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»Weil Sie in der Welt herumgondeln ohne Plan.«
»Ich hatte Feierabend«, knurrte Weller trotzig. Da hatte er sich den ganzen Abend um die Ohren geschlagen, die Pension beobachtet und nun wollte seine Kollegin nicht einmal hören, was er ermittelt hatte.
»Egal, Sie sollten sich bei mir melden. Lassen Sie demnächst Ihr Handy an!«, fauchte Mira und fuhr fort: »Nun machen Sie sich auf die Socken, und wir fahren zu diesen Bornfelds.«
»Frau Bornfeld war gestern in der Pension.«
Mira schaute Weller ungläubig an.
»Wieso? Ich verstehe nicht!«
Thorben Weller winkte ab.
»Vergessen Sie‘s!«
Mira sprang auf und schnappte sich ihre Jacke.
»Kommen Sie, und auf dem Weg berichten Sie mir von gestern Abend.«
Die Tür fiel ins Schloss, der Schlüssel drehte sich hörbar und Frauke fand sich in einem riesigen Zimmer wieder. Empört donnerte sie mit den Fäusten gegen die Tür, keine Reaktion. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf und ließ sich wenig später erschöpft in einen Sessel fallen. Erst jetzt sah sie sich im Zimmer um. Es war mit hellen Buchenmöbeln ausgestattet, in der hinteren Ecke stand ein Bett.
Angst überkam sie, verdrängte die Wut, mit klopfendem Herzen stand sie auf und sah durch die hohen, langen Fenster in den parkähnlichen Garten hinunter.
‚Ich will hier raus‘, dachte sie und versuchte einen der Fensterflügel zu öffnen, was ihr auch gelang.
Frische Luft drang herein, aber als sie sich hinausbeugte, stellte sie fest, dass sie sich mindestens im dritten Stock befand und ein Hinunterklettern unmöglich war. Seufzend ging sie weiter bis zu der Tür am anderen Ende. Sie führte in ein luxuriöses Bad, in dem es an nichts fehlte. Sie benutzte die Toilette, warf einen Blick in den Spiegel und überlegte, was zu tun sei.
Ihr Onkel, Herr Bornfeld, hatte sie freundlich empfangen, aber darauf bestanden, dass sie den Wagen weit entfernt vom Haus vor einem Kaufhaus abstellte. Schon dabei hätte ihr ein Licht aufgehen müssen, aber sie war so beeindruckt von dem Mann mit den dichten, blonden Haaren und den freundlichen, grauen Augen, dass sie alle Vorsicht vergessen hatte. Wieder im Haus zurück, war er nach einem kurzen Gespräch in der Eingangshalle mit ihr in den Fahrstuhl gestiegen und hatte sie gebeten, in diesem Zimmer auf ihn zu warten. Erst das Geräusch des Schlüssels brachte sie wieder auf den Boden der Tatsachen. Was zum Donnerwetter wollte der Typ von ihr? Würde er sie umbringen, wie ihre Tante? Sie lief aus dem Bad wieder in das Zimmer zurück und donnerte erneut an die Tür bis ihre Fäuste blaue Flecken hatten, nichts rührte sich. Dann ging sie ans Fenster und schrie hinaus:
»Hilfe! Hilfe!«
Keine Reaktion.
Mira Wiedemann jagte über die Straße, dass es Thorben Weller ganz schwindelig wurde.
»Müssen Sie so rasen? Wir sind in der Innenstadt.«
Mira beachtete seinen Einwurf nicht, fuhr unbeirrt weiter und hielt kurz darauf mit quietschenden Reifen vor dem Tor der Bornfelds. Sie sprang aus dem Wagen und bellte in die Sprechanlage, dass es jeden rechtschaffenen Bürger kalt überlaufen musste, was seine Wirkung nicht verfehlte. Das Tor öffnete sich augenblicklich, Mira schwang sich wieder hinter das Steuer und fuhr grinsend, als habe sie eine Schlacht gewonnen, hindurch. Der Hausherr erwartete sie bereits am Eingang, elegant wie zuvor, und begrüßte sie lächelnd.
»Frau Hauptkommissarin, was kann ich für Sie tun?«
»Wo ist Frauke Thomas?«
Herr Bornfeld wollte gerade zu einer Entgegnung ansetzen, als aus dem Haus eine empörte Stimme erklang und Sekunden später Verena Bornfeld an der Haustür erschien.
»Verschwinden Sie von unserem Grundstück!«, schnauzte sie, doch ihr Mann beschwichtigte sie mit sanften Worten.
»Die Herrschaften sind von der Polizei, Liebes. Sie suchen unsere Nichte, Frauke Thomas.«
So den Wind aus den Segeln genommen, schluckte Verena einmal kräftig und meinte noch immer leicht empört:
»Da kommen Sie zu uns! Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen.«
»Falsch!«, fuhr Weller dazwischen.
»Frau Thomas behauptet Sie in den Dünen am Strand gesehen zu haben.« Schnippisch zuckte Verena mit den Schultern.
