Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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Als eigene Szene gestaltet, dient der Monolog der Vorbereitung auf die folgende Szene, indem der Entschluss sich mit einer sprachlich vermittelten Lokalisierung des nächsten Schauplatzes verbindet. Handlungsbezogen übernimmt der Monolog die Überleitung zum Ortswechsel auf den Markt.
In der Vorlage findet sich keine Reflexion der Kupplerin, stattdessen folgt dem Dialog zwischen Domherrn und Kupplerin ein bei Sachs nicht zu findender Dialog zwischen dem Domherrn und einem Boten. Darin wird der Domherr abberufen, um einen Brief zu siegeln. Er versucht zwar, Zeit zu gewinnen, indem er den Boten nicht gleich wieder losschicken will: „Ir mußt ie harren eine kleine zeit.“ (S. 278 v. 26); doch der Bote lässt sich nicht vertrösten, da der Bischof sein Auftraggeber ist. Widerwillig fügt sich der Domherr der Anordnung mit den Worten „So sigel ich des teufels namen.“ (S. 279 v. 1).
Auch wenn Sachs das Gespräch mit dem Boten nicht übernimmt, bringt er in der fünften Szene in einem Dialog zwischen Kupplerin und Domherrn die wesentlichen Informationen dieses Abschnitts der Vorlage unter. Dem vorangestellt ist die vierte Szene, in der eine Frau mit ihrer Magd zum Marktgeschehen hinzutritt, und ein erneuter Monolog der Kupplerin (vv. 153–163). Sie liefert eine Beschreibung der Frau und den Entschluss, sie für den Domherrn ansprechen zu wollen:
Dort geht ein Fraw, die duͤncket mich Sey geschmuͤckt auff den Finckenstrich 155 Mit grosser Pleiden, scharpffem Gbendt, Hat etlich Corelln an der Hendt, Mantl vnd Schaubn jr alls rebisch staht, Weiß Stiffel, Pantoͤffelein glat; Mit dem Gsicht hin vnd wider wechelt, 160 Mit jr Meyd stets fispert vnd lechelt. Mich duͤnckt, sie sey deß rechten flugs, Sie wird geleich seyn meines fugs, Ich wil sie kecklich reden an.Dieser Zutrittsmonolog bietet mit einer ausführlichen Teichoskopie eine Charakterisierung der bereits aufgetretenen Figur. Die wortreiche Darstellung erscheint zunächst retardierend, da die Beschriebene selbst vor wenigen Augenblicken auf der Bühne zu sehen war. In die Beschreibung ist jedoch eine Fremdcharakterisierung eingewoben: Die Kupplerin vermutet, das geeignete Opfer gefunden zu haben, denn jene Frau habe sich so herausgeputzt, weil sie auf dem „Finkenstrich“ (v. 154) sei – also nach Männern Ausschau halte. Auch ihr Verhalten zeige, dass sie „rechten flugs“ (v. 161) sei. Nicht zuletzt scheint es sich um eine hinreichend vermögende Frau zu handeln. Der Entschluss, die Frau anzusprechen, scheint auseichend begründet.
Der Monolog kommentiert und deckt bisher nicht bekannte mögliche Absichten auf. Zudem bringt er die Handlung begründend voran. Der parallele Aufbau beim Finden der ‚Auserwählten‘ stellt einerseits den Rückbezug zum Domherrn her und macht andererseits den Unterschied zu diesem deutlich. Denn im Gegensatz zum Domherrn, der in seinem Auftrittsmonolog seine Absicht enthüllt hat, ist es in diesem Monolog die Kupplerin, die der Frau aufgrund ihres Auftretens eine Absicht unterstellt.
