Ego-State-Therapie bei Traumafolgestörungen

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a)Stabilisierung und Symptomverringerung
b)Behandlung traumatischer Erinnerungen
c)(Re-)Integration und Rehabilitierung der Persönlichkeit
Die Pioniere der Behandlung komplexer Traumafolgestörungen wie Daniel Brown, Chris Courtois, Catherine Fine, Erika Fromm, Judith Herman, Richard Kluft, Richard Loewenstein, Erwin Parson, Laurie Pearlman, Frank Putnam und Colin Ross folgten diesem Modell. Im deutschsprachigen Raum ist die dreiphasige Behandlung von Traumafolgestörungen ebenfalls etabliert (Hecker u. Maercker 2015, S. 556).
Insbesondere in Deutschland bestehen diesbezüglich jedoch deutliche Kontroversen, die vor allem im Hinblick auf die Notwendigkeit und Indikation der ersten Phase Stabilisierung ausgetragen werden und die leider zu großen Verunsicherungen auf Therapeutenseite führen. Seit dem Erscheinen des Artikels »Stabilisierung und Konfrontation in der Traumatherapie – Grundregel oder Mythos?« (Neuner 2008, S. 109–118) sind darüber Grabenkämpfe entfacht (Sachsse 2013, S. 9). Wer plädiert für und wer gegen den Einsatz einer Stabilisierungsphase? Neuner stellt nicht nur die Notwendigkeit einer solchen Phase infrage, er wirft den Befürwortern Behandlungsfehler vor, da sie ihre Patientinnen und Patienten nicht unverzüglich zu der von ihm favorisierten Technik, der Konfrontation, bringen würden. Durch die Stabilisierungsbemühungen würde den Patienten eine wirksame Behandlung vorenthalten. Die Stabilisierung – so sein Vorwurf – stünde eher mit Vermeidungsverhalten auf Therapeuten- und Patientenseite in Zusammenhang als mit einer Vorbereitung auf die Exposition. Er spricht von der Gefahr »der Verschwörung des Schweigens« und bringt diese in Zusammenhang mit den Schweigegeboten der Täter (Neuner 2008, S. 116). Das sind deutliche Worte. Und trotz der beeindruckenden Studienlage, die seine Arbeitsgruppe mittlerweile für diese Argumentation ins Feld führt – auch schwer traumatisierte Patienten wurden von ihr mittels Kurzzeitintervention ohne Stabilisierungsphase behandelt –, scheint sich die Diskussion zum Teil weit weg von der Lebensrealität ambulant behandelter komplextraumatisierter Menschen zu bewegen, die beispielsweise zunächst Mühe haben, ohne Komplikationen den Weg in die Praxis und anschließend wieder nach Hause zu finden.
Hinsichtlich möglicher Gefahren von Expositionen (die für eine Stabilisierung sprechen könnten) betont Neuner, dass
»… nur Psychosen, organische Störung oder geistige Behinderung, Alkoholabhängigkeit, akute Suizidgefahr sowie fortgesetzte missbrauchende Beziehung als Ausschlusskriterien angewendet wurden.«
Es liegt seines Erachtens für Kliniker auf der Hand,
»dass bei den meisten dieser Bedingungen keine reguläre Psychotherapie, in welcher Form auch immer, möglich oder sinnvoll ist« (ebd., S. 113).
Daraus ergibt sich die Frage, welche Art von Behandlung wir genau den Patientinnen und Patienten anbieten können, die aufgrund einer hohen Komorbidität sowie von weiteren somatischen, zwischenmenschlichen und sozialen Problemen hoch belastet und folglich äußerst instabil sind. Was verstehen wir unter »regulär« und was unter »möglich oder sinnvoll«? Hier wäre ein Austausch zwischen Praktikern und Forschern sehr wünschenswert. Im Abschnitt 8.8 wird ein ausführliches Beispiel einer traumafokussierten Behandlung einer geistig behinderten Patientin gegeben, das möglicherweise als Anregung für eine Diskussion dienen kann. Es handelt sich dabei um eine Patientin, für die es nach Neuner auf der Hand liegt, dass keine reguläre Psychotherapie möglich oder sinnvoll ist.