»In den Dünen? Ich war seit Jahren nicht dort. Das kann nur ein Irrtum sein.«
Sie schaute von einem zum anderen, nickte ihrem Mann zu und verschwand mit schnellen Schritten im Haus. Bornfeld malte ein undefinierbares Bild mit der Schuhspitze in den Kies, zuckte mit den Schultern und seufzte:
»Wir können Ihnen leider nicht weiterhelfen.«
Ohne sich weiter um die Beamten zu kümmern, ging auch er hinein und warf die Tür hinter sich zu.
»Eine Unverschämtheit ist das!«, schnaubte Mira.
Weller stieg ohne ein Wort in den Wagen; nach kurzem Zögern tat sie desgleichen und fuhr langsam davon. Kaum im Wagen piepte Wellers Handy. Seine Schwester war am Apparat und erklärte aufgeregt, sie habe den Leihwagen von Frau Thomas vor einem Einkaufsmarkt gesehen. Wenig später standen die Beamten etwas ratlos vor dem Fahrzeug. Mira Wiedemann beäugte es von allen Seiten und informierte die Spurensicherung sowie den Autovermieter.
Sie war fest eingeschlafen, ein leises Geräusch an der Tür ließ sie erschreckt auffahren und augenblicklich wusste sie wieder, wo sie sich befand. Unhörbar setzte sie sich auf und starrte in den Raum. Es war dunkel, das Fenster zeichnete sich schwach vom Weiß der Wand ab.
Nur wenige Sekunden und ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Ein Schatten bewegte sich auf sie zu, instinktiv rollte sie sich zur Seite. Eine Taschenlampe flammte auf, irritiert blickte sie in den hellen Lichtkegel.
»Komm«, flüsterte der Mann, »schnell.«
Er schärfte ihr ein, leise zu sein, zog sie an der Hand zur Tür. Sie wich zurück, griff ihre Tasche, die sie neben sich aufs Bett gelegt hatte, und folgte ihm hinaus. Diesmal nahmen sie nicht den Fahrstuhl, sondern die Treppe. Fast geräuschlos glitten sie hinunter. Erst als er die schwere Haustür sanft hinter sich ins Schloss zog, atmete er auf und flüsterte:
»Ich bringe dich zu mir.«
Jetzt erst erkannte sie Friedrich Lust und blieb erstaunt stehen.
»Wie kommst du denn hierher?«
Ohne ihre Frage zu beantworten, griff er ihren Arm und raunte:
»Die Gefahr ist noch nicht vorüber.«
In diesem Moment ertönte ein Alarm. Ohne sie loszulassen, rannte er durch das Gebüsch bis zu der hohen Mauer, fasste ein Seil und kommandierte.
»Da hoch, schnell.«
Überall gingen Scheinwerfer an und tauchten den Garten in helles Licht. Sie wurden nur durch ein Gebüsch geschützt. Frauke zögerte eine Sekunde, krallte dann ihre Hände in das Seil und schwang sich mit Frieds Hilfe auf die Mauer. Er folgte ihr, und kaum waren beide oben, knallten Schüsse durch das Gebüsch. Ohne nachzudenken rutschten sie an der anderen Seite der Mauer hinunter auf die Straße. Fraukes Hände bluteten, ihre Hose hatte einen Riss, doch Fried zog sie mitleidslos weiter an einem Wagen vorbei in die nächste Seitenstraße. Jetzt erklang Hundegebell, noch im selben Moment hielt Fried ihr die Tür seines Wagens auf, und kaum eingestiegen, fuhr er mit quietschenden Reifen davon. Im Rückspiegel sah er, wie ein schwarzer Hund wild kläffend am Tor der Bornfelds emporsprang. Frauke hatte sich tief in den Beifahrersitz geduckt und schluchzte leise vor sich hin.
»Ist doch gut gegangen«, beruhigte er sie.
»Wie hast du mich gefunden?«
Er antwortete nicht und konzentrierte sich ganz auf den Straßenverkehr. Eine Stunde lang fuhren sie durch die Nacht, dann hielt er an einem kleinen Holzhaus. Beim Aussteigen hörte Frauke das Meer rauschen und sah, wie das Mondlicht die See in silbriges Licht tauchte.
»Wo sind wir hier?«, flüsterte sie.
»In Sicherheit.«
Er öffnete eine Holztür und machte Licht. Sie befanden sich in einem kleinen Wohnraum und Frauke betrachtete die liebevoll zusammengestellten Möbel aus hellem Holz.
»Möchtest du etwas essen?«
Sie schüttelte den Kopf. Er holte zwei Flaschen Bier, schüttete ihr ein Glas ein und trank selbst aus der Flasche.
»Ich kann auch aus der Flasche trinken. Meine Freunde haben bei unseren Partys draußen immer aus der Flasche getrunken.«
Sie lächelte ihn an. Ein dunkles, dankbares Lächeln. Nachdem sie beide den Durst gelöscht hatten, zeigte er ihr das Schlafzimmer. Sie zögerte.
