Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

- -
- 100%
- +
Der didaktische Ansatz im Zugang zum Drama fand schließlich ab dem 15. Jahrhundert seine Umsetzung in der Dramenproduktion. Er war in der Frühen Neuzeit ein wesentlicher Zweck der Dramendichtung. Vor diesem Hintergrund sind auch die Werke von Sachs als Teil eines literarhistorischen Gesamtprozesses zu sehen.
Die Komödie nahm möglicherweise gegenüber der Tragödie in der Frühen Neuzeit eine bevorzugte Stellung ein, weil die Rede vom Drama als Spiegel der Sitten, das eine Besserung des Menschen bewirke, nur die Komödie betrifft. Die Ausnahmestellung von Terenz unter den antiken Dramendichtern spiegelt sich nicht nur bei Donat und Luder, sondern auch im ersten Druck eines antiken Autors und der ersten deutschen Übersetzung wider: 1470 wurde in Straßburg eine Terenzausgabe gedruckt und 1486 übersetzte Hans Neidhart den Eunuchus ins Deutsche. Die mit Anmerkungen versehene Übersetzung wurde ohne große Veränderung, insbesondere ohne Versifikation, sondern unter Beibehaltung der Prosa in die Grüninger-Ausgabe von 1499 übernommen.6
Die Besonderheit von Neidharts Übersetzung ist die ausführliche Kommentierung des Stückes, die auch dramentheoretische Aussagen zum Aufbau von Komödien liefert. Dies ist hervorzuheben, da Neidharts Text mit Sicherheit Sachs bekannt war und als Vorlage für seine Comedi Von der bulerin Thais und iren zweyen bulern, dem ritter Thraso und Phoedria diente.7
Neidhart stellt seinen Erläuterungen zur Komödie ein Vorwort und ein doppeltes argumentum voran. Er gibt nicht nur für die Komödie im Allgemeinen, sondern auch für ihre einzelnen Bestandteile sowie für das argumentum Erläuterungen. Um die Lektüre des Dramas zu erleichtern, geht er zu einer Erklärung des Begriffes comoedia über, den er als dem Leser unbekannt einstuft, denn es bestehe eine „grosse notturfft“, ihn zu erklären.
Ähnlich wie schon Donat bezieht sich Neidhart auf Ciceros Lob der Komödie als Spiegel der Sitten und der Wahrheit und hebt in gleicher Weise den didaktischen Nutzen hervor. Mit der etymologischen Erläuterung des Wortes comoedia ordnet er die Figuren dem mittleren Stand zu. Die Komödie sei in vier Teile gegliedert: (a) der Vorrede („Methaplasmus“) folgen (b) der Anfang und eine Aufzählung der Verwicklungen, so dass das Volk neugierig werde („Prothesis“), woraufhin (c) die Konflikte sich so zuspitzten, dass alle betrübt seien („Epenthesis“), aber am Ende (d) die Betrübnis sich zu einem glücklichen Ausgang wende („Paragoge“). Diese vier Teile werden in fünf Akten untergebracht.8
Im weiteren Verlauf der Kommentierung findet sich eine Differenzierung zwischen Dialog und Monolog, indem Neidhart darauf verweist, dass „man verstan soll welche person in ainer yeden geschicht rede. Es seie das ir lützel oder vil darinn mit ainander reden. Oder es rede ain person mit ir selb.“9 Wie ein Monolog gestaltet sein sollte, erörtert er nicht.
