer völkischen Gemeinschaft, die das Beste des Führers endgültig mit dem Besten unseres Volkes eint, sich durchsetzen wird. Ich brauche eben diese Lösung oder ich kann nicht weiter.
Sie telefonieren einen Tag später. Tags drauf schreibt er in seinem Brief: Das ist das ernsteste Wort meines Lebens, liebe Brigitte: Ich stehe vor dem Ende oder vor einem neuen Anfang. So kann ich nicht weiter. Zum Neuen Anfang kann ich nur die Kräfte aus einer neuen Charakterfestigkeit erlangen. Sonst versinke ich. Ich bitte Dich also herzlichst, in unsere Scheidung einzuwilligen. Sonst ist mein Untergang gewiss. Du sagst, Du liebst mich – und ich weiß es, dass Du eine Frau bist, wie ich sie nie wieder bekommen werde, aber es geht nicht um Liebe, es geht um die Ermöglichung meines Lebenszieles. Gerade aber, weil Du mich liebst: Beschwöre ich Dich, bringe mir dieses Opfer, das größte Deines Lebens, und ich werde Dich dafür segnen und würdigen, wie es sonst niemals wieder der Fall sein könnte. Denn ein Zurück wäre für mich unmöglich. Es geht auch nicht um Glück oder Unglück, sondern um Stärke oder Verfall. Mein Schicksal ist einzigartig. Niemand steht so in der Zeit wie jetzt ich. Bitte, gib mir, gib Deutschland die Möglichkeit meiner Rettung. Bitte gib mir die Hoffnung wieder, liebe Brigitte! Alles hängt nur von Dir ab. Das Schicksal sandte mir in dem Augenblick meines bisher größten Kampfabschnittes den Partner meiner ersten Jugend, der mir bestimmt ist, den Halt und die Stärke zu geben, die ich eben nunmehr brauche. Brigitte, gib mir Segen und Zukunft. Ich kann nicht anders. So liegt mein Schicksal in Deiner Hand. Auf oder endgültig ab. Wie er es tatsächlich vermag, seine persönliche Scheidung mit dem Schicksal Deutschlands zu verbinden, ist schon extrig. Wenn das sein Scheidungsanwalt dem Gericht vorgetragen hätte! Selbst in einer Zeit, als unsere Richter selbst zu Verbrechern geworden waren, hätten sie wohl geschmunzelt.
Brigittes Antwort liegt mir nicht vor. Sie muss beinhart gewesen sein. Vermutlich hatte Hans von ihrem Besuch bei Himmler erfahren, bei dem sie Lilly verdächtigte, jüdischen Blutes zu sein, wohl wissend, was ihr dann passiert. Hans schreibt ihr am 15. September 1942 starr vor Entsetzen: Liebe Brigitte! Ich bin zutiefst erschüttert, dass Du in das Lager meiner Todfeinde gegangen bist. Es ist nun jedes Zurück völlig ausgeschlossen. Sonst bitte ich Dich nur: Mich, den Vater Deiner Kinder, nicht durch Dein egoistisches Versagen völlig zur Verzweiflung zu treiben.
Heil Hitler!
Hans
Jetzt benutzt er selbst das Heil Hitler!, wie es sein Vater bei seinem Goldzahnbrief getan hatte. Doch er nimmt es als Metapher für Verachtung – das hat ja Stauffenberg-Qualität!
DIE SCHULD DER RAUEN PREUSSIN
Brigitte dachte nicht daran, ihn freizugeben. Sie klagte ihr Leid ihrem Vertrauten, komischerweise einem Vetter ihres Mannes: Richard Schneider-Edenkoben war Drehbuchautor, Filmemacher und hie und da von der Gestapo mit Misstrauen verfolgt.
Mein lieber Richard, schreibt sie zum Faschingsbeginn am 11. November 1942 vom Schoberhof aus, nun erfuhr ich in Berlin trotz meines kurzen Aufenthalts sehr Wichtiges: »Er hat bei der ersten Fahrt ins Hauptquartier (zu seinem geliebten Führer) auf die Vorhaltungen wahrscheinlich der Lebenshaltung und L. (Lilly) Beschuldigungen wegen sofort geantwortet: »Daran ist meine Frau Schuld, ich werde die Konsequenzen ziehen und mich von ihr trennen!« Und dies ist, wie ich aus zuverlässiger Quelle her weiß »oben« mit Empörung aufgenommen worden, dass er es »so abgeschoben« hat.
