Die Aussenseiter und die Rache des Poltergeists

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»Wenn ich den Offenbarungssud herstelle, schauen wir auch gleich, ob es auch einen übersinnlichen Giftdetektor gibt«, schlug ich vor.
>Dein Amulett würde leuchten.< Die Wächterin seufzte.
Ich wurde wieder einmal rot. »Die Wächterin hat mich gerade darauf aufmerksam gemacht, dass mein Amulett bei Gefahr leuchtet. Und Gift ist eindeutig eine Gefahr, besonders wenn es uns von einem dunklen Wesen verabreicht wird«, sagte ich kleinlaut.
Jo schlug sich theatralisch vor die Stirn. »Wer denken kann, ist klar im Vorteil. Hätte uns echt auch selbst einfallen können, aber was soll es. Wozu hast du schließlich eine innere Wächterin.« Er grinste.
>Um dir bei Gefahr zu helfen, nicht als Babysitter<, sagte diese.
»Übertreibe es nicht!«, entgegnete ich lautlos, »Ich habe gerade einiges im Kopf!«
>Wie zum Beispiel X?<, erkundigte sich die Wächterin.
»Den nun gerade nicht!«, erwiderte ich bestimmt.
»Leute, wir müssen los! Meine Mutter ist eh fuchsteufelswild, weil mein Vater darauf bestanden hat, dass sie den Hausarrest weiter lockert. Wenn sie auch noch auf uns warten muss, nimmt sie das als Anlass, ihn zu erneuern.« Jo erhob sich und ich reichte ihm die Krücken. Noah stellte derweil die Teller auf das Tablett.
»Lass, ich bringe es weg«, sagte ich, nahm ihm das Tablett ab und stellte es auf den drei Schritte entfernten Geschirrwagen. Ich sah zum Tresen. X drehte mir den Rücken zu und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er das absichtlich tat. Sein Problem. Noch jemanden, der herummaulte, brauchte ich nun echt nicht. Ich verließ das Café und meinte zu spüren, wie Xs Blicke mich nun doch verfolgten. Ich widerstand der Versuchung, mich umzudrehen und zu überprüfen, ob ich recht hatte.
Frau Dräxler fuhr uns schweigend zum Krankenhaus. »Um 18:00 Uhr gibt es Abendbrot«, war alles, was sie sagte, als wir ausstiegen.
Jo nickte. »Ich bin pünktlich«, versprach er.
»Danke fürs Fahren, Frau Dräxler«, sagte ich und Noah reichte ihr die Hand. Frau Dräxler ergriff sie kurz, nickte mir zu und legte den Gang ein.
Seufzend schloss Jo die Autotür. »Ich hoffe, sie kriegt sich bald wieder ein, sie ist gerade unausstehlich.« Er sah zum Krankenhaus. »Und wo wir gerade von unausstehlich sprechen: Wenn wir wirklich zu Sylvia wollen, lasst uns los, bevor mich der Mut verlässt.« Er zog eine Grimasse.
Im Eingangsbereich angekommen, gingen wir zum Informationsschalter, erkundigten uns nach dem Weg zu Station C und standen wenig später vor Sylvias Zimmer.
»Auf in den Kampf.« Jo verzog das Gesicht. »Schade, dass ich keine Kamera dabei habe. Das Gesicht, das Sylvia gleich machen wird, würde ich gerne für die Nachwelt festhalten.«
Ich kicherte, drückte die Türklinke runter und die Tür schwang lautlos auf. Sylvia blickte uns mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck entgegen. Er verwandelte sich sofort in einen Ausdruck völliger Verblüffung, als sie uns erkannte. Auch die unzähligen neongrünen Punkte auf ihrer Nase konnten ihn nicht mindern, allerdings zeigten sie deutlich, dass sie von etwas heimgesucht wurde.
»Was wollt ihr denn hier?«, fragte sie angewidert.
»Ja, wir freuen uns auch, wenn wir dieses Zimmer wieder verlassen können«, entgegnete Jo und machte sich auf den Weg zu dem einzigen Stuhl im Raum.
Noah und ich folgten ihm. Ich schloss die Tür hinter mir.
»Was ihr hier wollt, habe ich gefragt!« Sylvias Stimme klang schrill und ich konnte sehen, wie ihr Blick zum Notknopf huschte.
»Na, da hat aber jemand ein schlechtes Gewissen«, meinte Jo, dem ihr Blick wohl auch nicht entgangen war.
»Keine Sorge, wir sind hier, um dir zu helfen, nicht um dir zu schaden«, beruhigte sie Noah.
»Sprich für dich«, murmelte Jo und ließ sich auf den Besucherstuhl sinken.
Wieder musste ich kichern und auch Jo verzog das Gesicht. Sylvia blickte verwirrt von einem zum anderen und sah dabei so unfreiwillig komisch aus, dass ich mir das Lachen echt verkneifen musste.
