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1699 schrieb sich Emanuel in Uppsala ein, wo er bis zu seinem Abschluss 1709 blieb. Damals bot die Universität hauptsächlich vier Studienbereiche an: Theologie, Jura, Medizin und Philosophie (Naturwissenschaft und Mathematik mit eingeschlossen). Obgleich sich Emanuel für Philosophie entschied, drängte ihn seine neugierige Natur zu weiteren Forschungsbereichen. Bereits als Student offenbarten sich seine weitreichenden Interessen. Er studierte Jura und lernte fremde Sprachen, er wurde mit Latein (der Lehrsprache an der Universität) ebenso gut vertraut wie mit Griechisch und Hebräisch. Während seiner späteren Reisen als Erwachsener erwarb er sich zusätzlich zu seiner Muttersprache Schwedisch Kenntnisse in Englisch, Französisch und Italienisch. Zur Entspannung verfasste er lateinische Poesie und studierte Musik. Er spielte gerne Orgel und vertrat den Organisten in der Kirche, sofern das erforderlich war. Bei Professor Roberg studierte er Anatomie. Dieser war ein enthusiastischer Liebhaber der Anatomie und sicherte der Universität später das Recht, medizinische Titel zu verleihen. Swedenborg war bekannt für seine Vielseitigkeit und Einbildungskraft und ebenso dafür, dass er in praktischen Dingen sehr gründlich und bodenständig war.14
1709 verteidigte der 21-jährige Swedenborg erfolgreich seine Dissertation (die er seinem Vater widmete) und graduierte an der Universität von Uppsala. Damals galt sein Hauptinteresse der Naturwissenschaft und folglich hatte er die Absicht, seine naturwissenschaftlichen Forschungen im Ausland zu vertiefen. Obgleich sein Universitätsstudium ihn mit den zu seiner Zeit bedeutenden und bewegenden Ideen der späten Renaissance und der frühen Aufklärung in Kontakt gebracht hatte, erschöpften ihn diese Studien nicht gänzlich. Zudem war es damals üblich, in den fortgeschrittenen Bildungszentren Europas ein Auslandsstudium zu absolvieren.15
FRÜHE REISEN
1710 begab sich Swedenborg im Alter von 22 Jahren und ausgestattet mit Empfehlungsschreiben von Erik Benzelius zur Royal Society nach London, um dort Naturwissenschaften zu studieren. Diese Reise entpuppte sich als Abenteuer mit mehreren Beinahe-Katastrophen: fast erlitt Swedenborg Schiffbruch, um ein Haar wurde das Schiff von Piraten geentert und außerdem drohte ihm in England die Todesstrafe, weil die angesichts eines Pestausbruchs in Schweden verhängten Quarantäne-Regeln nicht eingehalten worden waren.16
Unmittelbar nach seiner Ankunft in England begann er mit dem intensiven Studium der englischen Sprache, um sich vor der Begegnung mit englischen Wissenschaftlern Fertigkeiten in ihrer Sprache zu erwerben.17
Um während seiner Auslandsreise Kosten zu sparen, wohnte er bei verschiedenen Handwerkern. So ging er tagsüber seinen anderen Studien nach und erlernte abends das Handwerk seiner jeweiligen Gastgeber. In London, Oxford und anderen englischen Städten erwarb er die Fähigkeit, Uhren, Möbel und Blechblasinstrumente zu bauen sowie Gravuren zu erstellen. Swedenborg studierte Chemie, Physik und Mathematik bei Schülern Newtons und anderen und widmete sich der Astronomie bei den renommierten Astronomen John Flamsteed und Sir Edmund Halley. Diese namhaften Wissenschaftler stellten ihn wiederum Mitgliedern der Royal Society und anderen Wissenschaftlern vor. Gegen Ende seines Englandaufenthalts unterzog sich Swedenborg sogar noch dem ausgiebigen Studium der englischen Poesie und Literatur.18
