Seewölfe Paket 11

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Mitternacht verging.
Eine Stunde später wurde Arwenack unruhig und fauchte leise. Gleichzeitig huschte der Kutscher heran und flüsterte: „Al und Sten haben ein Boot gesichtet, Sir, von Norden.“
„Danke, Kutscher.“ Hasard lächelte. „Scheint loszugehen. Ben hatte also doch recht. Sag Al, er soll die drei Böller abfeuern.“ Er lächelte noch breiter. „Ben wird betrübt sein, sich von Suleika trennen zu …“
Weiter gelangte er nicht.
Al Conroy brauchte keine drei Böller zu lösen, und Ben Brighton brauchte sich nicht von Suleika zu trennen – er war gar nicht bei ihr gewesen.
Denn es war seine Stimme, die draußen vor der Werft wie eine Fanfare den alten Schlachtruf der Seewölfe schmetterte.
„Ar-we-nack! Ar-we-nack …“
Jetzt brüllten seine vier Männer mit. Schüsse krachten, dann klirrten Blankwaffen, Schreie gellten, da und dort huschten aus der Werft Schatten zum Werfttor – Seewölfe, bereit, ihren fünf Kameraden beizustehen, die sich als erste auf die anrückenden Niederländer gestürzt hatten.
Hasard biß die Zähne zusammen. Jetzt kämpften sie dort – und er stand auf der „Burg“ und schaute zu.
Dieser Ben Brighton!
Jäh fiel Hasard ein, was ihn irritiert hatte. Sie waren so merkwürdig steif auf der Leiter nach unten geklettert. Deswegen steif, weil sie unter ihrer Kleidung Waffen verborgen hatten.
Diese verdammte Bande!
Waren gar nicht an Land geschossen, sondern hatten vor der Werft Stellung bezogen, um die Kerle rechtzeitig abzufangen und die „Isabella“ zu warnen.
Carberrys donnernde Stimme schallte herüber. Er verteilte Hiebe und Flüche. Wo seine breite Gestalt auftauchte, purzelten die Figuren.
„Aufpassen hier achtern!“ rief Hasard seinen beiden Söhnen zu. „Ich schau auf der Back nach!“
„Aye, aye, Sir!“ riefen die Bürschchen.
Hasard eilte nach vorn. Aber auch dort konnte er nur Däumchen drehen und zusehen. Gerade zerplatzten am Himmel vier Raketen und beleuchteten Reede und Werftgelände mit magischem Licht. Und zwei Flaschen torkelten auf das Boot zu, das hastig in Richtung der „Isabella“ gepullt wurde. Die Männer auf den Duchten duckten sich, als es Sterne in allen Farben niederregnete.
Nur waren die harmlos.
Die beiden Flaschen waren es nicht. Eine explodierte am Bug und zerfetzte ihn wie morsches Holz. Die andere tauchte an der Backbordseite ins Wasser, es dauerte ein paar Sekunden, dann detonierte sie dumpf, eine Fontäne schoß hoch und kippte das Boot um.
Die Männer quirlten im Wasser durcheinander und brüllten, als würden sie geröstet.
„Der Bootsführer war der Profos der ‚Zwarte Leeuw‘“, sagte Stenmark zu Hasard. „Ich habe ihn deutlich genug erkannt.“
„Habt ihr die Kerle gezählt?“ fragte Hasard.
„Zehn mit dem Profos“, erwiderte Al Conroy.
Das Feuerwerk am Himmel erlosch. Für Momente waren ihre Augen wie blind. Dann sahen sie, wie Big Old Shane an der Spitze von vier Männern zum Strand stürmte. Sie warfen sich ins Wasser und schienen nicht lange zu fakkeln, wobei sie im Vorteil waren, weil die Niederländer die Übersicht verloren hatten. Für sie mußte die Welt untergegangen sein. Und jetzt fielen diese wilden Kerle von dem Teufelschiff noch im Wasser über sie her.
Wer es bis zum Ufer schaffte, ergriff die Flucht. Da und dort wurden sie noch im Werftgelände abgefangen und steckten weitere Prügel ein.