Am Ende der zweiten Szene geht der Domherr mit den Worten „Ich will zu Hauß zu dem Fruessen“ (v. 128) von der Bühne. Der Auftrittsmonolog der fünften Szene (vv. 213–218) stellt über die Analepse die Verbindung zum erwähnten Frühstück her und verknüpft dadurch die beiden Monologe miteinander:
Ich hab das Morgenmahl eingnommen, Bin wider her in den Thumb kommen 215 Vnd wil da auff dem platze schawen, Ob mir von der zart schoͤnen Frawen Die Alt brecht etwann gute Mehr. Dort kombt sie eben gleich daher.Dem semantischen Anschluss an das Frühstück fügt Sachs eine Prolepse an, die mit der Bekundung, auf Nachricht von der Kupplerin zu warten, in den folgenden Dialog überleitet. Die wesentliche Funktion ist indes technisch bedingt, da der Zeitverlauf und der Ortswechsel zum Dom vermittelt werden müssen. Zudem bleibt über die zeitliche Klammer und die Wiederholung der grundlegenden Motivation des Domherrn die Handlungssituation der Figur über die bisherigen Orts- und Szenenwechsel erhalten. Aus dieser figurenspezifischen Perspektive heraus wird der Blick auf die bald auftretende Person gerichtet.
Die dadurch gewährleistete Konstanz der Figurenperspektive erfährt einen umso stärkeren Bruch, wenn der Domherr im folgenden Dialog der Kupplerin eine Absage erteilt. Es ist auffällig, dass Sachs den Auftrittsmonolog nicht dazu nutzt, die zeitliche Verhinderung darzustellen, die dem Domherrn bereits bekannt sein müsste. Mit Blick auf die Vorlage wäre es eine denkbare Möglichkeit, den Auftritt des Boten zu streichen und den dadurch frei gewordenen Inhalt in den Monolog zu übernehmen. Sachs jedoch verankert diese Information im Dialog mit der Kupplerin. Das überraschende Moment, das sich daraus für die Wahrnehmung der Figur Domherr ergibt, fängt er mit dessen bedauernden Worten vor seinem endgültigen Abgang ab. Auch sie sind also nicht als Monolog geformt.
Grund dieser dramaturgischen Ausgestaltung könnte sein, dass Sachs erstens die enge zeitliche Abfolge der Vorlage beibehalten wollte. Dass das Zusammentreffen mit der Frau so rasch zu erfolgen habe, scheint der Domherr nicht vermutet zu haben. Ebenso wie sein Alter Ego in der Vorlage kann er jedoch einen Auftrag des Bischofs nicht aufschieben. Zweitens verlagert Sachs den sich aus der Absage ergebenden Konflikt ganz auf die Figur der Kupplerin. Indem er dafür auf den Dialog zurückgreift, findet sie sich direkt in einer völlig veränderten Situation wieder. Damit entscheidet sich Sachs drittens gegen eine berichtsmäßige Informationsvergabe im Monolog und folglich gegen einen Wissensvorsprung der Rezipienten vor der Kupplerin. Stattdessen schafft er Parallelität von innerem und äußerem System für die Informationsvergabe und den größtmöglichen Effekt für die Peripetie. Obwohl damit die Vorlage hier eine Möglichkeit für die Verwendung des Monologs eröffnet, hat sich Sachs an dieser Stelle gegen eine Informationsvermittlung von Figurenwissen in dieser Form entschieden.
Am Ende der fünften Szene (vv. 241–248) bringt ein Abgangsmonolog den Ärger der Kupplerin zum Ausdruck, einen neuen Mann finden zu müssen:
Potz Leber Huͤnr, wo muß ich nauß? Die Fraw wart daheim in meim Hauß, Vnd wo ich kein Mann zu jr bring, Wird ich vbel bstehn aller ding. 245 Ich wil nach eim andern umbschawen, Denselben bring ich zu der Frawen, Auff daß mit ehren ich besteh Vnd mein handel von statten geh.Mittels Affektdarstellung und raschem Entschluss nach kurzer Reflexion kommt es zur Tempoverschärfung im Spiel. Der Monolog findet sich an einer Stelle, an der die Situationsveränderung eine intentionale Reaktion der Figur erfordert. Er verstärkt so die Spannung hinsichtlich des kommenden Handlungsverlaufs.
