Seewölfe Paket 11

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Der Profos der sich mächtig verschaukelt fühlte, war mit einem wilden Satz bei dem Kutscher.
„Dir wird dein dämliches Grinsen gleich vergehen“, kündigte er lautstark an.
Diesmal war der Kutscher, dessen Fluchtplan längst feststand, jedoch schneller.
Er schaffte es, die Kombüse zu erreichen, flitzte hinein, schlug das Schott hinter sich zu und verriegelte es.
Aber sein Gelächter klang nach draußen, und das versetzte den Profos in helle Weißglut. Er rannte zur Nagelbank und suchte Tuckers Axt, aber die war zum Glück nicht da, sonst hätte er in seinem Zorn das Schott zertrümmert. Immer noch war er der Ansicht, der Kutscher hätte ihm diesen dicken Hund unter die Weste geschoben.
„Verflucht, wo ist die lausige Axt?“ brüllte er, außer sich vor Wut. „Ferris, du rothaarige Kanalratte! Ich will augenblicklich die verdammte Axt haben! Den Kutscher nehm ich auseinander, das Rübenschwein wird den Tag seiner Geburt noch lauthals verfluchen, so wahr ich der Profos bin!“
Langsam wichen selbst die Hartgesottensten vor Carberry zurück, denn so wie jetzt hatten sie ihn höchstens mal beim alten Plymson in der Kneipe gesehen, als der Streit mit den Fischern losgegangen war und Ed herzhaft aufgeräumt hatte.
Jetzt sah er genauso gefährlich aus und wütete herum.
Keiner der Seewölfe hatte ein schlechtes Gewissen, auch der Kutscher nicht, der sich über den Spaß lediglich köstlich amüsierte. Das aber stachelte Carberrys Ärger nur weiter an.
Immer noch suchte er fluchend die Axt, um es „dem Rübenschwein von Kutscher“ ordentlich zu zeigen.
Da erklang eine sanfte Stimme hinter ihm.
Ed fuhr zornig herum und starrte den Seewolf an, der seinen Platz auf dem Achterdeck verlassen hatte und nun auf der Kuhl stand.
„Was ist denn mit dir los, Mister Carberry?“
Dieses „Mister Carberry“ und der sanfte Ton ließen Ed sofort hellhörig werden. Sprach der Seewolf in diesem sanften, fast singenden Tonfall, dann war das schlimmer, als wenn man die Pest erwischte.
„Ich suchte die Axt“, sagte Ed erbost. „Und damit du es weißt, Sir, ich will das Kombüsenschott einschlagen und dem Kutscher den Hals umdrehen.“
Hasard hatte zwar Gelächter und Gebrüll gehört, wußte aber nicht, um was es ging. Ihm war lediglich aufgefallen, daß die Zwillinge Hasard und Philip in auffallender Eile nach achtern verschwunden waren, als hätten sie ein schlechtes Gewissen.
„Und warum?“ fragte der Seewolf.
„Nun, diese verwanzte Hafenratte hat Eier in das Nest gelegt. Äh – ich meine, er hat mich angeschissen, jawohl, Sir, das hat er. Die Eier von Sir John waren nämlich gar nicht echt. Die sind aus Kandiszucker, und das Nest hat auch der Kutscher gebaut. Dieser Halunke untergräbt meine Autorität. Wie stehe ich jetzt da, wenn alle über mich lachen?“
Hasard schüttelte den Kopf, dann ging er zum Kombüsenschott und klopfte dagegen.
„Öffnen, Kutscher!“ befahl er.
Das Schott öffnete sich, und Carberry wollte sich mit einem wilden Schrei auf den Kutscher stürzen, aber Hasards Hand hielt ihn gerade noch zurück.
„Hier wird keinem der Hals umgedreht. Ich will jetzt wissen, was passiert ist.“
„Ich habe damit nichts zu tun, Sir, mein Ehrenwort“, sagte der Kutscher. „Ich habe lediglich über Ed gelacht, weil ihn jemand damit reingelegt hat. Herrgott, seit dieses Federvieh angeblich Eier legte, ist an Bord der Teufel los, und am schlimmsten benimmt sich der Profos. Da hat ihm jemand einen Steich gespielt, weiter steckt nichts dahinter, Sir.“
„Wer war es?“ fragte Ed drohend.
