Seewölfe Paket 11

- -
- 100%
- +
Er hätte auch jeden Kerl seiner Mannschaft schwer bestraft, der es gewagt hätte, die „Malipur“ einen „vergammelten Kahn“ oder gar „Seelenverkäufer“ zu nennen.
Wenn man ihm vorwerfen wollte, er setze das Leben seiner Männer leichtfertig aufs Spiel, so gab es dem doch immer eins entgegenzuhalten: Er selbst ging seiner Besatzung mit gutem Beispiel voran und riskierte Kopf und Kragen, um die Fracht ohne Aufenthalt an ihren Bestimmungsort zu bringen.
In der Pause, die zwischen dem Rauschen zweier anrollender Brecher entstand, konnte Joslin einen seiner Männer rufen hören: „Der Sturm wirft uns noch auf Legerwall!“
„Oder wir laufen auf ein Riff!“ schrie ein zweiter.
Beide standen nicht weit von ihm entfernt auf dem nassen, glitschigen Deck und hantierten an der Besanschot, mit der sie die Stellung des achteren Segels erneut korrigiert hatten.
„Ihr Narren!“ brüllte Joslin ihnen zu. „Ihr Dreckskerle, ihr dämlichen Hornochsen, ihr Angsthasen! Nichts von dem, was ihr euch ausmalt, wird geschehen!“
„Ihr Wort in Gottes Ohr, Monsieur!“ rief der erste Sprecher.
„Die Straße ist durch die Mentawai-Inseln gegen das schlimmste Sturmwüten abgesichert!“ brüllte der Franzose. „Uns kann gar nichts passieren!“
Die beiden schwiegen und versuchten, das Ende der Schot um einen Koffeynagel zu belegen. Der nächste Brecher donnerte von Steuerbord heran, sprang an der Bordwand der Galeone hoch und übergoß die Decks mit seinen Wassermassen. Joslin sah die Gestalten der beiden in dem Schwall untergehen, und unwillkürlich dachte er daran, was geschehen würde, wenn sich ihre Laufleinen von den Manntauen lösten.
Er duckte sich unter der Gewalt der orgelnden Sturmsee, preßte die Lippen zusammen, biß die Zähne fest aufeinander und hielt sich mit beiden Händen am Kolderstock fest. Als das Wasser durch die Speigatten der Backbordseite ablief, richtete er sich wieder auf.
Er atmete auf, als er die beiden Decksleute nach wie vor auf ihrem Platz an der Nagelbank des Achterdecks stehen sah.
Der Sturm nahm zu.
Immer gewaltiger kochte und toste die See, ihre schwärzlichen Wogen bäumten sich höher auf.
Joslin erkannte eine Gestalt, die unter erheblichen Schwierigkeiten den Backbordniedergang zum Achterdeck enterte und auf ihn zusteuerte. Es war Ranon, der Inder, einer seiner besten Männer, der zu der Stammbesatzung der „Malipur“ zählte und Joslins größtes Vertrauen genoß.
Mit ihm waren von dieser ursprünglichen Besatzung nur noch zwei Männer übriggeblieben, alle anderen hatten Joslin schon in den ersten Wochen nach dem Fund der Galeone wieder verlassen. Immer wieder hatte er neue Leute anheuern müssen, und bei jeder Fahrt hatte die „Malipur“ eine andere Mannschaft. Zum Teil waren es zwielichtige Gestalten, die unter seinem Kommando mitsegelten. Er hatte auf diese Kerle stets ein waches Auge.
Ranon sprach erst, als er dicht vor seinem Kapitän stand.
