Seewölfe - Piraten der Weltmeere 620

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Diese Waffen waren für sie vom Äußeren her furchterregender als die Feuerrohre. Letzteren sah man in unbenutztem Zustand nicht an, welche todbringende Wirkung sie hatten. Beim Anblick dieser Säbel aber konnte man sich genau vorstellen, welche grauenhaften Schmerzen sie verursachten, wenn sie einen Menschen durchbohrten.
Willenlos ließen Shoara, Riala, Mirimi und Koe es geschehen, daß der strähnenhaarige und der dicke Mann ihnen die Handgelenke auf dem Rücken zusammenschnürten. Einen längeren Strick verwendete Kidd und Rosebery dazu, den Gefangenen die Fußgelenke aneinanderzubinden, wobei ihnen jeweils zwei Yards Abstand voneinander blieben.
Auf Greys Anweisung übernahmen Kidd und Rosebery auch die Aufgabe, den toten Algonkin-Jungen ins Gebüsch zu schleifen und die Spuren zu verwischen. Die beiden Männer weideten sich an den fassungslosen Blicken der Mädchen, die noch immer zu jener Stelle starrten, an der die Leiche nun bestenfalls noch durch wilde Tiere gefunden werden konnte.
Sir William Godfrey und seinen Verbündeten war unterdessen klar geworden, warum die Indianerinnen nicht den Versuch unternommen hatten, zu schreien. Das Dorf, aus dem sie stammten, war zu weit entfernt, als daß man sie hätte hören können.
Sie führten ihre Gefangenen in eine Waldschneise an der Westseite des Maisfeldes. Taffe und Gordon unterstützten Kidd und Rosebery dabei, nun auch die letzten Fußspuren auf dem Feld zu verwischen. Die wenigen umgeknickten Pflanzen würden kaum auffallen und konnten im übrigen auch von Tieren in diesen Zustand versetzt worden sein.
Schließlich gab Sir William das Kommando zum Abmarsch. Atkinson Grey übernahm die Führung durch die Sumpfwälder und Flußniederungen. Jameson Kidd und Spencer Taffe folgten ihrem Anführer mit schußbereiten Pistolen. Solange sie das Schiff nicht erreicht hatten, fühlten sie sich nicht sicher.
In diesem tückischen Gelände, das hatten sie gelernt, mußte man ständig nicht nur mit den Gefahren der Natur rechnen, sondern auch mit jenen Ureinwohnern, die sich so trefflich darauf verstanden, die Vorteile der wildwuchernden Pflanzenwelt zu nutzen.
Die gefesselten Algonkin-Mädchen gingen hinter Grey, Kidd und Taffe. Ihnen folgten Sir William Godfrey, Frank Davenport und Alec Morris mit schlendernden Bewegungen, als befänden sie sich auf einem Spaziergang. Ständig sahen sie sich dabei nach allen Seiten um und setzten interessiert-beeindruckte Mienen auf, womit sie den Kerlen zu verstehen gaben, daß die Botanik für Menschen mit höherem Wissensstand eben viel aufregendere Anblicke bot als drei fast völlig nackte Mädchen.
Rosebery und Gordon bildeten den Schluß der kleinen Marschformation. Ihre Aufgabe war es, nach hinten zu sichern. Wesentlich mehr strengten sie sich jedoch dabei an, ihre Blicke auf die hübschen Kehrseiten der Gefangenen zu richten.
Während des insgesamt zweistündigen Marsches ordnete Sir William dreimal eine Verschnaufpause an. Auf die verwunderten Blicke von Grey und seinen Kumpanen erklärte der Rotnasige, die Pausen seien erforderlich, um die Kampfkraft zu erhalten. Die Karavellenkerle verzichteten auf eine Erwiderung, doch die Blicke, die sie untereinander wechselten, sprachen Bände.
Schließlich erreichten sie die Bucht, in der die „Explorer“ ankerte.
Begeisterungsrufe tönten von Bord der Galeone, als die Männer und die gefangenen Indianerinnen auf dem schmalen Streifen Strand vor dem Ufergebüsch erschienen. Aus allen Winkeln der oberen und unteren Decks liefen die Siedler herbei und drängten sich an der Backbordverschanzung der Kuhl.
