Rückkehr zu Gott

- -
- 100%
- +
326 Grundmann 1977, 9546. Vgl. Alanus von Lille (+1202), De fide contra hereticos, PL 210, c. 8.
327 Grundmann 1977, 9650. Vgl. Wilhelm von Puy-Laurens, Cronica (Prolog), ed. Beyssier 1904, 119.
328 Vgl. Grundmann 1977, 9954. AlberichL von Troisfontaines, MGScr. XXIII, 878, bezeichnet die Sektierer aus Metz als Waldenser.
329 Vgl. Grundmann 1977, 97: Der Brief des Bischofs ist nicht erhalten. Die Fragen ergeben sich jedoch aus dem Antwortbrief des Papstes an den Bischof und das Kapitel von Metz vom 12. Juli 1299 (PL 214, Sp. 698f.) und aus einem Hirtenbrief an Stadt und Bistum Metz (undatiert, PL 214, 695ff.).
330 Vgl. Grundmann 1977, 98.
331 Vgl. Grundmann 1977, 99.
332 Grundmann 1977, 10055. Vgl. PL 214, Sp. 698f.
333 Vgl. u.a. Hellmeier 2007; Angenendt 2005, 61; Jordan von Sachsten, Anfänge, 2002, 3; Wolter 1999, 219 – 223; Koudelka 1989; Grundmann 1977, 100 – 118.
334 Türkischsprachiges Steppenvolk (vom Kuma-Fluss [im Nordkaukasus]), das im 11. Jh. in Ungarn eindrang; um 1240 wurden die Kumanen z.T. von den Mongolen unterworfen bzw. siedelten sich fest in Ungarn zwischen Theiß und Donau an (Kumanien). Seit 1350 wurden sie christianisiert (vgl. Das aktuelle Wissen-Lexikon, Bd. 12, 2004).
335 Vgl. Koudelka 1989, 15.
336 Grundmann 10262. Vgl. Petrus von Vaux-Cernay, hist. Albigensis, ed. Luchaire 1908, c.3 S. 12.
337 Vgl. Grundmann 1977, 103.
338 Grundmann 1977, 10364. Vgl. Epistel 7, 76, PL 215, Sp. 358ff.
339 Grundmann 1977, 10466. Vgl. Epistel 9, 185, PL 215, Sp. 1024f.
340 Jordan, Anfänge, 2002, 41.
341 Jordan, Anfänge, 2002, 51f.
342 Ein Grund dafür war die nicht gelöste Frage der Frauenklöster: Siehe zweiter Teil, sechstes Kapitel, II.
343 Vgl. Grundmann 1977, 10158. Vgl. Petrus von Vaux-Cernay, hist. Albigensis, ed. Luchaire 1908, c.6 S. 20f.; Wilhelm von Puy-Laurens, Cronica, c.8, ed. Beyssier 1904, 127.
344 Grundmann 1977, 107.
345 Vgl. Grundmann 1977, 109.
346 Vgl. Grundmann 1977, 118: Im Jahre 1210 versöhnte sich die Kirche mit einer anderen Gruppe von Wanderpredigern unter der Führung des Bernard Prim und Wilhelm Arnaldi (Siehe ebd.118-127); im selben Jahr kam vermutlich auch Franz von Assisi mit elf Gleichgesinnten nach Rom, um die Erlaubnis zur apostolischen Predigt und zum Leben in Armut zu erhalten.
347 Vgl. Grundmann 1977, 110f.
348 Vgl. Grundmann 1977, 111.
349 Vgl. Grundmann 1977, 112.
350 Vgl. Grundmann 1977, 115.
351 Vgl. Grundmann 1977, 113.
352 Vgl. Grundmann 1977, 115f.: „In Aragonien werden die Prediger von den Zivilbehörden verfolgt. Fast überall sucht man ihnen die Almosen zu entziehen, von denen sie leben wollten. Immer von neuem wurden sie als Ketzer verdächtigt. Man versuchte ihnen gegen ihren Willen andere Vorsteher aufzudrängen.“
353 Vgl. Grundmann 1977, 116. 136. 140.
354 Grundmann 1977, 128; vgl. Hauschild 1995, 319 – 324.
355 Vgl. Wolter 1999, 224.
356 Franziskus erwies sich bei den Konsultationen als schwieriger Verhandlungspartner: So schlug ihm die Kurie z.B. vor, er und seine Gefährten sollten als Mönche und Eremiten leben und eine der bestehenden Ordensregeln übernehmen. Franziskus lehnte ab. Mit Hilfe von Kardinal Johann Colonna gab die Kurie den Wünschen des Franziskus nach. (Vgl. Grundmann 1977, 129 – 132).
