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Schritt für Schritt gewann Elisa das Vertrauen der Bevölkerung. Bald konnte sie auf halb Lucca und beinahe auf ganz Piombino zählen. Das Wohlwollen der Menschen nutzte sie aus und prägte ihren Herrschaftsbereich diplomatisch und geschickt im Sinne ihres Bruders sowie in ihrem. Sie war nicht nur eine stolze, sie war auch eine rege Prinzessin, der es nicht genügte, ihr langes Haar zu bürsten. Und dumm war sie schon gar nicht. Zehn Jahre Studium an einer französischen Schule hatten zwar ihr bescheidenes Vokabular nicht polieren können, aber ihren Geist geschult. Sie ließ verwahrloste Viertel sanieren, setzte Brücken und Straßen neu instand, legte Sümpfe trocken, förderte die Seidenfabrikation. Die stillgelegten Steinbrüche von Carrara, die einst Michelangelo nach wertvollem Marmor abgeklopft hatte, funktionierten wieder. Und ganz in den Fußstapfen ihres Bruders wandelnd, eröffnete sie Schulen, auch für Mädchen, gründete ein medizinisches Institut und Bibliotheken, schaffte neue Lehrstühle in Geschichte und Jura. Natürlich vergaß sie dabei die Musik nicht, der sie sehr zugetan war. Kurzerhand verabschiedete sie die beiden verstaubten Orchester in Lucca und organisierte ein Hoforchester. Die Umorientierung bekam auch Paganini zu spüren. Domenico Puccini wurde zum Kapellmeister ernannt, Romaggi übernahm anstelle Paganinis die Rolle des Ersten Geigers und Paganini selbst rutschte auf den Platz des Stimmführers der Zweiten Violine zurück, erhielt aber zusätzlich das Amt des Operndirektors.
Allwöchentlich verlangte Elisa zwei Konzerte, wobei weder Tag noch Tageszeit lange vorher angesagt wurden. Die Prinzessin erwartete von ihrem Hoforchester technisches Können, musikalische Versiertheit und die Flexibilität, jederzeit bereit zu sein. Paganini, von dem ihre Umgebung in den höchsten Tönen schwärmte, war ihr bei einem Empfang vorgestellt worden. Der junge Mann gefiel ihr nicht schlecht, an der etwas eckigen Figur störte sie sich nicht. Er trug einen zweireihigen Gehrock, darunter ein weißes Hemd mit hochgestelltem, gestärktem Kragen, um den er gemäß der Mode eine weiße Halsbinde bis unters Kinn geknotet hatte. Der Backenbart wirkte gepflegt, so wie das gewellte, bis auf die Schultern fallende Haar. Er hatte ein anmutiges Gesicht, betrachtete Elisa aus großen, wachen Augen und verneigte sich mehrmals vor ihr. Elisa hatte in ihrem Leben wenig schöne Männer getroffen, im Grunde keinen Einzigen und beschloss, den Künstler attraktiv zu finden. Wohl war er kein Riese, aber ihren Winzling von Bruder überragte er gut und gern um einen Kopf. Zu allem Übel hatte Napoleon ein pausbäckiges, wütendes Bubengesicht und finstere Augen, die von tiefen Brauen erdrückt wurden und Angst einflößen. Auch ihr Gatte konnte mit dem Aussehen des Virtuosen nicht konkurrieren. Verglich man Prinz Felices Gesicht mit dem Paganinis, so stellte man sich unwillkürlich die Frage: Ist das, was Felice auf dem Hals trägt, überhaupt ein Gesicht? Der zusammengekniffene Mund, die breites Nase und Stirn, die schläfrigen Augen, die schlaffen Wangen und die gepolsterte Spitze eines fleischigen Kinns ergaben eine öde Fläche.