Letztlich bleibt die Frage interessant, wie stabil eine Patientin oder ein Patient sein muss, um sich in einem sicheren Zustand, das heißt ohne zu dekompensieren und ohne zu dissoziieren, mit traumatischem Material konfrontieren zu können. Dazu gehören ebenfalls die Fähigkeiten, sich im Anschluss an eine Konfrontation wieder selbst beruhigen zu können (Affektregulation) und im Lebensalltag für sich sorgen zu können (Funktionalität/Stabilität im Alltag). Wir können auf beiden Seiten Schaden anrichten. Zu schnelles und unvorbereitetes Konfrontieren kann ebenso zum Scheitern der traumazentrierten Behandlung sowie zu einem massiven Symptomanstieg oder zu weiteren Störungen führen wie eine Verzögerung oder Vermeidung der Konfrontation aufgrund einer ausschließlichen oder verlängerten Stabilisierung. Der Patient aus Fallbeispiel 2, der von einem Hai angegriffen wurde, hätte sicher nicht von einer Stabilisierungsphase im Umfang von 80 Behandlungsstunden profitiert, ein solches Vorgehen hätte aus traumatherapeutischer Sicht einen Behandlungsfehler dargestellt. In seinem Fall fand der Beginn der Konfrontation bereits in der vierten Sitzung statt. Andere Behandlungen erfordern einen völlig anderen Verlauf. Wenn die Patientin beispielsweise tatsächlich kaum die Praxis findet, wenn sie durch ihre komplexe Symptomatik extrem beeinträchtigt ist, sich nicht an vergangene Sitzungen erinnern kann, kaum absprachefähig scheint, Täterkontakt sowie ein komplexes komorbides Störungsbild vorliegt und vieles mehr, dann sind in jedem Falle vor dem Beginn einer Konfrontation mit traumatischem Material noch einige Aufgaben zu erledigen. Ein Verzicht auf eine Stabilisierung würde ein hohes therapieinduziertes Risiko darstellen.
Zahllose Beispiele ließen sich für die Indikation einer Stabilisierungsphase anführen. Sollten wir diesen Punkt quantitativ entscheiden, also demjenigen recht geben, der die meisten Fälle für seine Argumentation aufführt? Muss in dieser Diskussion jemand recht bekommen? Oder sollten wir sie qualitativ entscheiden und im Einzelfall gemeinsam mit unseren Patientinnen und Patienten überlegen, wie viel und welche Art von Stabilisierung notwendig ist? Lassen sich aus einer qualitativen Herangehensweise Empfehlungen für die Praxis ableiten? Welche Haltung gegenüber der Exposition haben wir? Wie können wir unsere eigenen Gefühle hinsichtlich bevorstehender Expositionen von Patientinnen reflektieren?
Wir sollten nicht darüber streiten, ob eine Stabilisierung im Behandlungsplan enthalten ist oder nicht, sondern erstens überlegen, ab wann und unter welchen Umständen konfrontiert werden kann, und zweitens, wie sich Konfrontationen gestalten lassen, damit sie gut zu bewältigen sind.
Grawe zählt die Ressourcenaktivierung, die in der Stabilisierungsphase einer phasenorientierten Traumatherapie angesiedelt ist, zu den empirisch validierten Hauptwirkfaktoren von Psychotherapie (Grawe 2005, S. 311). In integrativen Ansätzen zur Behandlung von Traumafolgestörungen, wie dem Ansatz der Schonenden Traumatherapie von Martin Sack, wird der Stabilisierungsphase ein hoher Stellenwert eingeräumt (Gromes 2013, S. 61 ff.). Aus den körperorientierten Ansätzen erhalten wir für diese Diskussionen und die entsprechenden Entscheidungen sehr interessante Anregungen, die darauf hinweisen, wie wichtig u. a. das Erleben von Sicherheit ist und welcher Bedeutung die Entwicklung eines von Sicherheit und Halt geprägten Zustands innerhalb der Traumatherapie zukommt (Levine 2011, S. 104). Auch aus der Hypnotherapie und der Ego-State-Therapie lassen sich konstruktive Interventionen zur Stabilisierung (Affektregulation und Erleben von Sicherheit) ableiten.
Allein schon, um die Frage beantworten zu können, wann ein guter Zeitpunkt für den Beginn der Konfrontation sein könnte, also die Frage, wann von der Stabilisierungs- zur Konfrontationsphase gewechselt werden kann, liegen seitens der Hypnotherapie und Ego-State-Therapie spezifische Ansätze vor (Fritzsche 2018a, S. 81). Im Rahmen einer hypnotherapeutischen Behandlung lässt sich die Weisheit des Unbewussten nutzen, um den Schritt zur Konfrontation einschätzen zu können, in der Ego-State-Therapie werden verschiedene Ego-States, wie innere Beobachter, innere Helfer oder Ego-States der inneren Stärke, herangezogen, um die Entscheidung für den Beginn der Konfrontation treffen zu können.
