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Das Telegramm lautete:
Der Führer hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass er Ihre Ehescheidungs-Akten eingehend geprüft habe und dass er danach sich nicht mehr in der Lage sehe, Ihnen die Genehmigung zur Scheidung Ihrer Ehe zu geben, solange Sie das Amt eines Generalgouverneurs und Reichsministers bekleiden.
Das saß! Was für eine Pleite für meinen Vater! Sich jetzt entscheiden zu müssen zwischen Schloss, Burg, Mercedes, Titel eines Generalgouverneurs, Titel eines Reichsministers – und einer wiedergefundenen Jugendliebe, die sogar älter war als er, wenn auch nicht fünf Jahre wie Brigitte, sondern nur drei, aber immerhin drei!
Ohne Amt und Macht würde ja das Hohle seines Charakters total nackt aufscheinen! Was hatte der Ur-Nazi Otto Strasser am 27. März 1931 über ihn verlauten lassen?: »Rechtsanwalt Dr. Frank II ist ein eitler und gewissenloser Streber.« Oder wie ihn sein Schulkamerad Karl-Heinz Becker schon als Jugendlicher durchschaut hatte. In seinen »Erinnerungen« charakterisiert er Hans Frank so: »Er war ein mäßig begabter, wegen seiner unaufrichtigen Freundlichkeit unbeliebter Mitschüler. Noch sehe ich ihn in unserer grünen Wehrkraftuniform im Fahrtenquartier 1915 als Vierzehnjährigen bei einer einfachen Allgäuer Familie, auf die er mit einer mich beängstigenden Sicherheit und Gewandtheit einredete, auf dem Sofa sitzen, vor sich einen riesigen Gugelhupf, den er für zu Hause erhamstert hatte.«
Unvorstellbar, dass der Hamsterer sein Herrscherleben in Polen aufgeben könnte. Allein schon seine Adresse: Herrn Generalgouverneur, Burg, Krakau!
Wo unterhalb der Burg doch alles seinen geordneten Gang nahm, wie die Anweisung für die Durchführung von Exekutionen seines Höheren SS-und Polizeiführers Krüger mit einem so menschlichen Schlusssatz und zugleich so humorig deutsch kundtat: Ferner erinnere ich in diesem Zusammenhang an den persönlichen Wunsch des Reichsführers SS, dass die Exekutionskommandos nach der Exekution einer Zerstreuung mit geistig wertvollem Inhalt zuzuführen sind.
Das alles aufgeben? Nicht von Hans Frank, dem Gugelhupfesser. Sollte er etwa die Ikone im Schoberhof aufhängen müssen, die ihm Hitlers Adjutant Fritz Wiedemann am 17. Oktober 1935 zustellen ließ? Anbei das von Ihnen für Ihren Schreibtisch in Ihrem neuen Arbeitszimmer erbetene Bild des Führers mit Unterschrift.
Mit deutschem Gruß!
Jetzt schmückte es natürlich sein Arbeitszimmer auf der Burg zu Krakau.
Nein, er würde dieses herrliche Generalgouvernement seiner geliebten Lilly vorziehen. Zumal die ja nicht allein für sein Lendenwohl sorgte, wie aus Mutters Abschrift vom 9. März 1941 hervorgeht. Ohne sich offensichtlich um meinen zweiten Geburtstag zu kümmern, schreibt sie mit doppelter Klammersetzung den Teil eines um Verzeihung flehenden Briefes von Hans an sie ab: (da rechtfertigt er sich einer von mir bezichtigten Untreue wegen. Allerdings handelte es sich um seine Sekretärin Helene, von der ich mehrere Liebesbriefe besitze, die mir seine Untreue leider bestätigen.): »Ich bin ein alter Stimmungsschwärmer. Das weißt Du. Aber ganz Dein. Nur Dein … Dich umarme ich in herzlichster Liebe und Verehrung: Bleib immer gut zu Deinem alten »Sorgenkind«, dem umworbenen »Meister«.