Niemand meldete sich. Sie grinsten nur versteckt, mehr oder minder stark, und einige verbissen sich das Lachen nur mühsam.
„Das hat mit der Untergrabung deiner Autorität nichts zu tun“, sagte Hasard schließlich zum Profos. „Hier hat jemand die gesamte Mannschaft kräftig auf den Arm genommen, und ein Schaden ist dabei auf keinen Fall entstanden. Ich kann mir auch schon denken, wer das war und sich das ausgeheckt hat.“
„Hasard und Philip, Sir?“ fragte der Profos zweifelnd.
„Viel Geschrei um nichts“, sagte Hasard. Er wandte sich an den grinsenden Moses Bill.
„Geh nach achtern, Bill, und bringe die beiden Kerle her.“
„Aye, aye, Sir!“
Bill rannte grinsend nach achtern und holte die Zwillinge, die ziemlich belemmert aussahen.
Niedergeschlagen wie zwei ertappte Sünder standen sie gleich darauf auf dem Vordeck vor der fast vollzählig versammelten Crew.
Hasard sah die beiden Racker lange an, die die Köpfe gesenkt hatten und auf die Planken starrten.
„Ich würde gern eine Geschichte hören“, sagte er, „aber sie muß gut sein. Ihr habt doch im Orient immer von den Märchenerzählern geschwärmt. Jetzt möchten wir alle auch mal so ein schönes Märchen von euch hören.“
Die Zwillinge hatten längst spitzgekriegt, um was es ging und daß alles wie eine Seifenblase geplatzt war. Sie hatten nur einen Spaß im Sinn gehabt, aber daß der Profos so sauer darauf reagierte, ahnte keiner der beiden.
„Es war so eintönig“, sagte Hasard junior schließlich stockend. „Und da wollten wir ein bißchen Abwechslung bringen.“
„Weiter, weiter, wir alle hören zu.“
„Da dachten wir, wenn Sir John plötzlich Eier legt, dann ist mal ordentlich was los an Bord, und das war es ja schließlich auch, Dad, Sir.“
„Ja, da war allerdings eine Menge los“, sagte Hasard und konnte sich das Lachen nicht verbeißen. „Und wie habt ihr das angestellt?“
Die beiden Knirpse wurden etwas mutiger, als sie die grinsenden Gesichter sahen. Hasard junior reckte leicht die Brust raus.
„Wir bauten ein Nest und brachten es in den Hühnerkäfig. Dann legten wir für Sir John Futter im Käfig aus, und der Ara hat sich auch gleich daran gewöhnt. Dann klau … äh – borgten wir uns ein paar Brocken Kandiszucker vom Kutscher und haben sie mit der Feile zurechtgeschliffen, bis sie wie Eier aussahen.“
Smoky prustete los und hielt sich die Hand vor den Mund. Neben ihm stand der ehemalige Schmied von Arwenack. Sein Riesenkörper bebte, und er lächelte verschmitzt.
Nur auf Carberrys Gesicht lag immer noch ein drohender, unheilverkündender Schatten. Seine Züge blieben finster, aber sein gewaltiges Kinn war nicht mehr so hart vorgeschoben.
„Dann malten wir ein paar grüne Farbtupfer auf die Eier und versteckten sie im Nest. Sir John hat sich auch ein paarmal drauf gesetzt, aber dann ließ er es bleiben, weil der Kandis so klebte.“
„Sir John war sehr verwundert, Dad“, sagte Philip. „Immer hat er die Eier mit dem Schnabel rumgerollt. Wir wollten sie später wegnehmen, aber dann hat sich Mister Carberry so sehr darum gekümmert, und wir wollten ihm die Freude doch nicht verderben. Nicht wahr, Hasard?“
„Ja, genauso war es. Wir dachten, alle würden es gleich merken, weil Papageien doch keine Nester bauen, aber es hat keiner gemerkt, und so ließen wir das Nest eben im Käfig.“
In Shanes Augen begann es zu blinken. Der graubärtige Riese schlug sich lachend auf die mächtigen Schenkel. Dann lehnte er sich mit beiden Armen an den Fockmast und lachte noch lauter.
