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Reinhold Schneider weiß sich gerade mit seinem Zweifel und mit dieser Todmüdigkeit selbst im Raum des Gebets und der Kirche. So schreibt er: „Aber erst Papst Gregor an der Kanzel des Stephansdoms, der die Hostie zweifelnd in den Händen hält, und Hieronymus, der tote Kardinal, treffen mich ins Herz. Sie sind beherbergt im heiligen Raum. Es müssen Tod und Zweifel in der Kirche sein. Vor ihren Mauern bedeuten sie wenig, sind sie überall, aber hier! Welche Konzeption der Kirche, die Raum für solche Schmerzen, solche Haltungen hat!“34 Und so schreibt er: „Beten über den Glauben hinaus, gegen den Glauben, gegen den Unglauben, gegen sich selbst, einen jeden Tag den verstohlenen Gang des schlechten Gewissens zur Kirche – wider sich selbst und wider eigenen Wissens –: solange dieses Muss empfunden wird, ist Gnade da: es gibt einen Unglauben, der in der Gnadenordnung steht. Es ist der Eingang in Jesu Christi kosmische und geschichtliche Verlassenheit, vielleicht sogar ein Anteil an ihr; der Ort vor dem Unüberwindlichen in der unüberwindlichen Nacht. Ist diese Erfahrung aus der Verzweiflung an Kosmos und Geschichte, die Verzweiflung vor dem Kreuz, das Christentum heute?“35
Gegenwirklich zu seinem Glauben betet Schneider, kontrafaktisch zu seiner Depression und Verzweiflung bleibt er Kirchgänger. Das Ritual rettet die darin symbolisierte Wirklichkeit auch gegen die diesbezügliche Erfahrungslosigkeit und Erfahrungsmüdigkeit des Menschen. So kann Schneider schreiben: „Nicht mit unserm Glauben ergreifen wir das Sakrament, das Sakrament ist vielmehr so stark, dass es unsern Glauben immer aufs neue schafft. Vielleicht bedürfen wir nicht einmal der Überlieferung vom Leben des Herrn und seiner heiligen Worte; wir wissen: ER ist da; ER ist in dieser Welt und bleibt in ihr, und seine ganze heilige Macht will mit dem Sakrament in unser Leben treten.“36
Es ist sicher gut, möglichst viele Plausibilisierungswege zur Hoffnung über den Tod hinaus zu suchen und zu finden, doch die Erfahrung des Sterbens ist oft auch die Erfahrung des Sterbens aller Hoffnung. Es ist dies ein Nichtcredo, das den eigenen Nichtglauben nicht zum Maßstab dessen macht, was von Gott her „gegeben“ ist, auch was von ihm an Hoffnungsspur über den Tod hinaus gegeben ist. Denn es kann durchaus sein, dass mit dem Schwächerwerden des Körpers und dem Schwächerwerden der psychischen und geistigen Kräfte auch ein Schwächerwerden der Hoffnung einhergeht bis hin zum Tod der Hoffnung im Sterben selbst. So dass sich der radikale Bruch des Todes auch im radikalen Bruch einer Lebensund Denkmöglichkeit über den Tod hinaus spiegelt. „Es ist noch keiner zurückgekommen!“, sagt der Volksmund. Neues Leben ist gar nicht anders zu denken als durch eine göttliche Handlung, die diesen totalen Ab-Bruch überbrückt. Im Gebet und im Sakrament das von dieser sterbenden Hoffnung unabhängige Zeichen bleibender Hoffnung zu erfahren, zu sehen, kann ein Trost eigener Art in dieser Phase sein.
Diese Verobjektivierung des Ausstehenden im Wort und im Symbolhandeln ist eine Vorgegebenheit, analog zu den sakramentalen Ritualen, in denen die Vorgegebenheit der Liebe Gottes als Wirklichkeit gefeiert wird.37 Schneider geht zur Heiligen Messe, begeht sie gegenläufig zu seinen Erfahrungen. Eine eigenartige Paradoxie, die im Vollzug Doxologie ist: Anerkennung Gottes jenseits eigener Befindlichkeit und immer größer als das eigene Vermögen. Die Menschen müssen nicht daran glauben, damit die Verheißung wirksam wird, sie ist jenseits von Glaube und Nichtglaube wirksam. Der Glaubende in der Oberkirche glaubt stellvertretend–völlig frei von Zugriffsphantasien – für die Nichtglaubenden in der Krypta.
