Seewölfe Paket 11

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„Ist dieser Affenarsch von Kapitän wahnsinnig?“ grollte Edwin Carberry erbittert. „Erst schlägt der Profos den Kerlen die Haut in Fetzen und dann wird umgekehrt verfahren! Wo soll da der Sinn liegen?“
Luke Morgan, frech wie eh und je, nahm es mehr von der grimmigheiteren Seite und sagte: „Einem Profos muß eben auch mal die Haut in Streifen von seinem Affen …“
„Halt’s Maul, Mister Morgan!“ blaffte ihn Carberry an. „Was dort passiert, ist nicht mehr normal. Und das vor aller Augen! Dieses Rübenschwein von Profos hat eine Strafe verdient, aber nicht so.“
„Wie denn?“ erkundigte sich Luke Morgan.
„Weiß ich auch nicht“, knurrte Carberry verstimmt. „Ich weiß nur, daß ich nichts dagegen hätte, wenn die Macker dort drüben auch ihrem verdammten Kapitän die Neunschwänzige überziehen würden, der hätte es nötiger als alle anderen.“
„Abgesehen von dem Profos“, ergänzte Luke Morgan.
„Ach laß mich zufrieden“, sagte Carberry brummig.
Der Profos drüben brüllte nicht mehr. Er hing in den Wanten, offenbar ohnmächtig. Sein Rücken sah übel aus. Einer, der ohnmächtig ist, spürt nichts mehr. Also wurde das Auspeitschen eingestellt. Aber der Profos blieb weiter in den Wanten hängen – wie ein aufgespanntes Hemd an der Wäscheleine.
Eine Viertelstunde später meldete Bill, der Moses, den Anmarsch Kapitän de Jonges.
„Was will der denn nun wieder“, murrte Carberry und ließ Hasard wahrschauen.
Am Heck waren Leitern angebracht worden, verbunden mit Querbrettern, damit Ferris Tucker bequem arbeiten konnte. Eine weitere Leiter stand auf der Steuerbordseite der „Isabella“, um von und an Bord gelangen zu können.
Dort schob Batuti Wache mit der Order, keinen Fremden an Bord zu lassen.
De Jonge, stiernackig, rot und schwitzend, walzte heran, als gehöre ihm das Werftgelände. Er steuerte das Heck an, sah zu, wie dort gearbeitet wurde, und pumpte sich schon wieder auf, weil ihn niemand beachtete.
Dann ließ Ferris Tucker ein Stemmeisen fallen, das sich genau vor der rechten Stiefelspitze des Kapitäns in den Boden bohrte.
Ferris Tucker tat erstaunt, als er den tomatenroten Kapitän unter sich erblickte, und sagte: „Verzeihung. Aber Glück muß man haben, wie? Das Stemmeisen hätte ja auch Ihre Rübe treffen können.“
„Das war Absicht!“ schrie der Kapitän. „Das war ein Anschlag auf mein Leben!“
Ferris Tucker grinste hinunter. „Alte Seemannsregel: man stellt sich weder unter schwebende Lasten noch unter Plätze, an denen gearbeitet wird. Müssen Sie sich merken, Freundchen.“
„Unverschämtheit! Was erlauben Sie sich? Wer sind Sie überhaupt?“
„Der Schiffszimmermann“, erwiderte Ferris Tucker trocken, „oder sieht man das nicht? Wird bei Ihnen ein Ruder vom Segelmacher genäht, wenn es gebrochen ist?“ Er spielte mit dem schweren Hammer, der in seinen mächtigen Fäusten dennoch wie ein Spielzeug aussah. „Sonst noch Fragen, Freundchen? Ich hab nämlich zu arbeiten und keine Zeit – wie andere Leute –, die nichts Besseres zu tun haben, als herumzubrüllen und sich für den Nabel der Welt zu halten. Könnten Sie mir mal das Stemmeisen nach oben werfen?“
De Jonge drehte sich abrupt um und marschierte auf Batuti los.
„Weg da, Nigger!“ herrschte er den riesigen Mann an.
Batuti stand wie ein Baum und versperrte die Leiter. An ihm ging kein Weg vorbei.