Die Zwillinge belauerten den Profos, in dessen Gesicht eine eigenartige Verwandlung vor sich ging.
Eben sah es noch düster und drohend aus, doch langsam begann es sich aufzuhellen, und sein rechter Mundwinkel verzog sich etwas widerwillig. Der Profos sah so aus, als hätte er Essig getrunken.
Dann schüttelte er fast vorwurfsvoll den Kopf, kratzte sich den Kopf und verzog das Gesicht noch mehr.
„Ihr wolltet mich also nicht verarschen?“ fragte er, schon fast halb versöhnt.
Zwei unschuldige, von der Sonne stark gebräunte Gesichter sahen ihn an. Die Miniaturausgaben des Seewolfs zeigten ihre prächtigen weißen Zähne und grinsten entschuldigend.
„Nein, Mister Carberry, das hätten wir dir nie angetan“, versicherten sie. „Wir wollten nur mal sehen, wie alle reagieren, denn jeder weiß doch, daß Sir John ein Männchen ist und keine Eier legen kann.“
„Jaja“, sagte Ed. „Klar, das weiß jeder, und ich habe es ja auch selbst nicht so richtig glauben können, schon aus dem Grund, weil Papageien nur in Baumhöhlen brüten. Aber ich dachte, wenn Sir John jetzt tatsächlich ein Weibchen gewesen wäre, dann mußte man sich um ihn ja kümmern. Hätte ja alles sein können.“
„Ja, Mister Carberry“, sagte Hasard, der ältere der beiden. „Bei dir wäre ein brütender Papagei in den besten Händen, das meine ich ganz ehrlich. Niemand hat sich so darum gekümmert wie du, Mister Carberry, Sir.“
Der Profos räusperte sich und blickte zu dem Aracanga, der immer noch auf der Rahnock hockte und mit einem Auge an Deck schielte.
Hasard lachte leise.
„Jetzt braucht sich ja keiner mehr um die Namensänderung zu sorgen“, sagte er. „Sir John ist und bleibt Sir John, und wenn ihr beiden Helden dem Kutscher noch einmal Kandiszucker klaut, dann gibt’s was mit dem Tauende.“
„Und zwar so lange, bis ihr auch Eier legt“, setzte Ed hinzu, „und nicht mehr wißt, ob ihr Männchen oder Weibchen seid. Und jetzt feuert endlich das verdammte Nest über Bord. Sir John muß sich ja direkt dämlich fühlen, wenn er das sieht.“
Die Zwillinge waren erleichtert, denn diesmal waren sie sogar ohne ein blaues Auge davongekommen und ihr kleines Späßchen hatte niemand verübelt.
Sie hatten jedenfalls erreicht, was sie wollten. Für kurze Zeit hatte es an Bord einmal Abwechslung gegeben, und jeder hatte seinen Spaß daran gehabt.
Sie holten das verschmierte Nest und warfen es feierlich über Bord. Danach säuberten sie den Käfig und taten willig alles das, was der Profos anordnete oder befahl. Und sie hielten sich auch den ganzen Tag lang ständig in der Nähe auf, um ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Denn so ein harter Kerl der Profos auch war, dachten sie, ein wenig genasführt würde er sich ganz sicher fühlen, und diesen Eindruck wollten sie so schnell wie möglich verwischen.
Zwei Tage später wurde Land gesichtet, und da war die Sache mit Sir John längst wieder vergessen.
6.
Auf der Nordseite der Insel Bali ging das Schreckgespenst in Gestalt der Gestrandeten immer übler um.
Die Kerle hatten sich noch mehr junge Mädchen geholt, und sie benahmen sich, als gehöre ihnen die Insel. Ihre Toten hatten sie in einer großen Mulde in der Nähe des Pagodenwaldes in der Erde begraben. Die jungen Männer mußten unter Androhung von Prügel diese Grube ausheben und die Leichen hineinlegen.
