Wer's glaubt, wird selig ... Wer's nicht glaubt, kommt auch in den Himmel

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Jesu Profil besteht darin, dass er die Grenzen zu den Ausgeschlossenen und den Sündern und Sünderinnen überschreitet und ihnen Heilung bzw. Versöhnung bringt. Indem er ein solches Handeln mit dem Glauben an Gott verbindet, grenzt er diesen Glauben praktisch von all jenen Glaubensformen ab, die den Gottesbegriff zur Legitimation von Ausgrenzung und Zerstörung der anderen gebrauchen. In dieser Hinsicht gibt es für ihn keine Kompromisse, bis hin zum Kreuz. Jesus stirbt nicht am Kreuz, weil er an Gott glaubt – das tun seine Gegner auch –, sondern weil er diesen Glauben mit einer ganz bestimmten, ganz anderen Praxis verbindet, bis hin zu seiner Vergebungsbitte für die Gegner und Täter, also ohne selbst diese auszugrenzen. Die Schärfe der paulinischen Rechtfertigungstheologie liegt ja darin, dass Gott auch für die anderen gestorben ist, auch für die aus unserer Perspektive Gottlosen.
Heiligkeit ist der gesamte Vorgang, in dem sich das Erlösende mit dem Unerlösten berührt. Das innerste Prinzip dieser Heiligkeit ist nicht die Ausgrenzung, sondern die Überbrückung und Verbindung zwischen ausgrenzendem und ausgegrenztem Bereich. Das Heilige ist also in diesem Sinn nicht mit dem Sakralen identisch, welches das Profane entweder ausgrenzt oder in sich auflöst, sondern stellt das Profane selbst in den Raum Gottes, in dem es profan bleibt.38
Dies gilt übrigens nicht nur für den Alltag, sondern auch für die Liturgie: Gerade aus gnadentheologischen Gründen sind die Sakramente jener Ort, wo im Symbolhandeln Gottes unbedingte Liebe in bestimmten Situationen in besonderer Weise erfahrbar ist. Sakramente also nicht nur für den inneren Kern der Kirche gedacht sind, sondern auch für ihre Außenbeziehung. Denn sie eröffnen für die Ausgegrenzten und Ausgrenzbaren Zugänge, die an sie keine anderen Zugangsbedingungen stellt als nur solche, die das Zustandekommen der sakramentalen Symbolhandlung selber ausmachen.39
So kann und darf das Grundsakrament der Taufe niemandem verweigert werden.40 Denn die Taufe verbindet die Geburt in dieses Leben mit der Geburt in die Liebe Gottes hinein. Und wie die Geburt das Leben umsonst, also ohne Vorleistungen, schenkt, so schenkt auch die Taufe Gottes Liebe ohne Vorleistung und unverdient, also umsonst.
2. Gottes Herunterkommen
Die unglaublichste Entgrenzung Gottes in die Welt und der Welt in Gott hinein geschieht aus christlicher Perspektive in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Für mich persönlich, für meinen Glauben und meine Theologie, wird immer mehr klar: Genau das, was Judentum und Islam niemals akzeptieren können, nämlich dass Gott Mensch wird, ist angesichts dieser so leidvollen und gewaltvollen Welt überhaupt noch die einzige Möglichkeit, an einen Gott zu glauben, ihm zu vertrauen und ihm überhaupt ein Wort abzunehmen. Wenn Gott uns schon keine Antworten gibt, dann doch wenigstens jene Solidarität, die Gott auch die Erfahrung leidvoller Leiblichkeit und des Todes selbst zufügt. Ein Gott, der über dem Sternenzelt bliebe, hätte alle Glaubwürdigkeit verloren und könnte mir gestohlen bleiben, mag es ihn geben oder nicht.