Hans
Eben: Helene! Das laut Major Kelley ältliche Frauenzimmer, das ihm doch so schmachtend anhing. Und die er deshalb vor allem für Quickis auf der Burg abnutzen konnte. Die würde er ja dann auch verlieren. Wohin dann zwischendurch mit seinem strammen Glied? Nee, nee, mein Generalgouvernement, diesen Pfuhl der Sinnlichkeit und Pracht – na gut, auch mit ein paar Verbrechen gegen die Menschlichkeit a bisserl besudelt – geb ich nicht her. Also belog er seine Lilly, dass sie leider noch bis zur siegreichen Beendigung des Krieges warten müsse. Davor wolle Hitler keine Scheidung.
Merkwürdigerweise: Seiner ihm so lästig gewordenen Ehefrau Brigitte offenbarte er den wahren Inhalt von Bormanns Telegramm, allerdings erst viele Monate später. Mutter muss bei diesem Geständnis mit größter Minenkraft ihr allseits gefürchtetes überlegenes Lächeln unterdrückt haben.
Doch bevor sie davon erfuhr, bewegen Brigitte – auf einem Meer von Blut übrigens, das derweil von Unschuldigen im Generalgouvernement Tropfen um Tropfen gefüllt wird – ähnliche Gedanken wie Hans: Wenn ich diese Knallcharge von Ehemann freigebe, wie kann ich dann noch auf Schlössern und Burgen herrschen, im Ghetto Einkaufen fahren? Da hab ich dann zwar den Schoberhof und sicher eine üppige monatliche Apanage, aber dazu leider diese anstrengenden Nichtsnutze von Kindern. Wo bleiben dann die Staatsbankette? Die Lobhudeleien der Neuhauser? Das untertänige Verhalten aller meiner Freundinnen aus meinen Tagen als Sekretärin?
Also dreht sie die Garrotte wieder enger um die Seele ihres Ehemanns, pestet im April 1943 ohne Datum und ohne Anrede:
Ich glaube, Du erkennst nur noch eine Autorität an, und das ist der Führer, das wäre der Einzige, der Dich auf den Weg Deiner Pflicht bringen könnte. Stattdessen hast Du Sorgen, die L. wieder zu befreien von ihrer Dienstverpflichtung und schreibst sogar persönlich an Herrn Sauckel und reklamierst sie als Deine Sekretärin. Dann scheinst Du nur immer wieder nachzusinnen, was Du uns alles noch antun könntest. Mein Gott, was ist aus Dir geworden? Oder warst Du wirklich immer so? Habe ich Dich nur falsch gesehen? Habe ich Deine Genialität zu hoch eingeschätzt und Dich deswegen charakterlich nicht richtig beurteilt?
Nach alledem, was ich jetzt Grauenvolles über Deinen wirklichen Scheidungsgrund hörte, kann ich auch Deinen Brief v. 15. September 42 verstehen, in dem Du mich beschworst, nicht in das Lager Deiner Todfeinde zu gehen. Ich wollte ja nur zu Bormann oder Himmler gehen und fragen: »Was hab ich getan, wessen klagt man mich an?« Bin ich doch zutiefst verzweifelt gewesen über die immer wieder auftauchenden Gerüchte, die Scheidung werde von oben gewünscht, ich habe irgendwelche Geschäfte mit Pelzen und Juwelen mit Lasch gehabt usw. Ja, ebenso gut hätte man ja von mir behaupten können, ich habe einen Menschen umgebracht. Später glaubte ich dann den Schlüssel zu Deinem Verhalten gefunden zu haben, als man mir sagte, Du selbst habest damals im Hauptquartier gesagt: »Daran ist meine Frau Schuld, ich werde mich von ihr trennen.« Dies kann Dir nur Deine Lebens- oder Todesangst eingegeben haben, denn das tatest Du wider besseres Wissen.

Hans Franks Mutter Magdalena, geb. Buchmayer.
Ich kenne Deine schnelle impulsive Art und auch Deine Methode, allem Unangenehmen aus dem Wege zu gehen.