Die Fremden verwüsteten die Insel, hatten etliche Hütten in Besitz genommen und verscheuchten die Insulaner, klauten ihnen die Früchte und nahmen ihnen die Schweine weg.
Immer wieder röhrten ihre Donnerrohre über die Insel, hielten sie Strandfeste ab und randalierten betrunken herum, berauscht von dem Inhalt der angeschwemmten Fässer.
An diesem Morgen erschienen sie wieder, um sich junge Mädchen zu holen und ihren Tribut zu fordern, und als die Insulaner sich zur Wehr setzten, kam es zu einer Schlägerei.
Doch die wurde ganz schnell unterbrochen, denn ein bärtiger Mann erschien und deutete brüllend zum fernen Horizont, wo sich die Umrisse eines größeren Schiffes abzeichneten.
Die Schlägerei war vergessen, die ganze Horde rannte brüllend zum Strand, stellte sich ans Wasser und begann zu winken und laut zu schreien.
Aber das fremde Schiff zog weiter. Es näherte sich nur so weit der Küste, daß man gerade noch die Segel erkennen konnte.
Als das Winken und Schreien nicht half, entzündeten die üblen Kerle einen der großen Holzstöße, und gleich darauf auch den zweiten.
Etwas später schlugen helle Flammen zum Himmel, von dem anderen Holzstoß stieg eine dichte Rauchwolke auf, als sie Gras und grüne Blätter hineinwarfen.
Hoffentlich, dachte der noch immer nicht gesunde Balian, hoffentlich legt dieses Schiff hier an und nimmt die Horde mit.
Dann würde endlich wieder Ruhe einkehren, und sie konnten mit dem Kecakfest beginnen.
Die „Isabella“ segelte nordwärts durch die Passage zweier unbekannter Inseln.
Wenn Hasards Berechnungen stimmten, und er zweifelte nach seinen Karten und den spanischen Roteiros nicht daran, dann mußten sie, vorausgesetzt, sie gingen nördlich der Inselgruppe wieder auf Westkurs, in der Straße von Malakka herauskommen. Die Strecke waren sie schon früher einmal gesegelt. Nur hatten sie damals von Kalimantan aus Kurs auf die Straße von Malakka genommen.
Ein winziger Rest Unsicherheit blieb noch, aber den hoffte der Seewolf zu beseitigen, wenn er später auf Westkurs ging. Diese Inseln, an denen sie jetzt vorbeisegelten, hatten sie jedenfalls noch nie zuvor passiert.
Ergänzend trug er sie daher in die polynesische Karte ein, denn da waren sie nur – bis auf Java – ganz vage ohne Bezeichnung angegeben.
„In ein, zwei Tagen werden wir irgendwo an einer der Inseln anlegen“, sagte er zu Ben, „und Frischwasser nehmen. Mit unseren Früchten ist es auch nicht mehr weit her. Der Kutscher hat schon ganz zaghaft angeklopft und diskret darauf hingewiesen.“
Sie rundeten ein paar Stunden später eine Landzunge und gingen dann auf Westkurs. Der Abstand zum Land mochte etwa fünf bis sechs Meilen betragen.
Jetzt liefen sie wieder raumschots, und der Wind briste ein wenig auf.
Von der Insel war nur ein schmaler Strich zu erkennen. Lange weiße Strände wechselten mit bewaldeten Hügeln dicht am Meer. Dann folgten wieder ganze Kolonien von Palmenwäldern, und einmal sahen sie wie hingeduckt eine Gruppe Hütten.
Die Insel war also bewohnt.
„Feuer an Land!“ rief in diesem Augenblick der Ausguck.
Ganz deutlich war es zu sehen. Am fernen Strand loderte ein Feuer auf, dicht daneben wurde ein zweites entzündet, und gleich darauf quoll eine dunkle Rauchwolke zum Himmel.
„Das ist ein Notzeichen“, sagte Ben. „Vielleicht sind es Schiffbrüchige, die auf der Insel gestrandet sind.“
„Und den Wilden in die Hände gefallen“, ergänzte Dan O’Flynn.
