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Ebenso wirkte der Swedenborgianismus auf viele Menschen, die an keine bekannte swedenborgianische Gruppe gebunden waren. Dies geschah oft durch künstlerische und literarische Einflüsse. Solche freien Denker halfen dabei, Swedenborgs Lehren in unterschiedlicher Ausprägung zu verbreiten, wobei auch sie gelegentlich seine Ideen mit denen anderer vermischten. Als Beispiele aus England lassen sich etwa William Blake und Samuel Taylor Coleridge nennen. Sie lasen und erörterten Swedenborgs Bücher. Dabei reklamierten sie das Recht, mit einigen seiner Anschauungen nicht übereinzustimmen, aber sie bauten viele von Swedenborgs Konzepten und Paradigmen in ihr eigenes Denken, in ihr Werk und ihren eigenen Einfluss ein.151
Solche Muster eines swedenborgianischen Einflusses setzten sich fort und traten erneut auf, als Swedenborgs Anschauungen sich nach Nordamerika verbreiteten. Es bestand weiter eine institutionelle separatistische Neue Kirche, die aus Mitgliedern bestand, die Swedenborgs Ideen eng anhingen. Sie betrachteten diese als bedeutender als andere. Manche gingen gar davon aus, dass seine theologischen Werke das Alte und Neue Testament der Bibel erklärten und gleiche Autorität wie diese besäßen. Der nicht-separatistische Impuls bildete daneben weiterhin einen bedeutenden Einfluss der Ideen Swedenborgs innerhalb anderer kirchlicher Traditionen und Gemeinschaften und bei Geistlichen, insofern sie diese Konzepte in ihren eigenen Zusammenhängen annahmen und anpassten. Die Ausprägung hierbei unterschied sich zwischen Quäkern, kongregationalistischen und universalistischen Gruppen stark. Einige Quäker und universalistische Kirchen sind seit 1848 im Wesentlich swedenborgianisch geworden.152
Ebenso gab es außerhalb der kirchlichen Traditionen stehende Menschen, die begeisterte Swedenborgianer wurden, sowie andere freie Denker, welche die obigen Unterschiede verwischten und dennoch eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Swedenborgs Anschauungen spielten. Diese Strömungen lassen sich etwa durch die Klassifikation in Separatisten, Nicht-Separatisten und Kirchenungebundene einordnen.153
Der Begriff ‚swedenborgianisch’ kann problematisch sein. Genauso, wie Swedenborg für viele Menschen vieles sein konnte, umfasst auch der Begriff ‚swedenborgianisch’ viele recht verschiedene Bedeutungen und Bezüge. Einige Autoren benutzten den Begriff, um sich auf die Anhänger der formalen separatistischen Versammlungen der Neuen Kirche zu beziehen, mithin Mitglieder der organisierten und institutionalisierten Neuen Kirche. Andere wendeten den Begriff auf diejenigen an, die weiter in ihren kirchlichen Traditionen verblieben, dabei Swedenborgs Ideen studierten und sie verbreiteten, so wie die Nicht-Separatisten (in vielen Ländern).