Zu Beginn der sechsten Szene tritt der interessierte, angebliche neue Mann monologisierend auf (vv. 249–258). In Wahrheit ist es der Ehemann, der seine Frau sucht. Die ersten beiden Verse identifizieren die Figur:
Mein Fraw die ist heut gen marck gangen 250 Mit jrer Meyd, vnd thun vmbprangen. Nun hat die Vhr schon neun geschlagen, Wo thun sien tag im korb vmbtragen? Ich meyn, sie hab der Teuffel hin, Biß her ich noch vngessen bin, 255 Vnd ist noch kein funck Fewrs im Hauß, Bin gleich vor zorn gelauffen auß; Ich wil jr den Peter puff singen, Thu ich sie heym zu Hause bringen.Mit dem Dialog zwischen der Frau und der Magd, der einzig den Einkauf zum Thema hatte, sowie die ausführliche Beschreibung der Frau durch die Kupplerin stellt Sachs sicher, dass an dieser Stelle eine kurze Replik zur Identifikation der Figur ausreicht. Die analeptische Konstruktion über die verstrichene Zeit unterstützt diesen Ansatz. In logischer Folge wird deutlich, warum die Kupplerin den Ehemann trifft. Das in der Vorlage allein vom Zufall bestimmte Zusammentreffen von Kupplerin und Ehemann ersetzt Sachs durch die o.g. Konstruktion, die maßgeblich der Konfliktentwicklung dient.
Wie die Exposition des Fastnachtspiels setzt sich die Hinführung zur Peripetie aus einer Kette von drei Monologen zusammen. Den dritten Monolog der Kette, der auch der letzte des Fastnachtspiels ist, gestaltet Sachs wieder in Parallelität zu den vorhergehenden Zutrittsmonologen der Kupplerin. Auch hier kommt die Kupplerin zu dem bereits aufgetretenen Ehemann und liefert eine teichoskopische Beschreibung des von ihr ‚Auserwählten‘ (vv. 259–264):
Dort geht ein mann artlich gebutzt, 260 Der stets hin vnd herwider gutzt, Samb er nach schoͤnen Frawen sech. Ich wiln anredn mit worten spech, Ob ich den in den kluppen brecht, So stuͤnd der handel wol vnd recht.Wie schon in der zweiten Teichoskopie ergibt sich aus der Beschreibung des Ehemannes eine Fremdcharakterisierung, aufgrund derer sich die Kupplerin entschließt, den Mann anzusprechen. Anders als im Fall der Frau verfügen die Rezipienten indes über den Informationsvorsprung, dass der Ehemann nicht nach Frauen Ausschau hält, sondern seine Ehefrau sucht. Dem Monolog kommt wesentlich die Funktion zu, dass die Kupplerin den für die Handlung entscheidenden Entschluss fasst, den Mann anzusprechen, der schließlich zum Höhepunkt, dem Zusammentreffen zwischen Ehefrau und Ehemann, führt.
In der Vorlage ist dieser Vorgang mit sieben Versen erheblich kürzer dargestellt. Dass die Kupplerin den Domherrn nicht finden kann, macht die Regieanweisung „Nu lauft die Kupplerin und sucht den Thumherrn und fand sein nicht pald.“ (S. 280 v. 1) deutlich. Fünf Verse später folgt die Information, dass es sich um den Ehemann der Frau handelt. Die Magd schaut aus dem Fenster und sagt „O frau, sie bringt furwar euren man.“ (S. 280 v. 7).
Wie schon der Handlungsumschwung und die Konfliktentwicklung aufgrund der Absage des Domherrn nicht in einen Monolog gefasst sind, so wird auch der zweite Umschwung, die ‚rettende Idee‘ für die Ehefrau, in der Bearbeitung nicht durch einen Monolog vermittelt. Sie erfolgt im Dialog der Frau mit der Magd, indem die Magd wie auch in der Vorlage der Frau rät, auf den Ehemann loszugehen und ihm Vorwürfe zu machen. Es ist demnach keine Ausnahme, dass in diesem Fastnachtspiel Monologe nicht direkt am aktionalen Punkt der Situationsveränderung, dem Ablauf der Handlung positioniert sind, sondern davor oder danach. Die Monologfunktion lässt sich hier eher der motivierenden Handlungsvorbereitung und Situationsentwicklung zuordnen.
Der Beginn ist durch drei aufeinanderfolgende Monologe geprägt, von denen die beiden ersten wesentlich der Figurenzeichnung dienen. Sie stellen, teilweise analeptisch konstruiert, enthüllend Motive und Absichten heraus und entwickeln so die figurenperspektivische Sicht für die Handlung.