„Monsieur!“ rief er. „Ich war gerade in den Frachträumen!“
„Und? Ist die Ladung noch ordnungsgemäß gestaut und festgezurrt?“
„Das ja, Monsieur, aber …“
„Warum, zum Teufel, machst du dann so ein entsetztes Gesicht?“
„Mon capitaine, das Wasser steht schon knöcheltief in den Laderäumen!“
„Herrgott, ich weiß auch, daß der Kahn Wasser zieht!“ brüllte Rene Joslin, während sich ein neuer Brecher auf die Galeone zuwälzte. „Nimm dir zwei Männer, mehr können wir hier oben nicht entbehren! Stellt euch an die Lenzpumpen und pumpt, so fix ihr könnt!“
Ranon klammerte sich an einem Manntau fest. Sein dunkles Gesicht war verzerrt. „Jawohl, Monsieur, aber bedenken Sie, daß wir einige Lecks haben, die …“
„… die ihr mit Segeltuch, Tauwerk und Kabelgarn stopfen könnt!“ fuhr der Franzose ihn an. „Du Narr, das sollte dir doch in Fleisch und Blut übergegangen sein!“
„Die Lecks werden immer größer!“
„Du wirst es schaffen, Ranon! Ich zahle dir und den beiden anderen eine gute Prämie, verdammt noch mal!“ Dies ging ihm nur schwer über die Lippen, aber schließlich waren es immer wieder die zusätzlichen Prämien gewesen, mit denen er Männer wie Ranon bei der Stange hatte halten können.
„Jawohl!“ rief der Inder noch, dann gossen sich die Fluten erneut über den Decks aus, und jedes weitere Wort wurde in ihrem Rauschen erstickt. Ranon glitt auf den Planken aus, stürzte der Länge nach hin, ließ sein Tau aber nicht los. Er ließ das Salzwasser über sich hinwegschießen und dachte daran, daß keine Geldprämie der Welt ihnen helfen würde, wenn die Lecks im Rumpf der „Malipur“ noch weiter aufbrachen. Gegen die Wassermassen, die dann zuerst in die Laderäume eindrangen und schnell immer höher stiegen, konnte auch die komplette Mannschaft mit den Lenzpumpen nicht ankämpfen.
Ranon fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen.
Der Seewolf gab sich einen inneren Ruck und trat auf Blacky und Ferris Tukker zu. Mochte Don Felix Maria Samaniego mit dem Degen auf ihn zuspringen, um ihn zu stoppen, mochte er sich so wild gebärden, wie er wollte, er konnte ihn jetzt nur aufhalten, wenn er seinen Männern den Befehl zum Feuern gab.
„Stehenbleiben!“ schrie der Lagerkommandant. „Keinen Schritt weiter, Killigrew!“
Hasard beachtete ihn nicht. Er war bei Blacky angelangt, kniete sich hin und beugte sich über ihn, um an seiner Brust zu horchen.
„Sir“, sagte Ferris mit stockender Stimme. „Ich weiß ganz genau, was du denkst. Aber du irrst dich, glaub es mir. Blacky – ist so schnell nicht kleinzukriegen. Dem muß man – ein viel dickeres Ding verpassen, um ihn ganz aus der Jacke zu stoßen …“
„Still, Ferris“, unterbrach Hasard ihn. „Kein Wort mehr. Es hat dich selbst schlimm genug erwischt.“
„Packt ihn!“ rief Don Felix seinen Soldaten zu. „Habt ihr immer noch nicht begriffen, daß er ein gerissener Hund ist, der jede Gelegenheit wahrnimmt, um uns hinters Licht zu führen und hereinzulegen? Paßt auf, daß er dem Kerl kein Messer aus der Kleidung zieht! Durchsucht sie alle fünf!“
„Ich spüre überhaupt keinen Schmerz, Sir“, sagte Ferris Tucker.
„Du sollst dein verdammtes Maul halten“, zischte Smoky. „Hast du’s nicht gehört, Mann?“ Es klang gröber, als beabsichtigt.
„Sir“, sagte Luke Morgan auf englisch und so leise, daß man es kaum verstehen konnte. „Ich hab wirklich noch ein Messer in meinem Stiefel stecken. Soll ich es benutzen, um diesem Bastard von einem Don an die Kehle zu springen und wenigstens ihn zu erledigen?“
„Nein, Luke. Das hat keinen Zweck“, antwortete der Seewolf. Er hielt sein Ohr immer noch gegen Blackys Brustkasten gepreßt und konnte jetzt ein schwaches Geräusch vernehmen. Ja, Blackys Herz schlug noch – schwach zwar, aber in regelmäßigen Abständen, die Gott sei Dank nicht allzuweit auseinanderlagen. Nur der Kutscher, Hasards Koch und Feldscher, hätte genau beurteilen können, wie es wirklich um den dunkelhaarigen Mann bestellt war, aber eins glaubte der Seewolf aufgrund seiner Erfahrung mit Verwundeten feststellen zu dürfen: Wenn Blacky jetzt die nötige ärztliche Hilfe erhielt, konnte er noch gerettet werden.