>Würdest du jetzt bitte mit dem Wesentlichen beginnen?<, erkundigte sich die Wächterin ungeduldig.
»Geht los«, entgegnete ich lautlos, stellte mich ans Fußende von Sylvias Bett und sagte: »Wir wissen, dass das, was dir passiert ist, kein simpler Unfall war. Was wir nicht wissen ist, was ihn verursacht hat. Was war es? Ein Kobold, ein Poltergeist? Hat das Wesen dich erschreckt oder hat es von dir Besitz ergriffen?« Ich sah Sylvia abwartend an.
Sie erstarrte für einen winzigen Augenblick, erholte sich aber schnell. »Kobold, Poltergeist? Habt ihr sie noch alle? Ha, ha, die Komtesse hat sich das Bein gebrochen und das Fußvolk hatte seine dreißig Sekunden um sich darüber lustig zu machen, aber jetzt reicht es. Raus hier oder ich rufe die Schwester!« Sie griff nach dem Notknopf, doch Noah, der am Kopfende ihres Bettes stand, war schneller und hielt ihn mit einem Lächeln außer Reichweite. Auch Sylvias Hände waren mit grünen Flecken gesprenkelt.
»Ich schreie!«, drohte sie.
»Sei nicht albern«, sagte ich gelassen und sie sah mich verblüfft an. »Das Wesen wird dich nicht in Ruhe lassen. Du wirst immer wieder Unfälle haben, bis es ihm endlich gelingt, dich umzubringen und danach oder vielleicht auch davor, deinen Vater. Denn wenn es nur deinen Körper haben wollte, würdest du jetzt nicht hier liegen, sondern wie eine Marionette durch die Gegend laufen. Glaube mir, es wird nicht eher ruhen, bis ihr beide tot seid. Ich weiß zwar noch nicht, was es ist und warum es hinter euch her ist, aber ich weiß, dass Jo, Noah und ich die Einzigen sind, die euch helfen können, es loszuwerden.«
Sylvia blickte von mir zu Jo und Noah und wieder zurück zu mir. »Ihr meint das tatsächlich ernst, oder? Ihr braucht dringend ärztliche Hilfe!«
Bevor jemand etwas erwidern konnte, öffnete sich die Tür und ein gutaussehender Mann mit rotbraunen Locken schaute ins Zimmer. Seine rechte Hand war notdürftig bandagiert. Auf seinem Gesicht und der gesunden Hand befanden sich neongrüne Punkte.
»Oh, du hast Besuch, wie schön«, sagte er zu Sylvia, trat in den Raum und wandte sich zu uns. »Ich bin Wolfgang von Kastanienburg, Sylvias Vater. Ich würde euch gerne die Hand geben, aber die tut zur Zeit gerade verflixt weh.«
»Ich bin Christina Stahl«, stellte ich mich vor, »und das sind meine Freunde Jo Dräxler und Noah Ahadi.«
Herr von Kastanienburg merkte auf. »Christina Stahl? Dann bist du Raquels Tochter! Ich freue mich, dich kennenzulernen. Deine Mutter ist eine außergewöhnliche Frau und ich bin froh, dass wir sie für unser Museum gewinnen konnten. Ich will euch auch gar nicht weiter stören. Ich wollte nur schnell vor dem Röntgen bei Sylvia vorbeischauen.« Er beugte sich über seine Tochter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich komme nachher noch mal wieder«, versprach er und wandte sich zum Gehen.
»Papa, warte«, bat Sylvia. »Deine Hand, wie ist das passiert?«
»Ach, das war ein dummer Unfall.« Herr von Kastanienburg winkte mit der gesunden Hand ab. »Ich war im Weinkeller, um eine Flasche heraufzuholen, und als ich zum Lichtschalter griff, fiel die Tür wieder zu. Es muss irgendwo ein Fenster offen gestanden haben. Gott sei Dank ist die Kellertür ja nur aus Holz. Wenn sie aus Eisen wäre, hätte das Ganze schlimm ausgehen können. Aber nun lasse ich euch wieder alleine. Viel Spaß noch, und bis nachher, Prinzessin. Mache dir keine Sorgen, die Hand ist bestimmt nur geprellt.« Mit einem Lächeln verließ er das Zimmer.
Eine ganze Weile sagte niemand etwas, dann flüsterte Sylvia: »Es war kein Kobold, es war ein Geist. Eine Frau.«
»Eine Frau?«, fragte Jo verblüfft, fing sich aber sofort wieder. »Warum überrascht mich das eigentlich? Schließlich wissen wir alle, wie gemein Frauen schon in jungen Jahren sein können.« Er schenkte Sylvia ein strahlendes Lächeln, was diese mit einem bitterbösen Blick quittierte.