Eine weitere Gruppe bildete diejenige, die Scott Trego Swank als ‚Freie Geister’ bezeichnete. Bei diesen Swedenborgianern handelte es ich um Menschen, die in Swedenborgs Schriften sehr belesen waren, oft selbst Wissenschaftler und Geistliche, und die in dem einen oder anderen Punkt mit der organisierten Neuen Kirche nicht übereinstimmten. Die Gründe schwankten zwischen Kritik an einer organisierten Priesterschaft und theologischen Gründen, insofern sie weitere Ideen aufgefasst und integriert hatten, die von außerhalb des Swedenborgianismus kamen, wie etwa vom Magnetismus. Im Allgemeinen waren swedenborgianische ‚Freie Geister’ gegen Gruppenbildung, aber obgleich ihrer antiinstitutionellen Einstellung doch auch mit der Neuen Kirche verbunden. Wie Swank notierte, war ein entscheidendes Thema der Freien Geister die Neigung zum Schreiben, Herausgeben und Veröffentlichen von Zeitschriften, Broschüren und Büchern. In den 1840ern bis 1860ern war diese Eigenschaft der Freien Geister am offensichtlichsten.154
Eine letzte Gruppe von Swedenborgianern setzte sich aus Begeisterten von Swedenborgs Anschauungen zusammen, die an überhaupt keiner kirchlichen Organisation teil hatten. Diese nicht-konfessionellen Menschen wurden vom Historiker Robert C. Fuller als ‚kirchenfern’ bezeichnet. Er verstand Kirchenferne in Nordamerika als solche Menschen, die sich selbst persönlich als stark spirituell einstuften, aber keiner besonderen kirchlichen Gruppe angehörten. Während des 19. Jahrhunderts gab es viele kirchenferne Swedenborgianer. Dabei handelte es sich naturgemäß um eine eklektische Gruppe, die Swedenborgs Ideen in unterschiedlichem Grade aufnahm und dabei zwischen gründlichem Studium und umfassender Anwendung einerseits, gelegentlichem oder sehr begrenztem Gebrauch einiger weniger Konzepte unter Ausschluss des Restes andererseits oszillierte. Viele vermischten Swedenborgs Überlegungen in hohem Maße mit anderen Ideen. Einige dieser Personen vertraten auch sehr bunte Konzepte und bezeichneten noch solche Ansichten als swedenborgianisch, die doch tatsächlich im Widerspruch zu Swedenborgs Lehren standen. Dennoch wurden sie in einigen Geschichtsbüchern unter dem Begriff ‚swedenborgianisch’ geführt.155
Aus historischer Sicht stellt sich die Situation noch um einiges verwirrender dar. Viele Personen aus diesen identifizierbaren swedenborgianischen Strömungen (Separatisten, Nicht-Separatisten, freie Geister und Kirchenferne) interagierten und beeinflussten sich wechselseitig ebenso, wie sie auf die allgemeine Öffentlichkeit einwirkten. Die Leser seien bei der Erforschung der Geschichte des Swedenborgianismus also gewarnt: Der Begriff ‚Swedenborgianer’ wird in sehr breitem Kontext verwendet und auf eine heterogene Mischung von Personen bezogen, die verschiedenste Anschauungen und Aktivitäten repräsentieren. Die Schriften Swedenborgs umfassten einen derart weiten Skopus von Ideen, darunter in den Bereichen Wissenschaft, Philosophie, Kosmologie und allen Aspekten der Religion, dass es durchaus nachvollziehbar ist, wieso sein Werk ‚vieles für viele Geister’ wurde. Nicht zuletzt im Nordamerika des 19. Jahrhunderts war das der Fall.156
Ein Beispiel für den Austausch zwischen verschiedenen Gruppen fällt etwa ins Philadelphia des Jahres 1817. Die Neue Kirche in Philadelphia folgte dem separatistischen Pfad, der von Hindmarsh und der Londoner Gesellschaft begründet worden war und stand über Jahrzehnte mit Hindmarsh in Kontakt. Diese Gruppe in Philadelphia war nicht besonders glücklich, als eine Gruppe von 41 Bibelchristen unter Führung von Reverend William Metcalf, dem Nachfolger von Reverend William Cowherd aus dem nahen Manchester eintraf. Diese liberale Gruppe überlebte und wuchs unabhängig von der eher konservativen Neuen Kirche in Philadelphia. Metcalf lehrte den spirituellen Wert des Vegetarismus und der Abstinenz und schrieb ausführlich darüber. Schließlich wurde er in der Mäßigungsbewegung aktiv und ein homöopathischer Arzt sowie Gründungspräsident der Nordamerikanischen Vegetarischen Gesellschaft. Die Bibelchristen waren stärker als die Mitglieder der Neuen Kirche sozial aktiv. Sie unterstützten aktiv die Abschaffung des Kriegs, der Todesstrafe und der Sklaverei.157