„Sagtest du Nigger, weißer Mann?“ fragte er höflich. „Wenn ja, dann laß es besser, sonst geht’s dir wie deinem Profos, dem ich was aufs große Maul geschlagen habe, als er meinte, mich beleidigen zu dürfen.“
Kapitän de Jonge wich zwei Schritte zurück. Sein Gesicht war fahl geworden, bis auf zwei rote Flecken, die auf seinen Jochbeinen prangten.
„Ich will den Kapitän sprechen“, sagte er und betastete sein Kinn.
Batuti begutachtete es und verkniff sich ein Grinsen. Da hatte sein Kapitän auch ganz schön zugehauen – in der Nacht, als de Jonge ins Wasser geflogen war.
Hasard enterte nach unten ab und wandte sich de Jonge zu.
„Was wollen Sie?“ fragte er kalt.
De Jonges Augen wurden lauernd. „Sie haben sich mit de Ribeiro arrangiert?“
„Geht Sie das was an?“
„Allerdings. Denn wenn Sie sich mit ihm arrangiert haben, werde ich jetzt dafür sorgen, daß er erfährt, welche Laus er sich in den Pelz gesetzt hat – nämlich den berüchtigten Seewolf!“
Hasard lachte lauthals.
„Das weiß er schon“, sagte er.
„Wieso?“ Das Hauklotzgesicht wirkte ziemlich dumm.
„Oh!“ Hasard verbeugte sich ironisch. „Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen vorgegriffen habe, aber ich hielt es für richtiger, mich selbst vorzustellen und ihm zu sagen, wer ich bin.“
„Was denn – Sie haben es ihm selbst gesagt?“ fragte der Kapitän entgeistert.
„Warum nicht?“
„Sie lügen!“
Hasards eisblauer Blick wurde dolchscharf. „Mäßigen Sie sich, Mann. Sie haben ein seltenes Talent, die üblichen Höflichkeiten zu mißachten und andere zu provozieren. Bleiben Sie auf dem Boden, oder wollen Sie noch einmal ins Wasser fliegen, um sich abzukühlen?“
„De Ribeiro hat Sie nicht in Ketten legen lassen?“
„Warum sollte er? Er hatte bereits von mir gehört und rechnete es mir hoch an, daß ich mich damals nach der Schlacht gegen die Armada um die Schiffbrüchigen gekümmert hatte. Sie sehen, auch unter vermutlichen Feinden kann man Freunde haben, echte Freunde, wohlbemerkt.“
„Sie ziehen es vor, mit den Feinden Ihres Landes zu paktieren? Sie sind ein Verräter!“
Hasards Geduldsfaden wurde arg strapaziert. „Mir neu, daß Señor de Ribeiro ein Feind meines Landes ist. Er war höflich, sehr freundlich und hilfsbereit. Im übrigen hält er es mehr mit einem friedlichen Nebeneinanderleben als mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Das ist ein Standpunkt, den ich respektiere und achte. Vielleicht sollten gerade Sie einmal darüber nachdenken, falls Ihnen das nicht zu anstrengend ist. Daß Sie mich einen Verräter nannten, möchte ich überhört haben. Dieser Vorwurf erscheint mir auch unlogisch.“
„Wieso?“
„Weil zwischen Portugal und England kein Krieg herrscht.“
„Portugal und Spanien wollen die Welt erobern, und das muß verhindert werden!“ brauste der Kapitän auf.
„Und Sie wollen im großen Kuchenteig mit herumrühren, nicht wahr?“
„Natürlich!“
„Na, dann Prost. Die Welt wird beglückt sein, wenn Sie auftauchen – ein Vollidiot, der es fertigbringt, ganz Bantam zusehen zu lassen, wie sich Ihre Leute gegenseitig die Rücken blutig peitschen müssen. Da weiß jeder gleich, was ihn erwartet, wenn Sie hier das Zepter schwingen sollten.“
„Jawohl!“ Der Kapitän warf sich in die Brust. „Alle Welt sollte zusehen, jawohl! Damit diese Strolche, Kanaken, Spitzbuben und Faulenzer gleich wissen, daß bei uns Niederländern Zucht und Ordnung herrschen. Das kann diesem Pack nicht eindeutig genug demonstriert werden.“
„Mein Gott“, sagte Hasard erschüttert, „jetzt erzählen Sie nur noch, Sie fühlen sich als Werkzeug Gottes – dazu ausersehen, die dummen Heiden zu bekehren!“
„Ich bin ein Werkzeug Gottes, jawohl!“ Jetzt hämmerte sich dieser Mann die Faust an die Brust. „Dazu auserkoren, die Heiden mit Stumpf und Stiel auszurotten!“
Ferris Tucker fing als erster an zu lachen und fiel fast von der Leiter. Das Lachen pflanzte sich fort.