Elisa brannte darauf, den Genueser spielen zu hören. Um nicht nur sein Talent und das seines Orchesters, sondern auch deren Flexibilität und Humor testen zu können, verkündete sie eines Tages um die Mittagszeit, am Abend ein Konzert für Violine und Englischhorn hören zu wollen. Die Musiker gerieten in Panik. Sie waren völlig unvorbereitet. Kapellmeister Puccini lehnte es ab, in kurzer Zeit etwas zusammenzuschustern, und leitete die Bitte an Paganini weiter. Für den Genueser war dies kein Problem. Innerhalb von zwei Stunden komponierte er ein Stück mit Orchesterbegleitung, das am Abend sämtliche Gäste von den Stühlen riss und Elisa in Flammen aufgehen ließ. Es war das erste Mal, dass ihr Paganinis Musik den Verstand raubte, aber es war nicht das letzte Mal und bald sollte sie seinem Charme erliegen.
Bis zum Sommer fanden die unangesagten Konzerte zweimal wöchentlich statt und Paganini sah sich gezwungen, über einen Bass zu improvisieren. In Elisas Leib richteten seine Klangphantasie und die teils harmonischen, doch oft aufregenden Klängen seiner Musik ein echtes Unwetter an. Zuerst zitterte und bebte sie am ganzen Körper, als stünde sie unter einem heftigen Regenschauer, dann stöhnte sie und fiel in Ohnmacht. Mitte April wurde ihre Schwangerschaft sichtbar und sie sank schon nach den ersten Klängen zu Boden. Da die Musiker jedes Mal abbrechen mussten, weil sich die Anwesenden hilfsbereit auf die Fürstin stürzten, beschloss diese, künftig den Saal vor Beginn des Konzertes zu verlassen. Schließlich lief ihr der begabte Musiker nicht davon, und überhaupt war er ihr zu Dank verpflichtet. Sie hatte ihn zum Kammervirtuosen ihres Hoforchesters ernannt, was sein Monatsgehalt auf mehr als zwölf Scudi erhöhte und ihm zusätzlich 1.146 Francs bescherte. Außerdem kürte sie ihn zum Hauptmann der Ehrengarde. Dieser Titel erlaubte ihm, zu ihren Empfängen in Uniform zu erscheinen, worüber sich Elisa vorzüglich gefreut hätte. Doch Paganini hielt nichts von solchen Späßen und tat ihr nie den Gefallen. Damit reizte er ihren Unwillen. Anlässlich eines Empfanges watschelte sie, umringt von ihren Hofdamen, auf ihn zu und sagte schnippisch:
„Signor Paganini, es ist ziemlich rücksichtslos von Ihnen, niemals Ihre Uniform zu tragen. Dabei stünde sie Ihnen ausgezeichnet.“
Der Musiker vermied es, auf ihren dicken Bauch zu starren, sondern blickte ihr geradewegs in die Augen. Elisa stand erneut in Flammen.
„Hoheit, erlauben Sie mir, zu bemerken, dass mir die Uniform beileibe nicht so gut steht wie der Bühnenanzug. Und ich möchte Ihre Hoheit nicht erschrecken.“
„Gut, ich werde Ihnen verzeihen, wenn Sie uns dafür entschädigen.“ Elisa nickte gnädig.
„Was immer Ihrer Hoheit beliebt, wenn ich mich nur nicht in der Uniform oder gar nackt präsentieren muss!“
Elisas spontanes Gelächter ließ ihren Bauch hüpfen und vergnügt lachte ihr Hofstaat mit. „Was werden wir dem Maestro auftragen?“ Spitzbübisch taxierte sie die jungen Damen. Es kicherte und schnatterte. Vorschläge fielen, aber nichts schien Elisa zu überzeugen. Paganini meisterte auch diese Situation.
„Was halten Sie von einer Oper, die ich persönlich dirigiere?“
Neues Gelächter erschallte. Elisa schnappte lachend nach Luft.
„Wir lieben Opern, Signor Paganini, das wissen Sie! Aber das ist ja absolut nichts Neues. Damit haben Sie uns längst erfreut. Wir wollen etwas Ungewohntes, allerliebster Freund!“
Die Anrede trieb Paganini das Blut in den Kopf, dennoch behielt er Oberwasser. Er zog die Augenbraue hoch und tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Adlernase.