Hasard wollte sein Hemd in Streifen reißen, um Blacky damit wenigstens notdürftig zu verbinden. Aber zwei Soldaten traten von hinten an ihn heran, griffen nach seinen Armen und zogen ihn vom Boden hoch. Ein dritter näherte sich ihm von vorn und begann, ihn von oben bis unten mit den Händen abzutasten.
Die Soldaten untersuchten jetzt auch den bewußtlosen Blacky, Ferris Tucker – der immer noch mit erstaunlicher Zähigkeit gegen seine drohende Ohnmacht ankämpfte –, Smoky und Luke Morgan.
Hasard wandte den Kopf und blickte wütend zu Don Felix.
„Comandante!“ rief er ihm zu. „Ich versuche hier keine Tricks, ich will nur meinen Kameraden verbinden. Selbst in einem Krieg können Sie mich nicht daran hindern!“
Luke Morgan ließ sich soeben achselzuckend das Messer aus dem Stiefelschaft ziehen. Der Soldat, der es gefunden hatte, wies es Don Felix mit triumphierender Miene vor, und dieser nickte, als habe er nichts anderes erwartet, als bei jedem seiner fünf Gefangenen mindestens einen Dolch zu entdecken.
Bei Hasard, Blacky, Ferris und Smoky wurden die Soldaten trotz eifriger Suche jedoch nicht fündig.
Samaniego blickte wieder den Seewolf an. „Mein eigener Lagerarzt wird Ihren Mann versorgen, Killigrew. Wie ich sehe, haben Sie zwar einige meiner besten Offiziere und Soldaten getötet, aber den Doktor haben sie verschont.“
Hasard hatte die Hände zu Fäusten geballt, zwang sich aber, so ruhig wie möglich zu sprechen.
„Senor Comandante“, sagte er im Heulen des Windes. „Ich bitte Sie, dem Mann zu helfen. Ich ersuche Sie außerdem, auch meinem Schiffszimmermann Ferris Tucker einen Verband anlegen zu lassen.“
„Sofort, wenn Sie getan haben, was ich von Ihnen verlange!“
„Die beiden verbluten vor unseren Augen, wenn …“
„Sie verbluten nicht!“ schrie der Kommandant. „Und jetzt rufen Sie Ihren drei Männern, die noch irgendwo hier im Lager versteckt sind, gefälligst zu, sie sollen sich ergeben und mit erhobenen Händen hervortreten. Augenblicklich, Killigrew!“
Hasard zögerte. Täuschte er sich, oder hatte Don Felix in diesem Moment selbst zugegeben, daß er nicht wußte, wo Carberry, Shane und Dan O’Flynn steckten?
Wenn er und seine Leute tatsächlich nicht mitgekriegt hatten, daß die drei sich Zugang zum Palisadenlager verschafft hatten, dann hatte Don Felix einen schwerwiegenden Fehler begangen, daß er dies offen eingestand.
Sah er denn nicht den Wachtposten, der, von der Kugel des Profos getroffen, reglos vor dem Tor des Lagers lag?
Nein, er sah ihn nicht. Keiner der Spanier schien es im allgemeinen Getümmel verfolgt zu haben, wie zuerst Carberry und Big Old Shane und dann auch Dan in das Gefängnis der Kettensträflinge geschlüpft waren.
Dies war ein Trumpf, den Hasard jetzt auszuspielen verstehen mußte.
„Meine Männer werden keinen Widerstand leisten!“ rief er Don Felix zu.
„Fordern Sie sie auf, die Waffen wegzuwerfen und aus ihrer Deckung hervorzutreten!“
„Sir“, sagte Smoky plötzlich, und zwar auch auf englisch, so daß die Spanier es nicht verstehen konnten. „Wir haben doch noch die acht Geiseln an Bord der ‚Isabella‘ – die Besatzung der Pinasse. Können wir nicht Druck auf die Kerle hier ausüben, indem wir …“
Don Felix hob die Hand, wies auf Hasards Decksältesten und unterbrach ihn durch die Lautstärke seiner Stimme. „Was redet der Mann? Was sagt er? Ich gestatte nicht, daß Sie sich mit Ihren Leuten in Ihrer Landessprache unterhalten! Ich verbiete es!“
„Verstehen Sie denn kein Wort Englisch?“ fragte der Seewolf verblüfft.