„Huch!“ brüllte Carberry mit seiner Donnerstimme. „Dieser Affenarsch ein Werkzeug Gottes! Habt ihr das gehört, Männer?“ Er beugte sich über das Schanzkleid der Steuerbordseite und schrie nach unten: „Du lausiger Schinder, du stinkender Käse aus den Niederlanden, du angegammelte Schellfischleiche – weißt du, was du bist? Ein armer Irrer bist du! Ein Irrer, über den man sich totlachen kann! Sir, dürfte ich dich bitten, einige Schritte zur Seite zu treten? Ich habe hier ’ne Abfallpütz vom Kutscher. Die würd ich dem Gotteswerkzeug gern über den Schädel kippen. Sind auch ein paar abgeknabberte Hühnerbeinchen dabei!“
„Mister Carberry!“ sagte Hasard streng. „Ich möchte doch sehr bitten.“
„Schade“, sagte Ed Carberry enttäuscht.
„Sie lehnen es ab, an meiner Seite zu kämpfen?“ zischte der Kapitän.
„Erraten. Mein Profos nannte Sie einen armen Irren. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen, allerdings würde ich das Eigenschaftswort ‚arm‘ mit ‚gemeingefährlich‘ austauschen. Ein armer Irrer ist harmlos. Aber Irre wie Sie rotten Völker aus und fühlen sich noch dazu von Gott aufgerufen, wobei ich den Verdacht hege, daß Sie den Gottesauftrag nur als Tarnmäntelchen für Ihre habgierigen Ziele benutzen. Meine Männer haben über Sie gelacht, und es ist auch lachhaft, wenn es nicht so traurig wäre. Aber ich sehe schon, Sie verstehen kein Wort. Sie wollen andere Ansichten gar nicht verstehen. Trotzdem gebe ich Ihnen den Rat: Segeln Sie ab! Suchen Sie sich eine unbewohnte Insel – es gibt genug hier –, und gründen Sie dort Ihr Reich, wo Zucht und Ordnung herrschen. Vielleicht finden sich ein paar Verrückte, die Ihre Gegenwart ertragen. Aber lassen Sie die Menschen dieser Insel und jene, die sich aus anderen Ländern hier niedergelassen haben, zufrieden. Das wäre im Sinne Gottes, so wie ich ihn verstehe.“
„Menschen dieser Insel?“ Der Kapitän lachte verächtlich. „Das sind Affen! Sparen Sie sich Ihre Belehrungen!“ Und von oben herab setzte er hinzu: „Entweder, Sie kämpfen auf meiner Seite …“
„Oder?“
„Oder meine Schiffe schießen Sie zusammen, wenn Sie feige Fahnenflucht begehen wollen. Noch gewähre ich Ihnen eine Gnadenfrist, sich zu besinnen. Wenn Ihr Ruderbruch repariert ist, erwarte ich Ihre Meldung, daß Sie bereit sind, gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen …“
„Sir!“ rief Ben Brighton nach unten. Er stand auf dem Achterdeck. „Ich schlage vor, diesen Burschen bei uns in die Vorpiek zu sperren. Dann ist endlich Ruhe!“
Wie in der Nacht zuckte die Rechte des Kapitäns zur Pistole. Batuti tippte ihm auf die Schulter. Als de Jonge sich zu ihm umdrehte, etwas irritiert, sauste Batutis Handkante nach unten und prellte ihm die Pistole aus der Hand. Lässig stieß sie der riesige Gambia-Neger mit dem Fuß weg.
Er blickte Hasard an: „Vorpiek, Sir?“
Hasard schüttelte den Kopf. „Bring ihn aus dem Werftgelände. Der Kerl beschmutzt nur unsere Vorpiek.“
Batuti fletschte die weißen Zähne, schnappte sich den Kapitän am Kragen, hievte ihn etwas hoch und trug ihn am ausgestreckten Arm zum Werfttor. De Jonge zappelte und brüllte.