Ich will den Kindern den Vater erhalten und bete täglich an den drei Bettchen der Kleinen für Dich. Du kannst es gebrauchen! Ich bin so fest davon überzeugt, dass die Stunde nicht mehr allzu ferne ist, wo Du einsehen wirst, dass ich stets Dein bester Freund war und bin. Möge es dann nicht zu spät sein!
Und das wirst Du niemals von mir erreichen, dass ich mit Quittungen belegen werde, was ich für die Kinder usw. ausgebe. Und nicht genug damit! Du verlangst sogar, dass ich eine Summe, die sich aus den Monaten November, Dezember und Januar zusammensetzt und die schon lange vor Deiner Klageeinreichung in Deinem Besitz und von Dir wie immer genehmigt wurde, nachträglich detaillieren soll, was davon für die Kinder und was für mich ist. Aber dies alles entspringt wohl mehr aus den Ratschlägen Deiner Mutter und Schwester, vielleicht auch der Frau L. G., die mir ja hat sagen lassen, sie würde immer schauen, dass wir keine Not zu leiden hätten.
Das Leben ist der Güter höchstes nicht,
Der Übel größtes aber ist die Schuld.
Brigitte
Meine verwundete Mutter konnte scharf zurückschlagen. Sie wusste wahrlich, Menschen zu sezieren. So auch diese drei bösen Frauen: Hans’ Mutter, seine Geliebte Lilly, seine Schwester Lilli! Was für eine abgrundtiefe Bosheit gehört doch bei der Geliebten dazu, die hoffentlich bald verlassene Ehefrau wissen zu lassen, sie würde nie Hungers klagen müssen!
Fazit für den von Schmäh-Hitler gebeutelten Hans: Er muss verärgert und enttäuscht zu ihr zurückkehren, was er ihr auf amtlichem Briefbogen kundtut, damit es des Privaten ja nicht zu viel wird:

Hans Franks Schwester Lilli.
DER GENERALGOUVERNEUR Krakau, Burg den 16. Juli 1943
Liebe Brigitte!
Unter dem Eindruck der außerordentlichen Zeit und meines sich mählich beruhigenden Innenlebens möchte ich mit Dir gerne über die Normalisierung unserer Beziehungen sprechen. Frau L.G. hat sich von mir getrennt. Auch ich bin nun zu der Überzeugung gekommen, dass angesichts des außerordentlichen Ernstes der mir gestellten Aufgabe und der Notwendigkeit der völligen Bereinigung unseres familiären Zustandes unsere beiderseitigen Beziehungen sich der Regel beugen. Wenn auch in diesen stürmereichen Monaten vieles geschah, was die Wirkung haben konnte, uns für alle Zukunft zu trennen, so musst Du auch das Außerordentliche bedenken, was über mich in diese Zeit hereingebrochen ist.
Ich kann mich vielleicht Ende dieses Monats auf einige Tage freimachen und wäre dankbar, wenn Du mit mir in München zusammenkommen könntest.
Wir können dann über alles in Frieden und Harmonie sprechen.
Bis dahin begrüße ich Dich herzlichst als
Dein Hans
Und wo bleiben wir fünf Kinder? Will er die nicht sehen? Hat er keine Sehnsucht nach Ihnen? Der Schoberhof liegt nur 65 Kilometer von München entfernt. Was für eine Bereinigung unseres familiären Zustands? Da ist keine Reue, da ist keine neu aufgeflammte Liebe zu den Seinen.
Die Ehe blieb bestehen, die Partner lebten verbissen getrennt.
NOCH EINMAL DIE SAU RAUSLASSEN
DER GENERALGOUVERNEUR
Krakau (durchgestrichen) Burg (ab hier handschriftlich:) 18. I. 1945
Liebe Brigitte!
Dieser Brief zeigt Dir, dass ich gut und lebend im letzten Augenblick aus Krakau herausgekommen bin. Alle unsere deutschen Menschen konnte ich retten: Es war ein furchtbar ernstes Arbeiten.