Vermutlich war es Bormann, der ihn sich in Hitlers Hauptquartier noch mal an seine verfettete Brust genommen hatte. Wie muss er meinen Vater angegrinst haben, als der angstflatternd alle Korruption im Generalgouvernement auf seine Landesmutti schob. Sicher hat Bormann später Hitler so was gesagt wie: »Mein Führer, Sie müssen Ihren alten Kampfgenossen absetzen. Er hat doch glatt alles auf seine Frau geschoben!«
»Nein«, hat der sicher geantwortet, »der Frank hat einen so lieben hündischen Charakter, den brauch ich noch.«

Brigitte Frank und ihre fünf Kinder. Dieses Foto schickte sie an Hitler.
Brigitte fährt nach Berlin, wohnt sicher in unserer arisierten Villa in Dahlem. Sie fightet, besucht Frau Goebbels, Frau Göring, versucht zu Hitler zu gelangen, schreibt ihm einen Brief, legt ein Familienbild bei, das sie im Kreis ihrer fünf Kinder zeigt und weist darauf hin, dass es doch nicht möglich sei, eine so harmonisch dreinblickende urdeutsche Familie wegen einer bösen verheirateten Frau zu verlassen. Von Berlin aus schreibt sie genau am Tage des hl. Nikolaus, also dem 6. Dezember – dem Namenstag ihres hochbegabten 3-jährigen Jüngsten – an ihren Mann: Kann man glücklich leben, wenn man die Gesellschaft und ihre Gesetze hinter sich wirft? Ist absolute Freiheit nicht gleich absoluter Leere. Du sagtest es selbst – Liebe ist es nicht, die Dich uns nahm, ein Sinnentaumel, der Dir das Blut aufstürmt. Dein größter Feind ist die Eitelkeit. Warum duldest Du nie Menschen mit Geist und Format um Dich? Bist Du so arm, dass Du glaubst, Dein Glanz verringere sich dadurch? Und was ist das Schlimmste, was einem Mann, noch dazu in so gehobener Stellung, widerfahren kann: Wenn man über ihn lächelt! Ja, Hans, ich habe heute den Mut, Dir dies alles schonungslos zu sagen. Mir fällt es selbst unendlich schwer, aber wenn es noch ein Mittel gibt, das grauenvolle Ende, auf das Du jetzt hintreibst, von Dir fernzuhalten, so ist es meiner Meinung nach diese grausame Wahrheit. Feige bin ich nie gewesen. Die Feigheit und Lüge sind die gemeinsten Sünden. Ein kleines Erlebnis von vielen muss ich Dir aber ins Gedächtnis zurückrufen: Wir fuhren unvorschriftsmäßig schnell von Kressendorf nach Krakau ins Theater: Du, Richard und ich. Zwei arme Polen wurden dadurch angefahren, und man sah nur, wie sie mit ihren Rädern durcheinander auf der Straße lagen. So fährst Du als »Landesvater« ruhig weiter, ohne sich um die Armen zu kümmern. Du fährst mit dem Salonwagen ins Reich, Deinen Trieben zu leben, wo die besten unseres Volkes ihr Leben opfern. Ich bitte Dich auch – und das ist die einzige Bitte, die ich für mich habe, entwürdige Dich und mich nicht weiter durch die Art des Zusammenlebens nach zwei Seiten hin. So viel Achtung musst Du vor Dir und mir noch haben.
Starker Tobak für einen solchen Mann wie meinen Vater. Mutter in Bestform. Schonungslos. Was Vater besonders wahnsinnig gemacht haben dürfte, ist dieser Von-oben-herab-Ton. Spätestens bei Mutters Beschuldigung der Feigheit muss er das Blatt weggelegt haben. Sich klar zu machen, was für ein feiger Wicht er eigentlich Zeit seines Lebens war, wagt er schon aus Feigheit nicht.
Diese Feigheit wird ihn an den Galgen bringen.
Schade, dass unsere Gesellschaft so auf Eigentum am Partner geeicht ist. Es hätte doch ganz anders ablaufen können. Brigitte fragt Hans: »Wo bist du denn wieder gewesen?«
»Ach, ich hab’ mit Lilly geschlafen.«
»Na, Gott sei Dank, ich dachte schon, du hast wieder heimlich geraucht!«
Die beiden, die Menschheit durchrüttelnden Begriffe sind doch »Treue« und »Eifersucht«.