2.4. Liturgie auf der Grenze
Die Sicht auf die Differenz, auf den möglichen Widerspruch zwischen Ritual und Leben, hat enorme pastorale Konsequenzen: Die bisherige Perspektive, die Liturgie als zentrales Geschehen im Binnenraum der Kirche zu sehen, wird korrigiert durch die Perspektive, dass es sich mit dem Ritual immer auch um Vorgänge handeln kann, die zwischen innen und außen vermitteln. Sie liegen also auf der Grenze und haben auch in diesem Sinn liminalen, grenzüberschreitenden Charakter. So gibt es auf der einen Seite soziale und persönliche Erfahrungen, die dem, was in der Liturgie gefeiert wird, ähnlich sind. So wird man auf der anderen Seite auch damit „rechnen“ dürfen, dass die Liturgie auch gegen die erlebte Realität ihre Wirklichkeit entfaltet und entsprechende Auswirkungen „nach außen“ hat. Dabei kann sich das zum Ritual Konträre auch nach innen (bei unerträglichen Leiderfahrungen) und korrespondierend nach außen (bei Erfahrungen des Geschütztseins) ereignen.
Wer konnte schon voraussehen, dass gerade die Erfahrung eines Weihnachtsgottesdienstes am 25. Dezember 1886 in Notre-Dame in Paris beim freidenkerischen und gottlosen Paul Claudel die Bekehrung auslösen würde. „Ich fing damals mit schriftstellern an, und es schien mir, als könne ich in den katholischen Zeremonien, die ich mit einem überlegenen Dilettantismus betrachtete, ein geeignetes Reizmittel und den Stoff für einige dekadente Übungen finden. … Ich selbst stand unter der Menge, nahe beim zweiten Pfeiler am Chor-Anfang, rechts auf der Seite der Sakristei. Da nun vollzog sich das Ereignis, das für mein ganzes Leben bestimmend sein sollte. In einem Nu wurde mein Herz ergriffen und ich glaubte. Ich glaubte mit einer so mächtigen inneren Zustimmung, mit einem so gewaltsamen Emporgerissenwerden meines ganzen Seins, mit einer so starken Überzeugung, mit solch unerschütterlicher Gewissheit, dass keinerlei Platz auch nur für den leisesten Zweifel offen blieb. … Bei dem Versuch, den ich schon öfter angestellt habe, die Minuten zu rekonstruieren, die diesem außergewöhnlichen Augenblick folgten, stoße ich auf eine Reihe von Elementen, die indessen nur einen einzigen Blitz bildeten. … Denn meine philosophischen Überzeugungen waren unangetastet geblieben. Gott achtete ihrer nicht und überließ sie ihrem Schicksal; ich sah keinen Anlass, sie zu ändern; die katholische Religion kam mir nach wie vor wie ein Schatz törichter Anekdoten vor; ihre Priester und Gläubigen verursachten mir die gleiche Abneigung, die sich bis zum Hass, ja bis zum Ekel steigerte. Das Gebäude meiner Ansichten und Kenntnisse brach nicht zusammen, und ich entdeckte keinen Fehler an ihm. Ich war aus ihm herausgetreten, das war alles, was geschehen war. Ein neues gewaltiges Wesen mit schrecklichen Forderungen für den jungen Menschen und Künstler, der ich war, hatte sich offenbart, das ich mit nichts von dem, was mich umgab, in Einklang zu bringen verstand. Der Zustand eines Mannes, den man mit einem Schlag seiner Haut entrisse, um ihn in einen fremden Körper und mitten in eine ihm unbekannte Welt zu verpflanzen, ist der einzige Vergleich, den ich finden kann. … Was meinen Ansichten und Neigungen am meisten widersprach, gerade das sollte wahr sein, gerade damit sollte man sich wohl oder übel zurechtfinden. Ach! Dann aber wenigstens nicht, ohne dass ich nicht alles, was in meiner Macht stünde, an Widerstand aufzubieten versucht hätte. Der Widerstand hat vier Jahre lang gewährt.“38
Claudel war damals 18 Jahre alt. Sein Bericht zeigt sehr deutlich jene Spannung zwischen Liturgie und Leben, die er jahrelang in sich selber austrägt. Die externe Gegensatz-Erfahrung, die das Ritual ausgelöst hat, ermöglicht die innere Auseinandersetzung, die ihn nicht mehr loslässt. Hier zeigt sich eindrücklich, wie die Liturgie das Unbedingte und das Nicht-Hintergehbare der Gegebenheit Gottes in der Symboldramatik dem Menschen gibt und aufgibt. Auf diese Wirkung Gottes durch das Ritual hindurch ist in der Pastoral Vertrauen zu setzen.