(Nach Ende des Briefs:)
Ich werde Euch viel Interessantes erzählen. Alle Sachen sind gerettet.
Vorgestern hatten wir noch unsere große Regierungssitzung auf der Burg zu Krakau!
Dieses erste Fluchtzeichen ihres vielfach hörnenden Gatten kennt Brigitte noch nicht, als sie ihm am 10. Januar 1945 nach Krakau schreibt:
Lieber Hans!
Die Freude, die die drei Kinder beim Empfang Deiner Briefe hatten, kannst Du Dir nicht vorstellen! Und dann die Fragerei: »Mutti, sag mal, ganz ehrlich, welcher Brief gefällt Dir am besten?« Niki stellte dann fest, dass sein Brief doch der schönste sei, denn der an Michel sei wie an einen Menschen geschrieben, der seine wie an ein Kind. Die beiden stritten dann miteinander, weil Michel behauptete, das verstünde Niki nicht, da sei er noch zu klein. Und Gitti sagte: »Mutti, glaubst Du, den Brief gäb ich nicht für 1000 Mark her.« Dann rannten sie mit den Briefen nicht nur im Haus, sondern auch in der weiteren Nachbarschaft mit herum.
Ich denk mir jetzt oft, wie verlassen ich schon wäre, wenn nicht noch die drei Kleinen nachgekommen wären! Ach, gestern war es wieder mal mit ihnen köstlich. Woher sie die Gräuelmärchen hatten, weiß ich nicht. Auf jeden Fall malten sie sich alle aus, was sie täten, wenn die Russen kämen. Michel hatte die abenteuerlichsten Ideen, und hat mit größter Rhetorik seine Pläne entworfen. Das war Wild-West. Gitti versteckt sich im unterirdischen Gang, der von Frau Schlegel zur Burgruine führen soll. Michel zerstörte ihr dies wieder durch große Schwarzmalerei. Die Feinde würden auch zu Frau Schlegel gehen, und durch den Gang kommen, nachdem sie natürlich erst mal Frau Schlegel erschossen haben. Niki dagegen war erst für das Uhrkästchen in der Bauernstube, das ja tief herunter ginge. Als ihm Michel aber auch da keinen langen Aufenthalt versprach, weil er verhungern würde, sagte er so treuherzig: »Dann rufe ich einfach den Vati in Krakau an und sage ihm, dass die Russen hier sind, und er soll doch gleich von seinen vielen Wachen welche herschicken. Michel meinte daraufhin, das Telefon ginge nicht mehr, weil die Feinde die Drähte zerschnitten hätten, und wenn die Russen hier wären, wärst Du ja auch hier und so viel Soldaten hättest Du auch nicht, dass Du uns noch welche schicken könntest. Darauf Niki: »Dann rufe ich eben, bevor die Russen kommen, den Führer an, und der lässt mich dann mit Soldaten abholen, und der hat ja viel Soldaten, und dann bleibe ich bei ihm, bis der Krieg wieder vorbei ist, denn dem Führer dürfen sie doch nichts tun, und er wird mich auch dortbehalten und mir was zu essen geben.« Dieses »Nicht dürfen« wollten Michel und Gitti auch nicht gelten lassen, aber Niki blieb bei seinem letzten gefassten Entschluss und wies alles weitere zurück. Am Sonntag fand hier die zweite Geburtstagsfeier statt u. a. mit Frau Meissner, Frau Oberlindober und 3 Dir unbekannten Damen.
Es muss dieser Tag gewesen sein, an den sich Gittis Freundin Annelies noch heute erinnert. Sie spielte mit Gitti vor deren Zimmer im 1. Stock des Schoberhofs auf dem Balkon, und sie hörte von unten, wie sich die Damen bei herrlichem Sonnenschein kaffeetrinkend angstvoll ausmalten, was aus ihnen wohl werde, da ja der Krieg verloren sei.