Daß es genau umgekehrt war, ahnte niemand.
Hasard fand das merkwürdig, denn wenn wirklich Schiffbrüchige den Wilden in die Hände gefallen waren, dann konnten sie schlecht in aller Ruhe hingehen und ein Feuer entzünden.
„Da steckt noch etwas anderes dahinter“, meinte er. „Aber das werden wir herausfinden. Wir laufen die Insel an!“
Gleich darauf gingen alle Mann auf Stationen, und die „Isabella“ drehte ihren Bug dem Land zu.
Immer noch flackerte das Feuer, der Schein wurde immer heller. Der andere Holzstoß qualmte und stieß dichte Rauchwolken aus, die einen Teil des Strandes einnebelten. Ein fremdes Schiff war nicht zu sehen, wie Hasard durch das Spektiv feststellte. Auch in der kleinen Bucht hatte sich keins versteckt.
„Mann, da sind Tempel“, sagte Bill zu Blacky. „Im Wald stehen sie, und da vorn sind auch Kerle, eine ganze Schiffsbesatzung.“
Immer deutlicher traten die Einzelheiten hervor.
Ja, am Strand stand eine winkende Horde. Männer rannten hin und her, rissen die Arme hoch und brüllten auch ganz sicher etwas, doch das verstand noch niemand.
Hasard musterte die Burschen durch das Spektiv. Es waren wilde Gesellen, nicht unbedingt vertrauenswürdig, fand er, vielleicht waren es sogar Piraten, die es hierherverschlagen hatte.
„Merkwürdig, daß sich kein Eingeborener sehen läßt“, sagte er zu Ben. „Es scheint, als hätten sie Angst. Dabei stehen ganz in der Nähe Hütten und kleine Tempel.“
Auch Ben Brighton blickte durch das Spektiv.
„Die Kerle sehen wirklich übel aus“, sagte er. „Denen sollten wir nicht über den Weg trauen.“
„Das tun wir auch nicht. Es scheinen Malaien zu sein – oder Indonesier von den Inseln. Ein paar Kerle, die wie Europäer aussehen, sind auch dabei.“
Auch der Profos blieb äußerst mißtrauisch, als er die wild durcheinanderrennenden Burschen sah. Einige hatten Musketen in den Fäusten und gebärdeten sich wie toll. Schüsse wurden abgefeuert, Pistolen krachten, und immer noch ließ sich keiner der Insulaner blicken.
Das gab Hasard immer mehr zu denken.
Zwei Meilen vor dem Strand sahen sie noch die Ausläufer eines Riffs, aber das wurde von Pete Ballie in einem kleinen Bogen umsegelt, bis sich die „Isabella“ dem Strand näherte.
„Fallen Anker!“ rief Hasard.
Der Anker rauschte aus, und sie mußten Trosse nachfieren, denn der Grund bestand aus Korallensand und der Anker slippte nach. Aber nach einer Weile schwojte die „Isabella“ doch ruhig im Wasser um die Trosse. Die Segel waren aufgegeit worden, die Seewölfe warteten.
Vom Strand trennte sie jetzt noch knapp eine Kabellänge.
Al Conroy verteilte Faustfeuerwaffen und vergaß auch nicht, die Drehbassen auszurichten, als einige der unrasierten Kerle ins Wasser sprangen und schwimmend die „Isabella“ zu erreichen versuchten.
„Schickt ein Boot!“ schrie jemand. „Nehmt uns an Bord!“
Es klang halb spanisch, halb portugiesisch, aber der Profos, der am Schanzkleid lehnte, tippte sich mit dem Finger an die Stirn.
„Das könnte euch Rübenschweinen so passen“, sagte er. „Ihr habt doch selbst ein Boot am Strand liegen.“
Hasard sah nur Rattengesichter, Visagen von ausgesprochenen Galgenvögeln, verschlagene, hinterhältige und schmierige Typen, die man nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würde. Den Kerlen sah man ihre Tätigkeit zehn Meilen gegen den Südwind an. Das waren einwandfrei Piraten, Schnapphähne zur See, Halsabschneider, Gauner und Deserteure, ein buntes Gemisch aus vielen Nationen.