Damals war die englische Führung daran interessiert, eine Methode zur Bestimmung der Längengrade auf See zu entwickeln. Für die britische Marine war dies von hoher Priorität, weil das britische Weltreich den Globus umfasste. So lobte die englische Regierung einen hoch dotierten Preis für die beste Lösung aus und Wissenschaftler aus ganz Europa bemühten sich darum, eine derartige Methode zu entdecken. Swedenborg engagierte sich neben seinen anderen Studien auch bei der Lösung dieses Problems, was seinen Forscherdrang in der neuen Umgebung nur weiter beflügelte.19
Swedenborg blühte im englischen Umfeld freier Rede, freien Denkens und freier wissenschaftlicher Forschung auf. Er schätzte auch die Freiheit der Presse. In England erweiterte er seinen Horizont viel mehr, als dies in Schweden möglich war, und er begegnete dadurch vielen bedeutenden Denkern jener Zeit.20
Zwei Jahren nach seiner Ankunft in England reiste Swedenborg weiter nach Holland. In Leiden verbrachte er einige Zeit mit dem Pionier der Mikroskopie, Anton von Leeuwenhoek, den er später neben vielen anderen in seinen anatomischen und physiologischen Werken zitierte. Er wohnte bei einem Linsenschleifer und lernte dort, Qualitätslinsen herzustellen. Swedenborg kombinierte dabei dieses neue Wissen des Linsenschleifens mit seinen bereits vorhandenen Kenntnissen in der Herstellung von Blechblasinstrumenten, um ein eigenes Mikroskop herzustellen. Da er es sich nicht leisten konnte, eines dieser teuren Instrumente neu zu kaufen, war er einfach dazu gezwungen, sich selbst eines zu bauen. Sein Mikroskop entsprach dabei einem Modell, das er in Anton van Leeuwenhoeks Labor gesehen hatte, wobei Swedenborgs Mikroskop über eine 40-fache Vergrößerung verfügte, Leeuwenhoeks hingegen nur über eine 20-fache.21
Anschließend verbrachte Swedenborg ein Jahr in Frankreich, wo er führende französische Wissenschaftler traf. Darauf folgte Deutschland und schließlich an der Südküste der Ostsee Rostock, das sich zu jener Zeit in schwedischem Besitz befand. Hier sammelte er seine Notizen, Zeichnungen und Überlegungen zu einer Präsentation der Ergebnisse seiner Reise. Obgleich sich die meisten seiner Studien mit Chemie, Astronomie, Mathematik, Physik und Poesie befassten, war sein Notizbuch auch voll von Zeichnungen und Details der unterschiedlichsten Erfindungen. Mehrere davon dienten später seiner Arbeit sowie der Verbesserung der Sicherheit schwedischer Arbeiter. Und viele seiner Erfindungen standen in Zusammenhang mit dem Bergbau, wie etwa eine mechanische Hebevorrichtung und weitere maschinelle Hilfsmittel, wie Luftpumpen, Seile, Federn und Siphons. Andere Erfindungen waren dagegen eher von theoretischer Natur, so etwa ein universales Musikinstrument, Pläne für eine Luftmaschine und ein Boot, das unter Wasser fahren konnte.22