Es war sehr schön, und von Deinem guten Hasenbraten waren sie alle sehr angetan, als dann der fürchterliche Angriff auf München begann. Blutrot war der Himmel bis zum Morgengrauen. Nun ist wohl auch der Rest unseres schönen geliebten Münchens dahin. Man kann nun nach München überhaupt nicht mehr telefonieren. Drei Stunden währte der Angriff. Erst warfen sie fast ausschließlich Brandbomben und beim zweiten Anflug auf das brennende München die neuesten Sprengbomben, die gleich ganze Straßenzüge umlegten. Man geht an solchen Tagen wirklich beschämt schlafen, während man an die armen Städter denkt, die auf der Straße sitzen. Ach, es ist eine so grauenhafte Welt, und es wird wohl nicht besser werden, bis es die Menschen werden. Denn das ist ein Gottesgericht.
Am 17. Januar verließ Hans Frank seine hinreißende Adresse in Krakau und flüchtete mit seinen letzten ihm Verpflichteten zunächst in Freiherr von Richthofens Schloss zu Seichau. Was die Herren und die als Dame anwesende Helene Kraffczyk dort anstellten, lässt mich schaudern. Mein Vater hatte mindestens einen Lastwagen mit Kunst aus Polen dabei, darunter zwei Rembrandts, einen Raphael und Leonardo da Vincis Gemälde »Die Dame mit dem Hermelin«, die übrigens für mich, als es noch beim Vater in dessen Büro auf der Krakauer Burg hing, immer eine Ratte war, ich meine den Hermelin. Ich mochte das Bild nicht. Vater schon. Seichau war schon zuvor mit Kunst aus dem Generalgouvernement gestopft worden, wie das Protokoll Schloss Seichau 12. 10. 44 ausweist, dazu ein Hinweis, wie sorgfältig doch die deutsche Herrenrasse, die sich immer so viel auf ihr Kunstverständnis einbildete, mit Kunst umzugehen pflegte: Heute am 12. Oktober 1944 um 10 Uhr Vormittag wurde die Kiste Nr. BA 102 als zweite der die graphischen Sammlungen enthaltenden Kisten geöffnet. Bei der Sichtung ergab sich, dass die meisten Blätter aneinanderklebten, das Paket faulig und schimmlig roch. Die vorgefundenen Qualitäten der Handzeichnungen lassen darauf schließen, dass die etwa 100000 Blatt enthaltende Sammlung einen Wert von vielen Millionen besitzt, was die Restaurierung und Katalogisierung der Sammlung als notwendig erscheinen lässt.
In Seichau lässt mein Vater noch ein letztes Mal die Sau raus. Selbst die 4. Panzerarmee kommt wohl ins Stocken (auf ihrem Rückzug nehme ich an!), als deren Oberkommando an einen Major Hess am 6. Februar 1945 schreibt: Mehrfach wurde mir von Seiten der Partei und der Zivilbevölkerung über das unglaubliche Benehmen der Regierung Frank des G.G. in ihrem Ausgleichquartier, Schloss Seichau, sowie über ihre feige Flucht Beschwerden vorgetragen. Aus den Vernehmungen ergab sich, dass die umlaufenden Gerüchte über die verschwenderischen Exzesse und überhastete Flucht tatsächlich zum größten Teil auf Wahrheit beruhen. Neben vielen Kunstschätzen, großen Mengen an Trink- und Esswaren blieb ein Achtzylinder (Spez. Mercedes-Kompressor in Luxus-ausführung) und sogar geheime Akten und Presseinformationen wahllos liegen.
Das war sicher mein Lieblings-Mercedes! Darin gefahren zu werden, war mir das Höchste! Und Vater lässt ihn dort einfach stehen, ohne an mich zu denken. Heute wäre er sicher eine Million Euro wert. Der jetzige Besitzer möge sich bitte bei mir melden, damit ich noch einmal darin fahren kann.
Zu Recht empörte sich unter Geheim Elisabeth Matschewsky, die Wirtschafterin der Richthofens, am 2. Februar 1945: Mitte Januar kam der Generalgouverneur Dr. Frank und nahm mit seinem Gefolge Quartier im Schloss.