Im Gegensatz zum vorreformatorischen Fastnachtspiel vermitteln hier die Monologe die Handlungsmotive der Figuren. Die Enthüllungen von Absichten, Selbstcharakterisierungen und die Darstellungen von Affekten basieren auf Stereotypen wie etwa ‚der seiner Ehefrau überdrüssige Mann‘, ‚die flatterhafte junge Frau‘ und ‚die verschlagene Kupplerin‘. Die dargestellten Motivationen dienen nicht komplexeren Figurenkonstruktionen,20 sondern der Handlungsbegründung.
Es stellt sich die Frage, weshalb Sachs Handlungsmotivierungen einfügte, obwohl die Vorlage die Handlung bereits verständlich darstellt. Ein mögliches Unverständnis seiner Rezipienten scheint als Begründung allein auch deshalb wenig plausibel, weil es hierfür keinerlei Belege gibt. Vielmehr ging es Sachs um den kausalen Aufbau der Spielrealität. Nicht der Zufall sollte Handlungsauslöser sein, sondern intentionale Entscheidungen der jeweiligen Figuren. Dieser Funktion lassen sich acht der zehn Monologe zuordnen.
Mit Ausnahme der Schlussszene, die rein dialogisch ist, bilden die Monologe im strukturellen Gefüge regelmäßig den Anfang oder das Ende einer Szene. Einen abgesetzten Schlussmonolog gibt es nicht. Monologe führen Zeitsprünge, Ortswechsel sowie Veränderungen der Figurenkonstellation ein. Da die letzte Szene auch hier eine Ausnahme bildet, ist davon auszugehen, dass Sachs grundsätzlich die Monologe zur strukturellen Gliederung funktionalisiert, zugleich aber Ausnahmen zulässt. Die drei Zutrittsmonologe inmitten der Szene dienen der teichoskopischen Beschreibung der auserwählten Personen und der Ankündigung, sie ansprechen zu wollen. Durch das Zurückgreifen auf denselben Monologtyp in der jeweils parallel gestalteten Situation – Kupplerin sieht ein potenzielles ‚Opfer‘ – werden den Rezipienten indes auch die Unterschiede in der Menschenkenntnis der Kupplerin vermittelt: Der Blick auf den Domherrn ist hier bestätigend, der auf die Ehefrau zweifelnd, denn es bedarf noch der Überredung durch die Magd, und hinsichtlich des Ehemanns wird ihre Menschenkenntnis ad absurdum geführt.
Sachs setzt bis auf den Überbrückungsmonolog alle strukturell-gliedernden Monologtypen ein. Neben der handlungsbezogenen und strukturierenden Funktion dienen einige Monologe hauptsächlich dazu, die Komik des Spiels zu verstärken bzw. Komikeffekte in das Fastnachtspiel zu integrieren, die es in der Vorlage nicht gibt.
Besonders deutlich ist dies an den letzten beiden Monologen der Kupplerin (vv. 241–248; vv. 259–264) zu sehen. Die Panik der Kupplerin „Potz Leber Hunr, wo muß ich nauß?“ (v. 241) bringt die Komik der Verzweiflung ins Spiel, erzeugt über das nun zentrale Handlungsproblem, einen neuen Mann finden zu müssen. Im Gegensatz zur Vorlage, in der die Komik durch verbale Attacken des anderen und Prügelszenen entsteht,21 greift Sachs auf Sprachkomik zurück, die die eigene Person und nicht mehr den Dialogpartner betrifft.
Als zweites Beispiel kann der Monolog der Kupplerin in der sechsten Szene (vv. 259–264) dienen. Darin ermöglicht das mehrperspektivische Wissen die Entstehung von Komik: Da die Rezipienten über einen Informationsvorsprung verfügen, der sie wissen lässt, dass es sich um den Ehemann der Frau handelt, den die Kupplerin sieht, weckt ihre Interpretation der Handlung des Hin- und Herschauens vor allem die Spannung der Rezipienten auf die Auflösung dieses Irrtums und auf die Bloßstellung der Intrigantin.22 Die noch zuvor in der Beschreibung des Domherrn und teilweise der Frau treffende Menschenkenntnis der Kupplerin versagt nun.