Gott hat sich in Christus selber in die Pflicht genommen, uns auf dem Niveau unseres Leidens, auch des Bösen zu begegnen. Gott begegnet uns nicht von oben nach unten. Gott ist nicht nur in seiner unerschöpflichen Geheimnishaftigkeit, sondern auch in seiner menschgewordenen Selbsthingabe unendlich unübertreffbar. Der radikalste Beweis seiner Liebe ist also die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth. Hier steht Gott mit seinem Leben und mit seinem eigenen Leib für eine solche Barmherzigkeit ein. In seiner Verkündigung ist es ihm wichtig, dass Gott den Menschen zugewandt ist. Obgleich Jesus die Absicht hat, dass alle das Reich Gottes annehmen und gerettet werden, muss er das Scheitern dieser Verkündigung erleben. Am Kreuz hält die Welt den Atem an: Wird nun Gott die Welt, da sie seine Barmherzigkeit nicht angenommen hat, endgültig in den Abgrund stürzen lassen, oder ist seine Barmherzigkeit so groß, dass sie auch diesen Abgrund des menschlichen Neins zu Gott überwindet? Hierin liegt die Heilsbedeutung des Kreuzes, denn vom Kreuz her betet Jesus zum Vater, dass er den Gegnern vergeben möge.
Hier begegnet ein Mensch, der gegenüber der Gewalt keine Gegengewalt setzt und ihr, in einer bestimmten Situation, auch nicht mehr entflieht, sondern sich ihr stellt und standhält. Der Gewalt wird etwas tatsächlich ganz anderes entgegengesetzt: der eigene schutzlose Leib, an dem sie sich austobt; aber damit nicht genug: Die Gewalt wird nicht nur erlitten, sondern als unerschöpflich verstärkte Liebe zurückgegeben:41 „Sie kamen zur Schädelhöhe; dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen rechts von ihm, den anderen links. Jesus aber betete: ‚Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun‘“ (Lk 23,33–34). „Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mk 15,39).
Der Kreuzestod Jesu ist nicht nur die Folge eines solidarischen Lebens, sondern offenbart die Unerschöpflichkeit göttlicher Gnade. Denn vom Kreuz her ist das Reich Gottes nicht nur, wie im bisherigen Leben Jesu, denen geschenkt, die das Reich Gottes annehmen, sondern auch denen, die es ablehnen. Im Scheitern scheitert das Erlösungswerk gerade nicht, sondern offenbart darin erst den unendlichen Horizont der unbedingten Liebe Gottes auch denen gegenüber, die ihn zum Scheitern bringen: den Tätern, den Sündern und Sünderinnen – und das sind immer wieder die Gläubigen selbst. „Das … Handeln Gottes erweist sich vielmehr gerade im Tode seines Repräsentanten als wirksames Geschehen, in dem Gott den Tod seines … Boten zum Akt der Sühne werden ließ.“42
3. Am Kreuz: für alle!
Gott macht sich in Jesus Christus selber am Kreuz zum Leiden und auch zur Sünde: „Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5,21). Dichter kann man die Entgrenzung zum Sündigen bezüglich eines menschgewordenen Gottes, der selbst ohne Sünde bleibt, nicht mehr denken. Denn dies ist kein Schmierentheater, weil Jesus tatsächlich als der schlimmste Sünder behandelt wird, am Karfreitag im physischen Tod, am Karsamstag im ewigen Tod der Hölle. In Jesus Christus begegnet Gott eben von unten, in der ewig entgrenzenden Verausgabung für die Menschen im Leben und im Sterben. Insofern ist Gott heilig mit und für uns: Emmanuel, Gott mit uns.
Jesus leidet am Kreuz für die Menschen, was sie an Reueschmerz und Sühne leiden müssten, und öffnet damit endgültig die Schleusen unendlicher Barmherzigkeit. Vielleicht kann man sogar sagen: Jesus wird am Kreuz zur Sühne für Gott selbst, weil es ihn reut, weil es ihm leidtut, all das Leid und all das Böse zugelassen haben.43 Jedenfalls hat Jesus den sinnlosen Schmerz außerhalb der Liebe, also die Hölle, an- und damit den Menschen abgenommen und genau dadurch ermöglicht, aus dieser Liebe heraus den Schmerz für leidbringende Taten zu empfinden und so – im Diesseits wie im Jenseits – für Gottes neue Welt geöffnet zu werden: leidsensibel und barmherzigkeitsfähig.