Auch Mutter entblößt sich in ihrer Anklage. Sie mit ihrer Härte, ihrem Mut und ihrem Wissen, dass sie sich von ihren vielen Liebhabern den charakterlich schwächsten als Ehemann ausgewählt hatte: Warum griff sie nach dem Unfall mit den beiden Polen nicht ein? Warum kein: »Hans, wir müssen anhalten! Wir müssen denen helfen – zumindest helfen lassen! Herr Schamper, bitte halten Sie sofort an!«?
Zumal doch Hans, wie mir später sein Nürnberger Gefängnispfarrer Father O’Connor erzählte, »noch im Gefängnis Angst vor Deiner Mutter hatte«.
Waren Brigitte die beiden Polen nicht genauso gleichgültig wie ihrem Mann?
Und selbst Schamper, Franks Stamm-Chauffeur, der sich nach dem Krieg in Rosenheim mit einem glühenden Schürhaken und der Hilfe seiner Frau die SS-Nummer aus dem Oberarm rausbrennen wird (»Mei, Niki, dös hat weh’tan!«), hätte ja sagen können: »Entschuldigen S’, Herr Generalgouverneur, erlauben S’ bitt’schön, ich muss da jetzt anhalten.«
Als Mutter an einer anderen Stelle einer Freundin von diesem Unfall schreibt, macht sie das Bild des Unfalls noch vollständiger: Hans hat nur stumm an seiner Zigarre gezogen.
Was übrigens die von ihr mehrfach als Waffe gegen Hans eingesetzten gemeinsamen Kinder betrifft, so vernachlässigte Mutter ab der Machtübernahme der Nazis zunächst ihre zwei schon in der »Kampfzeit« geborenen Sigrid und Norman zugunsten der schönen Sause als Reichsministergattin und später als Frau Generalgouverneur mit eigenem Mercedes und eigenen Ghettos zum Einkaufen. Ihre drei weiteren Kinder, Gitti, Michel und ich, lernten sie erst nach Kriegsende so richtig kennen, als ihre Zeit als Hohe Dame zwangsweise beendet worden war. Sie hatte uns drei sicher nur als Rückversicherung geboren, auf dass ihr Mann eine gemäß der Nazi-Ideologie so fruchtbare deutsche Frau nicht verlassen könne. Hans’ Mutter, unsere Oma, raunzte nicht zu Unrecht mal auf einem Spaziergang unsere geliebte Kinderschwester Hilde verächtlich auf Bayerisch an: »Brigitte wirft ja d’ Kinder wia a Loas.« Was auf Hochdeutsch Muttersau heißt.
Die Loas hat ihren letzten Geschlechtsverkehr mit Hans »im Dezember 1942«, wie sein Anwalt dem Landgericht München II am 15. Februar 1943 bekannt gibt. Wenn das Lilly erfahren hätte! Auch Mutter hat ihren Anwalt. Durch den könnte sie vor Gericht öffentlich machen, was sie Monate vor dem letzten Beischlaf ihrem Hans geschrieben hatte: Hans, weißt Du noch die Nacht vom 12. auf den 13. Mai, als Du neben mir im Bett lagst und mir diese furchtbaren Sachen gestanden hast – mit den KZs und der Ermordung von Menschen und so? Guck an: Die Shoah als Betthupferl! Du hast mir empfohlen, mich unbedingt scheiden zu lassen. Und jetzt merke ich, dass Du nur wegen Lilly die Scheidung willst. Vaters widerwärtiges Manöver hat Mutter trefflich durchschaut. Sein Antwortbrief auf ihren ihn entlarvenden Nikolaus-Namenstag-Brief, war am 12. Januar 1943 kurz, hilflos und dennoch ein kleiner Prankenhieb gegen die ungeliebte Ehefrau: Er trug als Absender Garmisch, woselbst die Mutter von Lilly ein Haus besaß, in dem sich das Liebespaar oft aufhielt:
Liebe Brigitte!