Man darf auch nicht übersehen, was angeblich oder wirklich agnostische und religiös „unmusikalische“ Menschen gerade in der Vorgegebenheit der Liturgie wahrzunehmen vermögen: einen ihnen gegenüberstehenden Vollzug einer Hoffnung, die sie (noch) nicht teilen können, die sie aber um der Menschen willen „irgendwie“ schätzen, ja hochzuschätzen und zu schützen vermögen. Der Kulturphilosoph Ullrich Schwarz erzählt nach einem Vortrag von der Religion als „metaphysischer Abfalllösung gegen den Tod“, durchaus in der Sprachform eines analytischen Agnostikers: Bei einem zufälligen Kirchenbesuch zur Osterzeit hört er das alte Osterlied, in dem in der Auferstehung Christi die Auferstehung der Menschen besungen wird: „Christ ist erstanden von der Marter alle. Des solln wir alle froh sein; Christ soll unser Trost sein … Wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen. Seit dass er erstanden ist, so freut sich alles, was da ist.“39 Religiös unmusikalisch, beeindruckt ihn dieses Lied doch, diese Funktion der Religion als Auflehnung dagegen, dass alles am Ende zu Ende sei. Zum Glauben kommt er dadurch nicht, aber er sieht in der Liturgie eine „Hohlform“, in der den Menschen ihre subjektive Unwichtigkeit genommen wird, von einem Gott, der ihnen unbedingte Anerkennung schenkt und, weil er allmächtig, diese auch mit ewigem Leben verwirklicht.
So steht hier die Liturgie des Ostertags für einen Gott, der das Flüchtige sucht und sammelt (vgl. Koh 3,15), der all die Myriaden von Individuen und ihre Einzelerlebnisse unendlich wahrnimmt und ihnen ewige Bedeutsamkeit verleiht. Dies geschieht kontrafaktisch zum leiblichen Tod, traut der Allmacht Gottes die neue Schöpfung in der Unendlichkeit von Leiblichkeit und Individualität zu. Die Liturgie wird hier tatsächlich als Vergegenwärtigung des elementaren Widerspruchs zwischen Tod und Leben erlebt: Der Ort des Verfalls wird zum Ort des Lebens, weil Gott der Asche und dem Staub neues Leben eingibt, dann ein für alle Mal.
2.5. Differenz im Sakrament
Das Ritual drückt nicht nur menschliche Bedürfnisse aus und verstärkt sie, sondern in ihm kann auch etwas von den Erfahrungen nicht Ableitbares, Fremdes und Sperriges entgegentreten, worin sich dann eine ganz neue Erfahrung ereignet.40 In dieser „symbolischen Differenz“ ereignet sich zwischen dem Menschen und einem Gegenüber jene Spannung, die ebenso anders sein darf, wie sie dann doch „passen“ muss.41 Dieses „Zusammenstimmen“ darf man allerdings nicht als Übereinstimmen missverstehen, sondern benennt, dass auch noch der schärfste Gegensatz zwischen Ritual und Erfahrung selbstverständlich mit der Erfahrung der Menschen zu tun hat. So kommt in den Blick, dass im Sakrament eine von Gott her geschenkte Wirklichkeit vergegenwärtigt wird, die zwar immer mit der Lebenswirklichkeit zu tun haben will, aber auch das göttliche Anderssein zu dieser Wirklichkeit zum Ausdruck bringt.
