Seewölfe Paket 11

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„Steuerbord achtern, Wasserlinie, Sir! Gibt zwei saubere Löcher!“
Hasard richtete den Blick seiner eisblauen Augen auf den niederländischen Kapitän, der bleich geworden war.
„Pech für Sie, de Jonge“, sagte er kühl. „Ihr wertes Leben ist in Gefahr, und Ihrer ‚Zwarte Leeuw‘ drohen zwei Löcher in der Wasserlinie. Wenn Sie auf mich schießen lassen wollen – bitte sehr.“
„Sie – Sie Teufel!“
Hasard verbeugte sich leicht. „Eine Anrede, die mich ehrt, weil sie erkennen läßt, daß Sie offenbar begriffen haben, wie die Partie zur Zeit steht – nämlich nicht gut für Sie. Sie ist sogar tödlich, und davor haben Sie Angst. Kerle, die Angst haben, sind für mich schlechte Bündnispartner. Wenn es nämlich hart auf hart geht, kneifen sie und lassen den anderen sitzen. Vielen Dank, de Jonge, Sie haben sich demaskiert.“
Der Kapitän hatte wieder einmal Atembeschwerden, und dann verstieg er sich dazu, seine Pistole aus dem Gürtel zu reißen.
Hasard wartete, bis er sie heraus hatte. Dann schnellte sein rechtes Bein hoch, krachte unter des Kapitäns Handgelenk, und die Pistole segelte in hohem Bogen ins Wasser.
Noch bevor er wieder reagieren konnte, wischte Hasard ihn mit einem rechten Haken von der Pier. Er flog seiner Pistole hinterher.
Rechts von Carberry erschien der Kopf des Bullen an der Oberkante der Pier. Er hatte lange gebraucht, um sich an einem Pfosten hochzuarbeiten. Quer im Mund hatte er ein Messer.
„Verschluck dich nicht“, sagte Carberry und trat zu.
Der Bulle klatschte zurück ins Wasser. Alle Mühe war umsonst gewesen.
„Das war eben nicht sehr fein, Ed“, tadelte Hasard. „Er konnte sich nicht wehren.“
„Das konnte die Javanerin auch nicht, die er vergewaltigt hat“, knurrte Carberry, „mit Verlaub, Sir.“
„Hat er das?“
„Jawohl, das hat er, und deswegen wurde hier ein Posten mit durchschnittener Kehle gefunden, der mit diesem Rübenschwein Ähnlichkeit gehabt haben soll. Und dieser Mistkerl von Kapitän hat behauptet, die Portugiesen hätten den Posten ermordet.“
„Sauber, sauber“, murmelte Hasard. Sein Blick flog über die Männer, die sich an der Stelling und auf der Kuhl drängelten. Da schien keiner mehr geneigt zu sein, Gewaltmaßnahmen zu ergreifen. Er blickte in ziemlich geschockte Gesichter. Sehr deutlich sagte Hasard: „Zu meiner Crew gehörten einmal zwei Niederländer. Es waren gute Männer, und ich habe die Niederländer nach ihnen beurteilt. Jetzt lautet mein Urteil anders. Wer von euch noch Ehre im Leib hat, sollte sich schämen, unter einem Kapitän de Jonge und seinem Profos zu fahren. Für euer Land sind sie eine Schande. Und noch etwas: Solltet ihr gezwungen werden, gegen uns zu kämpfen, dann tut es mir leid, daß ihr es ausbaden müßt, denn unsere Breitseiten kennen keine Rangunterschiede. Das ist eine Warnung!“
Hasard wollte sich abwenden, aber ein Mann rief: „Sollen wir etwa meutern?“
Hasard drehte sich zu ihm um. „Was ihr sollt, kann ich nicht beantworten. Jeder trägt den Schuh, der ihm paßt. Ich kann nur für mich antworten, und da lautet meine Antwort: Unter einem größenwahnsinnigen Feigling und Erpresser sowie unter einem Frauenschänder würde ich nicht fahren. Aber wie gesagt, das ist euer Schuh, nicht meiner.“
Zusammen mit Carberry und den sechs Männern verließ er die Pier. Daß der Kapitän vom Wasser aus hinter ihm herfluchte, ignorierte er.