Vorsichtig entgegnete der Spanier: „Nur sehr wenig.“
„Und Sie haben auch keinen Dolmetscher hier im Lager?“
Don Felix wies auf einen der Toten. „Da liegt er. Sind Sie jetzt zufrieden, Killigrew?“
Hasard beobachtete den Kommandanten genau. Don Felix war alles andere als ein unbedarfter, unvorsichtiger Mann, ganz im Gegenteil! Er hatte genug Verstand und schien auch ein guter Stratege zu sein. Ein hervorragender Degenkämpfer war er obendrein, das hatte Hasard während des Duells zur Genüge feststellen können.
Nur jetzt ließ das Siegesgefühl den Mann etwas unbesonnen werden. Wieder hatte er einen Fehler begangen. Hasard beschloß, sich zu merken, daß wirklich keiner der Spanier verstehen konnte, wenn er sich mit seinen Männern auf englisch unterhielt.
Plötzlich war irgendwo in dem unheilverkündenden Halbdunkel ein winziger Hoffnungsschimmer.
„Senor Comandante“, sagte der Seewolf. „Ich will Ihnen ganz offen erklären, was mein Decksältester mir soeben zu bedenken gegeben hat. An Bord meines Schiffes werden acht Ihrer Leute festgehalten – der Teniente Leandro Moratin, wenn ich den Namen richtig verstanden habe, und sieben Soldaten. Das ist die Besatzung der Pinasse.“
„Sie lügen!“
Hasard sah ihn an und hob verwundert die Augenbrauen. „Nein, Don Felix. Die Leute sitzen gefesselt im Kabelgatt der ‚Isabella‘. Ich bin bereit, das zu beschwören.“
„Was ist Ihr Schwur schon wert?“ rief der Kommandant verächtlich. „Ich glaube Ihnen nicht, Killigrew. Grausam wie Sie sind, haben Sie diese Männer längst getötet.“
„Ich töte nur in Notwehr, merken Sie sich das!“ schrie Hasard ihn an.
Don Felix trat dicht vor ihn hin. „Es ist erstaunlich, was für einen Ton Sie jetzt, da Sie mein Gefangener sind, noch anschlagen. Aber das wird anders, glauben Sie mir. Mit dem Morden und Brandschatzen ist es jetzt aus, Corsario, und ich habe nicht nur die große Ehre, einen von Spaniens größten Feinden festgenommen zu haben, ich werde Sie und Ihre Kumpane hier in Airdikit auch zu anderen Menschen erziehen. Und noch etwas: Selbst wenn die acht Männer der Pinasse noch am Leben sein sollten, würde ich sie bereitwillig opfern – nur um Sie und die sieben anderen Kerle nicht wieder freilassen zu müssen.“
„Diesmal gehen Sie völlig falsch vor, Samaniego“, sagte Hasard. „Bis jetzt haben Sie bewiesen, daß Sie ein kluger Mann sind, aber von jetzt an machen Sie alles falsch.“
Don Felix hob seinen Degen und zielte mit der Spitze auf Hasards Hals. „Rufen Sie Ihre drei fehlenden Männer herbei, Killigrew, oder ich vergesse mich wirklich. Schreien Sie, so laut Sie können – auf spanisch. Sie werden es verstehen. Ich habe den Eindruck, daß jeder Kerl ihrer Teufelsmannschaft die spanische Sprache beherrscht.“
Das entsprach den Tatsachen. Hasard blieb nichts anderes übrig, als jetzt die Hände als Schalltrichter an den Mund zu legen und zu brüllen.