Bei einer Patientin, die unter den Folgen von lang anhaltendem sexuellem Missbrauch in der Kindheit und Jugend litt, arbeitete ich zur Beantwortung der Frage, ob wir mit der Konfrontation beginnen können, mit ideomotorischen Fingersignalen (Erickson 1998, S. 421 ff.; Fritzsche und Hartman 2019, S. 105), also einer klassischen hypnotherapeutischen Intervention, in der mit dem Unbewussten kommuniziert wird. Das Unbewusste wird veranlasst, über den Körper, in diesem Fall die Finger, drei Antwortmöglichkeiten geben: 1) Ja, 2) Nein und 3) Weiß ich nicht bzw. Kann ich nicht sagen. Die Patientin war bezüglich der Konfrontation sehr ungeduldig und drängelte mich, so schnell wie möglich damit anzufangen. Da ich nicht sicher war, ob sie stabil genug war, schlug ich ihr die Arbeit mit ideomotorischen Fingersignalen vor. Nachdem die drei Antwortmöglichkeiten drei Fingern zugeordnet waren, kam die Antwort auf die Frage unmittelbar. Ohne Zeitverzögerung schoss förmlich der Nein-Finger in die Höhe, man könnte fast sagen, schneller als die Patientin den Ja-Finger hätte willentlich bewegen können, was ihr lieber gewesen wäre. Wir waren beide sehr beeindruckt von dieser klaren Antwort des Unbewussten und suchten nach den Hintergründen, die offensichtlich noch gegen den Beginn der Konfrontation sprachen.
Um zu der Diskussion der Rolle der Stabilisierung zurückzukommen, lässt sich zusammenfassend der Konsens in Form der deutschen Behandlungsleitlinien zitieren, in denen für die Behandlung von Traumafolgestörungen klar drei Therapiephasen empfohlen werden: 1) Sicherheit: Stabilisierung und Affektmodulation, 2) Traumaexposition (in verschiedenen Formen) und 3) Integration und Neuorientierung (Flatten et al. 2011, S. 202–210). Die Stabilisierungsphase in der Ego-State-Therapie wird in Kapitel 7 ausführlich erläutert.
Phillips und Frederick konzipierten für das Konzept der Ego-State-Therapie ein vierphasiges Behandlungsmodell (Fritzsche 2018a, S. 182 ff.; Phillips u. Frederick 2003, S. 65 ff.). Das in der Traumabehandlung übliche dreiphasige Modell wurde um die Phase der Schaffung eines Zugangs zu traumatischem Material sowie zu den damit assoziierten Ego-States als zweite Phase ergänzt. Damit wurde dem Aspekt besondere Aufmerksamkeit geschenkt, auf welchem Weg sich die Patientinnen und Patienten mit traumatischem Material konfrontieren können und wie der Kontakt mit traumatisierten Ego-States gelingt bzw. sich gestalten lässt.
Phase zwei vereint zwei Bereiche: (A) den Zugang zum Traumamaterial und (B) die Begegnung mit traumatisierten Ego-States.
Damit weist sie bereits auf eines der zentralen Konzepte der Traumabehandlung mit dem Ego-State-Modell hin, die Unterscheidung von Traumamaterial und Ego-States (siehe Abschnitt 8.6). Für die Phase 2 werden verschiedene Fragen beantwortet:
1)Ist die Patientin stabil genug und verfügt sie über ausreichend Ressourcen, um sich mit traumatischem Material zu konfrontieren (einschließlich einer fundierten Psychoedukation)?
2)Mit welcher Intervention wird die Konfrontation durchgeführt?
3)Mit welcher Art von Traumatisierungen wird voraussichtlich gearbeitet, d. h. mit welchen Erinnerungen?
4)Wie wird die Konfrontation gestaltet, und wie lässt sie sich strukturieren?
5)Wie wird die Begegnung mit traumatisierten Ego-States realisiert und gestaltet?
6)Welcher Art ist die Beziehung der Patientin zu ihrem traumatisierten Ego-State bzw. den traumatisierten Ego-States?
7)Wie ist die Reaktion weiterer Ego-States bzw. welche Reaktionen sind zu erwarten?
Die vier Behandlungsphasen werden ausführlich im Abschnitt 3.6 vorgestellt.