Am Kreuz wird offenbar: Gott hält sich in Christus nicht aus unserem Leben heraus, sondern begleitet uns hautnah in unserer Freude und in unserem Leid. Nach Röm 8,26, worin der Geist Gottes mit seiner Schöpfung mitschmerzt und denen eine Stimme in Gott gibt, die nicht mehr beten können, spürt Gott in sich selbst den Schmerz der Kranken, die Hoffnungslosigkeit der Erniedrigten und das Leid derer, die um der Liebe und der Gerechtigkeit willen bedrängt und zerstört werden. So gewinnen die Menschen Hoffnung daraus, dass Gott sie jetzt bereits begleitet und, wie er am Kreuz diesen Weg selber bis ans Ende ausgehalten hat, auch ihren Weg mitaushält und mitträgt. Denn genau das macht Gottes Glaubwürdigkeit aus: Gott wird am Ende seine für alle letztlich rettende Gewalt zugunsten der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einsetzen, weil Gott sich jetzt bereits nicht aus der Notwendigkeit von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit heraushält. Das ist der tiefste Beweis der Liebe, dass sich Gottes Göttlichkeit auch in einer unendlichen Fähigkeit zeigt, uns im Leben, in der Freude, im Leiden und im Tod zuinnerst nahe zu sein. So zeigt Gott seine Liebe zu der Welt, wie sie ist, und zeigt sie, wie man sie intensiver nicht zeigen kann. Zum anderen aber zeigt Gott auch gerade darin, wie die Menschen in dieser noch unerlösten Geschichte aus dieser Liebe heraus leben können.
Diese Perspektive eröffnet sich bereits im Gottesknechtslied: „Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, weil er verachtet ist; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen, unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt … Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf … Obwohl er kein Unrecht getan hat und kein trügerisches Wort in seinem Mund war. Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen Knecht, er rettete den, der sein Leben als Sühneopfer hingab“ (Jes 53,3–10). Schon früh entdeckt die Verkündigung der jungen Kirche, dass der Jesajatext das Jesusgeschehen in seiner Bedeutung erschließt.
Der „Gottesknecht“ leidet in Stellvertretung für die anderen, damit sie diese Gewalt nicht erleiden müssen. Für die sündigen Menschen, auch für die schlimmsten, wird diese Gewalt erlitten. Beim Gottessohn kommt dies darin zum Ausdruck, dass er darauf verzichtet, die himmlischen Heerscharen herbeizurufen und mit ihnen die Gewalttäter der Schädigung und dem Tod auszusetzen (vgl. Joh 18,11 und 36). Vom Kreuz aus sorgt er sich, dass auch den Schuldigen keine Gewalt angetan wird, auch von Gott nicht. Gott liebt nicht nur die Guten, sondern auch die Bösen, nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter, nicht nur die Unschuldigen, sondern auch die Verbrecher.
Wie das Zur-Sünde-gemacht-Werden zur innersten Identität Jesu gehört, so gehört – in unvergleichlichem Vergleich dazu – auch die Sündigkeit der Kirche zu den Merkmalen der Kirche, bei Jesus in Stellvertretung und in der Kirche in der unverschleierten Wahrnehmung der eigenen sündigen Wirklichkeit. Die Spannung von Anspruch und Wirklichkeit wahrzunehmen ist die Bedingung dafür, die Wirklichkeit selbst wahrzunehmen.
Von daher erschließt sich auch der Satz des 1999 gestorbenen Neutestamentlers Helmut Merklein: „Wir können keine heile, wohl aber eine heilige Welt gestalten“ (Studien, Vorwort VIII). Auch im Unheil seiner tödlichen Krebserkrankung wusste er sich in der Heiligkeit, in der Nähe Gottes. Auch wenn wir keine heile Welt gestalten können, bleibt sie doch immer eine heilige, das heißt: eine, die in jeder Situation, auch in der letzten Ohnmacht, auch in der Sünde, mit Gott in Verbindung bleibt. Nichts fällt aus dieser in ihrer Gnade unendlichen Beziehung Gottes heraus. Denn geheiligt sein heißt, vom lebendigen Gott her niemals aus seiner Hand herausfallen können, auch nicht und gerade nicht im Unheil, auch nicht und gerade nicht in der Sünde und im Bösen, schon gar nicht an der totalen Handlungsgrenze, im Tod, und auch nicht im allerletzten Gericht.
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