Hinter dem Werfttor stellte ihn Batuti auf den Boden und trat ihm kräftig in den Hintern. Der Kapitän schoß, Kopf voraus, durch die Luft, schrammte über die Katzenköpfe und landete nach zehn Yards.
„Das war für den Nigger!“ rief ihm Batuti hinterher.
6.
De Jonge schäumte über vor Wut und Haß. Der Feldscher der „Zwarte Leeuw“, hatte seine aufgeschrammten Knie verbinden und sein lädiertes Kinn einsalben müssen. Der Kapitän ruhte in seiner Koje und trank Genever – der war nur für ihn reserviert. Die Flaschen standen auch in der Kapitänslast. Die Offiziere tranken Dünnbier. Die Mannschaften erhielten brackiges Wasser, es sei denn, sie durften an Land gehen und sich in den Kneipen betrinken.
Stunden brütete de Jonge vor sich hin, ab und an von Wut und Haß geschüttelt.
Nach fünf Stunden, es ging bereits auf den Abend zu, befahl er den Profos zu sich. Die vier Galeonen draußen auf Reede waren wieder vor Anker gegangen.
Der Bulle wurde von den Wanten losgebunden und war mehr tot als lebendig. Drei Männer mußten ihn zu de Jonge schleppen, vor dem er kaum gerade stehen konnte.
„Reiß dich zusammen, Kerl!“ herrschte ihn de Jonge an und winkte die drei Männer hinaus.
Sie verschwanden.
Genüßlich trank der Kapitän, in der Koje ruhend, seinen Genever und betrachtete aus schmalen Augen den schwankenden Profos, dem das Hemd in Fetzen und blutverkrustet vom Leibe hing.
„Jan Swammerdam“, sagte er nach einer Weile. „Ich habe beschlossen, dich zum Tode durch den Strang zu verurteilen. Du bist ein Tier. Ungeziefer bist du. Wiederhole: ich bin Ungeziefer!“
Der Bulle blickte ihn stumpf an und bewegte die Lippen. Undeutlich sagte er: „Ich bin Ungeziefer.“
„Kapitän“, sagte de Jonge. „Oder hast du das vergessen?“
„Kapitän“, wiederholte der Bulle.
„Sage den ganzen Satz, Jan Swammerdam.“
„Ich bin Ungeziefer, Kapitän.“ Der Bulle schwankte.
„Setz dich, mein Guter“, sagte de Jonge und deutete auf einen Hocker. Wieder trank er einen Schluck Genever.
„Danke, Kapitän“, murmelte der Bulle und sackte auf den Hocker. Er stierte den Kapitän an und leckte sich über die Lippen.
„Magst du einen Genever, Jan Swammerdam?“ fragte de Jonge.
„Sehr gern, Kapitän. Sie sind sehr gut zu mir.“
Der Profos durfte sich einen Genever einschenken.
Der Kapitän hob sein Glas.
„Wir trinken auf deinen Tod, Jan Swammerdam“, sagte er.
Sie tranken. Der Bulle goß den Genever wie Wasser in die Kehle. Dann schnappte er nach Luft. Etwas später verlor sich der stumpfe Ausdruck in seinen Augen.
„Du hast noch eine Chance, Jan Swammerdam“, sagte de Jonge. „Deine letzte, allerletzte Chance, um dich zu bewähren. Vielleicht rettet dich das vor dem Strang. Vielleicht habe ich auch die Güte, dich dann wieder als Profos einzusetzen und Gnade walten zu lassen. Du hast gesündigt, Jan Swammerdam. Wiederhole: ich habe gesündigt!“
„Ich habe gesündigt, Kapitän.“
„Schenke uns noch von dem Genever ein, Jan Swammerdam.“
Der Bulle stand von dem Hocker auf, nahm die Flasche von dem Bord neben der Kapitänskoje, schenkte dem Kapitän ein, dann sich und ging zurück zu dem Hocker. Mühsam setzte er sich.
„Hat sie sich gewehrt, Jan Swammerdam?“ fragte der Kapitän. In seinen Augen war ein Glitzern. „Du hast es mir schon einmal erzählt. Aber erzähle mir mehr. Wie war es?“
Der Bulle duckte sich etwas und stierte in eine Ecke.
„Sie ging an dir vorbei?“ fragte der Kapitän. Seine Stimme war plötzlich heiser.