„Ed, Shane, Dan – verlaßt eure Deckungen! Es ist aus mit uns, die Spanier haben uns gefangengenommen! Blacky und Ferris sind schwer verletzt! Auch ihr müßt euch jetzt ergeben! Hört ihr mich?“
Er schrie seine Worte zu den Hütten hinüber und zum Kastell hinauf, nicht aber zum Palisadenlager. Seine Stimme war laut genug, um das Heulen und Pfeifen des Sturms in diesem Augenblick zu übertönen.
Dennoch meldeten Carberry, Big Old Shane und der junge O’Flynn sich nicht.
Hasard rief noch einmal seinen Appell, aber wieder erhielt er keine Antwort.
Die drei Männer schienen spurlos verschwunden zu sein.
3.
Vor über zwei Jahren hatten die Spanier die Lichtung von Airdikit in den Dschungel gehauen und dem Regenwald, den sie die „Selvas“ nannten, auch die Anhöhe abgerungen, auf dem die Kettensträflinge in Schwerstarbeit den Festungsneubau zu errichten hatten.
Das gesamte Kellergewölbe dieses großen Kastells war inzwischen fertiggestellt, und Don Felix Maria Samaniego hatte darin die Kerkerzellen, ein Waffenlager, Munitionskammern und Vorratsräume einrichten lassen.
Der Kerker war mittlerweile mit sämtlichen schmiedeeisernen Gittern und Türen versehen, so daß der Kommandant innerhalb der nächsten Tage auch die Gefangenen, die noch in dem Palisadenlager saßen, hierher in das Gewölbe hätte verlegen lassen.
Morgan Young und der junge Spanier Romero hatten dies vorausgesehen und deshalb ihren Fluchtplan während der letzten Nacht zur Ausführung gebracht.
Auf den gewaltigen Fundamenten des unter der Erde befindlichen Grundstocks hatten die Sträflinge nun auch schon einen Teil der Mauer aufgebaut, die nach Abschluß aller Arbeiten die eigentlichen Festungsgebäude umschließen würde. Der westliche Wall, der mit seiner Front zum Lager hinwies, stand bereits, und oben auf dem Söller waren schwere Siebzehnpfünder aufgestellt worden, die beim etwaigen Eindringen von Feinden in das Hafenbecken benutzt werden sollten.
Weiter standen bis über zwei Drittel ihrer geplanten Höhe hinaus als nördliche und südliche Begrenzung der Westmauer zwei sechseckige Türme, und auch ein Teil der Nord- und Südmauer war begonnen worden.
Jede Woche trafen Schiffe in Airdikit ein, die die Baumaterialien anlieferten: schwere Felsbrocken aus den Steinbrüchen, die die Spanier im südlicheren Sumatra eingerichtet hatten, und besonders harte Baumstämme, wie es sie im Dschungel der Insel nicht gab. Sie wurden von den Philippinen herübergeschafft. In der neuen Hafenfeste wurden sie für die Balkenkonstruktion der Gewölbe und der noch zu errichtenden Gebäude verwendet.
Carberry, Shane, Dan O’Flynn, Trench, Josh Bonart, Sullivan, Christians und die vier anderen befreiten Männer aus dem Palisadenlager hatten unter Sumatra-Jonnys Führung die Nordseite des Hügels erklommen und sich in die an dieser Seite noch offene Festung gepirscht.
Nur zwei Posten bewachten zu diesem Zeitpunkt die Steintreppe, die zum Söller hinaufführte. Carberry überwältigte den einen, Jonny den anderen, ohne daß die Überrumpelten einen Schuß oder einen Warnruf abgeben konnten.
Carberry deutete mit dem Zeigefinger auf Trench und Josh Bonart. „Du und du – könnt ihr mit Kanonen umgehen?“
„Und ob“, erwiderte Trench. „Aber wir brauchen etwas, um die Lunten in Brand zu setzen.“
„Ich habe Feuerstein und Feuerstahl dabei“, sagte der Profos. „Los, wir entern den Söller, Leute, und ihr werdet mir ein wenig behilflich sein.“ Er wandte sich zu den anderen um und blickte Shane, Dan O’Flynn und Jonny mit finsterer Miene an. „Und ihr? Seid ihr noch nicht weg?“
„Ed, sei vorsichtig“, raunte Big Old Shane dem Narbenmann zu. Dann gab er Jonny ein Zeichen, und wieder setzte sich der krummbeinige Mann an die Spitze des verbleibenden neunköpfigen Trupps. Er führte sie zum Südturm, verharrte aber dicht neben dem Eingang, drehte sich um und legte den Finger gegen die Lippen.