Die Kerle, die das hörten, drehten wieder ab und schwammen zum Strand zurück. Dann schoben sie das Boot ins Wasser, bemannten es und gingen erneut auf die Reise.
Sechzehn Männer zählten die Seewölfe, sechzehn mit allen Hunden gehetzte Marodeure, Seeräuber der übelsten Garnitur.
Sie pullten wie die Wilden zur „Isabella“. Wie sie sich das vorstellten, einfach an Bord zu gelangen, war dem Seewolf ein Rätsel.
Sie nahmen wohl an, es würde ihnen ungehindert gelingen. Wenn diese Brut erst einmal an Bord war, würde Zustand auf dem Rahsegler herrschen, soviel war sicher.
„Halt!“ rief Hasard mit donnernder Stimme, als die Entfernung nur noch zwanzig Yards betrug und die Kerle weiterpullten. „Kein Yard weiter, oder wir feuern mit der Drehbasse!“
Einige hörten auf zu pullen, doch ein bärenstarker Kerl mit rotem Gesicht und Stiernacken stand im Boot auf und blickte den Seewolf aus verschlagenen Augen an.
Auch er sprach das spanisch-portugiesische Gemisch, das die Seewölfe gut verstanden.
„Ah, Capitano, wir sind ehrliche Handelsfahrer!“ rief er. „Gute, ehrliche Kaufleute, die Pech hatten. Nehmt uns an Bord, wir wollen weg von dieser Insel. Pullt weiter, Leute!“ rief er im selben Atemzug und grinste herausfordernd.
Der Seewolf nickte Al Conroy zu, der eine Flaschenbombe in der Hand hielt. Er zündete die Lunte an, maß die Entfernung und schleuderte die Flasche ins Meer.
Dicht vor dem Boot krepierte sie noch halb unter Wasser und überschüttete die Kerle mit einem Hagel Seewasser, das wie eine Fontäne über sie rauschte.
Erst da hörten sie auf zu pullen, ließen das Boot aber weiter zur „Isabella“ treiben.
„He, was soll das?“ schrie der Anführer erbost. „Behandelt man so ehrliche, in Not geratene Seeleute? Wir sind in friedlicher Absicht erschienen, unser Schiff haben wir verloren.“
„So ehrlich seht ihr auch gerade aus, ihr Schnapphähne“, sagte der Seewolf laut. „Auf meinem Schiff habt ihr nichts zu suchen. Verschwindet!“
Ein Wutgeheul war die Antwort. Einer der Kerle zog eine Pistole unter der Ducht hervor. Ohne lange zu zielen, drückte er ab und schoß. Die Kugel sauste dicht an Carberrys Schädel vorbei und blieb im Mast stecken.
Da richtete sich schon ein anderer auf und griff nach einer geladenen Muskete.
„Wenn ihr uns nicht freiwillig aufnehmt, dann geht es eben anders“, sagte der stiernackige Riesenlümmel hämisch.
Die Kerle wollten es nicht anders, und es sah ganz danach aus, als wollten sie mit dem Mut der Verzweiflung die „Isabella“ entern.
Sie waren jedenfalls zu allem entschlossen, das zeigten sie deutlich genug.
Noch bevor der Musketenschütze feuern konnte, traf ihn ein Pfeil von Batutis Langbogen. Der Mandingo traf immer sein Ziel, und diesmal rettete er wahrscheinlich einem Seewolf damit das Leben.
Der Schütze ließ die Muskete fallen, riß die Arme hoch und kippte mit einer seitlichen Drehung außenbords. Er versank sofort im Meer.
Wieder ertönte ein Wutgeheul von den Piraten. Der Stiernackige schleuderte ein Entermesser, aber jetzt hatte der Seewolf genug.
Er ließ die Drehbasse aus kürzester Distanz abfeuern.
Sie war mit einer Kettenkugel geladen, und Al Conroy nahm genau Maß.