Im Modell der „symbolischen Erfahrung“ wird mit aller Deutlichkeit auf diese „Differenz“ abgehoben, indem die Sakramente eben nicht (nur) als Ausprägungen menschlicher Grundbefindlichkeiten zu verstehen sind, sondern als spannungsreiche Begegnung des Menschen mit einer objektiv vorgegebenen Wirklichkeit. Zwischen beiden kann auch das Eigene durch etwas Fremdes in Frage gestellt werden.42 Die Erfahrung des Rituals spiegelt also nicht einfach die alltäglichen bis nichtalltäglichen Lebenserfahrungen der Menschen wider, sondern kann das Gegenteil zeigen, bis hinein in die „negative Dialektik“43 zwischen dem, was im Ritual symbolisiert, und dem, was im Leben erfahren wird. Dann erfährt man das Ritual als etwas, was mit der eigenen Erfahrung nichts zu tun hat. Denn etwa erlittener Schmerz oder fassungslose Wut können niemals liturgisch wegsymbolisiert werden.
Diese heftige Dialektik ist bereits im Sakrament selbst enthalten. Denn jedes Sakrament44 vergegenwärtigt auf seine Weise das Geheimnis von Tod und Auferstehung Christi. Jedes Sakrament ist grundgelegt in der Taufe (vgl. Röm 6,1–11) und steht damit nicht als Heilszeichen dem Unheil der Welt gegenüber, sondern beinhaltet Unheil und Heil in sich selber. Zugleich kann in dem Zeichen daran geglaubt werden, dass Gott genau diese unvermittelbare Differenz von Glück und Unglück, von Tod und Rettung, von Kreuz und Auferstehung vertieft und zugleich heilsbedeutsam umfasst.45
Sakramente sind Heilszeichen, weil sie in sich selber dem Leid der Welt und dem Unheil der Welt den Ort geben, den sie aufgrund der katastrophalen Erfahrungen der Menschen und der Menschheit tatsächlich haben. Auch hier gilt: Was nicht angenommen und aufgenommen ist, ist auch nicht erlöst. Gott hat sich in Christus mit der Welt verbunden, und diese Verbundenheit besitzt in sich alle Rissigkeit, alle Widerborstigkeit dessen, was dieser Verbindung widersteht. Gott leidet und klagt selbst in Christus auf der Seite der leidenden Menschen mit und löst so die Widersprüchlichkeit nicht einmal in sich selbst auf, sondern lässt sie zur eigenen Wunde (im Auferstandenen) und Hingabe (im Sakrament) werden. Gottes Seitenwechsel verkleinert nicht den Widerspruch, sondern verschärft ihn. Was beides zusammenhält, ist dieser solidarische Gott selbst und nichts anderes. Diese anderortige Qualität der Liturgie ist also nicht nur eine Frage des alles ohnehin umfassenden Geheimnisses Gottes, sondern beinhaltet auch das widersprüchlichste Verhältnis zwischen Leid und Heil, zwischen Bösem und Versöhnung, zwischen der symbolisierten und der aktuellen Erfahrung.46
Es ist eben nicht nur so, dass Gott erlebt wird, wo Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen einen Widerhall finden, sondern auch, wo die Menschen Gottes Verborgenheit, Dunkelheit und Herzlosigkeit erfahren müssen. Wo diese sperrige Wirklichkeit nicht in das Verständnis von Sakramenten mit „aufgenommen“ wird, ist die Verhältnisbestimmung von Sakrament und Leben zu glatt. So sind die Sakramente ein Geschenk, das auch die Geschenklosigkeit Gottes und auch, im Kreuz, den Tod Gottes mit beinhaltet. Dies wirkt sich dann auch auf die Öffnung der Sakramentenpastoral aus, indem darin keine Ausschließungen möglich sind.