„Keinen Laut jetzt“, wisperte er. „Drinnen ist die Treppe, die direkt in den Kerker hinunterführt. Don Felix hat zwar bei eurem Angriff auf das Lager die meisten Leute aus dem Kastell abgezogen, aber ich bin sicher, daß unten noch mindestens zwei Dons hocken, die jeden abschießen können, der ins Gewölbe hinein oder wieder raus will.“
Dan grinste plötzlich. „Ich habe da eine Idee“, erklärte er leise. „Und ich finde, wir sollten sie sofort in die Tat umsetzen. Wofür haben wir uns eigentlich als Spanier kostümiert?“ Er wies auf Shanes spanische Uniform und klopfte sich selbst mit den Fingerknöcheln gegen den Spitzhelm.
Die Kleidung hatten sie dem Teniente Moratin und dessen sieben Begleitern abgenommen. Als sie im Lager gelandet waren, hatte sie ihnen nicht viel genutzt, denn sie waren sofort erkannt worden, aber jetzt schien doch der Moment gekommen zu sein, um die Maskierung sinnvoll anzuwenden.
Shane grinste jetzt auch. „Ich habe schon verstanden, was du vorhast, Dan“, flüsterte er.
Acht Siebzehnpfünder standen auf der Plattform des Burgsöllers, aber es war noch Platz für mindestens genauso viele Geschütze dieses Kalibers. Carberry stellte das fest, als er als erster den Platz erreichte und sich aufmerksam umschaute.
Eines Tages, dachte er, werden sie auch die restlichen Kanonen aufstellen, aber es wäre zu schön, wenn sie’s nicht schaffen würden, die Hunde.
Er schob sich geduckt weiter und spähte nach weiteren Gegnern, konnte aber niemanden entdecken. Die beiden Posten, die Jonny und er unten am Treppenaufgang niedergeschlagen hatten, mußten die Order gehabt haben, unten im Hof Wache zu halten, nicht auf dem Söller.
Gut so, dachte Carberry, sehr gut.
Er war jetzt bei dem ersten Geschütz angelangt und tastete mit seinen großen, derben Händen fast behutsam über das Rohr.
Rasch hatte er sich davon überzeugt, daß nicht nur diese, sondern auch die sieben anderen Culverinen fix und fertig geladen waren. Die Lunten und die Luntenstöcke lagen bereit, ebenso alles andere Zubehör wie Kratzer, Wischer, Borstenschwämme und Ladestöcke. Auch an Pulver und Kugeln mangelte es hier oben nicht, nur an Metallbecken mit glimmender Holzkohle darin.
Carberry blickte sich zu Trench und Josh Bonart um, die jetzt dicht hinter ihm waren.
„Hab ich’s doch geahnt“, raunte er ihnen zu. „Wie gut, daß ich vorsichtshalber Feuerstein und Stahl von der ‚Isabella‘ mitgenommen habe, was?“
„Das kann man wohl sagen, Profos“, zischelte Bonart. „Welche Kanone willst du abfeuern?“
„Erst einmal die drittletzte“, erwiderte Carberry und wies zum nördlichen Ende des Söllers. „Der Schuß wird genau über den Lagerplatz weggehen. Danach sehen wir weiter. Los, kommt.“
Sie krochen zu der von Carberry bezeichneten Kanone. Der Profos holte seine Utensilien aus der Hosentasche, und die beiden ehemaligen Decksleute der „Balcutha“ begannen, damit herumzuhantieren.
Carberry schob seine große Gestalt unter das Geschützrohr und bewegte sich auf die Schießscharte zwischen zwei Mauerzinnen zu, um einen Blick auf das Lager zu werfen. Als er seinen Kopf langsam höherbrachte und die Männer zwischen den Hütten erkennen konnte, verzerrte sich seine Miene zu einem Ausdruck grenzenloser Wut.
Deutlich konnte er Hasard, Smoky und Luke Morgan dastehen sehen. Dann entdeckte er auch die Gestalten von Ferris Tucker und Blakky.