Nach fast zehn Minuten war alles vorbei – meinte Hasard, der wieder auf dem Achterdeck stand. Weil Arwenack so laut herumkeckerte und Sir John, inzwischen wach geworden, auf der Großrah lamentierte, hörte er nicht den pochenden Laut mittschiffs auf der Steuerbordseite.
Aber dort befand sich Old O’Flynn, und der hörte nicht nur den pochenden Laut, sondern sah auch, als er herumfuhr, was ihn verursacht hatte: ein krallenartiger Haken, an dem ein Seil hing.
Mit diesen Dingern wurde geentert, wenn man mit Booten ein größeres Schiff kapern wollte. Man warf sie von unten hoch, und ihr Haken verfing sich im Schanzkleid.
Old O’Flynn grinste und schlich zum Schanzkleid. Unten ruckte jemand am Seil, um festzustellen, ob der Haken festsaß.
Er saß fest.
Old O’Flynn wahrschaute niemanden. Kinkerlitzchen! Solche Sachen regelte er selbst. Offenbar hatte es einer von den Kerlen geschafft, sich ungesehen an die „Isabella“ heranzuarbeiten.
Na warte, mein Bürschchen, dachte Old O’Flynn, du wirst dein blaues Wunder erleben.
Er baute sich vor dem Haken auf, seine Krücke schwungbereit.
Plötzlich sagte hinter ihm der Kutscher: „Spielst du Denkmal, Old Donegal?“
„Schsch!“ zischte Old O’Flynn.
Jetzt entdeckte der Kutscher den Haken und sah, wie sich das Seil bewegte. Er riß die Augen auf, faßte sich aber schnell und nahm ebenfalls Aufstellung – mit einer Riesenbratpfanne in den Fäusten.
Jetzt spielten sie beide Denkmal, geduckt, lauernd, stumm, unbeweglich – der eine mit zur Seite geschwungener Krücke, als gelte es, mit einer Sense eine Wiese abzumähen, der andere mit erhobenen Armen und der Bratpfanne über sich, die aussah, als habe er einen Schirm aufgespannt.
In dieser Haltung wurden sie von den Zwillingen entdeckt, die gerade zur Kuhl abenterten. Prompt begannen die beiden Lümmel zu kichern.
„Schscht!“ zischte Old O’Flynn.
„Pssst!“ zischte der Kutscher.
Und da tauchte der Kopf am Schanzkleid auf, zwei Hände griffen um das Schanzkleid. Erst die rechte, dann die linke Hand.
Jan Swammerdam, der Profos der „Zwarte Leeuw“.
Daß er erwartet wurde, war das letzte, was er in seinem bösen Leben begriff.
Die Bratpfanne krachte auf seinen Schädel. Die Krücke wischte ihn vom Schanzkleid weg wie eine lästige Fliege.
Im Sturz brüllte er noch.
Das war sein letztes Lebenszeichen.
Batuti, der sich gerade genähert hatte, sah den Körper durch die Luft fliegen und unten aufschlagen. Als er den Mann umdrehte, erkannte er den Profos.
„Nix mehr schwarzen Mann beleidigen“, murmelte er, beugte sich hinunter und drückte dem Toten die Augen zu.
Die Schlacht war geschlagen.
Nur Blessierte kehrten zur „Zwarte Leeuw“ zurück – den Profos brachten Batuti, Carberry, Smoky und Matt Davies auf einer Bahre zu der niederländischen Galeone.
Sie stellten sie auf der Pier ab, und Carberry rief: „Hier ist euer Profos, Männer! Wenn er es auf unseren Kapitän abgesehen hatte, dann hat er es mit seinem Leben gebüßt. Wenn nicht, dann war er sowieso ein Sünder, aber das wird der Kapitän dort oben im Himmel entscheiden. Er möge seiner armen Seele gnädig sein.“
„Ha-ha-ha!“ gellte eine Stimme vom Achterdeck her. Es war die Stimme des Kapitäns.
Matt Davies sah einen Musketenlauf blitzen und brüllte: „Deckung!“ Er warf sich hin und riß Carberry mit um.
Batuti und Smoky warfen sich nach links und rechts.
Der Schuß krachte, und die Kugel fauchte über die vier Männer weg. Sie feuerten noch im Liegen aus ihren Pistolen zurück.
Aber de Jonge war bereits in Dekkung gegangen.