»Erzähl uns bitte mehr von dem Geist«, sagte ich schnell.
Sylvia holte tief Luft und berichtete: »Ich war auf dem Weg zum Tennistraining und wollte gerade die Treppe unserer Eingangshalle runter, als plötzlich diese Frau auftauchte. Sie trug ein schlichtes, weißes Kleid und ich hätte sie wahrscheinlich für eine neue Angestellte gehalten, wenn das Kleid nicht lang und etwas altmodisch und ihre schwarzen, lockigen Haare offen gewesen wären. Sie stellte sich mir in den Weg und zischte: „Euer Hochmut und eure Habgier haben mein Leben zerstört, doch ich will nicht eher ruhen, bis der letzte Schönbrunn zerstört und vernichtet ist!“ Ich erinnere mich so genau an die Worte, weil ich ihr gerade klarmachen wollte, dass ich keine Schönbrunn bin, als sie sich vor meinen Augen verwandelte. Ihr Gesicht wurde zum Totenschädel, ihr Körper zu einem Skelett, das Kleid war plötzlich zerrissen und sie versuchte, nach mir zu greifen.« Hier machte Sylvia eine kurze Pause und krallte die Hände in ihre Bettdecke. Sie räusperte sich und sprach dann weiter: »Ich wich ihr aus, verpasste die erste Stufe, fiel die Treppe hinunter und verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, lag ich hier im Krankenhaus. Wie ihr euch denken könnt, habe ich niemandem davon erzählt und ich werde jedes Wort bestreiten, solltet ihr die Geschichte verbreiten wollen.«
Ich ignorierte den letzten Teil des Satzes und fragte: »Kam dir der Geist bekannt vor? Hast du ihn vielleicht schon mal auf alten Familienfotos gesehen?«
»Was willst du denn damit sagen?«, erkundigte sich Sylvia beleidigt. »Dass es in unserer Familie Verrückte gegeben hat, die jetzt als Geister umgehen und versuchen, andere zu ermorden?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht und genau das ist das Problem. Ich muss so viel wie möglich über den Geist herausfinden. Das macht es einfacher, ihn wieder loszuwerden. Wenn du ihn nicht gerufen hast ...« Ich machte eine Pause und sah Sylvia an, die entrüstet den Kopf schüttelte. »Dann wird es wohl deine Urgroßmutter gewesen sein. Sie hat gerne mit Magie herumgespielt. Bist du sicher, dass der Geist, nennen wir ihn einfach die „wütende Dame“, bis wir den richtigen Namen wissen, nicht doch noch irgendwas gesagt hat, das uns weiterhelfen könnte?«
Sylvia sah mich mit offenem Mund an. »Cecile Schönbrunn hat den Geist gerufen? Natürlich. Kannst du mir mal verraten, warum sie das gemacht haben soll?«
»Glaub es mir einfach«, entgegnete ich. »Was ist nun, kannst du dich noch an etwas anderes erinnern?«
Sylvia schien etwas erwidern zu wollen, schloss aber nach einem Blick auf mein Gesicht den Mund. Sie wirkte irritiert. Schließlich sagte sie: »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, als ich die Treppe runter gefallen bin, habe ich noch gehört, wie sie ein Amulett erwähnte, das niemand je finden würde.«
Ich nickte. »Das könnte wichtig sein«, sagte ich anerkennend und Sylvia schenkte mir das erste aufrichtige Lächeln, seit wir uns kannten. »Du musst uns gleich am Tag deiner Entlassung zu dir nach Hause einladen«, fuhr ich fort. Sofort erstarb das Lächeln auf ihrem Gesicht. Ich tat, als würde ich es nicht bemerken, und sprach weiter: »Du solltest der „wütenden Dame“ keine zweite Chance geben und auch deinen Vater warnen. Er muss vorsichtig sein. Lass dir was einfallen.«
Sylvia verzog das Gesicht. »Euch zu mir nach Hause einladen? Das kommt gar nicht in Frage. Was sollen denn meine Freunde denken?«
Ich ignorierte sie und kramte in meiner Schultasche nach einem Stück Papier. Schließlich riss ich ein Stück von einem Block ab. »Hier, das sind meine Telefonnummern. Ruf mich an, sobald du weißt, wann du entlassen wirst. Wir kommen dann zu dir. Wenn es dir peinlich ist, kannst du deinem Vater ja sagen, dass wir dir die Hausaufgaben bringen«, fügte ich hinzu.
»Mein Vater ist nicht das Problem«, erwiderte Sylvia und nahm zögernd den Zettel entgegen. »Wie spät ist es?«, fragte sie unvermittelt.
»Kurz nach drei«, sagte Noah. »Warum?«
»Oh.« Sylvia wurde blass. »Ihr müsst verschwinden, schnell!«
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