Swedenborgs Flugzeugpläne sind deswegen bemerkenswert, weil sie später als erster vernünftiger Entwurf eines Luftfahrzeugs anerkannt wurden. Es handelte sich um die ersten Pläne, die einen festen Flügel mit einer wirklichen Tragfläche kombinierten, ein Cockpit für den Piloten und einen Landungshebel einschlossen. Swedenborg hatte die Flügelfläche richtig berechnet, die nötig war, um das Fahrzeug in der Luft zu halten, und ebenso die Notwendigkeit erkannt, eine entsprechende Antriebsquelle zu entwickeln. Jedoch handelte es sich nur um den theoretischen Entwurf eines Flugzeugs, welches er nie tatsächlich baute. Modelle jenes Luftfahrzeugs befinden sich im Raum für frühe Fluggeräte im Smithsonian Aerospace Museum sowie in der Swedenborg-Bibliothek in Bryn Athyn, Pennsylvania.23
Zur selben Zeit entwickelte Swedenborg eine Methode, den Längengrad versuchsweise mithilfe des Mondes zu bestimmen. Diese Lösung schien erfolgreich zu sein, allerdings wurden dazu exakte Tabellen der Mondbewegung benötigt. Flamsteed hatte Swedenborg versprochen, dass diese bald erscheinen würden, als er bei ihm arbeitete, doch sie waren immer noch nicht verfügbar. Als junger, eifriger Wissenschaftler wollte Swedenborg seinen König und sein Land durch die Lösung des Längengradproblems stolz machen.24

Abb. 1: Swedenborgs Flugmaschine, 1714
DER FRÜHE BERUFLICHE WERDEGANG
Der 26-jährige Swedenborg kehrte Ende des Jahres 1714 von seinen Reisen in Europa nach Schweden zurück. Ehrgeizig wie er war, suchte er eine Position oder einen Weg, um sein Wissen und seine Fähigkeiten anzuwenden. Jedoch gab es zur Zeit seiner Rückkehr große Probleme. Aufgrund der Kriege König Karls XII. waren die Landesfinanzen sehr in Mitleidenschaft gezogen. Karl XII. war 1697 Karl XI. nachgefolgt und hatte eine Folge von Kriegen begonnen, die das schwedische Staatsvermögen ernstlich dahinschmelzen ließen. Die Wirtschaft stagnierte und von außen initiierte Innovation gab es nicht. Relativ zu Kontinentaleuropa fiel Schweden in den Wissenschaften zurück und bot nur sehr wenige Möglichkeiten für einen jungen Wissenschaftler. Zudem betrachteten die konservativen schwedischen Gelehrten und Akademiker Swedenborg mit seinen jüngsten Studien in England, Frankreich und Holland eher als einen talentierten Außenseiter denn als einen gleichrangigen Kollegen.25
So betrieb Swedenborg eigenständig wissenschaftliche Aktivitäten. Neben dem Versuch, ein astronomisches Observatorium und eine Gesellschaft für Forschung und Wissenschaft aufzubauen, gründete er Schwedens erste wissenschaftlich-technische Fachzeitschrift mit dem Namen Daedalus Hyperboreus (der nördliche Daedalus). Den ersten Teil des Namens entlehnte er einer Figur aus der griechischen Mythologie, die als erste geflogen war. Swedenborg wollte damit das Interesse an den Naturwissenschaften entfachen und entwarf daher seine wissenschaftliche Zeitschrift entsprechend ähnlicher Vorlagen gelehrter Gesellschaften in anderen Ländern. Er hoffte, dass dies die Basis einer ersten, zukünftigen gelehrten schwedischen Gesellschaft von Wissenschaftlern sein werde.26
Swedenborg widmete den ersten Band des Daedalus Hyperboreus König Karl XII., der sein Interesse für das Projekt bekundet hatte. Er scheint sehr beeindruckt von dem jungen, eifrigen und aufgeweckten Swedenborg gewesen zu sein, vielleicht auch, weil er großes Interesse an der Mathematik hatte und viel von ihr verstand. Zugleich war er aber auch ein König mit bedeutenden praktischen Interessen. Mathematik, Naturwissenschaft und Technologie sollten zum Vorteil der Erhaltung und Entwicklung seines Landes dienen. Da er Swedenborg als nützlichen Gelehrten und Ingenieur betrachtete, nahm er ihn in seiner Gefolgschaft auf vielen seiner Reisen durch das Land mit. Swedenborg seinerseits ermutigte den König, den Fortschritt der Wissenschaft in Schweden zu fördern.27