2.6.2Grundlegende Behandlungsstrategien
Karameros u. Sack (2013, S. 201 ff.) stellen Grundstrategien der psychotherapeutischen Behandlung von Patientinnen und Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen vor und filtern aus den therapeutischen Elementen verschiedener Verfahren fünf grundlegende Behandlungsstrategien heraus (ebd., S. 225).
Die Grundstrategien umfassen:
•die Berücksichtigung spezifischer Aspekte der therapeutischen Beziehungsgestaltung
•Ressourcenaktivierung und Aufbau von Kompetenzen
•das Bearbeiten der spezifischen Traumafolgesymptomatik
•Integration und Rehabilitation
•die Differenzierung der Therapiebedürfnisse nach Art und Schwere der erfahrenen Traumatisierungen
Die fünf Behandlungsstrategien zur Bearbeitung der spezifischen Traumasymptomatik lauten:
1)Förderung des Gegenwartsbezuges
2)Förderung des Selbstmanagements und der inneren Kommunikation
3)Bearbeitung emotionaler Reaktionen und dysfunktionaler Kognitionen
4)Durcharbeiten von traumatischen Erinnerungen und Auslösereizen
5)Versprachlichen von Erlebtem und Integration in die persönliche Biografie
Die Autoren erläutern die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten einiger der Behandlungsstrategien entsprechend ihrer Systematik und Wirkungsweise. Diese werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt.
Förderung des Gegenwartsbezuges
a)Präsentifikation Der Begriff Präsentifikation in Verbindung mit der Behandlung von Traumafolgestörungen geht auf van der Hart, Nijenhuis a. Steele (2006, zit. n. Karameros u. Sack 2013) zurück und bezeichnet die psychische Leistung, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft miteinander zu verbinden und gleichzeitig zu differenzieren, sodass Gegenwart möglichst real erlebt wird. Das Ziel besteht in der Stärkung des Gegenwartsmoments, das heißt in der Orientierung im Hier und Jetzt im Gegensatz zum Sog in die Vergangenheit.
b)Achtsamkeit und Mentalisierung Achtsamkeit beschreibt eine Praxis der Gelassenheit und Akzeptanz gegenüber gegenwärtig ablaufenden seelischen Prozessen. Dadurch lassen sich Belastungen auf einer beobachtenden Ebene wahrnehmen, ohne sich davon dominieren zu lassen. Mentalisierung wird als Fähigkeit definiert, eine distanzierende und beobachtende Ebene mit dem Ziel einer (selbst-)reflektierenden Beobachterhaltung einnehmen zu können.
c)Wirkfaktor Bindungs- und Beziehungsfähigkeit Dieser Aspekt zielt auf den Zusammenhang von Gegenwartsbezug und Beziehungsfähigkeit. Da die Verankerung in der Gegenwart auch von der Verfügbarkeit positiver Beziehungen abhängt und Patientinnen mit komplexen Traumafolgestörungen signifikant weniger über solche Personen und Beziehungen verfügen, besteht eines der Ziele in der Förderung der Bindungs- und Beziehungsfähigkeit.
d)Wirkfaktor Selbst-Akzeptanz Selbst-Akzeptanz ist vielen komplextraumatisierten Menschen fremd. Zu den negativen Auswirkungen fehlender (Selbst-)Akzeptanz gehört ein negatives Selbstbild, das wiederum die Übernahme der Einstellungen und Wertmaßstäbe der Täter sowie die (teils von Tätern gezielt provozierte) Schuldübernahme fördert.
Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen, Fehleinstellungen sowie emotionaler Verarbeitungswege
a)Funktionalität dysfunktionaler Kognitionen und Fehleinstellungen Die Herausarbeitung der Funktionalität negativer/dysfunktionaler Gedanken und Gefühle ist eine Voraussetzung für deren Bearbeitung und Modifikation. Sie kann als Würdigung für eine Bewältigungsleistung verstanden werden, die aufgrund von Traumatisierungen erbracht werden musste.
b)Korrektur dysfunktionaler Kognitionen und Fehleinschätzungen Die Korrektur betrifft zum einen die Aufhebung der Generalisierung adäquater Reaktionen auf ein traumatisches Ereignis, wie Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ekel, Scham oder Trauer, zum anderen fehlende positive Lernerfahrungen. Ihre Bearbeitung sollte erst nach der Konfrontation mit den traumatischen Erinnerungen erfolgen, da die entsprechenden Reaktionen durch unverarbeitetes Traumamaterial getriggert werden können. Zum Teil ist die Bearbeitung nach der Konfrontation gar nicht mehr notwendig.
c)Korrektur von Wahrnehmungsverzerrungen Der Fokus liegt hier auf der Bearbeitung von Ängsten, dass jederzeit erneut etwas Schlimmes passieren könnte, die mit der Überzeugung verbunden sind, dass es unmöglich ist, sich selbst zu schützen bzw. sich wehren zu können.