Bei den vierzehn schnarchenden Wein- und Schnapsleichen blieb er noch einmal stehen und schüttelte den Kopf.
„Was habt ihr mit denen nur angestellt, Ed?“ fragte er.
„Ein bißchen gespielt“, erwiderte der Profos grinsend. „Und das Rübenschwein dort ist in ein Sirupfaß gefallen.“ Er deutete mit der Rechten zu dem Kerl, der in alles mögliche eingehüllt war und wie eine Mumie wirkte.
„Da hast du ihn reingeworfen, wie?“
„Aber nicht doch, Sir“, sagte Carberry treuherzig. „Ich hab ihm nur ein bißchen aufs Haupt geschlagen, und da sauste er durch die Dielenbretter in einen Keller. Allerdings hatte Batuti schon etwas vorgearbeitet und diesen Kerl bis zur Brust versenkt. Konnte ich wissen, daß im Keller ein Sirupfaß stand?“
„Natürlich nicht.“ Hasard verbiß sich ein Lächeln.
„Siehst du, Sir. Außerdem haben wir diesen Stinten immer nur Maulschellen verpaßt, weil du gesagt hattest, wir sollten sauber kämpfen. Wir sind keine Totschläger, hast du gesagt. Nur Batuti hat diesem Abschaum von Profos ein Ding unter das Kinn gedonnert, weil der ihn beleidigt hatte. Der hatte zu Batuti gesagt, so einen wie ihn brauchten sie bei sich an Bord, um mit ihm die Bilge und den Abtritt ihrer Offiziere auszuwischen. Und das war eine Beleidigung, Sir, der wir uns nicht in aller Demut beugen konnten, obwohl wir’s versucht haben. Dann haben wir ihnen ein bißchen die Köpfe aneinandergebumst und unsere Maulschellen verteilt. Anschließend haben wir sie auf die Köpfe gestellt und ihnen ihre Münzen aus den Taschen geschüttelt. Das hat den glatzköpfigen Wirt sehr gefröhlicht …“
„Gefröhlicht?“
„Gefreut, mein ich“, verbesserte sich Carberry und fuhr fort: „Und darum gab’s Freitrinken. Weil die Stinte von den Maulschellen und so noch so beduselt waren, erbarmten wir uns ihrer und ließen sie an den Flaschen nuckeln wie – wie …“
„Wie Babys an der Mutterbrust“, sagte Hasard.
„Genau, Sir, du hast es erfaßt!“ Carberry strahlte und sah wieder aus wie ein verhungerter, zähnefletschender Wolf.
„Und die Flaschen waren wechselnden Inhalts?“ fragte Hasard, aber es war mehr eine Feststellung.
„Natürlich, Sir“, sagte Carberry fröhlich, nickte und fügte sehr wichtig hinzu: „Rum war auch dabei. Und Arrak natürlich. Der Reisschnaps der Zopfmänner natürlich auch, ja und Wein war auch dabei, damit ich das nicht vergesse. Und da war eine Chinesin, die wollte mir doch glatt meine Brusthaare kraulen. Was sagst du jetzt, Sir?“
„Hat sie nur die Brusthaare gekrault, Ed?“
„Wo denkst du hin, Sir!“ Carberry kratzte über sein Rammkinn. „Wir mußten doch diese besoffenen Bäkkerburschen in die Heia bringen. Und darum lösten wir uns von den taubenden Turteln …“
„… turtelnden Tauben“, sagte Hasard, und jetzt hatte er wirklich ernsthafte Schwierigkeiten, den gemessenen Ernst zu wahren.
„Natürlich.“ Carberry nickte gewichtig und fuhr fort: „Uns von den getäubten Turtlern zu lösen, sagte ich. Aber da war Suleika, die schon das Bett von dem Dingsda gehimmelt hatte, und die wickelte sich um unseren Ersten, der meinte, morgen sei auch noch eine Nacht …“
„Stimmt ja auch“, sagte Hasard.
„Richtig, Sir, vergiß das nicht!“ Carberry räusperte sich. „Und jetzt paß auf.“ Carberry verdrehte sich, schlang die Arme um jemanden, den er sich vorstellte, und sagte: „Das ist Suleika, Sir, eine glutäugige Blume, versteht du?“
„Verstehe.“
„Gut. Sie umrankt also unseren Ersten und flötet: ‚Oh, oh, oh! Ganzen Tag warten auf Bän Breitohn?‘“ Carberry dehnte das „Bän“ so ordentlich in die Länge und umarmte dabei die Luft.