Da eine didaktische Dichtungsintention für nahezu alle frühhumanistischen Dichter zutrifft, ist es keine Überraschung, dass Albrecht von Eybs Abhandlung zur Komödie, die er zwar 1472 und damit vor Neidhart geschrieben hat, die aber erst 1511 gedruckt wurde, ebenfalls im Zusammenhang mit einer Tugendlehre steht. Die Übertragung der Komödien Menaechmi und Bacchides von Plautus und die damit einhergehenden allgemeinen Äußerungen zur Komödie wurden dem Spiegel der Sitten, einer Tugend- und Ständelehre, angefügt und dienen als Beispiele für „falsches Handeln“, d.h. die Plautus-Übertragungen erschienen nicht unabhängig, sondern in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Spiegel der Sitten.10
Eyb wollte keine Übersetzungen antiker Dramen leisten, weshalb er, ähnlich wie Sachs, die Handlung nicht nur christianisierte, sondern auch antike Namen, Sprichwörter und Amtsbezeichnungen durch frühneuzeitliche ersetzte.11
Mit dem Spiegel der Sitten und Neidharts Übersetzung und Kommentierung des Eunuchus liegen zwei Texte vor, die Sachs als Vorlage nutzte und in denen sich theoretische Ausführungen zum Aufbau der Komödie finden. Beide schließen aus der Etymologie auf das Personal der Komödie, wenngleich Eyb daraus eine Ständeklausel ableitet und die Struktur weniger ausführlich als Neidhart beschreibt: Am Beginn und in der Mitte ist sie traurig und zum Ende wendet sie sich ins Positive. Stuplich bemerkt dazu: „Der didaktische Nutzen der Komödie liegt nun darin, daß diese ‚widerwertikait‘ und die ‚verkerten sitten der menschen‘ spielerisch entlarvt und damit angeprangert werden.“12
Der von Eyb ins Deutsche übertragene Plautus ist neben Terenz der zweite wichtige Dichter der Palliata, wenngleich er hinter diesem – vor allem im Schulunterricht – weit zurückstand. Auch für Sachs, der eine der vier Nürnberger Lateinschulen von 1501–1509 besucht hat, dürfte Terenz schon im Schulunterricht präsent gewesen sein.13 So könnte er, wenn auch nicht explizit Dramentechniken, zumindest Latein mit Dramen von Terenz erlernt haben.14
1.2 Tragödie
In Evanthius’ Abhandlung De Fabula, die bis ins 16. Jahrhundert als ein Teil von Donats De Comedia galt, gibt es bereits eine unscharfe Charakterisierung der Tragödie in Abgrenzung zur Komödie,1 die in dieser Form, wie Mitschriften von Studenten zeigen, im Heidelberger Poetikunterricht gelehrt wurde:
Der Unterschied zwischen der Tragödie und der Komödie besteht unter anderem v.a. darin, dass in der Komödie die Schicksale der Menschen unbedeutend, die Gefahren, denen sie begegnen, gering und die Ausgänge der Handlungen glücklich sind; in der Tragödie aber ist alles entgegengesetzt: da gibt es berühmte Persönlichkeiten, große Schrecken und tödliche Ausgänge. Dort beginnt es stürmisch und endet schließlich ruhig, in der Tragödie nehmen die Geschehnisse den entgegengesetzten Verlauf; außerdem gilt, dass in der Tragödie das zu meidende Leben zum Ausdruck gebracht wird, in der Komödie das erstrebenswerte, und schließlich, dass es in der Komödie stets um Fiktives geht, während die Tragödie oft bezüglich der Geschichte für glaubwürdig angesehen wird.2
Der Unterschied zwischen Komödie und Tragödie liegt demnach im unterschiedlichen Ausgang, in der Trennung zwischen Fiktivität und Wahrheit und im unterschiedlichen Stand des Dramenpersonals.