Narrativarbeit
a)Erarbeiten eines kohärenten Narrativs Narrative therapeutische Techniken haben einen positiven Effekt in der Behandlung (Kameros u. Sack 2013, S. 231). Das Versprachlichen von traumatischen Erinnerungen spielt eine große Rolle und dient der Verarbeitung und Entlastung. Es erfüllt sinnstiftende und erklärende Funktionen. Narrative stellen weiterhin Zeugnisse dar, die der Dokumentation von Unrecht dienen. Auch für andere Menschen bis hin zur Öffentlichkeit sind Narrative hoch relevant und beispielsweise für eine Bewältigung von Unrecht auf gesellschaftlicher Ebene notwendig.
b)Rekonstruktion traumatischer Erfahrungen Die Wirkung narrativer Therapieansätze wird mittels einer Integration von traumatischen Erinnerungen ins autobiografische Langzeitgedächtnis erreicht und zeigt sich in einer subjektiven Entlastung und Symptomreduktion. Mithilfe des Narrativs wird ebenfalls eine Vervollständigung der traumatischen Erinnerung erreicht, die der Bewertung des Ereignisses und der Korrektur dysfunktionaler Überzeugungen und Gefühle sowie der neuronalen Verarbeitung dient. Entscheidend bei der Rekonstruktion der traumatischen Erfahrung ist weniger der Grad des Wahrheitsgehalts, der letztlich schwer zu objektivieren ist, als vielmehr das Potenzial zur Reduzierung der Traumafolgesymptomatik. Die Betroffenen erhalten die Möglichkeit, von ihrem Trauma und ihrem Leid zu berichten, was allein schon eine symptomreduzierende Wirkung hat. Hinzukommt die Zeugenschaft der Therapeutin. Auch die positive Wirkung der aktiven Veränderung des traumatischen Narrativs konnte in mehreren Studien belegt werden (ebd., S. 232).
2.6.3Konfrontation
Die Konfrontation mit traumatischem Erinnerungsmaterial sowie assoziierten Reizen wie Triggern in sensu und in vivo kann als der empirisch am besten belegte Wirkfaktor in der Behandlung von Traumafolgestörungen angesehen werden. Das gemeinsame Ziel besteht aus folgenden Aspekten:
a)Abbau von Vermeidungsverhalten
b)Bewältigung von Ängsten und Belastungsreaktionen
c)leichtere Bearbeitung von Wahrnehmungsverzerrungen
d)leichtere Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen (Bewertungen, Überzeugungen und Einstellungen)
e)Auflösung von Chronifizierungsprozessen
f)Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen.
Die Konfrontation kann sich mehr auf die Habituation oder mehr auf kognitive Neubewertungen konzentrieren.
Die Stärke der Fokussierung auf die fünf in Abschnitt 2.6.2 genannten Behandlungsstrategien liegt darin, der Komplexität von Traumafolgestörungen gerecht zu werden, der mithilfe einer Vielfalt von Behandlungsansätzen sowie der Nutzung verschiedener Behandlungswege begegnet wird. Die Vielfalt an Strategien ließe sich auch in anderer Form systematisieren und filtern. Die hohe therapiepraktische Relevanz liegt in der Integration verschiedener Strategien. Beispielsweise besteht eine traumatherapeutische Behandlung nicht nur aus Expositionen. Die bescheinigte hohe Wirksamkeit der Exposition, die derzeit unanfechtbar scheint, bedeutet nicht, dass Traumatherapie gleich Exposition ist bzw. eine Traumatherapie auf Exposition reduziert wird. Der Gegenwartsbezug stellt eine Voraussetzung für das Gelingen einer Exposition dar. Ist dieser nicht gegeben oder fraglich, dann stellt die therapeutische Arbeit zur Erhöhung des Gegenwartsbezuges einen wichtigen Teil der Behandlung dar. In diesem Sinne ließen sich nun die unterschiedlichen Strategien innerhalb einer Behandlung gewichten. Fasst man die derzeitigen Erkenntnisse zusammen, scheint eine fundierte und wirksame Traumabehandlung nicht ohne eine Konfrontation mit dem traumatischen Material auszukommen. Dieser Punkt erinnert wiederum an ein weiteres, von Grawe formuliertes allgemeines Wirkprinzip von Psychotherapie: die Problemaktualisierung.