Die Neue Kirche begann in den kultivierten Städten des Ostens, wo sie vor allem Intellektuelle ansprach. Diese Gemeinschaften bestanden hauptsächlich aus berufsbezogenen Gruppen wie Geistlichen, Ärzten, Lehrern, Rechtsanwälten und Literaten. Swedenborgs philosophischer Ansatz, seine übergreifende Kosmologie, seine der Wissenschaft entnommenen Veranschaulichungen (insbesondere aus der Anatomie) sowie seine menschenfreundliche und rationale Theologie mit der Betonung des persönlichen geistigen Wachsens und sein Bruch mit der Orthodoxie der ‚alten’ christlichen Kirchen erschien diesen Menschen als der Beginn eines neuen und aufgeklärten Zeitalters. Zudem waren viele seiner Schriften in lateinischer Sprache verfügbar, die viele gebildete Menschen aus diesen Berufen ohne Weiteres lesen konnten.158
In den 1820ern bestanden mehrere bedeutende Zentren eines institutionellen Swedenborgianismus in Nordamerika, insbesondere in Baltimore, Boston, Philadelphia und New York. Es existierten aber auch Gruppen weiter im Westen, etwa in Cincinnati. Im folgenden Jahrzehnt sollte sich in Chicago ein starkes Aktivitätszentrum der Neuen Kirche entwickeln. Obgleich es stets starke Bemühungen gegeben hatte, Swedenborgs Schriften zu veröffentlichen und auf dem Wege des gedruckten Wortes zu verbreiten, kam es in den 1820ern zu einer besonderen Anstrengung, seine Lehren nach Westen zu verbreiten. Geistliche wurden zu diesem Zweck nach Ohio, Indiana, Illinois, Missouri, Tennessee, Kentucky und West Virginia entsandt. Sie hatten Erfolg und bald hielt eine ‚Westliche Gemeinschaft der Kirche des neuen Jerusalem’ regelmäßige Treffen ab, um Gesellschaften in diesen Staaten zu unterstützen. Im Zusammenhang mit dieser Bewegung nach Westen nahm die Neue Kirche einen stärker evangelikalen und emotionalen Ton an, doch sie gründete noch immer auf derselben Lehrbasis wie die intellektuellere Neue Kirche der Oststaaten. Die grundlegenden Lehren blieben gewahrt. Die Neue Kirche dieser Zeit hielt auch an ihrem Schwerpunkt, der Veröffentlichung von Swedenborgs Schriften, fest. In den 1820ern war De coelo et ejus mirabilibus ein amerikanischer Bestseller, der im Blick auf Popularität und Verkaufszahlen mit James Fenimore Cooper und Walter Scott konkurrierte.159
Es gab einen unabhängigen Missionar der Neuen Kirche, ohne den keine Erörterung der Ausbreitung der Neuen Kirche nach Westen auskommen kann: Johnny Appleseed. Johnny Appleseed wurde als Jonathan Chapman 1775 in Boston geboren. Er entschloss sich zu einem Leben als wandernder Saatguthändler und brachte Apfelbäume zu den Grenzen Ohios und weiter in den Westen. Seine Apfelsamen bekam er von den Apfelpressen im Westen Pennsylvanias und er pflanzte sie in fruchtbaren, umfriedeten Flecken in den Grenzgegenden an. Später brachte er die kleinen Pflanzen direkt zu den Farmen der Siedler, verkaufte sie an diejenigen, die bezahlen konnten, und verschenkte sie an diejenigen, die es nicht konnten. Überraschenderweise machte er gute Geschäfte und hatte stets Geld für diejenigen, die in Not waren. Ein weiteres Projekt bestand darin, Pferde zu retten, die ermüdet und von den Pionieren auf ihrem schwierigen Weg nach Westen zurückgelassen worden waren. Er sammelte die Pferde in Einpferchungen in der Nähe ärmerer Siedlungen und bezahlte die Siedler dafür, dass sie die Pferde während seiner Abwesenheit pflegten. Er reiste im Kanu und auf Pferden, doch meistens ging er zu Fuß, oft ohne Schuhe. Anstelle eines Hutes trug er eine Blechpfanne und er hatte immer eine Ledertasche voll Apfelsamen bei sich. Die Siedler waren sich nicht sicher, was sie mit diesem schrägen Vogel anfangen sollten, die Kinder liebten ihn und die amerikanischen Ureinwohner verehrten ihn als einen mächtigen Medizinmann. Er liebte alle lebendigen Geschöpfe und war strenger Vegetarier. Unter dem Namen Johnny Appleseed wurde er weithin bekannt.160