Zwei Dutzend Männer waren es, die sich Grey und den Adligen angeschlossen hatten, nachdem Grey und seine Kerle die „Explorer“ gekapert und Kapitän Amos Toolan sowie die gesamte Besatzung von Bord gejagt hatten. Mit Hilfe von Geiseln hatten sie sich unbehelligt empfohlen. Die Geiseln waren später, in sicherer Entfernung vom Albemarle Sound, über Bord geworfen worden.
Sollten sie weiter versuchen, ihre Siedlung aufzubauen! Sollten sie ihre Hütten weiter von den Algonkins niederbrennen lassen! Sollten sie im Winter hungern und frieren! Jene, die dageblieben waren, mußten wissen, was sie taten.
Sie vertrauten dem Seewolf, der für sie auf der Suche nach einem besseren Stück Land war. In ihrem kleingeistigen Bewußtsein drehte sich alles nur um Land. Sie waren eben vor allem Bauern, einige auch Handwerker. Die Grenzen ihres Denkens vermochten sie nicht weiträumig genug zu stecken, um zu erkennen, daß es weitaus einträglichere Tätigkeiten gab, als Felder zu bestellen oder Pflugscharen zu schmieden.
Andererseits, so überlegte Sir William, war es vielleicht gut so. Es durften eben nur die Besten nach oben streben, und von ihnen wiederum durften nur wenige die Spitze erreichen. Das Gold der Indianer war das Mittel, das den Weg zur Spitze ebnete.
Natürlich mußten jene zwei Dutzend dort auf dem Schiff und jene fünf von der Karavelle mit einem erträglich geringen Anteil abgespeist werden. Man mußte das altbewährte Prinzip anwenden: Gib deinen Untertanen das Gefühl, daß sie großzügig versorgt werden, dann werden sie dir vor Dankbarkeit um den Hals fallen und dir deinen unermeßlichen Reichtum von ganzem Herzen gönnen.
An Bord der Galeone starrten sie sich schier die Augen aus dem Kopf.
Die Algonkin-Mädchen standen mit gesenktem Kopf in ihren Fesseln und schienen die Blicke nicht zu spüren, die sie gierig abtasteten.
Sir William stemmte die Fäuste in die Hüften.
„Was steht ihr und haltet Maulaffen feil?“ brüllte er über das glatte Wasser der Bucht. „Fiert gefälligst die Beiboote und holt uns ab!“
Sie begannen, durcheinanderzuhasten und liefen sich fast gegenseitig um. Grey und die anderen von der Karavelle wechselten bezeichnende Blicke. Aus Bauerntrotteln Seeleute zu machen, war eben keine Sache von Tagen. Immerhin hatten sie aber schon gelernt, wie man die Jollen zu Wasser ließ und sie bemannte. Nachdem sich die Riemen gründlich verheddert hatten, gelang es ihnen schließlich, die Boote in Fahrt zu bringen.
Staunend betrachteten sie die Indianermädchen, die ihrerseits wiederum die klobigen Jollen geradezu furchtsam ansahen. Nur widerstrebend stiegen die Mädchen auf die mittleren Duchten des einen Bootes. Taffe und Gordon folgten ihnen zur Bewachung. In der größeren Jolle fanden die übrigen sechs Männer eben noch Platz. Das Boot lag tief im Wasser, bei Seegang wäre es im Handumdrehen vollgeschlagen.
An Bord ließ Sir William die Gefangenen auf das Achterdeck bringen und an der vorderen Querbalustrade aufstellen. Grey und die vier anderen bauten sich als Aufsichtspersonen hinter den Indianerinnen auf, obwohl dies im Grunde überflüssig war.
Shoara und ihre Gefährtinnen zitterten vor Furcht. Die Höhe und die Größe des Schiffes wirkten mehr als respektgebietend auf sie. Allein die Fremdartigkeit der Umgebung reichte aus, um ihnen tiefstes Unbehagen einzuflößen.
Sir William trat mit würdevollen Bewegungen in die Nähe des Backbordniedergangs und tat mit erhobener rechter Hand kund, daß er eine Ansprache zu halten wünsche.