357 Vgl. Grundmann 1977, 129.133.
358 Vgl. Grundmann 1977, 134.
359 Grundmann 1977, 133.
360 Vgl. Wolter 1999, 225.
Sechstes Kapitel
Die religiöse Frauenbewegung
In Belgien, Nordfrankreich und Deutschland war die religiöse Bewegung vor allem eine Frauenbewegung.361 Zunächst entwickelten sich die religiösen Frauenbewegungen – von der Kurie wenig beachtet wegen der Ketzerbewegungen in Südfrankreich und Norditalien – in den Orden und Klöstern, aber ebenso in sektiererischen Kreisen. Wichtig ist, dass die der Ketzerei beschuldigten Bewegungen Nordeuropas einen anderen Charakter aufwiesen als in Südfrankreich. Zwar waren dort auch Katharer oder ähnliche Gruppen, die ein dualistisches Weltbild vertraten, mehr oder weniger stark verbreitet. Doch im Allgemeinen zeichneten sich diese Gruppen durch die Ablehnung der kirchlichen Sakramente, vor allem der Ehe, der Kindertaufe und der Eucharistie aus. Ihr Lebensstil unterschied sich jedoch kaum von dem eines normalen katholischen Christen.362 Es zeigt sich auch hier, dass ein der kirchlichen Ordnung widersprechender Lebensstil zur Verurteilung führte.
Die Frauen fügten sich zunächst in das Ordens- und Klosterleben ein. Vor allem Prämonstratenser und Zisterzienser waren eine Anlaufstelle für fromme Frauen, denn diese Orden verfolgten das gleiche Ziel. Beide Orden boten durch die Gründung von sog. Doppelklöstern Frauen aller Schichten zum ersten Mal die Möglichkeit,
„in strenger Klausur, in unbedingter Verpflichtung zu enthaltsamem, armen, beschaulichen Leben eine Daseinsform im Sinne der die Zeit bewegenden religiösen Ideen zu verwirklichen.“363
Als sich beide Orden jedoch von der Sorge um die religiösen Frauen zurückzogen, mussten die Frauen neue Formen religiösen Lebens finden.364
Es bildeten sich neue Gemeinschaften, die keinem Orden angehörten, keine der Ordensregeln befolgten, aber dennoch in aller Strenge in Keuschheit und Armut lebten und sich dem Gebet und Fasten verpflichteten.365 Aus diesen neuen Gemeinschaften ging das Beginentum hervor. Das höchste Ideal dieser Frauen war die Keuschheit um des Himmelsreiches willen. Da sie deswegen einen ähnlichen Lebensstil wie der verurteilte Ketzer pflegten, waren sie dem Misstrauen und den Angriffen des Klerus – oft hilflos – ausgesetzt. So konnte es passieren, dass eine Frau, die ihre Keuschheit gegen einen aufdringlichen Kleriker verteidigte, von diesem der Ketzerei beschuldigt wurde.366 Aus diesem Grund wurden diese Frauen, da sie einzeln oder in Gemeinschaften in Armut und Keuschheit lebten, „mit demselben Ketzernamen wie die Katharer in Südfrankeich“367 bezeichnet: Beginen.368 Aber auch Männer, wenn sie z.B. den Lebensstil des Klerus kritisierten, mussten mit Anschuldigungen rechnen.369 Die einzige Autorität, die verdächtigten Frauen und Männern vor ungerechtfertigten Angriffen des Klerus Schutz bot, war der Papst in Rom. Er vermochte es, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen.370 So erschien 1216 der Augustiner-Chorherr Jakob von Vitry (um 1165 – 1240) in Rom. Der Bischof und spätere Kardinal brachte ein Anliegen vor die Kurie, das „die religiöse Bewegung in Flandern, Frankreich und Deutschland betraf.“371 Er – gerade erst zum Bischof von Akkon gewählt – erwirkte von Papst Honorius III. (1216 – 1227)