„Dieser Schweinehund!“ keuchte Carberry. „Los, weg hier, Männer, die schießen uns ab wie die Hasen!“
Sie sprangen auf und liefen im Zickzack über die Pier.
„Knallt sie ab!“ schrie de Jonge. „Sie haben euren Profos ermordet! Knallt sie ab! Vorwärts …“
Aber kein Schuß fiel.
„Meuterei!“ brüllte der Kapitän.
Einer auf der Kuhl sagte laut: „Wir schießen niemandem in den Rücken, Kapitän!“
„Wer war das? Wer hat das gesagt?“
Der Kapitän erfuhr es nicht.
Und die vier Seewölfe hörten den Wortwechsel nicht mehr. Sie hatten bereits das Werfttor erreicht und waren in Sicherheit.
7.
Kapitän de Jonge ließ sich nicht mehr bei der „Isabella“ blicken. Jetzt hatte er sich wohl aufs Warten verlegt. Allerdings war er am nächsten Tag mehrere Male an Deck erschienen, hatte durch ein Spektiv die „Isabella“ beobachtet und hatte sich gegen Mittag zu den vier Schiffen auf Reede hinüberpullen lassen.
Dann war er wieder zurückgekehrt, und die vier Galeonen waren wie am Vortag ankerauf gegangen und hatten vor der Bai gekreuzt – wie um zu demonstrieren, daß sie nicht mal eine Maus aus der Bai lassen würden.
Ferris Tucker und seine Helfer arbeiteten unverdrossen an dem Ruder. Inzwischen kaufte der Kutscher in der portugiesischen Faktorei ein, die „Isabella“ wurde verproviantiert, Säcke, Kisten und Fässer wurden an Bord gemannt.
Und Ben Brighton verbrachte seinen Landgang bei Suleika.
Im Laufe des nächsten Tages wurde das neue Ruder fertig. Am späten Nachmittag hätte die „Isabella“ die Helling verlassen können, aber ein harter Nord bis Nordwest fegte in die Bantambai, und da war gar nicht daran zu denken, die Galeone von der Slipanlage ins Wasser zu lassen: Das war bei aller guter Seemannschaft nicht zu schaffen.
Auflandiger Wind von dieser Stärke war immer problematisch.
Hasard hielt Kriegsrat auf dem Achterdeck ab und sagte: „Wir müssen sehen, was morgen für Windverhältnisse sind. Allerdings sollten wir dann in der Nacht auslaufen, da sind alle Katzen grau. Oder ist einer der Gentlemen dafür, daß wir es bei Tage versuchen?
„Gegen vier gut bestückte Galeonen?“ meinte Ben Brighton. Er schüttelte den Kopf. „Das geht ins Auge.“
„Vielleicht wollen sie gar nicht kämpfen“, sagte Big Old Shane. „Schließlich müssen sie kapiert haben, daß dann auch bei ihnen die Fetzen fliegen, das heißt, daß es für sie riskant ist, sich mit uns anzulegen.“
„Könnte sein, könnte auch nicht sein“, sagte Hasard, „verlassen würde ich mich nicht darauf. Sicherer ist auf jeden Fall, wenn wir uns nachts verdrücken. Und auch das hat den Haken, daß wir nicht unbemerkt von der Helling herunter können. Wir werden ständig beobachtet. Sobald die Winschen an Land besetzt werden, weiß de Jonge, daß wir die Absicht haben, diesem schönen Hafen Lebewohl zu sagen. Er wird die vier Galeonen draußen alarmieren und selbst seeklar machen.“
„Abwarten“, sagte Ferris Tucker, „kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht ergibt sich plötzlich eine Situation, die für uns günstig ist. Außerdem läuft uns nichts weg.“ Er grinste. „Im Hafen ist gut schlafen, was, Bän Breitohn?“
Der Bootsmann und Erste Offizier der „Isabella“ brachte es tatsächlich fertig, rote Ohren zu kriegen.
„Du mußt es ja wissen“, sagte er gallig.
„Nein, ich muß es erst noch ausprobieren.“
„Hast du dir auch verdient, Ferris“, sagte Hasard..