Neben der Vermittlung von Figurenperspektiven, die dem logischen Handlungsaufbau dienen, liegt die Funktion einzelner Monologe zudem in der Entwicklung bzw. Verstärkung von Komik. Der Handlungsgang ist auf das ‚Spiel mit der Intrige‘ bzw. des ‚betrogenen Betrügers‘23 ausgerichtet und etabliert dadurch im Gegensatz zum vorreformatorischen Fastnachtspiel eine neue Form der Komik.
Der durch den Monolog vermittelte dramaturgische Anspruch von Sachs liegt vor allem in der Handlungsmotivierung. Sind die Figuren auch nicht weniger gut oder schlecht gezeichnet als in der Vorlage, erscheint ihr Handeln gleichwohl wesentlich kausal begründet. Die Handlungslogik ist hier immer zugleich Verständnishilfe für die Rezipienten, weil die monologisierenden Figuren selbst das Verständnis der Handlung mittels Erläuterungen und Kommentierungen des eigenen und fremden Handelns fördern. Für die Komik der Intrige ist dies eine notwendige Vorausetzung.
Die von Sachs ausgeführten dramaturgischen Änderungen lassen schließlich danach fragen, wie er zur Beherrschung der vorgestellten dramatischen Technik gelangen konnte. Eine Analyse der Monologe in den Tragedis und Comedis aus den Jahren 1527–1549 und deren Vorlagen soll hierauf Antworten geben.
Teil B: Poetologiehistorische Untersuchung
Von 1517–1549 dichtete Hans Sachs insgesamt 19 Fastnachtspiele, von denen bereits einige kurze Monologe aufweisen. Funktionalisierungen, wie in der Typologie dargestellt, finden sich wiederkehrend erst in den Fastnachtspielen ab 1550. Von den insgesamt 347 Monologen lassen sich nur sieben in Fastnachtspielen vor 1550 nachweisen.
Neben dem Fastnachtspiel erweiterte Sachs sein Werk um zwei ‚neue‘ dramatische Gattungen, die Tragedis und Comedis, die er ab 1527 zu dichten begann. In diesen 28 Schauspielen finden sich Monologe bereits in großer Zahl, zeitlich gesehen also vor ihrer extensiven Verwendung in den Fastnachtspielen. Die Tragedis und Comedis sind nach Vorlagen gedichtet, bei denen es sich bis 1536 vor allem um neulateinische und antike handelt, nach der Schaffenspause von neun Jahren ab 1545 vor allem um das Dekameron. Ihre enorme Bedeutung für die Entwicklung der Dramen- und Monologtechnik von Sachs zeigt sich anhand der folgenden Nachzeichnung des poetologischen Aneignungsprozesses.
In einem ersten Schritt ist hierfür auf die Bedeutung der Begriffe Tragödie und Komödie, wie sie in der Frühen Neuzeit galten, einzugehen, um das poetologische Verständnis der neulateinischen Dichter zu verdeutlichen. Danach wird gefragt, inwiefern das zeitgenössische Begriffsverständnis von Komödie und Tragödie für Sachs eine Brückenfunktion für die Entwicklung seines eigenen Dramenverständnisses bereit stellte, mithin sein Gattungsverständnis in den vorfindlichen Konturen als Ausdruck einer produktiven Rezeption der Angebote der humanistischen Gelehrtenkultur literarhistorisch zu begreifen ist.
In einem zweiten Schritt ist die in den Fastnachtspielen verwendete Monologtechnik auf ihren möglichen poetologischen Aneignungsprozess durch Sachs zu befragen. Hierfür erfolgt unter Verwendung der Monologtypologie, die anhand der Fastnachtspiele erstellt wurde, eine Durchsicht der zeitlich vorgelagerten Schauspiele. Auf diese Weise lässt sich darstellen, inwieweit die von Sachs in den Fastnachtspielen verwendete autokommunikative Gedankenrede mit seiner Rezeption und Auseinandersetzung in den Bearbeitungen von Vorlagen der Tragedis und Comedis korrespondiert.