Nun war der eiserne Profos der „Isabella“ eben ein Profos – und was für einer! –, aber gewiß kein Schauspieler. Und darum waren seine Gesten und die Mimik die Clownsnummer aus dem reisenden Volk der Seiltänzer, Feuerschlucker, Zauberer und Wahrsagerinnen.
Es sah aus, als steige ein Bulle an einer Bohnenstange hoch. Und sein Gesicht, das Suleika, die orientalische Blume, darstellen sollte, war so ausdrucksvoll wie ein vergammelter Kohlkopf.
„Dieser Profos neigt zu maßlosen Übertreibungen!“ empörte sich Ben Brighton.
Das Gelächter, das folgte, ließ die Männer auf der „Zwarte Leeuw“ zusammenzucken. Denn auf diesem Schiff war seit Monaten nicht mehr gelacht worden, genauer gesagt, seit dem Ankeraufgehen auf der grauen Reede von Texel. Grau war alles geblieben, grau und trüb. Wer lachte, drückte damit sein Wohlbefinden aus, und das war verdächtig. Das war jedenfalls Pieter de Jonges Ansicht. Kuschen und schuften, nur das galt für das Schiffsvolk. Und wer aus der Reihe tanzte, durfte die Neunschwänzige des Profos’ spüren.
Sie wußten gar nicht mehr, daß es Menschen gab, die lachen konnten. Als sie ihren Kapitän aus dem Wasser zogen, hätten sie gern gelacht, aber ein Blick in dessen verzerrtes Gesicht ließ sie ahnen, daß die lausigen Zeiten jetzt erst richtig anfangen würden.
Im übrigen hatte Carberry richtig getippt. Der Profos der „Zwarte Leeuw“ wurde in Ketten gelegt. Allerdings war das eine völlig sinnlose Maßnahme; dieser Mann würde sich nie ändern – genausowenig wie der Kapitän selbst.
5.
Der Mann, dem die portugiesische Niederlassung in Bantam unterstand, hieß Gaspar de Ribeiro. Hasard suchte ihn zusammen mit Dan O’Flynn am nächsten Morgen auf und traf ihn in der portugiesischen Faktorei an.
Sie wurden beide überraschend freundlich empfangen, ja nahezu liebenswürdig.
Dieser de Ribeiro war ein schlanker, kleiner, weißhaariger Mann mit einem schmalen, mahagonifarbenen Gesicht, zu dem das feste, weiße Haar einen scharfen Kontrast bildete. Lebhafte Augen musterten die beiden Besucher. Es waren Augen, die sich nicht versteckten.
Und darum entschloß sich Hasard, kein Versteck zu spielen – schon um den Drohungen de Jonges vorzubeugen, seine Identität an die Portugiesen zu verraten.
Er stellte Dan und sich vor und sagte rundheraus: „Wir sind Engländer, Señor de Ribeiro, und auf Ihre Hilfe angewiesen. Unser Schiff hat einen Ruderbruch, darum liefen wir Bantam an. Die Reparatur ist nur auf einer Helling möglich.“
„Kein Problem“, erwiderte der Portugiese lächelnd. „Ich hatte mir schon gedacht, daß Sie mich aufsuchen würden. Hier spricht sich alles sehr schnell herum – auch jene Dinge, die heute nacht passierten, ganz abgesehen davon, daß Kapitän de Jonge ja sehr laut brüllte, als er Ihrem Schiff einen Besuch abstattete, um Sie auf seine Seite zu ziehen. Nun, Sie haben ihn abblitzen lassen, und ich bin ehrlich genug, Ihnen zu sagen, daß ich darüber sehr erleichtert bin.“ Wieder lächelte de Ribeiro. „Die Legenden über Sie stimmen, Kapitän Killigrew.“
Hasard runzelte die Stirn. „Welche Legenden?“