Also ging an diesem Abend Ferris Tucker mit fünf Männern an Land, ohne zu ahnen, daß die günstige Situation, von der er gesprochen hatte, um die Zeit nach Mitternacht Wahrheit werden würde.
Wenn er es geahnt hätte, wären ihm die Haare zu Berge gestanden. Aber nicht nur ihm, sondern jedem Mann auf der „Isabella“, vor allem dem Kapitän Philip Hasard Killigrew.
Dem begannen sie sich zu sträuben, als er nach einer Ronde etwa zwei Stunden vor Mitternacht feststellte, daß seine beiden Söhne nicht in ihren Kojen lagen.
In der Kapitänskammer waren sie nicht, wo sie sich manchmal die Seekarten anschauten. Bei Ben Brighton waren sie auch nicht. Ben Brighton weckte Smoky. Hasard schaute in der Kombüse nach. Sie war blitzsauber und leer.
Fünf Minuten später wurde das ganze Schiff umgekrempelt. Alle Männer, die an Bord waren, suchten.
Blacky, der die Abendwache an der Leiter ging, hatte die beiden Lümmel auch nicht gesehen.
In Hasard begann es zu kochen.
Old O’Flynn begann mal wieder zu orakeln und meinte, die Lausebengel seien sicherlich fischen gegangen.
„Bei dem Scheißwetter?“ fuhr ihn Hasard an. „Und was heißt hier ‚fischen gegangen‘? Zu der Zeit wird nicht gefischt, sondern geschlafen!“
„Weiß man’s?“ meinte Old O’Flynn unbeeindruckt. „Als ich noch auf der ‚Empreß of Sea‘ fuhr, haben wir oft des Nachts geangelt. Mit Licht! Da beißen sie besser an, verstehst du?“
Hasard stöhnte und rief die Männer zusammen.
„Wer hat die Lümmel zuletzt gesehen?“ fragte er.
Der Kutscher kratzte sich hinter dem Ohr und sagte: „So gegen acht waren sie bei mir in der Kombüse, um sich einen Nachschlag zu holen.“
„Und dann? Wohin haben sie sich gewandt?“
Der Kutscher zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Sir. Ich habe nicht darauf geachtet, weil ich nach meinem Schlachtermesser suchte. Das war verschwunden – vielmehr ist verschwunden, weil ich’s noch nicht wiedergefunden habe.“
„Klarer Fall“, sagte Old O’Flynn. „Die Lümmel haben’s geklaut. Das Messer brauchen sie zum Ausnehmen der Fische, die sie angeln.“
„Quatsch! Hör mit deinem Unsinn auf, Old Donegal“, sagte Hasard wütend.
„Auch gut. Dann sage ich überhaupt nichts mehr“, brummte Old O’Flynn. „Auf mich hört ja keiner. Außerdem fehlt das kleine Beiboot, das wir vorn an der Helling vertäut hatten.“
Hasard wirbelte herum. „Wie bitte? Was sagst du da?“
„Das kleine Beiboot fehlt.“
„Woher weißt du das?“
„Ich war vorhin auf dem Galionsdeck. Da hab ich’s gesehen.“
„Und das sagst du jetzt erst?“
„Ich sollte ja mit meinem Quatsch aufhören, nicht wahr?“ sagte Old O’Flynn pikiert. „Wenn man angeln geht, braucht man ein Boot, oder?“
„Bei dem Wind?“ fauchte Hasard. „Du spinnst doch wohl, Mister O’Flynn!“
„Ach nein!“ Jetzt wurde auch Old O’Flynn rabiat. „Was heißt hier ‚bei dem Wind‘? Wer war denn der Lauselümmel, der im gleichen Alter wie seine Lauselümmelsöhne mit einer Nußschale von Boot bei Sturm in der Falmouth Bai segelte, he? Und wem hat dann Sir John den Arsch versohlt, wie? Weißt du das noch, Mister Killigrew, Sir? Und der Teufel soll mich holen, wenn ich hier in Wehgeschrei ausbreche! Entweder haben diese verdammten Lümmel gelernt, wie man bei solchem Wetter zur See fährt, oder sie haben es nicht gelernt, verflucht und zugenagelt. Ha! Meine Enkel sind aus hartem O’Flynn-Holz geschnitzt, damit auch das mal klar ist. Und ich verwette mein Holzbein, daß diese Knilche heiter und munter zurückkehren. Sonst noch was?“
„Das Schlachtermesser“, murmelte Ben Brighton. Er starrte den Kutscher an. „Das Ding ist doch scharf, oder?“
„Wie ein Rasiermesser oder Skalpell“, sagte der Kutscher stolz.