In Deinem Brief übermittelst Du mir die merkwürdigen Anschauungen, die schon so oft mein Entsetzen erregt haben. Ich handle – glaube es mir doch endlich – in vollem Bewusstsein. Willst Du Deinen Kindern den Vater erhalten – dann beschwöre ich Dich, auf mein lebensdringendstes Ersuchen einzugehen. – Bevor alles zu spät ist –
Hans
Mit süß geschwächten Lenden und durch Lilly zur Scheidung geistig gestärkt, fährt er in seinem Salonwagen zurück zu seinem Dienstsitz in Krakau und schreibt ihr am 27. Januar 1943:
Liebe Brigitte.
Es bleibt nur der Dir von mir so dringlichst nahegelegte Schritt. Ich kann nicht anders, sollte ich mich nicht völlig aufgeben und damit ohnedies alles verloren sein. In dieser entsetzlichen Zeitepoche, da ganze Welten sich neu formen, muss ich dem Schwersten mich bereithalten. Lass uns in Frieden den formalen Schritt der Scheidung gehen. Die fünf Kinder können nur dann ihren Vater bewahren.
Ich stehe im Ablauf meiner Kämpfe. Meine Zeit ist um. Ich schreite der ewigen Sonne zu. Jeder ist unglücklich, der mir jetzt zugehört. Rette die Kinder! Ich beschwöre Dich!
Hans
Viel falsches Pathos, viel Druck von Lilly und eine Prise Realität, wenn er schreibt, dass er im Ablauf seiner Kämpfe stünde und jeder unglücklich sei, der ihm angehöre. Es ist wahr: Mit dem Unglück, ihm anzugehören, mussten sich die fünf Kinder ein Leben lang herumplagen.
Merkwürdigerweise müsste er doch auch Lilly bedauern, die ja, weil sie ihm zugehört, gleichfalls unglücklich sein müsste. Doch weit gefehlt. Kaum ist der Brief an seine Frau beendet, schreibt er mit Lust an seine große Liebe:
Meine Lilly – meine über alles geliebte Lilly!
Bitte bleibe mir gut. Ich liebe Dich bis in das tiefste Mark meines Lebens. Die letzten Tage waren für mich wieder in all’ meinen wilden Kämpfen eine so unsagbare Qual und mühevolle Belastung, dass ich am Telefon wie geschlagen war. Du, meine Lilly! Du mein Alles! Bei Dir bin ich daheim! Bleibe mir! Bleibe mir! Harre noch wenig aus!
Herzinnigst
Dein Hans
DER TIEFPUNKT EINER HOHEN LIEBE
Es ist Brigitte, die ihrem Hans diese unsagbare Qual bereitet, sodass er die drängende Lilly immer wieder beruhigen muss. Also spitzt er seinen Scheidungsanwalt Kuglstatter an, der am 11. Februar 1943 aus München seiner Noch-Ehefrau diesen unglaublich hochnäsigen Brief schreibt:
Sehr verehrte gnädige Frau!
Gnädige Frau stellen sich offenbar auf den Standpunkt, das Verhalten Ihres Mannes sei schwankend und Ihnen und den Kindern gegenüber ein Unrecht, berufen sich auf eine 17-jährige Ehe und sind nicht zuletzt darauf bedacht, die durch Ihren Mann erworbene Stellung als Ehefrau einer der führendsten Persönlichkeiten unter allen Umständen zu erhalten. Ihre nachweisbare Äußerung, dass sie lieber die Witwe als eine geschiedene Frau eines Ministers sein wollen, bestätigt diese letztere Annahme.
Gnädige Frau übersehen aber dabei die besonderen Umstände, die zu dieser Ehe geführt haben und die Tatsache, dass Ihr Mann 17 Jahre an einer Ehe festgehalten hat, obwohl er seelisch vor allem wegen der grundlegenden Verschiedenheit der Naturen auf das schwerste darunter gelitten hat. Sein Leben hatte alle diese Jahre hindurch keine Erfüllung. Trotzdem war er Ihnen gegenüber immer ritterlich und wurde Ihren Ansprüchen stets gerecht. Sie selbst wissen, dass Ihr Mann eine maßlose Vitalität und Schaffenskraft besitzt, die ihm die Möglichkeit gibt, für Führer und Volk das Höchste zu erreichen. Nach schwerstem Kampf mit sich selbst hat sich Ihr Mann zu dieser letzten Entscheidung durchringen müssen, um sich vor einer lebenslänglichen maßlosen Leere und Vereinsamung zu bewahren. Wie er Ihnen bereits mitgeteilt hat, muss sein Leben entweder neu beginnen oder enden. Schon allein diese Tatsache wird Sie bei einigermaßen vernünftiger Überlegung erkennen lassen, worum es geht. Ihr Hoffen auf eine Rückkehr ist daher völlig aussichtslos. Er muss, das verlangt jetzt das Geschick des Reiches, in die Lage versetzt werden, auf der Grundlage eines neuen privaten Lebens mit letzter Kraft und den ihm in seltener Weise gegebenen Fähigkeiten ruhig und gemessen dem Führer und dem Vaterland dienen zu können.