„Daß Sie ein fairer Mann seien. Zufällig kenne ich einen portugiesischen Kapitän, der seinerzeit in der Armada mitsegelte, die Kämpfe miterlebte und zu jenen gehört, denen die Rückkehr um England und Irland gelang. Von ihm weiß ich, was Sie alles für meine Landsleute taten, nachdem die Schlacht geschlagen war. Sie kümmerten sich um die Schiffbrüchigen – ganz im Gegensatz zu einem gewissen Francis Drake. Da ist es eine Selbstverständlichkeit, daß ich auch Ihnen jetzt helfe. Sie können Ihr Schiff sofort zur Helling verholen. Ich werde veranlassen, daß der Hellingmeister genügend Leute bereitstellt, um Ihr Schiff aufzuslippen. Brauchen Sie Schiffszimmerleute?“
„Ich habe den besten, den es gibt.“ Hasard lächelte. „Aber herzlichen Dank für Ihre Hilfsbereitschaft. Die Reparatur können wir selbst durchführen.“
„Gut. Wie steht es mit Proviant, Trinkwasser und so weiter? Sie können in der Faktorei alles kaufen, auch Gewürze, schließlich sind wir eine Handelsniederlassung und leben davon. Damit möchte ich ausdrücken, daß wir einen friedlichen Handel und Wandel für fruchtbarer halten als kriegerische Auseinandersetzungen.“ Der Portugiese seufzte. „Seit wir dieses Paradies entdeckt haben, mehren sich über die Jahrzehnte die Anzeichen, daß wir uns von ihm immer weiter entfernen. Zuerst hatten wir keine Schwierigkeiten. Jetzt werden die Menschen auf allen diesen Inseln uns gegenüber feindlicher. Die Weißen stören uns, sagen sie. Erst haben wir ihnen freiwillig gegeben, was sie haben wollten, jetzt fordern und verlangen sie und wenden Gewalt an. Sogar ihren Gott wollen sie uns aufzwingen und behaupten, es gäbe nur diesen einen, dabei wissen wir, daß dies nicht wahr sein kann. Ja, so sagen sie – und sie haben recht. Jetzt sind die Niederländer hier aufgetaucht und benehmen sich in einer Weise, die den Haß herausfordert. Seit eine Javanerin von dem Profos des Flaggschiffs vergewaltigt wurde, brodelt es in Bantam. Und wir Portugiesen kriegen es ebenfalls zu spüren. Man wirft uns mit den Niederländern in einen Topf.“
Hasard nickte. „De Jonge würde sich hier gern festsetzen.“
„Ich weiß. Er war nicht damit zufrieden, seine Laderäume mit Gewürzen vollzustopfen. Das genügt ihm nicht. Er will den ganzen Handel an sich reißen, und wir sind ihm dabei im Weg. Noch zögert er, gegen uns loszuschlagen – aus Respekt vor unseren fünf Galeonen, von denen drei längst die Rückreise hätten antreten sollen. Ich mußte sie zurückhalten, um Macht zu demonstrieren, die ich sonst keineswegs demonstrieren möchte, zumal ein solches Verhalten dem Ansehen des weißen Mannes keineswegs nutzt. Nun gut, lägen hier nur zwei portugiesische Galeonen, wäre de Jonge längst über uns hergefallen. Jetzt wartet und lauert er. Außerdem versucht er, sich bei dem Sultan des Banten-Reiches einzuschmeicheln, mit dem wir einen Vertrag für den Gewürzhandel abgeschlossen haben. Auf gut europäisch gesagt: Er intrigiert und verspricht dem Sultan das Blaue vom Himmel herunter. Natürlich sind wir Portugiesen Blutsauger, Halsabschneider, Erpresser und Lumpen. Wir sollen die Javanerin gedungen haben, den Profos zu verführen. Stellen Sie sich das vor!“
„Wie verhält sich der Sultan?“ fragte Hasard nachdenklich.