„Sie saßen im Ruderhaus, als wir am Spätnachmittag die Lage besprachen“, sagte Ben Brighton. „Sie haben zugehört.“
„Na und?“ sagte Hasard unruhig.
„Sie haben einen Plan ausgeheckt, der mir übrigens auch durch den Kopf gegangen war.“
„Was für einen Plan?“
Bedächtig, wie es seine Art war, erwiderte Ben Brighton: „Diese Nacht ist schwarz, kein Mondlicht, kein Sternenlicht. Genug Dunkelheit, um sich an die vier Galeonen draußen auf der Reede zu pirschen und die Ankertrossen zu kappen. Ehe die Kerle an Bord kapieren, was sich abspielt, treiben ihre Schiffe hier auf Land zu. Und da gibt’s dann Kleinholz, möchte ich meinen.“
Hasard und die Männer starrten Ben Brighton an, als sei er der Mann vom Mond oder eine Kuh mit drei Köpfen.
„Ach du meine Fresse“, murmelte Edwin Carberry erschüttert, „wer mit chinesischen Raketen Ratten jagt, der bringt noch ganz was anderes fertig.“ Und dann grinste er.
„Wie bitte?“ fragte Hasard irritiert. „Was ist mit den chinesischen Raketen?“
„Ach, nichts“, sagte Carberry, „ich hab nur so gedacht, Sir.“
„Was war das, Mister Carberry?“ fragte Hasard scharf. „Heraus mit der Sprache!“
„Ja, Sir, äh, das war so“, Carberry trampelte von einem Fuß auf den anderen, „also ganz harmlos, Sir. Wie soll ich sagen, na, die Rübenschweinchen haben eine neue Methode erfunden, Ratten zu jagen. Ja, genau so ist es.“ Carberry versuchte ein Grinsen, das aber danebenging, als er in Hasards eisblaue Augen schaute.
„Weiter!“ forderte Hasard. „Was ist das für eine Methode?“
Carberry räusperte sich die Kehle frei. „Nun, wie war das doch gleich, hm, hm.“ Er kratzte sich im Genick, dann war die Brust dran. „Ferris, weißt du noch, wie die Methode funktionierte? Du fandest das doch genial, oder?“ Carberry blickte sich um, aber da war kein Ferris Tucker, denn der hatte ja Landgang. Dann bemerkte er die grinsenden Gesichter, natürlich verstohlen grinsend, und brummte: „Da gibt’s wieder was zu lachen, was, wie?“
„Mister Carberry!“ mahnte Hasard. „Ich wollte die Geschichte gern zu Ende hören.“
„Die Geschichte, ja so, die Geschichte!“ Erneutes Räuspern. „Ja, die Rübenschweinchen haben also unter der Bilgegräting eine chinesische Rakete gezündet. Genial, was, wie? Und wenn das Ding unter der Gräting hin und her faucht und Sternchen verspritzt, dann kriegen es die Ratten, die ja bekanntlich gern in der Bilge herumturnen, mit der Angst zu tun und reißen aus. Schwuppdiwupp können jetzt die Rübenschweinchen zuschlagen.“ Wider versuchte der Profos, ein fröhliches Gesicht zu zeigen, und wieder erstarrte er, als er in Hasards Augen blickte.
„Und das erfahre ich jetzt erst?“
Carberry blickte sich unbehaglich um. „Also, Sir, ich hätte dir das schon noch mitgeteilt, aber da passierte die Sache mit dem verdammten Baumstamm, der unser Ruder demolierte, ja, und dann hab ich diese Geschichte doch glatt vergessen, weil der Ereignisse so viele waren.“ Unwillkürlich ahmte Carberry den gestelzten Stil des Kutschers nach, weil er das immer für sehr beeindruckend hielt. „Ja, der Ereignisse waren so viele, daß die Zeit dahinfloh und ein Tag dem anderen folgte, ohne daß der Gelegenheiten eine sich ergab, dir die Geschichte …“
Carberry brach ab, als Hasard nur sanft den Kopf schüttelte.