Zu fragen ist insbesondere, inwiefern sich Sachs Varianten des Monologs aus den Vorlagen aneignete und nachbildete oder darüber hinaus eigenständige Formen an neuen Stellen oder in modifizierter Form in seine Bearbeitungen einfügte. Diese Nachzeichnung eines poetologischen Entwicklungsprozesses als Tiefenanalyse, der Aufnahme und Verständnis ebenso umfasst wie Anwendungen und Modifikationen, erfolgt chronologisch. Es werden zunächst die Werke aus den Jahren 1527–1536 betrachtet, die auf antiken und neulateinischen Quellen beruhen. Anschließend werden für den Zeitraum 1545–1549 die Rezeption und Nachdichtung des Dekameron und die Menaechmi-Bearbeitung betrachtet.
Um einer Antwort auf die Frage näher zu kommen, wie sich der poetologische Aneignungsprozess für die nachgewiesenen Monologtechniken der Fastnachtspiele darstellt, wird im dritten Schritt die Übertragung von Dekameron-Novellen in dramatische Texte analysiert. Weiterführend wird untersucht, inwiefern die Übertragung der Erzählinstanz in dramatische Figurenrede Grundlagen für den Einsatz des Monologes bereit gestellt hat.
Zu fragen ist insbesondere nach einer Funktionalisierung der autokommunikativen Gedankenrede für eine dramaturgisch schlüssige Präsentation von Handlungssituation und Handlungsgang, die es Sachs ermöglichte, einen Handlungsaufbau nach „anfang, mittel und endt“ zu strukturieren. Dieser vierte Schritt führt den Bogen der Untersuchung über die in der Typologie benannten strukturellen und handlungsbezogenen Kategorien hinaus. Mit der Analyse des Monechmo wird schließlich die Aneignung von Elementen zur Präsentation von Komik und die Entwicklung der schwankhaften Handlungskonstruktion in den Fastnachtspielen verdeutlicht.
Diese „poetologiehistorische“ Untersuchung sieht Sachs als einen Autor, der rezipierend und produzierend in einem literarhistorischen Produktions- und Bildungsprozess stand. Der Monolog fungiert in dieser analytischen Sicht- und Vorgehensweise als ein Gelenkstück für die Entwicklung der Dramentechnik und für das Verständnis von Schauspielen als Tragödie bzw. Komödie.
1 Gattungsverständnis in der humanistischen Gelehrtenkultur
1.1 Komödie
Das Verständnis von Komödien ging in der Frühen Neuzeit maßgeblich auf Auseinandersetzungen mit Dramen von Terenz zurück, der mit der Wiederentdeckung des Kommentars von Aelius Donatus1 1433 in Italien und spätestens 1456 in Deutschland ins Zentrum des gelehrten Interesses rückte. Als Peter Luder 1456 an der Universität Heidelberg seine Inauguralrede hielt, hob er den didaktischen Wert der Poesie im Allgemeinen und den der Komödien des Terenz im Besonderen hervor.2 Seine ein Jahr später gehaltene Terenz-Vorlesung, in der er gleichfalls den didaktischen Nutzen betont, war so erfolgreich, dass er sie in Erfurt und Leipzig wiederholte.
Luder, wie auch Donat in De Comoedia, stützt seine Argumentation auf Ciceros Lob der Komödie als Spiegel der Sitten und Charaktere.3 Donat führt aus:
Die Komödie ist eine Geschichte, die verschiedene Darstellungen von Leidenschaften von Bürgern und Privatleuten beinhaltet, aus denen man lernt, was im Leben nützlich und andererseits zu meiden sei. […] Cicero sagt, die Komödie sei eine Nachahmung des Lebens, ein Spiegel des Alltags, ein Abbild der Wahrheit.4
Der von Donat formulierte Anspruch an die Komödie, ein Spiegel der Sitten zu sein, war das Hauptargument für Luther und Melanchthon, das Theaterspiel im Verlauf der Reformation zu legitimieren, ermöglicht es doch eine Nachahmung des Lebens und, bei entsprechender Lesart, die Vermittlung moraldidaktischer Inhalte. Neben solcherart Vermittlung trat die universitäre Grammatik- und Rhetorikschulung, eignen sich Komödien doch bestens für die lateinische Sprachausbildung.5