„Korrekt. Er mag den niederländischen Kapitän nicht, wie er mir vertraulich mitteilen ließ.“ De Ribeiros Augen waren umschattet. „Angenommen, der Sultan wird ermordet. Dann entsteht eine völlig neue Situation, denn unser Vertrag mit ihm wäre hinfällig, ganz abgesehen davon, daß sein Sohn noch ein Kind ist. Er wäre der rechtmäßige Thronfolger. Das Banten-Reich müßte, solange der Sohn noch nicht regieren kann, von einem Reichsverweser verwaltet werden. Die Frage stellt sich, was wird dieser Reichsverweser für ein Mann sein? Ist er bereit, Verträge, die vom Sultan abgeschlossen wurden, zu verlängern? Oder erliegt er den Versprechungen, den Schmeicheleien, den Lügen eines de Jonge? Und um auch das noch zu sagen: Ich bin durchaus der Meinung, daß ein Land, das bestimmte Handelsgüter im Überschuß hat und sie verkaufen möchte, mit mehreren Ländern Handel treiben kann. Es sollte keiner bevorzugt werden, vorausgesetzt, es handelt sich um ehrbare Leute, die den Handel betreiben. Aber bei Männern wie de Jonge kann einen das Grausen packen. Sie sind es, die das Paradies zerstören. Verstehen Sie jetzt, warum ich so erleichtert bin, daß Sie ihm eine Abfuhr erteilt haben?“
Hasard bejahte und sagte: „Er versuchte es erst mit Arroganz, dann mit Drohung und Erpressung – ein schlechter Diplomat. Im übrigen ist er ein Feigling, ein Mann mit einem großen Maul, das er sofort zuklappt, wenn es ihm selbst an den Kragen geht. Ich habe die Niederländer als tapfere und vor allem faire Kämpfer kennengelernt und kann nur hoffen, daß Kerle wie de Jonge und sein Profos die Ausnahme sind. Im übrigen habe ich das Gefühl, daß die Crew der ‚Zwarte Leeuw‘ keineswegs glücklich über ihren Kapitän ist. Sie steht nicht voll hinter ihm. Vielleicht weiß er das und wagt deshalb nicht, Sie anzugreifen, solange das Gleichgewicht der Schiffseinheiten besteht. Mit meiner Beteiligung wollte er es zu seinen Gunsten verändern.“
Gaspar de Ribeiro blickte Hasard aufmerksam an. „Darf ich mir die Frage erlauben, wie Sie sich verhalten werden, wenn er unsere fünf Schiffe angreifen sollte?“
Hasard lächelte. „Darf ich die Frage von Mister O’Flynn beantworten lassen? Ich möchte wissen, ob er genauso antwortet, wie ich es tun würde.“
„Ah!“ Jetzt lächelte auch de Ribeiro. „Eine Art Probe, wie?“
„So ist es“, erwiderte Hasard. „Wir wechseln bei uns an Bord häufig die Rollen. Mister O’Flynn könnte die Rolle des Stückmeisters, des Segelmachers, des Schiffszimmermanns oder auch die des Kapitäns übernehmen – und umgekehrt. Jeder lernt die Rolle des anderen kennen – bis zur Perfektion. Bei Ausfällen könnte es sein, daß er selbständig handeln und auch entscheiden muß, um das Schiff zu erhalten. Auf der ‚Isabella‘ fahren freie Männer. Sie haben Narben davongetragen, sie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Darum haben sie bisher überlebt.“
„Jetzt verstehe ich“, sagte der Portugiese, und Bewunderung klang in seiner Stimme mit.
„Das ist aber noch nicht alles, Señor de Ribeiro“, sagte Hasard. „Ich muß es erwähnen, weil es wichtig ist. Alle Männer der ‚Isabella‘ sind auch ihre Miteigner oder Reeder, wenn Sie so wollen. Sie beteiligten sich am Kauf des Schiffes.“
„Das gibt es doch gar nicht“, sagte der Portugiese verblüfft, ja nahezu betroffen.
Hasards Lächeln war fein und verhalten. „Warum nicht?“
„Das Geld!“ platzte de Ribeiro heraus. „Woher hatten sie denn das Geld, um sich an dem Kauf eines solchen Schiffes beteiligen zu können?“ Er betonte das „eines solchen“ und verriet damit, daß er wohl erkannt hatte, was die „Isabella“ von anderen Galeonen unterschied.
Ganz offen erwiderte Hasard: „Sie knöpften es den Spaniern ab – jenen Spaniern, die drüben die Neue Welt ausplünderten. Wenn ich ‚sie‘ sagte, so zähle ich natürlich auch dazu. Darf Ihnen Mister O’Flynn jetzt antworten?“
„Jawohl, Sir“, sagte de Ribeiro. Er sagte „Sir“!