Als einer der ersten deutschen Humanisten äußerte sich Konrad Celtis 1486 in seiner Ars versificandi zur Tragödie. Darin betont er „das moralisch-didaktische, aber auch das rhetorische Element der Tragödien und […] empfiehlt jungen Dramatikern Senecas Tragödien zur Nachahmung“.3 Sein Ziel ist es dabei, neben der weitaus erfolgreicheren Komödie, die Tragödie – und das heißt vor allem die Tragödien Senecas – als Literaturgattung wieder zu etablieren, weil sie Regeln vorgeben, wie Staatsdiener zu leben haben: „sie stellen die Gesamtheit der wichtigsten Regeln für das Leben eines Fürsten dar, und zwar in Form von sehr eindrücklichen Verboten und Lastern.“4
Cora Dietls Untersuchung der neulateinischen Dramendichter Jakob Wimpheling, Joseph Grünpeck, Heinrich Bebel, Konrad Celtis, Johannes Reuchlin und Jacob Locher zeigt, wie heterogen die neulateinischen Dramen sind.5 Einerseits finden sich unter ihnen Rezitationsdramen, die dem Prosadialog ähneln, andererseits können Tragödien bspw. zu Festspielen in Herrscherlob münden. Nur Reuchlins Scaenica progymnasmata stellt eine Ausnahme dar. Seine Komödie ist
„ein dramaturgisch straff durchgearbeiteter, dem klassischen Handlungslauf folgender jambischer Fünf-Akter mit Choreinlagen und geregelten Auf- und Abtritten, der ideal auf einer Terenzbühne aufgeführt werden kann und sich an die Ständeklausel hält.“6
2 Gattungsverständnis von Hans Sachs
Als Sachs 1527 seine erste Tragedi schrieb, konnte er sich nur bedingt auf eine nachahmbare Dramenform stützen,1 kannte aber mit den Kommentierungen von Donat und Albrecht von Eyb die für die humanistischen Dramatiker wichtigsten theoretischen Ausführungen zur Komödie. Wenngleich Kontakte von Sachs zu Nürnberger Humanisten nicht nachweisbar sind,2 kann doch von einem mit ihnen gemeinsamen „Wertekanon“3 gesprochen werden. Das Bild, wie Sachs gesehen werden wollte, macht durchaus seinen Bezug auf die Antike deutlich: In einem Holzschnitt-Portrait von 1545 mit beigefügtem lateinischen Verstext steht er mit Dichtern wie Ovid und Vergil in einer Reihe; im Spruchgedicht Ein Gesprech, die neun Gab Muse oder Kunstgöttin betreffend4 von 1536 stellt er sich als von Musen begnadet dar.5 In diesem Text erscheinen dem jungen Sachs im Traum die neun griechischen Musen, die, von Apollo und Pallas beauftragt, Dichter für ihre Kunst suchen. Mit Apollo nimmt Sachs in gleicher Weise Bezug auf die antiken ‚Auftraggeber‘ für sein literarisches Schaffen wie schon Celtis 1486 in Ode ad Apollinem repertorem poetices: ut ab Italis cum lyra ad Germanos veniat und 1492 in seiner Ingolstädter Rede Oratio habita in gymnasio in Ingelstadio publice recitata.6 Der Unterschied zu Celtis liegt jedoch in der Sprache: Während dieser auf Latein dichtete, wendete Sachs, von den Musen beauftragt, sich nicht nur der „teutschen poeterey“ zu,7 sondern, wie Bernstein bemerkt, stellte er sich zugleich „selbstbewußt in eine illustre Reihe griechischer, römischer und deutscher Dichter.“8 Der Rückgriff auf antike Autoritäten ist insbesondere im Dialog zwischen dem „jüngling“ und der Muse Clio sichtbar. Diese unterbreitet jenem das Angebot, die gleiche poetische Kompetenz zu erlangen, wie sie zuvor schon griechische, lateinische und auch deutsche Dichter von den Musen zugesprochen bekommen haben:
Ich bin, ein jüngling bey zweintzig jarn, Der poetery gantz unerfarn, 135 Hab keiner kunst mich angenommen. Die poeten von himel kommen, Wie von in sagt Ovidius. Deshalb ich mich verzeihen muß Der kunst. Gott danck euch aller ehren! […] Mir wider-rufft die göttin wech 145 Und sprach: O jüngeling, ob dir Haben ein groß mitleyden wir. Wiltu, so wöll wir dich begaben Mit den neun gaben, die wir haben, Darmit wir vor begaben thetten 150 Griechisch und lateinisch poeten, Dergleich vil teutscher im Teutschlandt.Zusätzlich nennt Sachs Gattungen9, die er bearbeitet bzw. deren Neufassung ihm in jungen Jahren die Göttin Clio aufgetragen haben soll:
Die göttin sach mich freundtlich on Und sprach: O jüngling, dein dienst sey, Das dich auff teutsch poeterey Ergebst durch-auß dein leben lang, 110 Nemblichen auff meistergesang, Darinn man fürdert Gottes glori, An tag bringst gut schriftlich histori, Dergleichen auff trawrig tragedi, Auf spil und fröliche comedi, 115 Dialogi und kampff-gesprech, Auff wappenred mit worten sprech, Der fürsten schilt, wappen pleßmiren, Lobsprüch, die löblich jugent zieren, Auch aller art höflich gedicht 120 Von krieg und heydnischer geschicht, Dergleich auff thön und melodey, Auff fabel, schwenck und stampaney,Im Vergleich zu den Gattungsbezeichnungen in der Folioausgabe, deren Herausgabe Sachs von 1558 an selbst mit betreute, lassen sich keine wesentlichen Abweichungen erkennen. Darin unterscheidet er zwischen Meisterliedern, Liedern, Prosadialogen und Reimpaargedichten, denen er „tragedi, comedi, histori, kampffgesprech, gesprech, lobsprüch, klagred, comparacion, sprüch, faßnacht-spiel, fabel und schwenck“10 zurechnet. Ein Unterscheidungskriterium zwischen Fastnachtspiel und Comedi lässt sich in all diesen Aufzählungen nicht ausmachen; aber sie werden voneinander getrennt benannt. Im Vorwort seiner Folioausgabe weist Sachs dem Fastnachtspiel indes explizit die Kurtzweil zu, damit sie die „schwermütigen hertzen zu freuden ermundern“.11
Demnach unterteilte Sachs bereits 1536 seine Werke in gleicher Weise in Gattungen wie in den 1560er Jahren. Der Zeitpunkt, an dem er das Spruchgedicht verfasste, fällt auf das Ende der ersten Auseinandersetzung mit neulateinischen und antiken Vorlagen. Dass Sachs einen expliziten antiken Rahmen für seinen Dichtungsauftrag wählte, erscheint daher nicht zufällig. Das Differenzierungskriterium für seine Comedis und Tragedis nennt er u.a. in Prologen. Danach dient Sachs für die Comedi die Wendung von einem traurigen Anfang zu einem guten Ende und für die Tragedi von einem guten Anfang zu einem schlechten Ende als Unterscheidungsmerkmal.12 Diese Kriterien wendet er jedoch nicht immer gleichermaßen an, weshalb die Anzahl von Comedis und Tragedis zwischen Folioausgabe, Spruchbuch und Generalregister schwankt.13
Zusammengefasst ist zur Abgrenzung der Begriffe Komödie und Tragödie in der humanistischen Gelehrtenkultur festzustellen, dass nicht nur, wie bei Sachs, der positive bzw. negative Ausgang den alleinigen Unterschied ausmacht, sondern auch Gegensatzpaare wie
Moraldidaktik und scherzhaft formulierte Kritik vs. Panegyrik; Exemplarik vs. (pseudo-) historische Einmaligkeit; verborgene Wahrheit (significatio veri) vs. behauptete Wahrheit; Nähe zum Fastnachtspiel vs. Nähe zum Triumphzug oder Fronleichnamsspiel. Die Ständeklausel wird meist eingehalten; wo sie aber gebrochen wird und hochadeliges Personal eine moraldidaktische, exemplarische Lehre vermitteln soll, öffnet sich die Komödie dem höfischen Festspiel.14
Mit Blick auf die Gattungsmerkmale, wie sie die neulateinischen Dichter für Komödie und Tragödie entwickelten, relativiert sich die zunächst sehr einfach anmutende Gattungskategorisierung von Sachs. Die Gattungsmerkmale sind keineswegs eindeutig, vor allem weil die Tragödie weit hinter der Komödie in Rezeption und Dichtung zurückstand. Dass Sachs nicht die Comedi, sondern das Fastnachtspiel zur schwankhaften Gattung machte und stattdessen in Comedi und Tragedi ernste Stoffe bearbeitete, findet seine Entsprechung in der humanistischen Komödiendichtung. Die Ausnahme bilden hier jedoch Reuchlins Scaenica progymnasmata.15
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.