Offensichtlich ist es mit Rücksicht auf den heutigen Stand der Behandlungsforschung nicht empfehlenswert, die Symptomatik einer Traumafolgestörung in Abwesenheit des traumatischen Materials realisieren zu wollen. Über die Schulen und Konzepte hinweg ließe sich in diesem Punkt fast von einem Konsens sprechen: Wir kommen um das traumatische Material in der Behandlung nicht herum.
Alles Weitere wird nun unterschiedlich angesehen, diskutiert und empfohlen, sei es die Rolle des Körpers und der traumaphysiologischen Prozesse, die in den fünf genannten Behandlungsstrategien unbedingt ergänzt werden müssten, sei es die Rolle des Narrativs und der Umgang mit der aktiven Umgestaltung von Traumanarrativen oder sei es der jeweilige Stellenwert von Stabilisierung und Konfrontation. Empfehlenswert wäre eine Offenheit gegenüber diesen verschiedenen Strategien und die Kompetenz der flexiblen Einbeziehung unterschiedlicher Interventionen in einen individuellen traumafokussierten Gesamtbehandlungsplan.
2.6.4Erlebensebenen
Die verschiedenen Erlebensebenen bieten sich ebenfalls zur Orientierung innerhalb von Behandlungen von Traumafolgestörungen an. Manche Verfahren zielen explizit auf eine spezifische Ebene menschlichen Erlebens und fokussieren zunächst ausschließlich darauf, wie beispielsweise die Interventionen der kognitiven Verhaltenstherapie (Fokussierung auf Kognitionen) oder das Somatic Experiencing® (Fokussierung auf körperliche Prozesse). Viele Verfahren weisen eine integrative Prägung auf und beziehen weitere Erlebensebenen mit ein. Je nach Arbeitsfokus wird in der Praxis beispielsweise erforscht, wie sich die neu entwickelten Kognitionen auf die Gefühle oder den Körper auswirken bzw. welchen Einfluss die körperlichen Behandlungsprozesse auf das Verhalten oder das Denken haben. Traumatherapeutinnen und Traumatherapeuten sind entsprechend dem von ihnen bevorzugten Verfahren häufig auf eine Erlebensebene fokussiert, der in der Behandlung eine besondere Rolle zugeteilt wird. Wir könnten uns an dieser Stelle gegenseitig fragen, mit welcher Erlebensebene wir in die Behandlung starten und auf welche wir am meisten achten. Es erscheint mir wichtig hervorzuheben, dass es keine Rangliste von Erlebensebenen gibt. Über den Weg der Bevorzugung verschiedener Erlebensebenen wären wir sehr schnell wieder mitten im Schulenstreit und würden darüber diskutieren, ob nun die körperorientierten oder die kognitiven Interventionen wirksamer sind. Höchstwahrscheinlich macht es die Mixtur aus Interventionen mit unterschiedlichem Fokus. Dies würde eine integrative Behandlung auszeichnen.
Braun (1988, S. 4 ff.) hat das BASK-Modell der Dissoziation vorgelegt, um beschreiben zu können, wie dissoziative Zustände die Erfahrung beeinträchtigen können (Phillips u. Frederick 2003, S. 200). Er geht davon aus, dass Menschen in nicht dissoziativem Zustand Ereignisse fast gleichzeitig in vier Dimensionen wahrnehmen: Verhalten (Behaviors), Affekte (Affects), Empfindungen (Sensations) und Wissen (Knowledge). In dissoziativen Zuständen können diese Elemente einzeln oder gesamt von der Patientin abgetrennt sein. Die Nützlichkeit des Modells liegt in der Möglichkeit, einen Plan für die Wiederherstellung der Kontinuität der Erfahrung abzuleiten.
Levine (2011, S. 179) entwickelte dazu das SIBAM-Modell mit den Elementen: Empfindung (Sensation), Bild/Eindruck (Image/Impression), Verhalten (Behavior), Gefühl (Affect) und Bedeutung (Meaning), um die sensomotorische Bottom-up-Verarbeitung zu unterstreichen. Patienten werden nach seinem Modell durch verschiedene »Sprach-« und Gehirnsysteme geleitet, von den primitivsten bis zu den komplexesten. Patienten folgen demnach der Spur von Empfindung, (inneren) Bildern, Gefühlen und Bedeutungen.