Die Kugel eierte blitzschnell heraus, knallte in den Bug des Bootes und zerfetzte ein paar Planken.
„Die nächste ist mit grobem Blei geladen“, warnte Hasard. „Wenn ihr jetzt nicht augenblicklich verschwindet, schicken wir euch auf den Grund!“
Der Stiernackige fluchte laut und ordinär und hob drohend die Faust.
„Ihr Hunde!“ schrie er. „Ihr dreckigen Halunken! Wenn ihr nicht zu feige seid, dann kommt an Land. Dort werden wir es austragen, und ich werde euch schon zeigen, wie man euch kleinkriegt!“
„Das war meine letzte Warnung an euch Lumpengesindel“, sagte Hasard ruhig. Er gab Al den Befehl, die mit Grobschrot geladene Drehbasse ebenfalls auf das Boot zu richten.
Die Piraten kannten die Wirkung von gehacktem Blei. Auf kurze Distanz abgefeuert, wirkte sie besonders verheerend, und jetzt begannen sie zu kuschen, als sie in die dunkle Mündung der Drehbasse blickten.
„Noch etwas“, sagte Hasard. „Werft eure Waffen ins Meer, augenblicklich, sonst feuern wir! Ihr seid genau im besten Bereich der Drehbassen.“
Stumm glotzten sie sich an. Damit hatte selbst der Stiernackige nicht gerechnet. Er zögerte noch unentschlossen, aber als er jetzt überall hinter dem Schanzkleid Waffen auftauchen sah und in die Gesichter dieser hartgesottenen Burschen blickte, da wußte er, daß seine letzte Stunde geschlagen hatte, wenn er die Aufforderung nicht befolgte.
In ohnmächtiger Wut warfen sie eine Muskete nach der anderen ins Wasser, bis auch die letzte verschwunden war.
„Und jetzt die Pistolen!“ forderte Hasard. „Auch die du noch im Gürtel stecken hast!“
„Verdammt!“ brüllte der Stiernakkige.
Da ruckte die schwenkbare Drehbasse noch etwas weiter herum und senkte sich leicht.
„Das werdet ihr noch bereuen, ihr Hurenböcke!“ schrie er. Dann warf er voller Wut auch die Pistolen über Bord.
„Sehr schön“, höhnte der Profos. „Und jetzt verzieht euch, sonst ziehe ich euch die Haut in Streifen von euren Piratenärschen!“
Das narbige Gesicht und Carberrys entschlossene kalte Wut verfehlten ihren Eindruck nicht auf das Piratengesindel.
Sie drehten unter lautstarken Verwünschungen ab und pullten wieder zurück, dem Strand entgegen.
„Möchte wissen, was die mit den Insulanern angestellt haben“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Das ist ja die reinste Satansbrut, diese ehrlichen Handelsfahrer.“
„Wir sollten uns die Burschen mal an Land ansehen, Sir“, meinte Carberry. „Die Kerle gehen mir mächtig auf die Nerven, und den großkotzigen Anführer würde ich gern mal verhackstücken.“
Immer noch pullten die Kerle verbissen und sauer. Sie hatten ihre erste Niederlage schneller hinter sich, als sie geglaubt hatten.
„Ja, wir gehen auf jeden Fall mit einem Trupp an Land“, sagte Hasard. „Offensichtlich sind die Halunken hier gestrandet und hausen jetzt auf der Insel wie die Wilden. Deshalb haben sich die Insulaner auch versteckt oder sind geflüchtet.“
Nein, da gab es kein langes Überlegen, entschied der Seewolf. Jetzt, da dem Gesindel der Schreck noch in den Knochen steckte, war es am besten, gleich nachzufassen und die Kerle auf ihre normale Größe zurechtzustutzen.
„Laß das große Boot zu Wasser, Ed!“ befahl er. „Ich suche einen Trupp aus, der an Land geht, die anderen bleiben an Bord und nehmen alles unter Feuer, was sich der ‚Isabella‘ auch nur auf hundert Yards nähert. Alle Culverinen werden sofort überprüft.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Ed.
Dann wurde das große Boot abgefiert.