2.6. Religionskritische Konsequenzen
Es geht in einer Religion, die sich tatsächlich auf den unendlich geheimnisvollen47 und zugleich unerschöpflich liebenden Gott hin auszustrecken vermag, immer um beides, um die Offenbarung aus den eigenen Wurzeln heraus und um die „Auflösung“ dieser Offenbarung in die Tiefe und Weite Gottes und der Welt hinein. Die Er-Lösung von einem angstbesetzten bzw. narzisstischen Selbstbezug zeigt sich in dieser Lösungs- und Erlösungshaltung allen und anderen Menschen gegenüber.
Voraussetzung dafür ist, dass die Religionen bereits in ihren Wahrheitssystemen und -praktiken Gott als unergründlich ewig unbegrenzte Liebe verkünden und lebensgestaltend bezeugen. Religionen können Orte sein, diese Haltung einzuüben, wenn sie durchlässig sind für die ewige Unergründlichkeit Gottes, insofern dieser Gott alles noch einmal überholt, auch die je eigene Offenbarung.
Dabei plädieren die Religionen, wenn auch leider oft nur für ihre eigenen Gläubigen, für einen guten Gott, trotz all des Bösen und der Leiden in dieser Welt. Sie verkünden jedenfalls keinen total bösen Gott, der am Scheitern, an Schrecklichem und Leiden der Menschen sein grausames Vergnügen hat. Die inhaltlichen Richtungsanzeigen, die (nicht nur) aus den monotheistischen Offenbarungen kommen, sind Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Diese in das unendliche Geheimnis Gottes hinein unbegrenzt zu denken erreicht und überschreitet die Religionsgrenzen.
Im Christentum gibt es Lehraussagen, die diese Entgrenzung Gottes gegenüber aller Wirklichkeit eigens benennen. Das Dogma des vierten Laterankonzils formuliert,48 dass Gott zu allem Diesseitigen unähnlicher ist als ähnlich. Die christliche Wahrheit ist so angelegt, dass sie selbst überstiegen wird, geradezu in negativer Dialektik zu sich selbst. Hinter den Bekenntnissen und vor allem im Gotteslob tut sich die ganze unendliche Weite Gottes in ihrer Unerschöpflichkeit auf. So verstehen sich Religionen in dem Sinn symbolisch, dass sie eine Reise über sich hinaus antreten lassen in das Unausdenkbare, Unbestimmbare, Unmögliche, in das Nichtberechenbare. Dies geht aber nur, wenn sich Glaubenssysteme nicht integralistisch zeigen, sondern in dem Sinn als sakramental, dass sie immer nur Zeichen und Werkzeug für etwas sind, was sie selber nicht im Griff haben und was über sie hinausgeht.
Es geht darum, die Verkleinerung Gottes zurückzunehmen, die mit eigenen Grenzziehungen und Blockierungen geschieht, in die Offenheit der ewigen Unerkanntheit und Unbestimmbarkeit hinein. Und in den Religionen ist es vor allem die Mystik, die dafür eintritt, dass die Bekenntnisworte nicht das letzte Wort haben, sondern dass es darüber hinaus Gotteserfahrungen in anderen Gefilden gibt, wie in der Musik, in der Kunst,49 aber auch in Ritualen und in der Poesie.50
Es bleibt für die Religionen dann weiterhin richtig, was sie in ihren Offenbarungsräumen sagen, feiern, glauben und hoffen. Aber damit diese Systeme nicht selber in die Kälte kommen, indem sie Gott als Wenn-dann-Gefüge verwalten, werden sie sich auf diesen unendlichen Raum hin öffnen, in dem es beides nicht ohneeinander gibt, Liebe und Freiheit, Gericht und Versöhnung. Es geht um Gott, dessen inhaltliche Weite als Liebe mit der „unendlichen“ Weite des Universums mithalten kann. Um einen Gott, der nicht mickriger ist als das, was atheistisch-evolutionistische Positionen hinsichtlich des Universums erträumen.51
2.7. Was nicht zu haben ist
Die Sakramente sind erst in zweiter Hinsicht Zeichen des Glaubens. Zuerst sind sie Zeichen der vorbehaltlosen Liebe Gottes zu allen Menschen, damit sie glauben können.52 So gilt: „Der liturgische Ritus will gerade die Unverständlichkeit hüten, um so den Glauben erst zu ermöglichen. … Das Ritual muss immer den Glauben an das realisieren, was um alles in der Welt nicht zu haben und nicht zu machen ist.“53 Dass diese Vorgegebenheit nicht unter der Hand als Forderung vermittelt und aufgefasst wird, ist die eigentliche Herausforderung der Sakramentenpastoral.