„für die ‚frommen Frauen im Bistum Lüttich und in ganz Frankreich und Deutschland‘ die päpstliche Erlaubnis, in Gemeinschaftshäusern zusammenzuwohnen und einander durch gegenseitige ‚Ermahnungen‘ im rechten Tun zu bestärken; das heißt: klösterliche Frauengemeinschaften ohne Anschluss an einen bestehenden Orden und ohne Annahme einer approbierten Klosteregel zu bilden und Erbauungspredigten oder Exhorten in diesen Gemeinschaften zu halten.“372
Schon seit Beginn des 13. Jahrhunderts hatten sich in Nordeuropa zahlreiche außerklösterliche Formen der weiblichen Religiosität gebildet – nicht nur in Belgien, sondern auch in Frankreich, Deutschland (z.B. Köln373, Speyer374); fromme Frauengemeinschaften fanden sich in Thüringen, Böhmen, sogar in England375 und Griechenland.376 Zu dieser Zeit war die Bezeichnung Begine jedoch nicht mehr mit einem Makel behaftet.377
Will man aber den Charakter der religiösen Frauenbewegung in Nordeuropa zu Beginn des 13. Jahrhunderts festhalten, darf man sich – so Grundmann378 – nicht auf das eigentliche Beginentum beschränken, das sich erst im Laufe der Zeit gegenüber anderen Formen der Frauenfrömmigkeit weiter entwickelt hat. Genauso wenig darf man sich auf Kenntnisse über das spätere Beginenwesens beziehen, um daraus auf das Wesen der religiösen Bewegung im 13. Jahrhundert zu schließen. Vielmehr gilt es, „den gemeinsamen Gehalt und die gleichartige Bedeutung der gesamten religiösen Frauenbewegung dieser Zeit“379 in den Blick zu nehmen, um von dorther zu verstehen, wie sich die religiöse Frauenbewegung – durch Maßnahmen der Kurie, der religiösen Orden, z.B. des Dominikanerordens, und der Frauengemeinschaften selbst – zu verschiedenen Organisationsformen weiterentwickelt hat.
„Mit der allgemeinen religiösen Bewegung ihrer Zeit hat die Frauenbewegung das Ziel einer christlichen Lebensgestaltung in evangeliengemäßem Sinne gemein, das sie vor allem durch freiwillige Armut und Keuschheit zu erreichen glaubt.“380
Von der als häretisch verurteilten Armutsbewegung unterscheidet sich die religiöse Frauenbewegung hauptsächlich durch den Verzicht auf die apostolische Wanderpredigt und auf Polemik gegen den Klerus.
Die religiösen Frauenbewegungen entstanden vermutlich nicht aus emanzipatorischen oder sozialen Gründen; zu den Gemeinschaften gehörten auch nicht ausschließlich Frauen aus den untersten Schichten bzw. Frauen, die aufgrund des Männermangels infolge der Kreuzzüge keine Ehe eingehen konnten und nach einer anderen „Versorgung“ Ausschau halten mussten. Zur religiösen Frauenbewegung gehörten vielmehr alle Schichten der Bevölkerung, besonders aber die oberen Schichten. Reiche und adlige Frauen suchten nach neuen Möglichkeiten, ein intensives religiöses Leben zu führen:
„Die Zisterzienserinnen in Belgien wie in Deutschland kamen zum allergrößten Teil aus dem Adel oder aus dem städtischen Patriziat; dass sie nicht Nonnen wurden, um dadurch ‚versorgt‘ zu sein, lässt sich selbst aus den dürftigen Zeugnissen, die wir über diese Klöster haben, hinreichend erweisen.“381