„Schon gut, Ed“, sagte Hasard, und Carberry atmete auf.
Ben Brighton sagte: „Sollten wir mit dem großen Beiboot auf die Reede pullen, Sir? Falls etwas schiefgeht.“
Hasard nickte. „Du bleibst an Bord, Ben. Ich gehe selbst mit.“
Sie hatten gegen den Nord aufkreuzen müssen und sich Schlag um Schlag auf die Höhe der vier ankernden Galeonen gekämpft. Wie Affen hockten sie auf der Luvkante des Bootes und geigten durch die zischende See.
Hasard bediente die Pinne, Philip die Schot zu dem trapezförmigen Segel, das an einer Gaffel ausgespreizt wurde. Natürlich waren sie bereits quitschnaß, aber das kümmerte sie nicht weiter. Außerdem war das Wasser warm.
„Wie packen wir’s?“ brüllte Philip seinem Bruder ins Ohr. „Wir können bei dem Wind unmöglich bei jeder Trosse in den Wind schießen, das haut uns die Gaffel kaputt und den Großbaum um die Ohren!“
„Wir segeln an den Trossen vorbei!“ rief Hasard. „Oder vielmehr drüber weg! Ich nehme dann noch die Schot. Und du haust mit dem Messer vom Kutscher auf die Trosse. Da brauchen nur zwei Kardeele zu brechen, dann reißen die anderen auch. Wenn nicht, kehren wir um, und du haust wieder drauf. Klar?“
„Klar!“
Sie hatten sich im Westen hochgekreuzt. Als sie die Umrisse der ersten Galeone undeutlich querab erkannten, liefen sie noch ein Stück über Backbordbug nach Nordwesten, wendeten dann auf den Steuerbordbug und segelten mit einer Braßfahrt bei halbem Wind ostwärts auf den Bug der ersten Galeone zu.
Hasard übernahm die Schot und hing weit draußen nach Luv, um die Schräglage des Bootes zu vermindern.
Philip lauerte in Lee neben dem Mast.
Hasard peilte voraus und sah die Galeone größer und größer werden. Und dann entdeckte er die Ankertrosse, die schräg aus dem Wasser ragte und zu der Bugklüse hochführte. Die Trosse wirkte so straff gespannt wie die Saite eines Lauteninstruments.
„Achtung!“ rief er Philip zu.
Philip zeigte mit der Linken klar. In der Rechten hatte er das Schlachtermesser – scharf „wie ein Skalpell“. Rittlings saß er auf der Mastducht und hatte die Unterschenkel ineinander verhakt, um einen festen Halt zu haben. Er wußte, daß er nur einen einzigen Schlag hatte, und der mußte sitzen.
Die Galeone wurde riesig.
Das Boot zischte auf die Trosse zu. Hasard luvte etwas an, dann noch mehr, um sie nicht zu unterlaufen. Das wäre das Ende gewesen – zumindest für den Mast.
Als er Philips Arm nach unten sausen sah, preßte er die Zähne zusammen. Und schon waren sie vorbei. Er blickte zurück. Genau in diesem Moment sprang die Kerbe auf, die das Messer geschlagen hatte – und dann brach die Trosse. Wie eine Schlange züngelte sie hoch in die Luft. Einen peitschenartigen Knall hatte es dabei gegeben.
Und schon schien die Galeone auf Fahrt zu gehen, so schnell verschwand sie nach Lee.
Philip grinste zu Hasard zurück. Hasard erwiderte das Grinsen.
Die zweite Galeone schälte sich aus der Dunkelheit. Vier Minuten später trieb sie ebenfalls landwärts. Die dritte Galeone folgte.
Bei der vierten Galeone brauchten sie drei Anläufe und waren inzwischen auch schweißgebadet. Hasard konnte die Schot kaum noch halten, die Innenflächen seiner Hände waren aufgerissen.
Aber sie brüllten Hurra und „Arwenack“, was natürlich keiner hörte, weil der Wind orgelte und pfiff.
Die vier Galeonen befanden sich „auf großer Fahrt“, wie Philip brüllte.