Die Dienststelle bezog den Nordflügel und die untere Etage des Schlosses. Es wurde hier auch eine eigene Küche zur Verfügung gestellt. Mir fiel besonders auf, dass die überreichlichen Vorräte an Lebensmitteln und Spirituosen vergeudet wurden. Überall lagen Lebensmittel herum, der Koch machte das Frühstück erst um 11 Uhr. Um 9 Uhr schlief der Diener noch. Besonders reichlich muss der Alkoholverbrauch gewesen sein, da überall leere und halbleere Schnapsflaschen in allen Zimmern und Ecken herumlagen.
Selbst die täglichen Gebrauchsgegenstände wie Waschzeug usw. blieben zurück.
Große Mengen Porzellan, viel Silbersachen und Wäsche, die auch liegen gelassen wurden, haben die anschließend hier untergebrachten Flüchtlinge mitgenommen.
Was Mutter und wir Kinder später in diesem Jahr, nachdem wir aus dem Schoberhof rausgeworfen worden waren, dringend als Tauschobjekte für Lebensmittel gebraucht hätten, hat unser Popanz (wie er in Berlin auch genannt wurde) einfach neben meinem Mercedes obendrein zurückgelassen, wie diese Abschrift zeigt: 3 Kisten Bestecke, 14 Schreibmaschinen, 3 Pakete Kunstmappen, 1 Zimmer mit Kunstgegenständen, 1 Liegestuhl.
Der Herr Generalgouverneur hat seine Verzweiflung in Alkohol ertränkt: kein eigenes Reich mehr! Nur noch Reichsminister ohne Portefeuille! Nur noch den Schoberhof als Rückzugsquartier. Sicher hat er im Suff auch mit seiner vergoldeten Pistole herum geschossen, lallend immer wieder seinen Führer ebenso hochleben lassen wie dessen Wunderwaffen, von denen alle schwärmten. Andererseits muss es in ihm gepocht haben: Jetzt, wo ich kein Generalgouverneur mehr bin, kann ich doch endlich Lilly heiraten!
»Alle heben jetzt ihr Glas, und wir trinken gemeinsam auf die große Liebe meines Lebens, auf meine Lilly!« Alle soffen aufs Wohl und vergaßen mit immer höheren Promillewerten im Blut ihre desolate Lage. Mich erinnert das immer an die letzte Abend-Tafel der Nibelungen auf Krimhilds und Etzels Burg, bevor die allgemeine Metzelei begann.
Doch die Nibelungen waren Ehrenmänner.
Bei aller Völlerei vergaß mein Vater nicht die Kultur. Zum einen besuchte er zwischendurch, halbwegs nüchtern, seinen verehrten Freund Gerhart Hauptmann in dessen Agnetendorf, zum anderen, wie mir Jahrzehnte später sein Chauffeur Schamper berichtete, ließ er des Nachts die kostbarsten Kunstwerke in einem speziellen Lastwagen verstauen, sodass er später in seinem Dienstsitz im Neuhauser Josefstal seinen von ihm so benannten »Andachtsraum« einrichten konnte: Dort hingen dann die zwei Rembrandts, der Raphael und Leonardo da Vincis Dame mit der Ratte.
»RACHE FÜR UNSERE GRAUSAMKEITEN«
Während sich ihr Vater die Zukunft genehm soff, machte seine älteste Tochter eine damals typische Reise durch ein zusammenbrechendes Reich. Am 3. Februar verfasst sie den für mich eindrucksvollsten Brief ihres Lebens, weil er nicht nur einen Blick in ihre – durch den Verlust ihrer großen Liebe, den Doktor, wie sie ihn im Brief nennt – verwundete Seele gibt, sondern auch die damaligen Zustände und Menschen glänzend beschreibt:
Meine liebe Mutti!