Auch für Jakob von Vitry sind die Ursachen für die Entstehung der religiösen Frauenbewegung und von Beginengemeinschaften allein religiöser Natur:
„Er habe, betont er, viele Frauen darunter gesehen, die den Reichtum ihrer Eltern verschmäht und die Ehe mit vermögenden und vornehmen Männern ausgeschlagen hatten, um in Armut, von der Arbeit ihrer Hände lebend, dürftig in Nahrung und Kleidung, sich ganz ihren religiösen Zielen zu widmen.“382
Man kann in dieser Haltung durchaus einen Protest gegen die „Folgeerscheinung der Anfänge des Kapitalismus“383 sehen:
„Es kann kein Zufall sein, dass die religiöse Armutsbewegung sich am kräftigsten und eigenartigsten in jenen Gebieten entfaltet hat, in denen im 12. Jahrhundert auch der Handel und die Industrie die bedeutendsten Fortschritte gemacht haben: in der Lombardei, in Südfrankreich und in Belgien. Überall in diesen Ländern hat sich die Idee der freiwilligen christlichen Armut zugespitzt zu der Losung, auf die Nutznießung ‚unrecht erworbenen Gutes‘ zu verzichten und stattdessen von der Arbeit seiner Hände oder aber von Almosen zu leben.“384
Man würde die religiöse Frauenbewegung jedoch falsch einschätzen, sähe man in ihr ausschließlich eine gezielt agierende Protestbewegung:
„Die Idee der freiwilligen Armut hat, auch außerhalb der Klöster, zu wirken begonnen und weite Kreise erfasst, als von solchen wirtschaftlich-sozialen Ursachen noch gar nicht die Rede sein konnte, und sie hat ihre Polemik zuerst nicht gegen wirtschaftliche, sondern gegen kirchliche Erscheinungen gerichtet: der innere Widerspruch zwischen Lebensweise des Klerus und den Forderungen der Evangelien ist der erste Anstoß ihrer Entfaltung.“385
Auch wenn die Motivation dieser Frauen nicht leicht auszumachen ist386, das Grundanliegen war und blieb ein religiöses Leben: Es kann – mit Dinzelbacher gesprochen – „kein Zweifel bestehen, dass persönliches Heilsstreben ein, wenn nicht überhaupt der ausschlaggebende Beweggrund für die meisten jener Frauen war.“387
I. Die Beginen
Im 13. Jahrhundert waren die Frauenklöster der Zisterzienser wie die der Dominikaner und Franziskaner nicht in der Lage, alle Frauen aufzunehmen, die nach einem religiösen Leben strebten. Darüber hinaus war die Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Inkorporation in einen bestehenden Orden die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauengemeinschaften. Aus diesem Grund nahmen die Frauenklöster – die ohnehin überfüllt waren – ausdrücklich einflussreiche und vermögende Frauen auf. Für sehr viele Frauen, die aus weniger begüterten Verhältnissen kamen, blieb dann der Weg in ein solches Kloster verschlossen.388 Darum bildeten sich neue Gemeinschaftsformen, in denen Frauen ein religiöses Leben führten, ohne zu einem klösterlichen Verband zu gehören. Diese frommen Frauen wurden seit den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts Beginen genannt.389 Trotz des Konzilsbeschlusses von 1215, es dürften keine neue Ordensformen gebildet werden, neue Gemeinschaften müssten sich vielmehr den bestehenden Ordensgemeinschaften anschließen390, gestattete Papst Honorius III. 1216 ausdrücklich diese neuen Lebensformen.