Es dauerte eine Weile, bis Ruhe einkehrte. Der aufgeregte Wortwechsel auf der Kuhl handelte ausnahmslos von den körperlichen Qualitäten der Gefangenen. Wenn sich Sir William Gehör verschaffen konnte, dann allein deshalb, weil einer mutmaßte, es werde jetzt eine Art Einteilung stattfinden – wer sich wann und wo mit den fremdartigen und doch überaus hübschen Geschöpfen beschäftigen durfte. Ihr schwarzes Haar und ihre ebenmäßigen Gesichtszüge waren genauso beeindruckend wie ihr makelloser Körperbau und der Bronzeton ihrer Hautfarbe.
Die Männer schwiegen nun. Aber die meisten starrten nicht Sir William, sondern die Indianerinnen an.
Sir William Godfrey räusperte sich vernehmlich und blickte noch einmal genußvoll in die Runde. Es war lange her, daß er ergebene Zuhörer um sich geschart hatte. Diese hier, an Bord der „Explorer“, hatten zwar nicht den hündischen Blick wie es bei dem Gesinde auf seinen verschiedenen Gütern der Fall gewesen war.
Aber diese Gefolgsleute gefielen ihm dennoch nicht schlecht. Sie waren ebenso versessen darauf, ihr Ziel zu erreichen, wie er selbst. Sie brauchten jemanden, der ihnen das Denken ersparte. Denn dazu waren sie nicht geboren. Und er empfand geradezu körperliches Wohlbehagen dabei, anderen den Weg zu weisen.
„Ihr seht“, sagte er, „wir haben euch einen hübschen Zeitvertreib mitgebracht.“ Er lächelte, seine rote Nase leuchtete, und mit einer gönnerhaften Handbewegung deutete er auf die vier Mädchen.
Die Männer klatschten Beifall. Einige grölten.
Aus den Augenwinkeln heraus sah Godfrey, daß eine der Indianerinnen die Lippen bewegte. Offensichtlich flüsterte sie ihren Gefährtinnen etwas zu. Sir William runzelte die Stirn. Auf der Kuhl klatschten und johlten sie noch immer. Energisch trat er auf die Gefangenen zu. Disziplin mußte sein. Er mußte zeigen, daß er hart durchgreifen konnte.
„Was gibt es hier zu tuscheln!“ fuhr er sie an. Jene, die geflüstert hatte, war einen halben Kopf größer als die anderen. Ihre Körperhaltung und ihr Gesichtsausdruck hatten etwas ausgeprägt Würdevolles. Stolz konnte man es fast nennen.
„Ich lasse mir nicht den Mund verbieten“, sagte sie in recht gutem Englisch.
Sir Williams Kinnlade klappte nach unten. Er starrte die Indianerin an, als hätte er ein fremdartiges Wesen vor sich. „Du sprichst unsere Sprache?“
„Da Sie mich verstanden haben, muß es wohl Ihre Sprache sein.“
Auf der Kuhl lachten sie.
Zorn rötete Sir Williams Gesicht. „Nimm dir nur nicht zuviel heraus!“ zischte er. „Sonst könnte es sein, daß wir uns mit dir zuallererst befassen. Wie heißt du?“
„Shoara.“
„Gut, gut. Auskunftsfreudig bist du wenigstens.“ Er befingerte seinen Wucherbart. Das Gestrüpp aus grauen Haaren knisterte. „Woher kannst du Englisch?“
„Ich habe es von einem Mann gelernt. In unserem Dorf.“
Sir William zog die Brauen zusammen. Er hatte von diesem Engländer gehört, den die Algonkins vor den Augen von Laura Stacey grauenvoll hingerichtet hatten. „Er war euer Gefangener?“
Shoara lächelte. „Er hat sich nicht so gefühlt.“
„Aber er war es!“ schrie Godfrey.
Die Männer auf der Kuhl waren still geworden. Sie spürten, daß es um mehr ging als nur darum, sich auf ein besonderes Vergnügen vorzubereiten.