„Ich hab’s gewußt“, flüsterte er entsetzt. „Hölle und Teufel, ich habe es vorausgesehen – wie Old O’Flynn, dieser verdammte Hellseher, in die Zukunft zu sehen glaubt. Wie konnte das bloß passieren?“
„Profos“, flüsterte Trench hinter seinem Rücken. „Was ist los?“
Carberry wandte sich kurz zu ihm um. Sein Gesicht sah so fürchterlich aus, daß Trench unwillkürlich zurückschreckte.
„Bereitet die Scheiß-Lunte vor, dann seht ihr, was hier gleich los ist“, zischte Carberry. „Sagt mir Bescheid, wenn sie glüht, dann will ich diese Dreckskanone selber zünden.“
„Aye, Sir“, sagte Trench.
Carberry spähte wieder auf den Platz zwischen den Hütten und der Hafenbucht hinunter, murmelte die wildesten Flüche, die er kannte, und verwünschte die Spanier bis in die hintersten Höllenschlünde. Dann aber unterbrach er sich, denn jetzt war die Stimme des Seewolfs zu vernehmen.
„Ed, Shane, Dan – verlaßt eure Deckungen!“
Fassungslos vernahm der Profos auch den Rest. „Blacky und Ferris schwer verletzt“, wiederholte er. „O Gott. Wenn sie jetzt sterben – ihr Tod darf doch nicht ungesühnt bleiben!“ Er hieb mit der Faust gegen die Zinne. „Sir, das kannst du doch nicht von uns verlangen, daß wir uns kampflos ergeben!“
„Profos“, raunte Josh Bonart ihm zu. „Die Lunte brennt jetzt.“
„Ja.“
„Sollen wir …“
„Ich hab doch gesagt, daß ich diese dreckige, krummgeschissene, spanische Kanone selbst zünden will“, fiel Carberry ihm barsch ins Wort.
Wieder schrie der Seewolf etwas vom Lagerplatz bis zum Kastell hinauf, es war die Wiederholung seiner Aufforderung, der Profos, Shane und Dan O’Flynn sollten die Waffen wegwerfen und kapitulieren.
„Gut“, sagte Carberry mit gepreßter Stimme. „Wenn du es befiehlst, Sir, dann muß ich mich beugen. Disziplin ist Disziplin, und du hast schon deine Gründe dafür, uns hier herauszulocken. Du willst nicht, daß Blacky und Ferris verrekken. Auch Smoky und Luke Morgan sollen nicht krepieren. Und du selbst sollst natürlich auch nicht ins Gras beißen, nein, das sollst du ganz gewiß nicht.“
„Profos, Sir“, raunte Trench. „Die Zündschnur brennt noch ganz herunter, wenn du dich nicht beeilst.“
„Ja doch“, brummte Carberry, nunmehr fest entschlossen. „Sir, du kannst mir alles befehlen, nur kannst du mich nicht an diesem Schuß hindern, mit dem ich Ben Brighton Bescheid geben werde, daß wir seine Hilfe brauchen. Und noch was: Dan und Shane haben deine Worte nicht gehört. Sie sind jetzt schon unten im Kerker. Wenn sie sich nicht ergeben, ist das nicht meine Schuld.“
Damit kroch er zu Trench und Josh Bonart zurück und richtete sich hinter dem Bodenstück der Culverine auf.
Er nahm den Luntenstock mit der glimmenden, knisternden Zündschnur daran aus Trenchs Hand entgegen und brachte die Lunte dem Zündkanal der Kanone nahe.
Trench und Bonart traten zur Seite.
Carberry peilte über das Rohr der Culverine und konnte die Bucht sehen, in der die Fluten jetzt über die Piers gischteten und schäumten, als wollten sie an Land springen und in die Hütten der Spanier eindringen. Wild tanzte die „San Rosario“ – Jonnys Schiff – in den Wogen. Sie zerrte so heftig an ihrer Bugankertrosse, als wollte sie sie zerreißen und sich selbständig machen.
Mit Sturmgewalt heulte der Wind über die Lichtung. Eine starke Bö bog die wenigen Palmen, die bei den Piers standen, so weit nieder, daß ihre Wipfel fast den Erdboden berührten.