Johnny Appleseed transportierte aber auch Setzlinge anderer Art. Stets hatte er Abschnitte aus Swedenborgs Schriften bei sich, die er an Familien im Grenzland verteilte. Richter Young aus Greensburg versorgte ihn mit Büchern für seine Missionsarbeit. Chapman teilte die Bücher in Kapitel, die er zu Broschüren heftete. Er trug sie auf seinen Wegen durch die Wildnis in seiner Ledertasche zusammen mit Saatpflanzen, wie eine ‚menschliche zirkulierende Bibliothek’. Er hinterließ Kapitel bei verschiedenen Holzhäusern, wenn er unterwegs war. Bei der Rückkehr sammelte er sie wieder ein und die Zirkulation ging weiter. Es war zweifellos eine unorthodoxe Methode, Swedenborgs Ideen zu verbreiten, und es war auf diese Weise auch eher schwierig, ein Buch von Kapitel zu Kapitel zu lesen. Er predigte und sprach zudem abends am Lagerplatz zu faszinierten Gruppen. Viele Familien des Grenzlands kamen so durch Johnny Appleseed in Kontakt mit Swedenborgs Gedanken und später auch mit der organisierten Neuen Kirche, deren Mitglieder sie häufig wurden, sobald sie sich in der Gegend entfaltete. Nachdem Ohio besiedelt war, zog Appleseed weiter nach Indiana, stets an der Spitze der Siedler. Er mochte es, über Swedenborgs Ideen vor jedermann zu predigen: von amerikanischen Ureinwohnern bis zu protestantischen Predigern. Er setzte seine Wanderarbeit bis zu seinem Tod mit 72 Jahren fort.161
In den 1830ern und 1840ern waren in den größeren Städten und auch in vielen kleineren Städten Gemeinschaften der Neuen Kirche bereits fest etabliert. Obgleich keine großen Gruppen, zogen sie doch immer wieder gut ausgebildete Anhänger an, die Swedenborgs Schriften ihrerseits kraftvoll verbreiteten und englische Übersetzungen verfügbar machten. Die primären institutionellen Zentren lagen dabei in Boston, Philadelphia, New York, Chicago, Cincinnati und Detroit, dazu kamen weitere, kleinere Gemeinschaften, die über die Oststaaten und den Mittleren Westen verbreitet waren. Obgleich es auch im Südosten in vielen Gegenden ein stärkeres Interesse an Swedenborg gab, entstanden dort keine organisierten Versammlungen und Gemeinschaften der Neuen Kirche.162
Mitte der 1840 er bestanden etablierte Gemeinschaften der Neuen Kirche im Osten und im Mittleren Westen Nordamerikas. Obgleich sie nicht groß genug waren, um die größeren Gruppen zu bedrohen, wuchs die Neue Kirche während der ersten vier Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Sie zog eine Reihe begabter Führungspersonen an, Menschen mit Talent, Ausdauer und Mitteln. Eine ihrer Hauptaufgaben bestand in der Verbreitung der Schriften Emanuel Swedenborgs. Dieses Ziel erreichten sie und sie verteilten seine Schriften über das Land, veröffentlichten weit verbreitete, periodisch erscheinende Zeitschriften und beeinflussten dadurch auch viele Menschen weit außerhalb der eigenen Gemeinschaften.163
5. EMERSON, DIE TRANSZENDENTALISTEN UND SWEDENBORG
Boston etablierte sich als ein Zentrum der Neuen Kirche, obwohl diese dort später als an anderen Orten entstanden war, denn obgleich es schon zuvor Interesse gegeben hatte, existierte die Bostoner Neue Kirche erst seit 1816, als sie mit der Familie Worcester begann. Das Haupt der Familie, Noah Worcester, DD, war ein Geistlicher der kongregationalistischen Kirche, und fiel dadurch auf, dass er die calvinistische Auffassung der Trinität ablehnte. Er war unabhängig im Denken und gab dies an seine Söhne weiter, die sich mit der Zeit zu Führungspersonen der Neuen Kirche in Neuengland entwickelten. Der ältere Bruder Samuel entdeckte die Lehren Swedenborgs 1815. Er hörte, dass Exemplare von Arcana Coelestia angeblich dem Harvard College übergeben worden waren, erzählte seinem