„Ja, Kapitän. Sie ging an mir vorbei.“
„Wie ging sie vorbei? Zeig es mir!“
Der Bulle stand auf. Er atmete heftig. Auch seine Augen glitzerten jetzt.
„So, Kapitän.“ Er ging an dem Hokker vorbei, bewegte stöhnend die Schultern, dann die Hüften.
„Und dann?“ Der Kapitän keuchte.
„Ich riß sie zu Boden.“
„Und dann?“
„Wälzte ich mich über sie.“
„Und dann?“
Der Bulle stürzte den Genever hinunter. „Ich weiß nicht mehr. Sie schrie, sie schlug mir ihre Nägel ins Gesicht, sie kratzte und biß …“
„War das schön?“
„Ich wurde rasend.“
Jetzt trank der Kapitän. Seine Hand zitterte, als er das Glas zum Mund führte. Genever tropfte über sein Kinn und lief an seinem Hals entlang in den Hemdausschnitt.
„Du mußt mir mehr darüber erzählen, Jan Swammerdam“, sagte er. „Jede Einzelheit. Nur so kann ich entscheiden, in welchen Sumpf der Sünde du dich verirrt hast. Du bist tief gesunken, Jan Swammerdam, und ich habe dich zum Tode durch den Strang verurteilt. Du weißt, nur meine Gnade kann dich noch retten.“
„Was soll ich tun, Kapitän?“
„Du wirst heute nacht das Schiff dieser englischen Hunde überfallen und den Kapitän töten!“
„Ich allein?“
„Unsinn. Die vierzehn Dummköpfe, mit denen du in der letzten Nacht die sechs Engländer überwältigen und hier an Bord bringen solltest, werden dich begleiten. Es ist auch deren letzte Chance.“
„Fünfzehn Männer sind zu wenig, Kapitän“, sagte der Profos. „Die Engländer kämpfen wie die Teufel.“
„Hast du Angst, Jan Swammerdam? Als du das Weib überfielst, hattest du auch keine Angst. Du mußt wieder rasend sein – wie zu dem Zeitpunkt, als dich deine Lüste übermannten. Verstehst du das?“
Der Bulle grunzte und schien nicht sehr begeistert zu sein. Vieles begriff er auch nicht. Warum wollte der Kapitän so viele Einzelheiten wissen? Als die Untat bekannt geworden war, hatte der Kapitän bereits gierig nach den Details gefragt. Warum fragte er immer wieder?
Die Stimme des Kapitäns war scharf wie ein Messer. „Hast du verstanden, Jan Swammerdam? Warum antwortest du nicht? Soll ich dich wieder auspeitschen lassen?“
„Nein, Kapitän. Ich meinte nur, daß es schwer sein wird, mit nur vierzehn Männern das Schiff zu besetzen und den Kapitän zu töten. Sollen wir auch seine Leute töten?“
„So wenig wie möglich. Sie sollen die Peitsche spüren – deine Peitsche, Jan Swammerdam. Du peitschst doch gerne, nicht wahr?“
Der Bulle keuchte. „‚Jawohl, Kapitän.“
„Na also.“ Der Kapitän legte sich in die Kissen seiner Koje zurück. „Gut, ich werde dir noch fünf Männer zusätzlich mitgeben. Dann seid ihr zwanzig. Schenke uns noch einen Genever ein, Jan Swammerdam.“
Der Bulle gehorchte.
Wie zuvor hob der Kapitän sein Glas.
„Ich trinke auf deinen Tod, Jan Swammerdam“, sagte er.
Der Profos trank mit verbissenem Gesicht.
„Es sei denn“, sagte der Kapitän, „du meldest mir den Tod des englischen Kapitäns. Dann, Jan Swammerdam, trinke ich auf dein Leben. Sage, daß ich gütig bin.“
„Sie sind gütig, Kapitän.“
„Wir wollen beten“, sagte Pieter de Jonge, „wie es sich für Christenmenschen geziemt. Knie nieder, Jan Swammerdam, und bete mir nach!“
Es wurde ein sehr schauriges Gebet, denn Kapitän Pieter de Jonge erging sich in endlosen Tiraden über die Sünden der Fleischeslust, deren verschiedene Einzelheiten von ihm mit donnernder Stimme angeprangert, aber von dem Profos kaum noch verstanden wurden.