Während der nächsten Jahre fand Swedenborg viele Freunde und arbeitete eng mit Schwedens bekanntem Erfinder und berühmtestem Wissenschaftler Christopher Polhem zusammen, der ihn unter seine Fittiche nahm. Polhem war mit 72 Jahren eher ein väterlicher Freund Swedenborgs und mit Karl XII. gut vertraut. Er war weithin bekannt und zog Studenten und Besucher aus ganz Europa an. Swedenborg war in jener Zeit mehr als nur ein Student an seiner Seite, er erfüllte vielmehr die Pflichten eines assistierenden Ingenieurs. Schließlich beauftragte König Karl die beiden, einen Kanal durch eine zerfurchte Berglandschaft zu treiben, um Stockholm mit der Nordsee zu verbinden. Swedenborg beaufsichtigte während dieser Zeit den Transport von 14 Kriegsschiffen über Land, um die norwegische Marine bei der Belagerung von Frederikshald zu bekämpfen.28
Polhem war sehr beeindruckt von Swedenborg, was sich auch daran zeigt, dass beide nicht nur Freunde, sondern auch Geschäftspartner wurden. Beide träumten davon, in Uppsala ein mechanisches Institut zu eröffnen. Es sollte den Menschen in Schweden helfen, mit praktischen Erfindungen und Verbesserungen durch Technologie, wie etwa eine verbesserte Dreschmaschine, bessere Erträge bei der ernte zu erzielen.29
Auf Empfehlung des Königs bot Polhem Swedenborg sogar die Hand seiner ältesten Tochter Maria an, doch dieser hatte ein Auge auf deren jüngere Schwester, Emerentia, geworfen. Emanuel und Emerentia wurden verlobt, doch sie war mit dieser arrangierten Hochzeit nicht glücklich. So ließ er sie frei, damit sie einen Anderen heiraten konnte, dem sie sich bereits zuvor zugewandt fühlte. Offensichtlich war diese Entscheidung für ihn sehr schmerzvoll, denn er fühlte sich stark von ihr angezogen. Emerentia war brillant, schön und fähig. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie die Leitung des Glühofens bei Stjarns.30
Polhem bat den König, Swedenborg eine Ehrenposition zu gewähren und Karl gab Swedenborg die Wahl zwischen einer akademischen Berufung und einer an das Direktorium der Bergwerke. Da sich Swedenborg für letzteres entschied, berief Karl den 28-jährigen Swedenborg 1716 zum ehrenamtlichen ‚außerordentlichen Gutachter’ des Direktoriums der Bergwerke. Das Direktorium hatte eine große Bedeutung, da der Bergbau zu jener Zeit den bedeutendsten Industriezweig Schwedens und das Rückgrat der Wirtschaft bildete. Er war auch die finanzielle Grundlage zahlreicher Familien der Elite und des Königshauses. Zur Zeit Swedenborgs war die Förderung von Metallen, insbesondere von Kupfer und Eisen, am bedeutendsten geworden und um die Jahrhundertwende machten Eisen, Stahl, Kupfer und Blech 80 Prozent der schwedischen Exporte aus.31