dort studierenden jüngeren Bruder Thomas von den Büchern und reizte damit dessen Neugier, sich auf die Suche nach ihnen zu begeben. Thomas fand die Bücher in einem verstaubten Winkel. Er arbeitete sich durch die lateinischen Bände, wurde rasch zu einem begeisterten Student Swedenborgs und begründete schon bald darauf gemeinsam mit anderen interessierten Studenten, die ebenfalls eifriges Interesse an Swedenborgs Anschauungen entwickelten, eine Gruppe. Sie wurde vom College unterstützt, auch wenn die Mittel begrenzt waren, da es noch weitere Gruppen am College gab. Während Thomas in Harvard die Neugier schürte, begründete Samuel indes eine Gruppe der swedenborgianischen Neuen Kirche in Boston.164
Sampson Reed war ein wissensdurstiger Student der Harvard Divinity School und ein Kommilitone von Thomas Worcester. Er war der Sohn eines örtlichen unitarischen Geistlichen, der in Harvard einen Abschluss machen und selbst Geistlicher werden wollte. Als regelmäßiges Mitglied der Swedenborg-Studiengruppe in Harvard wurde er zugleich Gründungsmitglied der Bostoner swedenborgianischen Gemeinschaft. Worcester graduierte 1818 zusammen mit Reed und beide schrieben sich unmittelbar darauf an der theologischen Schule ein. Während Worcester dabei blieb und seinen Kurs beendete, schlug Reed einen anderen Weg ein. Er erkannte, dass es schwierig werden würde, mit seinen swedenborgianischen Überzeugungen als Geistlicher bei den örtlichen Versammlungen akzeptiert zu werden. Daher wechselte er die Studienrichtung, erwarb ebenfalls in Harvard einen Master of Arts und wurde Apotheker. Dennoch blieb er eine kraftvolle Stimme in der Gegend, sprach und schrieb über swedenborgianische Themen, arbeitete als Herausgeber des New Jerusalem Magazine und außerdem half er später dabei, die Zeitschrift The Swedenborg Messenger zu etablieren.165
Anlässlich seiner Abschlussfeier hielt er 1821 einen Vortrag mit dem Titel Rede über den Genius. Er sprach über swedenborgianische Themen, erkannte in der Liebe das wirkliche Leben des Menschen. Das geistige Wachsen des Individuums schließe eine Überwindung der Selbstbezogenheit ein und die Einschätzung, dass alle Wahrheit vom Herrn komme.
Er fuhr fort, die Wissenschaft zu beschreiben, deren festgelegte Gesetze Teil der Natur seien und von Gott stammten. Er stellte fest, dass nur dann, wenn das Herz von aller Selbstbezogenheit und Weltverhaftung gereinigt sei, der wahre Genius des Verstandes herabsteigen werde, um sich mit dem natürlichen Teil zu vereinigen. Und nur dann könne ein neues Zeitalter der Wissenschaft und des Geistes beginnen. An diesem Tag saß Ralph Waldo Emerson im Publikum; er erhielt seinen Bachelor of Arts und nahm als Klassendichter an derselben Zeremonie teil. Emerson war erstaunt. Er empfand, dass diese Rede eine der bedeutendsten sei, die er jemals gehört habe. Er beschrieb sie als ‚ursprünglich golden’. Er beschaffte sich umgehend eine Abschrift der Rede (von seinem Bruder, der Klassenkamerad von Reed war), die er wie einen Schatz betrachtete, auf die er sich oft in seinen Zeitschriften bezog und die er sogar in seiner Familie verbreitete. Reed sollte später ein Buch schreiben, welches auf dieser Rede aufbaute und 1826 als The Growth of the Mind veröffentlicht wurde.166 Emerson und Reed wurden persönlich miteinander bekannt und er las Reeds Essays, Artikel und insbesondere das Buch The Growth of the Mind. Emerson bejubelte das Buch als ‚Offenbarung’, was ihn 1827 dazu veranlasste, Sampson Reed als einen der ersten amerikanischen Vertreter des Transzendentalismus zu bezeichnen. Er las ferner Sampsons Artikel im Swedenborgian Messenger und erörterte persönlich mit ihm weitere Gedanken. Emerson lernte während dieser Zeit zudem Thomas Worcester und andere Swedenborgianer wie Reverend Dr. Artemas Stebbins kennen. Emerson führte selbst wiederum andere in Swedenborgs Schriften ein, darunter den zukünftigen Übersetzer und Gelehrten Dr. J. J. Wilkinson, der Swedenborgs wissenschaftliche Werke, darunter Regnum animale, später ins Englische übersetzen sollte. Über Wilkinson wurde ferner Henry James der Ältere mit Swedenborgs Werkes bekannt. Letzterer wurde in seinem ganz eigenen freigeistlichen Stil zu einem begeisterten Unterstützer Swedenborgs. Und er sollte Wilkinsons Übersetzungen als enger Freund Emersons unterstützen.167