Es war ihm auch völlig gleichgültig, ob ein Gebot bestand, er möge keine Hand anlegen an seines Bruders Weib. Er hatte keinen Bruder, soweit er sich erinnern konnte, und wenn er einen gehabt hätte und dessen Weib wäre begehrenswert gewesen, na dann …
Er murmelte nach, was der Kapitän salbaderte.
Und er dachte an die sechs harten Männer des englischen Schiffes. Teufel, dachte er, das kann nicht gutgehen.
„Landgang, Sir?“ fragte Ben Brighton an diesem Abend genauso, wie er es einen Tag zuvor getan hatte. Und in seinen grauen Augen blitzte es wieder unternehmungslustig – wie am Vorabend.
„Suleika“, sagte Hasard lächelnd.
„Suleika“, bestätigte Ben Brighton, „die Blume des Orients.“
Hasard strich sich über das glatte Kinn und starrte zu der „Zwarte Leeuw“ hinüber.
Ben Brighton folgte dem Blick. Er sagte: „Ich hatte geraten, daß wir den Kerl in die Vorpiek sperren. Dann hätten wir Ruhe gehabt.“
„Ich weiß, Ben.“ Hasard hob unbehaglich die Schultern. „Vielleicht hätten wir es tun sollen. Aber irgendwie war mir das nicht recht.“
Selten geschah das, fast nie, aber Ben Brighton sagte scharf und hart: „Irgendwann gehen wir einmal mit fliegenden Fahnen unter – wegen deiner Fairneß.“
„Besser so als mit dem Gedanken, unfair gewesen zu sein.“
Ben Brighton seufzte, und das war Antwort genug.
„Schieß ab an Land“, sagte Hasard, „aber Ed bleibt dieses Mal an Bord, vielleicht rappelt’s bei denen da drüben, und sie versuchen was. Da hätte ich Ed gern hier an Bord. Wie viele Männer nimmst du mit?“
Ben Brighton starrte auf seine Stiefel und sagte nichts.
„He, Ben, ich habe dich was gefragt!“ sagte Hasard.
Ben Brighton hob den Kopf.
„Ich bleibe“, sagte er knapp.
„Was ist mit dir los, Ben?“ fragte Hasard verblüfft. „Soll ich dich vielleicht an Land prügeln?“
„Ich habe eben nachgedacht“, erwiderte Ben. „Ich weiß, daß sie es heute nacht versuchen werden. Da brauchen wir jeden Mann.“
„Schwarzseher?“
„Es ist so, ich weiß es eben.“ Ben Brighton reckte die Schultern. „Frag mich nicht, warum ich das weiß. Sie werden vom Wasser und von der Landseite her angreifen. Danach sollten wir unsere Verteidigung aufbauen.“
„Ben“, sagte Hasard, „du bist an diesem Abend ziemlich verbissen. Vielleicht solltest du doch in Erwägung ziehen, daß Suleika auf dich wartet. Was meinst du?“
„In Ordnung, Sir.“ Ben Brighton richtete sich kerzengerade auf. „Dann möchte ich Matt Davies, Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Gary Andrews mit an Land nehmen.“
„In Ordnung, Ben. Wir verfahren wie gestern. Drei Böller mit den Drehbassen – und hier ist was los, klar?“
„Alles klar, Sir.“
Zehn Minuten später stieg Ben Brighton mit den Männern, die er genannt hatte, über die Leiter von Bord. Es war bereits dunkel. Hasard starrte ihnen nach. Irgend etwas irritierte ihn, aber er wußte nicht, was es war.
Er vergaß es wieder, weil er mit Big Old Shane und Smoky darüber beratschlagte, welche Posten an welchen Stellen aufgestellt werden sollten. Carberry gesellte sich hinzu. Ferris Tucker, der den ganzen Tag wie ein Berserker geschuftet hatte, war wachfrei. Er lag bereits in der Koje.
Lächelnd sagte Hasard: „Ben meinte, die Kerle könnten in dieser Nacht vom Wasser und von der Landseite her etwas gegen uns unternehmen. Er war sich sogar ziemlich sicher, hatte ich den Eindruck.“
„Der spielt wohl jetzt Old O’Flynn“, sagte Smoky und grinste.