Das Direktorium der Bergwerke war sehr aktiv darin, alle Förderaktivitäten zu überwachen, Streitigkeiten zu schlichten, Bergwerke zu inspizieren, effizientere Methoden für den Bergbau zu entwickeln und sie auf dem neuesten Stand der Metallurgie zu halten. Polhem hatte dem König geraten, jemanden für das Direktorium der Bergwerke zu berufen, der sowohl über einen wissenschaftlichen wie auch über einen technischen Hintergrund verfügte, denn er hatte bemerkt, dass das Direktorium bereits genügend Mitglieder hatte, die es bloß verstanden, zu regulieren. Obwohl es noch mehrere Jahre dauern sollte, bis Swedenborg voll bezahlt wurde, genoss dieser seine Arbeit. Er schlug sogar lukrative Angebote aus, wie etwa eine Professorenstelle für Astronomie an der Universität Uppsala. Die Position am Direktorium der Bergwerke passte nicht nur gut zu Swedenborgs Interessen und zu seiner naturwissenschaftlichen Erfahrung, sondern auch zu seinen familiären Beziehungen zum Bergbau.32
Im November 1718 wurde König Karl XII. während der Belagerung einer norwegischen Stadt getötet und im März 1719 folgte ihm seine jüngere Schwester Ulrika Eleonora auf den Thron. Sie festigte ihre Macht und ihre Popularität dadurch, dass sie zustimmte, ihre Herrschaft kooperativ mit dem Reichstag auszuüben. Dieser bestand aus einer Adligen-, einer Kleriker- und eine Bürgerkammer sowie der Bauernvertretung. Ein Jahr später übergab sie den Thron an ihren Ehemann Fredrik, wobei das Übereinkommen erhalten blieb.33
Der Tod König Karls XII. beendete Schwedens sogenannte ‚große Zeit’, in der das Land militärisch expandierte. Unter seiner Regentschaft umfasste das Reich zahlreiche Gebiete im Umkreis der Ostsee und des heutigen Finnlands. Aber es war auch eine Zeit absoluter Herrschaft des Monarchen mit Tyrannei, scharfer Besteuerung und harter Vorschriften zum Militärdienst. Während jener Epoche gab es zwei einflussreiche und mächtige Parteien und diejenige, welche die militärische Expansion ohne Rücksicht auf Kosten befürwortete, verlor mit Karls Tod deutlich an Macht. Die neue Monarchie wechselte den Kurs, konzentrierte sich auf die Stabilisierung des Landes und vermied weitere Expansionspläne. Damit begann ein neues ‚Zeitalter der Freiheit’, in dem die Macht des Monarchen begrenzt und mit dem Reichstag geteilt wurde. Dabei wurde der Reichstag von der Adelskammer dominiert. Die schwedische Führung richtete ihre Reformen an innenpolitischen Problemen aus und dieser Entschluss erwies sich als erfolgreiche Strategie, um Schweden über das nächste Jahrhundert erblühen zu lassen.34
Im Mai 1719 adelte Königin Ulrika die Familien der schwedischen Bischöfe. Emanuels Name änderte sich von Swedberg zu Swedenborg und sein Leben veränderte sich ebenfalls. Als ältester Nachkomme der Familie erhielt er einen Sitz in der Adelskammer und nahm ab diesem Zeitpunkt für den Rest seines Lebens regelmäßig an deren Sitzungen teil, sofern er keine Auslandsreisen unternahm. Swedenborg schrieb während seiner 53-jährigen Mitgliedschaft viele Vorlagen für die Kammer; seine Vorlagen aus den Jahren 1722 – 1771 sind erhalten und decken einen weit gestreuten Themenbereich ab: von der Reform der schwedischen Währung, der Balance des Handels und Prioritäten bei der Gewinnung bestimmter Metalle über die Entwicklung der Eisenproduktion bis hin zu Vorlagen zur Beförderung der Freiheit in Schweden sowie dem Aufbau einer Metallherstellung in Rollenform.35