„Das Beginentum ist also nicht eine absichtlich und planvoll geschaffene Sonderform des religiösen Lebens, sondern das Ergebnis der religiösen Frauenbewegung, soweit sie nicht Aufnahme fand in den neuen Orden.“391
Obwohl die Beginen von einzelnen Förderern unterstützt wurden – wie z.B. Jakob von Vitry, Robert von Grosseteste, Robert von Sorbonne; Jakob Pantaleon hat sogar eine Regel für eine Beginengemeinschaft verfasst – existierte weder eine einheitliche Organisation mit einer gemeinsamen Regel, noch erhielten sie die Anerkennung als selbstständige Ordensform. So bildete das Beginenwesen eine
„seltsame Zwitterform zwischen den kirchlichen Ordnungen dieser Zeit, nicht eigentlich zu dem Mönchsstand der Religiosi gehörend, da es kein approbierter Orden war, aber auch nicht zum Laienstand der Saeculares, da die Beginen das saeculum verließen, Keuschheit gelobten und in Gemeinschaften eine vita religiosa führten.“392
Doch gerade diese Zwitterform zwischen den kirchlichen Ordnungen ist dem Beginentum zum Verhängnis geworden.393 Seit Beginn des 13. Jahrhunderts vermehren sich die kritischen Stimmen zum Beginentum, wobei die Stimmen, die von Gegnern der Beginen kommen, sehr kritisch gelesen werden müssen.394 Glaubwürdiger ist dagegen die Kritik Mechthilds von Magdeburg (1208/10 – 1282/94) am Lebensstil von Beginen. Mechthild lebte selbst als Begine und trat gegen Ende ihres Lebens in das Kloster zu Helfta ein. Ihre Kritik richtet sich gegen die Eigenwilligkeit im geistlichen Leben. Deshalb unterscheidet sie in ihrem Buch „Das Fließende Licht der Gottheit“395 zwischen einer „wahren geistlichen Schwester und ... einer weltlichen Begine“396:
„Die geistliche Schwester spricht aus dem Licht des Heiligen Geistes ohne Herzeleid, aber die weltliche Begine spricht aus ihrem Fleisch mit Luzifers Geist mit gräulichem Aufwand.“397
So berichtet Mechthild über eine verstorbene Begine, die sich aus Liebe zu Gott zu Tode kasteit hat. Als Mechthild für sie betete, sah sie „ihren Geist wie eine klare Sonne“398, aber gleichzeitig war er von einer „großen Finsternis umfangen“399:
„Sobald sie in einer Erhebung war, lagerte sich immer finstere Nacht davor. Das war der Eigenwille ohne Rat, der diesen vollkommenen Menschen so sehr (von Gott) zurückhielt ... . Da antwortete sie: ‚Ich wollte auf Erden keines Menschen Rat nach christlicher Ordnung folgen‘.“400
Mechthild ist von großer Sorge erfüllt über das geistige Leben ihrer Beginen-Schwestern:
„O ihr überaus törichten Beginen, was seid ihr so vermessen, dass ihr vor unserem allmächtigen Richter nicht zittert, wenn ihr Gottes Leib so oft in blinder Gewohnheit empfangt! Obwohl ich die Geringste unter euch bin, muss ich mich nicht schämen, erröten und beben.“401
Mechthild legte großen Wert darauf, sich als Begine einer geistlichen Führung zu unterstellen.402 Die Einbindung in die christliche Ordnung der Kirche war für sie ganz selbstverständlich und sollte geistige Verirrungen verhindern. Geistige Verirrungen blieben, wie auch bei anderen religiösen Gruppen, nicht aus. Vor allem aber wurden Beginen, wenn sie nicht in Beginenhöfen lebten und stattdessen beispielsweise bettelnd umherzogen, häufig der Ketzerei beschuldigt, z.B. der der Freigeisterei. Dies wurde auch dem geregelten Beginenwesen zum Verhängnis.403
Drei Gutachten aus dem Jahre 1273 über das religiöse Leben in Europa – erstellt für das Konzil von Lyon (1274) – befassen sich ebenfalls mit dem Beginenwesen und kommen zu einem übereinstimmenden Urteil. Der Dominikaner Humbert von Romans beschreibt die Situation der Kirche in Südfrankreich:
„Nach einer Klage über die maßlose Zunahme von Bettelmönchen, religiosi pauperi, die aller Welt zur Last fallen, vielfach nicht als Mönche, sondern als Landstreicher bezeichnet werden und das Ansehen des Mönchsstandes gefährden, wendet er sich gegen die mulieres religiosae pauperes, die in Dörfern und Städten herumziehen, um ihren Lebensunterhalt zu suchen. Um diese bedenkliche und anstößige Erscheinung zu beseitigen, soll die Kirche nach seinem Rat nur solche religiöse Frauen- gemeinschaften anerkennen, die bei strenger Klausur, ohne auf Almosen angewiesen zu sein, ihre Bedürfnisse aus eigenen Mitteln bestreiten können.“404
Auch Bischof Bruno von Olmütz, der über die religiösen Zustände im ostdeutschen Sprachgebiet ein Gutachten erstellt hat, erwähnt religiöse Erscheinungen, deren Zugehörigkeit zum Beginentum unverkennbar sei405:
„Er klagt über Leute, Männer sowohl als vor allem junge Frauen und Witwen, die sich, ohne einem päpstlich approbierten Orden anzugehören, als Religiosi aufführen, kleiden und bezeichnen. Sie schließen sich keinem gültigen Orden an, um niemanden gehorchen zu müssen und um, wie sie meinen, in solcher Freiheit Gott besser dienen zu können. Sie glauben sich aber andererseits auch dem Gehorsam gegen den Pfarrklerus enthoben, bei dem sie weder beichten noch von ihm die Sakramente empfangen wollen, als seien sie in seiner Hand unrein. Sie laufen überdies müßig und geschwätzig in den Städten herum und gefährden dadurch oft genug ihren Ruf und ihre Tugend.“406
Der Franziskaner Gilbert von Tournai schließlich befasst sich mit der Situation in Nordfrankreich und Belgien.407 Er weist in seinem Gutachten ausdrücklich auf die Gefahren unter den Frauen hin, „die man Beginen nennt“408. Er warnt vor häretischer Gefährdung des Beginentums: Sie beschäftigen sich mit theologischen Fragen und verwenden dazu in ihren Konventikeln religiöse Schriften in der Volkssprache und französische Bibelerklärungen, die Gilbert selbst gelesen und untersucht haben will. Diese seien „so voller Irrtümer und Ketzereien, zweifelhafter und falscher Schriftdeutung, dass bei den Beginen, die solche Schriften lesen, unvermeidlich irrige und ketzerische Meinungen überhand nehmen müssen.“409 Um den Gefahren zu begegnen, fordert Gilbert, solle man die gefährlichen Bücher vernichten. Gegen die theologischen Grübeleien der Beginen selbst vorzugehen, fordert er indes nicht. Darüber hinaus berichtet er über ein weit verbreitetes Gerücht, eine dieser Beginen habe die Wundmale Christi empfangen. Wenn das Gerücht zuträfe, solle dies öffentlich bekannt gemacht werden; anderenfalls müsse gegen die Heuchelei eingeschritten werden.410
Übereinstimmend fordern die drei Gutachter vom Konzil „kirchliche Maßregeln gegen das Beginentum“411 vorzunehmen. Das Konzil von Lyon (1274) aber ging auf die wirklichen Probleme des Beginentums nicht ein. Stattdessen erneuerte es den Beschluss des Konzils von 1215, nämlich das Verbot neuer Ordensformen. Man wollte damit das gesamte Beginenwesen treffen, erreichte so aber gar nichts. Denn viele Beginenhäuser konnten sich auf Schutzbriefe von Päpsten, Legaten und Bischöfen berufen, so dass der Konzilsbeschluss wirkungslos blieb:
„Ließ sich aber der Beschluss nicht grundsätzlich durchführen, so bot er auch keine Handhabe zur Bekämpfung der Schäden im Beginenwesen. Es wäre nötig gewesen, die Fragen der Aufsicht über die Beginen, die Zuständigkeit des Klerus oder der Orden für ihre Seelsorge und vor allem die Frage, wie man Beginen zur Klausur verpflichten, ihnen das Herumziehen und das Betteln verbieten konnte, durch allgemeine Verordnungen zu regeln.“412
Was dem Konzil nicht gelang, nämlich das Beginenwesen in seiner Ganzheit zu erfassen und eine einheitliche Ordnung zu schaffen, wurde dafür in einzelnen Regionen und Bistümern umgesetzt: Um 1284 befasste sich eine Diözesansynode in Eichstätt mit dem Beginenwesen. Die Synode sprach aus, was auf dem Konzil von Lyon nicht beachtet wurde: Das Beginentum habe sich durch das Fehlen einer einheitlichen Organisation zu so vielen Ausgestaltungen entwickelt. Darum sei es gar nicht möglich, eine allgemeine Regel für alle Beginen zu verfassen. Vielmehr komme es jetzt darauf an,