„Wenn Sie es so wünschen“, entgegnete Shoara kühl, „dann war er ein Gefangener.“
Sir William hob drohend die Rechte. Er kostete es aus, den Wütenden zu spielen, ohne mit ernstzunehmendem Widerstand rechnen zu müssen. „Ich warne dich!“ schrie er. „Nutze meine Gutmütigkeit nicht aus! Ein Mann, den man hinrichtet, indem man ihm den Schädel spaltet, ist ein Gefangener! Niemand würde so etwas freiwillig mit sich geschehen lassen.“
„Ich bin in Ihrer Sprache nicht so gut, daß ich feine Unterschiede erkennen könnte“, erwiderte Shoara.
Sir William nickte und knurrte grimmig. „Also gut, lassen wir das. Du kannst anscheinend aber das Wichtigste verstehen. Das erspart mir eine Menge Mühe. Du brauchst nur zuzuhören, dann weißt du Bescheid.“ Er wandte sich ab, den Männern auf der Kuhl zu.
„Welch ein Glücksfall“, sagte Alec Morris und kicherte. „Wenigstens die eine versteht uns. Dann brauchen wir später nicht mit Händen und Füßen zu erklären, was sie für uns tun soll.“
„Und die drei anderen?“ entgegnete Frank Davenport.
„Überhaupt kein Problem.“ Morris feixte. „Die süße Shoara wird uns die einschlägigen Vokabeln in der Algonkin-Sprache beibringen.“
„Hervorragende Idee!“ Davenport zog anerkennend die Augenbrauen hoch.
Grey und seine Kumpane lachten glucksend.
„Ich bitte um Ruhe!“ rief Sir William ärgerlich. Er wedelte mit der erhobenen Hand. „Ich komme jetzt zu den wesentlichen Punkten, über die wir uns noch einigen müssen. Unser gemeinsames Ziel steht fest. Wir werden diesem ungastlichen Land so bald wie möglich den Rücken kehren und zurück nach England segeln. Was auch geschieht, daran werden wir festhalten. Ihr könnt mich in diesem Punkt beim Wort nehmen, Gentlemen.“
Beifall brandete auf.
Sir William lächelte und bewegte die Handflächen dämpfend auf und ab. „Also gut. Über dieses Thema brauchen wir nicht weiter zu sprechen. Es gibt aber noch einiges, was in dem ach so gelobten Land zu tun ist. Wir müssen …“
„Auf das gelobte Land pfeifen wir!“ brüllte einer.
„Es kann uns gestohlen bleiben!“ schrie ein anderer.
Wieder wurde gejohlt und geklatscht.
„Wir müssen uns ausreichende Vorräte beschaffen“, fuhr Sir William mit erhobener Stimme fort. „Wir dürfen die Reise über den Atlantik auf keinen Fall leichtfertig beginnen. Jeder noch so kleine Fehler kann uns später das Leben kosten. Ein Schiff kann in wochenlange Flauten geraten. Wir können in einer Nebelzone vom Kurs geraten. Auch ein Sturm kann uns die schlimmsten Verzögerungen bringen. Dafür müssen wir gerüstet sein. Aber das ist nicht alles.“
„Natürlich ist das nicht alles“, sagte Frank Davenport leise kichernd hinter ihm. „Über das Wichtigste sprichst du natürlich zuletzt. Du spannst uns wirklich auf die Folter, mein lieber William.“
„Hat den Mund!“ zischte Godfrey nach rechts.
Morris und Davenport kicherten gemeinsam.
Für den Moment schienen die Männer auf der Kuhl die Indianermädchen vergessen zu haben. Sie spürten, daß Sir William in der Tat etwas Entscheidendes vorhatte, auf das er vermutlich erst durch die Gefangennahme der Mädchen gestoßen war. Gespannt blickten sie zu ihm auf.
„Wir haben eine gewisse moralische Verpflichtung“, fuhr er fort. „Eine Pflicht, die wir für unsere toten Landsleute zu erfüllen haben. Sie sollen nicht umsonst gestorben sein. Sie sollen uns gewissermaßen den Weg in eine bessere Zukunft bereiten. Dieser Weg führt über eine Vergeltungsaktion. Eine solche Aktion hätte ein gewisser Sir Philip Hasard Killigrew längst durchführen sollen. Aber dazu fehlte ihm offenbar der Mumm.“
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