Obgleich Swedenborg aufgrund der mangelhaften Unterstützung der Wissenschaften in Schweden frustriert war, betrieb er seine Studien weiter und schrieb Aufsätze zu zahlreichen Themen, beispielsweise: das erste in Schweden veröffentliche Werk über Algebra; über Kräne, um schwere Gegenstände zu heben; eine Studie zu Fossilien und zur Analyse des Erdbodens; zum Flussaufwärtssegeln; über Handel und Manufaktur; über Feuer und Farben; über alternative Methoden der Salzherstellung; über Veränderungen in der Rotation der Erde; über die Gewinnung und Verarbeitung von Metallen; über Docks und Kanalabdichtungen; über Analysen der Gezeiten und über Währungsschwankungen. Ebenso verfasste er ein Werk Über Tremulationen.11* Dies war sein erstes Werk über Anatomie und Physiologie aus dem Jahr 1719. Er argumentiert darin, dass die Lebenskraft des Körpers aus feinen Schwingungsbewegungen bestehe, die den gesamten Körper durchdringen. Dieses Werk ist deshalb von großem Interesse, weil es ein gründliches Wissen über Anatomie zeigt, allen voran von einem Nervensystem, das in das Kreislaufsystem, das Lymphsystem und den Rest des Körpers einschließlich der Knochen integriert ist. Hier zeigt sich sein frühes Interesse am Studium der Bewegung als Quelle des Lebens. Es geht seinen Prinzipien und späteren Studien voraus, die wiederum zu weiteren anatomischen Studien führten. Swedenborg schrieb viele Jahre lang kein weiteres Werk zu Anatomie und Physiologie. Dennoch begleiteten ihn diese Interessensbereiche sein gesamtes Leben hindurch.36
Im selben Jahr verstarb Swedenborgs geliebte Stiefmutter Sara Bergia an Lungenentzündung. Sie war mit Jesper Swedberg 23 Jahre verheiratet gewesen und hinterließ den Kindern von Swedberg, insbesondere aber Emanuel, wertvolle Bergwerksanteile, darunter Hammerwerke, Brennöfen, Wälder und Felder. Emanuel Swedenborg und sein Stiefbruder Lars Benzelstjerna kauften der Familie die restlichen Güter ab. Benzelstjerna lebte beim Bergwerk Starbo und führte es so, dass Swedenborg seine Studien fortan frei betreiben konnte.37
1721 brach Swedenborg erneut ins Ausland auf, um seine Forschungsaktivitäten auszudehnen. Nachdem er vom König die Erlaubnis zur Abwesenheit vom Bergwerksdirektorium erhalten hatte, reiste er durch Europa, um den Bergbau und den Manufakturprozess außerhalb Schwedens zu studieren und um weiter zu veröffentlichen. Er besuchte innerhalb eines Jahres in vielen Ländern mehrere Zentren für Bergbau und Metallschmelzen, und er nutzte diese Zeit zum Verlegen sechs wissenschaftlicher Werke (über Chemie, Metallurgie, Methoden der Astronomie, Dockdämme und Navigation). Diese erschienen bei Friedrich Hekel in Leipzig, einer der führenden Druckereien Europas. In Ludwig Rudolph, dem Grafen von Braunschweig, fand er einen weiteren Freund und Förderer, der ihn dabei unterstützte, die Kosten seiner Veröffentlichungen zu tragen. Swedenborg war mit mehreren Mitgliedern des deutschen Adels befreundet, insbesondere mit Ludwig Rudolph, den er 1722 während seines Besuches im Harz kennenlernte. Einige Historiker haben vermutet, dass der Graf anfänglich einen ausgezeichneten ausländischen Bergbauexperten an seinen Hof habe holen wollen, dann aber bald den universalen Geist seines schwedischen Gastes erkannt und ihre Beziehung zu einer echten Freundschaft entwickelt habe.38
Mit der Rückkehr nach Stockholm kehrte Swedenborg auch in sein Leben als Adliger, Regierungsbeauftragter und Schriftsteller zurück. Er befasste sich wieder intensiv mit seiner Tätigkeit für das Bergwerksdirektorium und wurde schließlich 1724 auf eine ständig entlohnte Position berufen.