Emerson machte ebenfalls seinen Abschluss an der Harvard Divinity School und wirkte für kurze Zeit als Geistlicher der unitarischen Kirche. Schon bald wurde ihm aber die Arbeit innerhalb der Grenzen einer organisierten Religion zu unbequem.168
1836 veröffentlichte Emerson sein erstes Buch mit dem Titel Nature, ein Buch, mit dem er ein Feuer religiöser Einbildungskraft bei seinen Zeitgenossen entfachte. Als dieses Buch gerade erschienen war, dachten viele, es sei ein swedenborgianisches Buch. Tatsächlich handelte es sich um Emersons Manifest des Transzendentalismus. Emerson rebellierte darin sowohl gegen den wissenschaftlichen Materialismus als auch gegen die auf die Bibel gegründete Religion seiner Tage. Seine Vision transzendierte die Orthodoxie. Er erkannte die Gegenwart Gottes in der Welt, nicht im Gegensatz zur Wissenschaft, sondern in einem erheblich weiteren Kontext als ihn die Wissenschaft erfassen konnte. Er erkannte die Heiligkeit der Natur und schrieb, dass der selbstlose Aufenthalt in der Natur die Wahrnehmung der Ströme des universalen Seins ermöglichen könne, die durch diese Welt flössen. Emerson zufolge sei der höchste Gebrauch der Natur die Offenlegung der verborgenen Energien der Seele, welche die Menschheit von ihrer Selbstliebe befreiten – das war sein Hauptthema. Er betrachtete die organisierte christliche Religion als unnütz und meinte, dass das moderne Christentum zu einer Störung in der Beziehung zwischen den Individuen und ihrem Schöpfer geworden sei und den spirituellen Aspekt blockiere, der in jedem Einzelnen und allen angelegt sei. Die organisierte Religion beiseite lassend stellte er eine neue, deutlich davon abweichende, amerikanische kirchenferne Spiritualität vor, eine metaphysische Bewegung, die viele gebildete Menschen im Neuengland des 19. Jahrhundert und schließlich im ganzen Land ansprach.169
Obgleich Emerson freimütig seine Bewunderung für Reed und Swedenborg erklärte, änderte sich seine Beziehung zu Swedenborgs Gedanken mit der Zeit. Auch wenn er stets eine enorme Bewunderung für die Weite und Tiefe seiner Ideen hegte und Swedenborgs Konzepte wie jene von Entsprechungen und Einströmen in seinem ganzen Leben weiter verwendete, betrachte er Swedenborg als inspiriert, doch nicht in der Weise, wie ihn Reed und die Neue Kirche sahen. Emerson trug von 1837 bis 1850 öffentlich über Swedenborg vor, und er schrieb einen bedeutenden Essay über ihn. 1850 fasste er seine öffentlichen Kommentare und Meinungen zu Swedenborg und dessen Ideen zusammen. Er hielt Kontakt zu anderen Swedenborgianern, darunter dem unabhängigen Freigeist Henry James der Ältere, der über mehrere Jahre ein begeisterter Unterstützer Swedenborgs war, obgleich er sich oft mit den orthodoxen, kirchenbezogenen Swedenborgianern im Streit befand. James half dabei, swedenborgianische Ideen innerhalb der wachsenden transzendentalistischen Bewegung durch seinen Kontakt zu Henry David Thoreau, Margeret Fuller und Theodore Parker zu verstärken. Viele andere Transzendentalisten waren im Hinblick auf Swedenborgs Anschauungen ebenfalls sehr belesen und durch sie beeinflusst, darunter etwa Bronson Alcott, James Freeman Clarke, James Elliot Cabot, Frederick Henry Hedge, Julia Ward Howe und Lydia Marie Child.170
Emerson hatte gemischte Gefühle bezüglich Swedenborg. Obwohl er ihn als einen der größten Geister ansah, die jemals gelebt hätten, und vieles im Hinblick auf dessen Philosophie und Kosmologie akzeptierte, konnte er Swedenborgs gesamte Theologie als solche dennoch nicht übernehmen.