»Wo schläfst du?«
»Im Wohnzimmer, auf der Couch.«
In einer plötzlichen Eingebung legte sie ihm die Hände in den Nacken, zog seinen Kopf zu sich heran und küsste ihn. Ein kühler Schauer fuhr durch seine Glieder, er fasste um ihre Taille und erwiderte den Kuss, dass es ihr den Atem nahm. Frauke ließ ihn gewähren, drängte sich an ihn. Seine Nähe, seine Wärme, sie brauchte das jetzt. Langsam mit zitternden Fingern fuhr sie unter sein T-Shirt.
Der Mond schien durch die Sprossenfenster auf das Bett und die beiden jungen Menschen vergaßen alles um sich herum.
Der Anrufbeantworter blinkte, als Mira Wiedemann gähnend ins Büro kam.
»Frauke Thomas ist in Sicherheit!«
Mehr war auf dem Band nicht drauf. Fluchend steckte Mira sich eine Zigarette an und warf sie gleich wieder in den Ascher. Der Arzt hatte ihr dringend geraten, sich das Rauchen abzugewöhnen. Momentan fiel es ihr besonders schwer. Vor sich hin brummelnd sank sie in ihren Drehstuhl und wählte die Nummer ihres Assistenten. Thorben Weller meldete sich verschlafen, war aber sofort hellwach, als sie ihn mit den neuesten Ereignissen konfrontierte und stand kaum eine halbe Stunde später vor ihrem Schreibtisch.
»Wer hat die Info abgegeben«, erkundigte er sich aufgeregt.
»Kein Name angegeben. Ich denke, das ist eine schöne Aufgabe für Sie.«
Weller, der sich persönlich für Frauke Thomas verantwortlich fühlte, seit er sie bei seiner Schwester untergebracht hatte, machte sich gleich an die Arbeit, und schon nach einer Stunde hatte er den Sprecher ermittelt.
»Die Handynummer gehört zu Friedrich Lust. Er muss die Thomas entführt haben.«
»Konnten Sie feststellen, von wo er angerufen hat?«
Weller schüttelte den Kopf.
»Trotzdem bin ich sicher, dass wir sie bald finden, denn Lust besitzt ein Wochenendhaus im Vogelschutzgebiet.«
»Ach.« Mira staunte nicht schlecht. »Woher wissen Sie das?«
»Alte Geschichte. Stand vor zwei, drei Jahren in der Zeitung. Er hatte das Grundstück geerbt und man wollte die Hütte abbrechen lassen, er hat sich gerichtlich dagegen gewehrt und Recht bekommen.«
Mira schüttelte den Kopf.
»Manche kriegen einfach alles hin.«
Thorben winkte ab.
»Er hat, so viel ich weiß, strenge Auflagen bekommen. Keine Partys, keine laute Musik und keinerlei Störung der Vögel während der Brutzeit.«
»Interessant! Das haben Sie herausbekommen?«
Mira steckte sich erneut eine Zigarette an, was Thorben mit einem empörten Blick registrierte.
»Ich bin im Naturschutzbund, außerdem habe ich ihn vor Kurzem gefragt.«
»Na, denn fahren Sie mal hinaus, um zu sehen, ob das Vögelchen dort ist.«
»Und ob ich das tue. Dann will ich wissen, welches Interesse er an der Puppe hat.«
Mira lächelte.
»Sie haben doch nicht etwa auch ein Auge auf sie geworfen?«
»Blödsinn!«
Sie hätte ihm geglaubt, wäre da nicht dieser rote Schimmer gewesen, der sein Gesicht augenblicklich überzog. Noch als er fort war, musste sie lächeln, rief sich aber sogleich zur Ordnung und befasste sich mit dem Verkehrsunfall, der schon über zehn Jahre zurücklag.
Es war nur eine Vermutung, die sich nach dem Durcharbeiten der Unterlagen nach wie vor bei ihr hielt. Der Vater von Frauke Thomas war bei dem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, weil eine defekte Benzinleitung Feuer gefangen hatte. Es handelte sich um einen Neuwagen, vierzehn Tage nach Übergabe, für den Sachverständigen völlig unverständlich, da die Leitung eingerissen und nicht eingeschnitten war. Da aber für einen Anschlag keinerlei Hinweise vorlagen, ging man von einem bedauerlichen Unfall durch Materialschwäche aus. Mira war fast sicher, dass jemand nachgeholfen hatte, aber beweisen konnte sie es nicht. Plötzlich stieß sie auf eine Randnotiz ihres Vorgängers, Hauptkommissar Franz, der vor sieben Jahren in den Ruhestand gegangen war.
»Warum reißt ein nagelneuer Schlauch?«, war an den Rand gekritzelt worden. Mira überlegte einen Moment, kopierte die Seite und verließ mit eiligen Schritten das Büro.
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