18 Tage habe ich nun auf der Eisenbahn zugebracht. Für Strecken von 100 km waren wir 3 Nächte und 2 Tage unterwegs. Wir hatten ein Öfchen im Abteil, und die nötigen Kohlen klauten wir uns dazu. Alle Fenster waren kaputt, und wir verbauten die Fensterhöhlen notdürftig mit Matratzen. Während der ganzen Fahrt kamen wir nicht aus den Mänteln, und Waschgelegenheiten konnten nur selten aufgetrieben werden. So wurden wir mit der Zeit die reinsten Mohren. Als wir endlich an unserem Bestimmungsort anlangten und eine ganze Nacht auf den zugigen Bahnsteigen als Gepäckwachen zugebracht hatten, stürzten wir dann sofort in die nächste Fabrik, um uns dort im Waschraum wieder halbwegs zu reinigen. Noch nie bereiteten mir heißes Wasser und Seife und anschließend frische Wäsche solche Freude und riefen in mir ein so wohliges leichtes Gefühl hervor, wie damals. Nach nochmaligen langen Warten konnten wir endlich todmüde unser Quartier beziehen, und nachdem wir unsere Strohsäcke gestopft hatten, schliefen wir – viel, mehr wollten wir schlafen, denn in dieser Nacht kamen unangemeldet Verwundete in unsere Schule, und wieder hieß es packen und zum Bahnhof marschieren. So geht es immer hin und her, und langsam rücken wir immer näher der Heimat. Von Vati erhielt ich einen Brief. Er ist glücklich in Seichau gelandet, und ich war so froh, dass es ihm gut geht. – Ach Mutti, ich bin so unglücklich! Vom Doktor habe ich noch keine Nachricht. Ich weiß gar nichts von ihm. Posen ist eingeschlossen. Die Stimme des Radiomannes ist mir furchtbar: »Die Besatzung Posens verteidigt heldenmütig!« Ach, liebe Mutti, ich bin so traurig, an nichts anderes kann ich mehr denken. Ich hab ihn ja so lieb! Überall hier ist Elend und Flucht – wie überhaupt nirgends etwas Tröstliches zu finden ist. Keine Arbeit haben wir. Immer nur rumsitzen und denken müssen. Ach ich möchte nur noch einmal seine liebe Stimme hören, aber ich weiß ja recht gut, dass auch, wenn ihm nichts passiert, zwischen uns alles aus ist. – Ich kann meine Kameradinnen nicht verstehen, während ich heulen könnte und verzweifle, nicht nur wegen meines persönlichen Kummers, so sitzen jene und lachen, rennen ins Kino und flirten mit Soldaten. Vielleicht wäre es besser, auch so zu sein wie sie, über einem letzten Rausch noch einmal das Leben in vollen Zügen zu genießen und die Gegenwart zu vergessen. Aber ich kann es nicht. Ich kann auch nicht mehr beten, was kann und darf Gott uns helfen. Eine sehr einstimmige Meinung herrscht hier über die Folgen und Ausmaße des jetzigen Krieges, besonders sehen alle darin die Rache für unsere Grausamkeiten den Juden gegenüber. Man wundert sich sehr. Sie rufen Heil Hitler!, hören gespannt die Hitlerreden, und die meisten von ihnen haben doch einen sehr klaren Blick. Vor einigen Tagen ging das Gerücht, wir würden alle auf Nimmerwiedersehen entlassen werden. Aber es stellte sich dann heraus, dass wir zum größten Teil gar nicht nach Hause fahren können, da die Russen zwischen uns und der Heimat stehen. Ich bin gar nicht weit von Seichau entfernt, aber ich darf nicht zu Vati fahren und möchte es auch nicht sehr gern. Ich könnte nicht mit Vati jetzt über Dinge sprechen, die mich nicht im Geringsten mehr interessieren. Mein einziges Ziel, auf das all meine Gedanken gerichtet sind, ist nur noch, den Doktor und Euch alle noch einmal gesund beisammen zu sehen und eine glückliche Zukunft vor Augen bei Euch sein zu können. Ich bin völlig verlaust und sehr erkältet. Aber das alles ist ja so nebensächlich.