Dan O’Flynn hob den Kopf mit den hellen, scharfen Augen, lächelte leicht und sagte: „Ich glaube, daß ich richtigliege, wenn ich erkläre, daß Kapitän Killigrew ein Mann ist, der zwischen zwei Parteien den Standpunkt der Neutralität vertritt, vorausgesetzt, beide Parteien sind gleichwertig. Diese Gleichwertigkeit bezieht sich auf die Kampfkraft dieser beiden Parteien. Sollte jedoch die eine oder andere Partei zu Mitteln greifen, die unmenschlich, grausam, tückisch, gemein – nach christlicher Auffassung teuflisch – sind, dann wird sich Kapitän Killigrew auf Biegen und Brechen für jene Partei einsetzen und schlagen, die einen solchen Weg nicht geht. Das ist eine Frage des Rechtsstandpunktes. Es gibt ein Kriegsrecht, ein moralisches Recht, ein Recht des Schwächeren – vielleicht. Nur ist Recht unteilbar. Das Recht eines Stärkeren – weil er die Macht hat – haben wir Männer der „Isabella‘ nie anerkannt. Ich fasse zusammen, um Ihre Frage, Señor de Ribeiro, zu beantworten – anstelle meines Kapitäns: Kapitän de Jonge versuchte, uns zu erspressen. Die Antwort werden wir ihm nicht schuldig bleiben, falls er versuchen sollte, Sie anzugreifen.“
Gaspar de Ribeiro starrte Dan O’Flynn sprachlos an, dann wechselte sein Blick zu Hasard.
Hasard sagte: „Kein Kommentar.“
Jetzt war der weißhaarige Mann fast verstört.
„Mein Gott“, murmelte er, „das gibt es doch nicht, das kann es nicht geben, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Sollte die Welt anders sein, als ich meinte erkannt zu haben – und ich habe über ein halbes Jahrhundert hinter mir!“
„Die Welt“, sagte Hasard, „ist weder gut noch schlecht. Sie ist nur so, wie wir Menschen sie gestalten. Es gibt das Gute, und es gibt das Böse. Vielleicht muß das so sein, damit das Gute nie einschläft. Nur – was ist gut?“
Und damit verließen sie Gaspar de Ribeiro.
Als sie zur „Isabella“ zurückgingen, sagte Hasard: „Deine Antwort war gut, Dan. Sie entspricht genau meiner Auffassung. Seit wann denkst du über Recht nach?“
Sehr ernst sagte Dan O’Flynn: „Seit ich zum ersten Male begriff, auf welche Weise dein Pflegevater, Sir John Killigrew, Herr auf Arwenack, über die Leute von Falmouth herrschte, ohne irgendwelche Rücksichten zu nehmen. Da war ein besonderer Punkt, der mich zuerst irritierte und dann empörte. Er nahm sich das Recht heraus, für seine Mannen auf Arwenack Ehen zu schließen und in der ersten Nacht nach der Hochzeit mit der Braut zu schlafen – ob das dem Bräutigam und der Braut paßte oder nicht. Und war dann auch noch ein Kind die Folge, dann durfte der auf diese Weise gehörnte Ehemann für den Bastard sorgen. Sir John hielt es nicht für nötig, sich darum zu kümmern. Ich gebe ohne weiteres zu, daß ich damals fest entschlossen war, Sir John umzubringen, falls mir so etwas widerfahren sollte. Vielleicht war auch das einer der Gründe, warum ich von zu Hause ausrückte. Was Sir John in burgherrlicher Weise tat, verletzte die Würde des Menschen. Das ist jedenfalls meine Meinung.“
„Sie ist richtig“, sagte Hasard.
Eine Stunde später verholten sie die „Isabella“ zu der Helling, scheel beäugt vom Kapitän der „Zwarte Leeuw“, der wie ein gereizter Bulle auf der Kampanje seines Schiffes hin und her marschierte. Aus dem Verholen der „Isabella“ mußte er schließen, daß sich Hasard mit den Portugiesen geeinigt hatte.
Die Männer der „Isabella“ leisteten Schwerarbeit. Sie hatten die beiden Beiboote ausgesetzt, lange Leinen zu den Pollern auf dem Galionsdeck ausgefahren und schleppten die Galeone mit Muskelkraft zur Helling.