Das Bergwerksdirektorium bestand aus sieben Mitgliedern und traf sich in elf Monaten des Jahres an jedem Wochentag. Damit erfüllte es wichtige administrative, technische und regulative Funktionen. Die Bergwerke standen im Wettbewerb und waren meistens im Besitz von Familien oder kleinen Gesellschaften. Das Direktorium unterteilte Schweden in vier Distrikte, berief Leiter der Minen und einen Amtmann für jeden Distrikt. Jeder verfügte über einen Gerichtshof, um Differenzen zwischen den verschiedenen Unternehmen zu klären. Das Bergwerksdirektorium diente seinerseits als oberstes Gericht für die Bergwerke. Jedes Mitglied des Direktoriums – jeder Assessor – legte seine Sichtweise der juristischen Fälle dar und das Direktorium entschied letztlich darüber, welche und wie viele Metalle abgebaut werden sollten und durften; es legte Standards für die Qualität des Metalls fest und inspizierte sowohl die geförderten Metalle als auch die Bergwerke. Um die Abbaumethoden zu studieren und die Metallqualität zu bestimmen, unterhielt das Direktorium das fortschrittlichste Labor des ganzen Landes. Das Direktorium regulierte darüber hinaus die Preise und kontrollierte die Steuern auf Metalle.39
Als Assessor des Bergwerksdirektoriums war Swedenborg intensiv mit juristischen Entscheidungen, technischen Angelegenheiten und Personalfragen, aber auch mit wissenschaftlichen und technischen Fragen befasst. In dieser Position diente er dem Direktorium 23 Jahre, ehe er sich 1747 zurückzog, um seine Anstrengungen ganz auf seine theologischen Schriften zu konzentrieren.40
Ebenfalls Mitte der 1720 er verehrte Swedenborg eine junge Frau, Kristina Maria Steuch. Die Tochter des Bischofs von Karlstadt hatte zu jener Zeit drei ernsthafte Verehrer und entschied sich schließlich nicht für Swedenborg. Daraufhin schlug seine Familie eine andere mögliche und attraktive Partnerin zur Heirat vor, doch Swedenborg machte offensichtlich weder ihr noch irgendeiner anderen Frau mehr den Hof.41
In jener Zeit lebte er bei seiner Schwester Hedwig und ihrem Ehemann, bis sie 1728 verstarb. Nach ihrem Tod begann er das Leben eines Junggesellen und stellte einen Diener an. Sein Neffe und Schüler Erik Benzelius der Jüngere studierte bei ihm, lebte teilweise bei ihm und schloss sich ihm schließlich im Bergwerksdirektorium an.42
BERUFSLAUFBAHN, WISSENSCHAFTLICHE WERKE UND WEITERE STUDIEN IM AUSLAND
Von 1722 bis 1733 arbeitete Swedenborg neben seiner Tätigkeit am Bergwerksdirektorium ständig an seinem ersten großen Werk, Opera Philosophica et Mineralia. Nach seiner Vollendung stellte er das Manuskript im September 1733 dem Verleger Friedrich Hekel in Leipzig vor. Swedenborg begutachtete sein Werk Anfang 1734 und im Alter von 46 Jahren veröffentlichte er es als sein erstes eigenständiges wissenschaftlich-philosophisches Werk in drei Bänden.43
Der erste Band wurde unter dem Titel Principia bekannt. Der Untertitel lautet im Deutschen nach der englischen Übersetzung von 1845: Die ersten Prinzipien der natürlichen Sachverhalte, die neue Versuche zur philosophischen Erklärung der elementaren Welt darstellen. Dieser Band umfasste eine übergreifende Kosmologie, sowohl eine Sternennebel-Theorie als auch eine atomare Theorie der Arten. Die Prinzipien bildeten eine Studie des Endlichen, das seinen Ursprung im Unendlichen erkennt, ohne welches es nicht hätte entstehen können oder weiter existieren könnte. Alles wird durch dieses Gesetz reguliert, vom Kleinsten bis zum Größten, von den ersten Punkten und Teilchen der Existenz bis zu den Galaxien. Die Principia veranschaulichen Swedenborgs Bemühungen, eine Kosmologie zu präsentieren, welche die Ordnung und den Zweck der Schöpfung erklärt, und die ihn schließlich zu einer Untersuchung der Struktur der Materie von den ersten Teilchen bis hin zum gesamten Kosmos führt.44
Swedenborgs Theorie der feinsten Teilchen schloss eine Hypothese über die Bildung der Materie aus Energie ein, der zufolge sich reine Energie lokalisiere und sich zu einem ‚ersten Punkt’ bzw. einem ‚Einfachen’ bilde. Dieses sei das Medium zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, aus dem nach und nach alles andere entstehe. Das Medium selbst bestehe aus reiner Bewegung bzw. einer ‚Bestrebung’ zur Bewegung hin, da ohne Bewegung nichts existieren könne. Alle endlichen Sachverhalte stammten von dieser ersten Ursache. Zwar sei sie geometrisch nicht erfassbar, dennoch sei sie nicht Nichts.45