Sie segelten jetzt mit Backstagswind über Backbordbug wieder westwärts und kreuzten das Kielwasser der treibenden Galeonen.
Warum sich da überhaupt nichts tat, war ihnen schleierhaft, zumal die Galeonen zwar zuerst mit dem Heck voran nach Süden trieben – wie sich das gehörte –, aber dann doch allmählich herumtörnten, dem Wind die Breitseite boten und demzufolge völlig anders schlingerten und schaukelten als zuvor, als sie im Wind liegend an der Ankertrosse gehangen hatten.
„Die pennen!“ rief Hasard.
Philip, der die Schot wieder übernommen hatte, nickte.
Und dann tönte über die Reede ein donnernder Krach, weil sich zwei der Galeonen gerammt und ineinander verbissen hatten.
Die beiden Lümmel brüllten sich vor Begeisterung die Kehlen heiser.
Und als sie an dem Beiboot vorbeifegten, in dem kräftige Seewölfe an den Riemen rucksten, lachten sie sich halbtot, weil sie schneller waren.
„Da war Dad an der Pinne!“ rief Hasard.
„Hab’s gesehen!“ Philip feixte. „Sah aus, als hätte er Sir John verschluckt!“
Sie lachten und kicherten. Und als ihnen das Segel wegflog, kicherten sie immer noch, weil das zu ulkig aussah. Dieses verdammte Ding hing jetzt nur noch mit einem Schäkel und Reihleine an der Gaffelnock, wehte ihnen voraus wie eine riesige Fahne, aber zog sie auch weiter auf das Ufer zu.
„Hu-hu!“ brüllte Hasard. „Das ist die neue Kunst, ’ne Jolle zu segeln! So was habt ihr noch nicht gesehen, Leute!“
Sie wurden gesehen – von den Seewölfen, die zurückgeblieben waren und zum Ufer stürzten, als diese merkwürdige Jolle heranraste – mit einem vorausflatternden Segel, das sich allmählich in Fetzen auflöste.
„Du meine Fresse, du meine Fresse“, murmelte Carberry ein ums andere Mal und hieb Smoky die Pranke auf die Schulter. „Sind das verteufelte Kerlchen, diese Rübenschweinchen? Jagen ’ne ganze Flotte zum Teufel!“
„Vier“, sagte Smoky.
„Vier sind ’ne ganze Flotte, du Plattfisch!“ brüllte ihn Carberry an.
In diesem Moment fegte die Jolle quer durch den Tangstreifen auf den Sand – und der Mast brach.
„Mahlzeit“, sagte Hasard junior und hielt sich den Bauch vor Lachen.
Und Philip krümmte sich und stöhnte: „O Mann, ich kann nicht mehr, mein ganzer Bauch tut weh! Ich mach mir gleich in die Hosen!“ Und er kicherte und kicherte.
Kräftige Fäuste hoben sie aus dem Boot und trugen sie im Triumphmarsch zur „Isabella“.
Zu diesem Zeitpunkt brummte die eine Galeone östlich der Pier auf. Und die letzte Galeone, bei der sich das Ruder aus irgendwelchen Gründen verklemmt hatte, trieb auf die „Zwarte Leeuw“ zu.
Einen Notanker zu werfen, um die Fahrt zu stoppen, schafften sie nicht mehr. Und die Segel kriegten sie auch nicht schnell genüg hoch, um sich noch freizusegeln.
So passierte, was passieren mußte, während die Männer der „Zwarte Leeuw“ schreiend von Bord stürzten und auf die Pier flüchteten.
Mit dem Bugspriet voran fraß sich die vierte Galeone in die „Zwarte Leeuw“.
Kapitän de Jonge starb einen seltenen Tod.
Der Bug der vierten Galeone klemmte ihn ein, als er auf die achtere Galerie sprang. Er verendete kläglich und wurde später mit Äxten aus seiner Lage befreit. Aber davon hatte er nichts mehr.
Am nächsten Tag wehte der Wind sanft aus Südost, und die „Isabella“, wieder in ihrem Element, nahm Kurs auf den Ausgang der Bantambai. Gaspar de Ribeiro stand auf der Pier und winkte der englischen Galeone nach.