„Ich weiß nicht so recht“, meinte Hasard, „Aber irgendwie hat er mich angesteckt. De Jonge hat von uns eine Abfuhr erhalten, wird also nicht mehr mit uns rechnen. Aber ich könnte mir vorstellen, daß er auf unsere ‚Isabella‘ scharf ist. Bisher hat er nicht gewagt, etwas gegen die Portugiesen zu unternehmen, weil die Kampfkraft mit fünf Schiffen gegen fünf Schiffe der Portugiesen gleich verteilt war. Mit der ‚Isabella‘ würde er diese Kampfkraft zu seinen Gunsten verändern. Bemannen könnte er die ‚Isabella‘, indem er Mannschaften von seinen fünf Schiffen abzieht.“
„Noch ist die ‚Isabella‘ manövrierunfähig“, sagte Big Old Shane nachdenklich. „Wäre es nicht logischer, daß er erst dann zupackt, wenn das Ruder wieder in Ordnung ist?“
Hasard schüttelte den Kopf. „Mit Logik hapert’s bei de Jonge. Aber egal, ob er in dieser Nacht oder später angreift, wir müssen uns darauf einstellen. Das bedeutet verstärktes Postengehen, und zwar rund um die ‚Isabella‘. Ich will die Kerle gar nicht erst an unser Schiff heranlassen. Darum schlage ich vor, daß du, Shane, mit zehn Männern um die ‚Isabella‘ herum Posten beziehst. Der Rest bleibt mit mir hier oben an Bord. Die Leiter wird eingeholt. Suche dir die zehn Männer aus, nur möchte ich Al Conroy hierbehalten. Bewaffnet euch mit Musketen, Pistolen und den Hieb- und Stichwaffen. Losung und Alarmruf wie immer ‚Arwenack‘. Unter Umständen lassen wir von hier oben aus ein paar Raketen steigen, damit es heller wird, sobald der Zauber losgeht. Alles klar?“
„Keine Schonung?“ fragte Big Old Shane knapp.
„Kampfunfähig genügt“, erwiderte Hasard. „Ich will kein Gemetzel. Die Burschen da drüben können nichts dafür, daß sie einen übergeschnappten Kapitän haben. Im übrigen schätze ich, daß er nicht dabei sein wird. Der fühlt sich zu Höherem geboren.“
„Alles klar“, sagte Big Old Shane.
Wenig später verließ er mit zehn Männern schwerbewaffnet die „Isabella“. Carberry war bei ihm. Sie verteilten sich um die Galeone. Als Hasard einen Rundgang oben auf der „Isabella“ unternahm und nach allen Seiten hinunterspähte, konnte er niemanden mehr entdecken. Das Werftgelände lag still und verlassen da.
Stenmark, der an Bord geblieben war, und Al Conroy, den Stückmeister der „Isabella“, postierte Hasard auf der Back vor dem Fockmast, wo sie zwei der Gestelle aufbauten, mit denen sie die von Ferris Tucker und Al Conroy selbst gebastelten Höllenflaschen auf die Reise schicken konnten.
„Beobachtet scharf die Reede“, sagte Hasard. „Wenn sie mit Booten kommen, müßtet ihr sie bei dem Mondlicht sehen. Laßt sie soweit heran, bis ihr sicher seid, mit den Flaschen zu treffen. Das wird ihnen den Spaß verderben, noch landen zu wollen.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Al Conroy.
Mittschiffs, auf der Kuhl, sicherten Old O’Flynn und der Kutscher nach beiden Seiten. Hasard selbst übernahm das Achterschiff – mit seinen beiden Söhnen.
Sir John saß auf der Großrah und hatte den Kopf im Gefieder versteckt. Arwenack strolchte über Deck und blieb schließlich achtern bei Hasard und seinen Söhnen.
Das Warten begann.
Von der Stadt her wurden die Geräusche von Stunde zu Stunde leiser. Aus dem Bambusdschungel weiter im Westen drangen die Laute streifender Tiere herüber. Hinter Palmen, beim Kampong der Fischer westlich der Werft, glühten Feuer. Zikaden zirpten. Weiße Gischt schäumte von der See her heran, brach zusammen und verebbte rauschend. Die vier Schiffe draußen auf der Reede wirkten mit dem Filigran der Masten und Rahen wie feine, hingetupfte Schwarzzeichnungen.