Mit den Sakramenten tut sich damit ein praktischer Doppelweg auf:
– einmal nach innen in der Erinnerung der expliziten Hoffnung, die aus sich heraus die Haltung ermöglicht, nicht unverletzlich sein zu wollen. Diese Verwundbarkeit zeigt sich in der Struktur der Sakramente selbst, die jedes für sich, auf unverwechselbare Weise, das Paschamysterium vergegenwärtigen. So ist die Taufe ein Mitsterben mit Christus, um mit ihm leben zu können; so ist die Buße eine Unterbrechung des Bisherigen durch die Vorwegnahme des Jüngsten Gerichtes in das gegenwärtige Leben,54 so wird in der Eucharistiefeier das Brot gebrochen, was den gebrochenen Leib Christi und die gebrochene Existenz christlichen Glaubens anzeigt. Und so könnte man es auch für die anderen Sakramente durchbuchstabieren.
– Als Zweites gibt es die Verausgabung der Sakramente nach außen. Auch für die Menschen, die nicht viel oder nichts von den kirchlichen Symbolen verstehen, die aber nicht weggehen wollen, die spüren, dass hier etwas von der Unendlichkeit und Unveräußerlichkeit des Lebens zum Vorschein kommt. So wird sozial eingeholt, dass die Sakramente über sich hinausweisen, in Gottes Allheit und von daher in alle Menschen hinein. Die radikale Selbstentäußerung Gottes ist erst „komplett“, wenn dies über alle Komplettheit und Kompaktheit kirchlicher Formen hinaus zu geschehen vermag, nämlich wenn die Sakramente als unbegrenzte Gabe gespendet werden.
So gilt: „Das Erschließen der Sakramente dient dann nicht primär der Weitergabe des kirchlichen Sakramentenverständnisses u. ä., sondern dem Erschließen der Möglichkeit, christliche Sakramente heute zur Lebensdeutung aufzunehmen.“55 Wobei ich hier hinzufügen möchte, dass es sich bei dem Letzteren und dem Verzicht auf (in-) doktrinäre Bedingungen just um das „Zuhandeln“ des katholischen Sakramentenverständnisses handelt. In entsprechenden Gesprächen wird „erschlossen, was jungen Eltern bei der Taufe ihres Kindes wichtig ist oder was Jugendlichen im Blick auf ihre ‚Bekräftigung‘, die Firmung, von Bedeutung ist.“56 In den Sakramenten beeinflussen und verändern sich Tradition und Leben wechselseitig, „ohne dass der Prozess … im Detail steuerbar ist“, weder hinsichtlich der Biographien noch der beteiligten sozialen Größen.57
Für beide Bereiche gilt dann das Ziel, dass die Sakramente Heil erfahrbar machen, „Leiden lindern, Angst mindern, Glück feiern“58. Es geht also nicht nur darum, für von kirchlichen Sozialgestalten Fernstehende neue Rituale anzubieten (das auch!), sondern dass man genau für diese, und zwar verstärkt, die Sakramente hergibt. Sakramente sind nicht nur an die gemeindlichen Vollzüge gebunden, sondern wirken weit darüber hinaus. Viel wichtiger als die Heranführung der Menschen durch die Sakramente an Glaube und Kirche ist die blanke Tatsache, dass das Sakrament gefeiert wird. Seine Selbstwertigkeit sperrt sich gegen allzu nutzungsorientierte Zugriffe.
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