Je acht Männer pullten in den beiden Beibooten. Und wenn einige Kerle auf der „Zwarte Leeuw“ zuerst höhnisch gegrinst hatten, dann war denen das Grinsen sehr schnell vergangen, denn die Seewölfe hatten einen Schlag drauf, mit dem sie ihr Schiff glatt bis Sumatra hätten verholen können – quer über die Sundastraße.
Der breitschultrige Bootsmann, der in einem der beiden Beiboote das Verholmanöver leitete, tat das mit einer Lässigkeit, als jongliere er tagtäglich mit Galeonen über irgendwelche Reeden.
Das wickelte sich alles ohne viel Tamtam, Brüllerei oder Hektik ab. Einige der Niederländer verstiegen sich zu der Ansicht, auf diese Weise könnten die „Isabella“-Kerle glatt ein Gefecht führen, woran sogar ein Fünkchen Wahrheit war, was die Manövrierbarkeit betraf.
Der Wind stand in die Bai, was diese Kerle dazu ausnutzten, die Galeone bis etwa sechzig, siebzig Yards quer vor die Helling zu schleppen und sie dann vom Wind mit dem Heck zur Slipanlage herumschwojen zu lassen. Der Bug blieb seewärts gerichtet, gehalten von den sanft anpullenden Männern in den beiden Beibooten. Der Wind trieb die Galeone jetzt – mit dem Heck voran – auf die Slipanlage zu.
Die beiden Beiboote, schräg vom Bug weg herausgestaffelt, wirkten jetzt wie Ruder oder auch bremsend, je nachdem, was notwendig war.
Es sah fast spielerisch aus, wie die schlanke Galeone mit den überlangen Masten und den niedrigen Aufbauten in die richtige Position dirigiert wurde – und dennoch war es ein irres Manöver, das sich kaum einer der Niederländer zugetraut hätte.
Und weil ein großer Teil der niederländischen Crew dieses Manöver lautstark bewunderte, platzte Pieter de Jonge mal wieder vor Wut und brüllte seine Leute an, ob sie nichts Besseres zu tun hätten, als Maulaffen feilzuhalten.
Damit der Schlendrian nicht einriß, ließ er seine Kerle die Decks schrubben, was reine Schikane war, weil das morgendliche Reinschiff vor drei Stunden beendet worden war.
Später ließ er sich von einer Pinasse zu den vier ankernden Galeonen pullen und schien auch dort Kapitäne und Mannschaften auf Trab zu bringen, denn als er zurückkehrte, gingen die vier Galeonen ankerauf und übten vor dem Baiausgang das Segeln im Verband. Vielleicht wollte er auch demonstrieren, daß er es in der Hand habe, die Bantambai abzuriegeln oder zu blockieren.
Die „Isabella“ wurde mit dem Heck voran auf die Slipanlage bugsiert und über mehrere Winschen, an denen Portugiesen und Eingeborene unter der Leitung des Hellingmeisters arbeiteten, so weit aus dem Wasser gezogen, daß das Heck freikam.
Dann ging Ferris Tucker, unterstützt von Big Old Shane, Al Conroy und einigen anderen Helfern, an die Arbeit.
Gegen Mittag fielen die Seewölfe über die vom Kutscher gebratenen „Piephähne“ her, wie Carberry sie nannte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte de Jonge ein Schauspiel besonderer Art zu bieten.
Die vierzehn Mannen, die in der Nacht von den sechs Seewölfen als Wein- und Schnapsleichen auf der Pier abgeliefert worden waren, wurden nacheinander auf der Kuhl ausgepeitscht.
Das besorgte der Bulle von Profos, der aus der Vorpiek geholt worden war.
Dann wurde die Prozedur umgekehrt.
Da wurde der Profos an die Wanten gespannt, und die vierzehn von ihm ausgepeitschten Männer durften ihm das Fell gerben. Sie taten es mit Wonne und der entsprechenden Wut.
Das Gebrüll des Profos’ dröhnte über Hafen und Reede. Auf den Piers versammelten sich Zuschauer – Chinesen, Inder, Araber, Portugiesen, Eingeborene, Indonesier, Dänen, Franzosen, Spanier. Da gab es schadenfrohe, höhnische, entsetzte, aber auch ausdruckslose Gesichter.
Den Seewölfen war der Appetit vergangen.