„die ehrbaren und unbescholtenen Beginen gegen die Verdächtigungen und Verleumdungen, denen sie ausgesetzt sind, zu schützen, indem gegen die verdorbenen und lasterhaften Beginen mit schärfsten Mitteln vorgegangen wird.“413
Aus den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts sind einige Beginenregeln erhalten, die einen Blick in das geregelte Beginenleben gestatten. Aus Straßburg sind die Statuten von drei Beginen-„Sammlungen“ von 1276 erhalten.414 Alle drei Beginenhäuser wurden von Dominikanern betreut. Mit Hilfe ihres Beichtvaters Friedrich von Ersteheim einigten sich die Beginen auf eine gemeinsame Regel:
„Alle Schwestern haben sich durch Handschlag auf diese Statuten verpflichtet, jede neu Eintretende hat dasselbe zu tun. Hält sich eine Frau länger als ein Jahr in der Gemeinschaft auf, so gilt sie dadurch als confessa et obligata. In erster Linie geloben alle Mitglieder, den Anordnungen der Magistra, der Subpriorin und des jeweiligen Beichtigers hinsichtlich der Ordnung und Aufsicht innerhalb des Hauses gehorsam zu sein. Wer sich diesen Anordnungen nicht fügt und die Statuten nicht befolgt oder die einträchtige Ordnung unter den Schwestern stört, ebenso wer sich eines unsittlichen Lebenswandels schuldig macht, wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen; die Entscheidung darüber hat die Magistra, die Subpriorin und die Mehrheit der Schwestern zu fällen.“415
Die meisten Bestimmungen der Regel gelten den Vermögensverhältnissen: Von einem Armutsgelübde oder vom Verzicht auf Privateigentum ist nicht die Rede, ebenso wenig von einem Gehorsamsgelübde gegenüber der Oberin. Dennoch sind die Regeln streng: Die Schwestern verlieren beim Eintritt in die Gemeinschaft die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen. Wird eine Schwester ausgeschlossen, bleibt alles, was sie mitgebracht hat, Eigentum des Hauses. Auch Verwandte haben keinerlei Erbansprüche. Will eine Schwester, nachdem sie länger als ein Jahr in der Gemeinschaft gelebt hat oder falls sie als Kind in die Gemeinschaft eingetreten ist und nachdem sie das 14. Lebensjahr erreicht hat, die Gemeinschaft verlassen, darf sie nur ihre Kleidung und ihr Bettzeug mitnehmen. Tritt sie jedoch in einen Orden ein, erhält sie zusätzlich einen Geldbetrag von fünf Pfund.416 Wir sehen:
„Der Austritt aus der Gemeinschaft war also grundsätzlich nicht unmöglich, denn er war nicht durch bindende und ewige Gelübde verwehrt, aber er zog den Vermögensverlust nach sich.“417
Hier wird nochmals deutlich: Die Beginengemeinschaften verstanden sich nicht als Versorgungsstätten für unbemittelte und unverheiratete Frauen, aus denen der Austritt möglich war, wenn sich eine bessere Möglichkeit der Versorgung ergab. Die Rückkehr in ein weltliches Leben wird nicht in Betracht gezogen, höchstens der Eintritt in einen Orden.418 Andererseits wird vorausgesetzt, dass Frauen, die einer Beginengemeinschaft beitreten, Vermögen an beweglichem und unbeweglichem Gut mitbringen. Frauen, die nicht erbfähig sind, werden sogar ausdrücklich von der Aufnahme in die Gemeinschaft ausgeschlossen.419 D.h. der Eintritt stand eher nur vermögenden Frauen offen. Ähnliche Merkmale wie in den Statuten der drei Straßburger Beginenhäuser finden sich auch in Satzungen anderer Beginengemeinschaften dieser Zeit.420
„Die Statuten der Beginenhäuser des 13. Jahrhunderts legen also, soweit wir sie kennen, alle übereinstimmend den größten Wert auf die wirtschaftliche Sicherstellung der Gemeinschaften teils durch das Vermögen der Schwestern, teils durch den Ertrag ihrer Arbeit.“421