1850 verfasste er Representative Men, Seven Lectures – einen Tribut an die Menschen, von denen er meinte, dass sie die bedeutendsten waren, die jemals gelebt hätten. Darin schrieb er auch ein langes Kapitel über Swedenborg. Emerson sah in der Moderne niemanden, der es Swedenborg gleich tun könne, und meinte, dass seine Ideen sich „[…] in den Verstand Tausender […]” verbreitet hätten. Er beschrieb Swedenborg als eine
„[…] gewaltige Seele, er liegt weit ab von seiner Zeit, von ihr unbegriffen und benötigte einen langen Zeitabstand, um verstanden zu werden.”171
Emerson bewunderte Swedenborgs wissenschaftliche und theologische Arbeiten und stellte fest, dass
„[…] The Economy of the Animal Kingdom eines jener Bücher darstellt, das bei erhaltener Würde des Denkens eine Ehre für das Menschengeschlecht […]” sei, 172 und weiter: „[…] The Animal Kingdom wurde zu dem hohen Zweck geschrieben, Wissenschaft und Seele, die lange voneinander entfremdet waren, wieder zusammenzubringen. Es behandelt den Zugang eines Anatomen zum Körper, wobei er den höchsten Stil der Poesie verwendet. Nichts vermag seine kühne und brillante Abhandlung bei einem derart trockenen und widerständigen Thema zu übertreffen.”173
Emerson akzeptierte viele von Swedenborgs theologischen Ideen und erkannte, dass Swedenborg sein eigenes Selbst zurückgestellt habe, um eine erheblich‚ feinsinnigere Wissenschaft’ zu betreiben, die Raum und Zeit überschreiten könne und sich in den Bereich des Geistes wage. Dabei habe er eine neue Religion in der Welt errichtet, die alle Hochschulen der gewöhnlichen Wissenschaften überböte. Emerson lobte Swedenborgs Konzepte der Anwendung, der Abfolge unterschiedener Grade, des Menschen als Mikrokosmos des Himmels, des geistigen Wachsens bzw. der Regeneration, der ethischen Gesetze des natürlichen und geistigen Universums, der Verbindung von Geistigem und Natürlichem in jedem einzelnen Menschen, die Verbindung von Seele und Körper sowie insbesondere die Lehren von Korrespondenz und Einströmen. Die Lehre der Korrespondenz erkläre die Interaktion zwischen geistiger und materieller Dimension des Lebens, wobei sie gleichzeitig zeige, auf welche Weise jedes Individuum einen Kern göttlicher Empfänglichkeit umfasse. Emerson stellte zudem Swedenborgs Erklärung des göttlichen Gesetzes heraus, welches das physische und geistige Universum durchdringe: Dabei glaubte er, dass das Studium der ordnenden Gesetze eines Teils des Universums dabei helfe, selbiges als Ganzes zu erfassen. Daraus entspringe wiederum Swedenborgs Konzept von Einströmen und Regeneration. Es bestehe ein beständiges, von Gott ausgehendes Einströmen, das durch den geistigen in den natürlichen Aspekt hinein verlaufe und das Leben erhalte. Sofern jemand stärker auf die geistige Realität durch einen Prozess geistigen Wachsens eingestimmt sei, entwickele sich eine innere Harmonie zwischen der Ebene des Individuums und der höheren geistigen Existenzebene. Die Konzepte der Korrespondenz und des Einströmens waren zentral für Emersons metaphysische Vision.174