Mit besten Empfehlungen
Heil Hitler!
Ihr sehr ergebener
Dr. Kuglstatter
Vater muss dieses ekelhafte Dokument seiner Selbstbeweihräucherung gesehen, am Ende vielleicht sogar diktiert haben. Brigitte schickt ihm am 21. Februar 1943 eine Stellungnahme, deren erste Zeile schon große Raffinesse zeigt, denn gleich soll der Adressat ob ihres maladen Zustands einen Stich bekommen:
Die Maschinenschrift bitte ich zu entschuldigen, da ich heute nicht anders schreiben kann.
Hans, nein das kann nicht sein, das darfst und wirst Du Dir, mir und Deinen Kindern nicht antun, dass Du mich vor die Schranken des Gerichts bringst. Unendlich litt ich während dieser 10 Monate, aber nach jeder noch so großen Leidensstation warst Du wieder da, kamst wieder zurück, beteuertest Dein Glück, und ich konnte mir wieder Kraft holen. Nun aber stößt Du mich von Dir und lieferst mich der Öffentlichkeit aus. Du ließest mir durch Deinen Anwalt schreiben, Du hast 17 Jahre unter einem schweren Familienschicksal gelitten. Hans, lese Deine Briefe vom Kriegsbeginn! Weiter sage ich nichts! Diese schönen Briefe, die mich so beglückten, sie wanderten nun zur Photokopie. Und das – nur uns beide Angehende – muss nun vors Gericht gezerrt werden.
Nun stelle ich mich als Bürgerin unter den Schutz des deutschen Rechtes, und da ich mit einem Mann des Rechts seit fast 18 Jahren verbunden bin und von ihm 5 Kinder habe, werde ich mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln dieses mein Recht fordern und für uns alle kämpfen bis zum Letzten, damit ich einst vor meinen Kindern und meinem Gewissen sagen kann: »Ich habe alles getan, um den Kindern das Vaterhaus zu erhalten.« Ich bitte Dich, bringe keine Hassgefühle gegen mich auf. Ich tat Dir doch nichts. Ich liebe Dich ja. An dem Tage, an dem Du mich aber vors Gericht stellst, mich hilflos der Öffentlichkeit auslieferst, will ich mit letzter Kraft versuchen, um Dich zu kämpfen. Ich betrachte dies für eine heilige Mission, die ich zu erfüllen habe.
Was die heilige Missionarin nicht wusste: Lilly bekam sogar von Hitler selbst die große Chance, ihre Jugendliebe Hans endgültig zu erobern – aber das wird sie von Hans, diesem Feigling, nie erfahren.
Am 3. März 1943 liest nämlich Hans das entscheidende Telegramm aus dem Führerhauptquartier. Er hatte doch tatsächlich Hitler seine Scheidungsakten zuschicken lassen. Nicht wissend, dass ihn auch Brigitte mit rührendem Familienfoto und erschütterndem Brief belatscherte.
Meine Geschwister und ich waren im Bewusstsein aufgewachsen, dass Hitler unserem Vater die Scheidung »bis nach dem Krieg« verboten hätte. Doch der Führer war geborener Österreicher, der also den Schmäh kannte und ihn hin und wieder zwischen seine Vernichtungspolitik setzte. Mitten im blutigsten Krieg diktierte er seinem Intimus und Sekretär Martin Bormann einen Text, von dem er wusste, dass er wieder einmal den hündischen Charakter seines Gefolgsmanns Frank offenbaren würde. Ich kann mir sogar vorstellen, dass er grinsend zu Bormann geschnarrt hat: »Wetten, Bormann, dass er die Scheidung nicht mehr will?«