„Ich dirigiere die Oper mittels einer Geige mit zwei Saiten. Wäre das ausreichend, die Uniform vergessen zu machen?“
„Gewiss, nur fürchte ich, dass sich mit zwei Saiten das umfangreiche Stück nicht bewältigen lässt. Bei allem Respekt vor Ihrer Kunst, liebster Freund!“ Sie warf ihm einen frechen Blick zu. „Vielleicht überschätzen Sie sich. Die Jugend meint oft, Berge versetzen zu können. Wie alt sind Sie, allerliebster Paganini?“ Elisa fächerte sich Luft zu, und gerne hätte der Violinist ein wenig frischen Wind abbekommen, fühlte er sich doch zunehmend bedrängt und gleichzeitig auf den Arme genommen mit diesem ständigen „allerliebster, liebster und ach so lieber Paganini!“
„Alt genug, um eine Wette abzuschließen!“, antwortete er kühn.
„Ich bin dabei. Was wetten wir, mon Virtuose?“
„Ich dirigiere die Oper, spiele nebenbei auf zwei Saiten und gewinne – falls es mir gelingt – ein Essen für 25 Personen.“
„In Ordnung!“, kicherte Elisa heftig fächelnd. „Und was bekomme ich, wenn Sie verlieren?“ Ihr Fächer bedeckte Mund und Nase, nur ihre dunklen, glühenden Augen fixierten ihn. Niccolò ging der Blick unter die Haut. Ein Vorschlag wollte ihm nicht einfallen und die Furcht, sie könne von ihm das Tragen der Uniform verlangen, lähmte seine Zunge. Doch da beugte sie sich vor und flüsterte:
„Falls Sie verlieren, tragen Sie die Uniform für mich. Für mich ganz allein, mon Virtuose. D’accord?“
Niccolò verneigte sich steif wie ein Stock, brachte aber kein Wort heraus. Natürlich hatte er die Prinzessin verstanden, deshalb nahm er sich vor, die Wette haushoch zu gewinnen.
19
Felice Baciocchi, der gesichtslose Ehemann, lernte indessen das Geigenspiel bei Paganini. In den letzten Wochen hatte der Gesichtslose viele Damen schwitzend und nach Luft ringend im Saal erlebt, sobald Paganini seine Violine hatte erklingen lassen. Die atemberaubenden Läufe, Triller und Akkordfolgen fegten männliche und weibliche Zuhörer von den Stühlen. Dabei war er so jung, so schmal, wirkte so zerbrechlich, sah aus, als wolle er in der nächsten Minute vor Schwäche umsinken. Signor Baciocchi vermutete ein Geheimnis hinter Paganinis Kunst. Ein Fluch, ein Zauber, eine Krankheit. Irgendetwas Skurriles. Kein normaler Mensch, selbst hochbegabt, kann in jungen Jahren solche Kunststücke vollbringen und Klangwirkungen schaffen, die Frauen jeder Altersgruppe außer Rand und Band bringen, dachte Felice erregt. Elisa fängt schon an zu zittern, sobald der Musiker den Hals der Geige packt und sie unters Kinn schiebt. Bei den ersten Tönen verdreht sie die Augen, nach einigen harmonischen Klängen sinkt sie um. Mit seiner schmächtigen Figur und dem leidenden Gesicht wird er Elisa nicht verführen können, denn darin ist sie wählerisch wie ihr verdammter Bruder. Was aber, wenn er es mit seinen teuflischen Künsten schafft? So grübelte Felice und trachtete danach, selbst ein guter Geiger zu werden.
„Mache ich Fortschritte?“, fragte er seinen genialen Lehrer Ende Mai des Jahres 1806.
„Nach sechs Monaten Unterricht lässt sich nicht viel sagen, mon Prince!“ Paganini packte hastig die Geige ein. Er wollte seine kostbare Zeit nicht noch weiter mit dem schwerfälligen, tapsigen Prinzen vergeuden, obwohl er ihn schätzte. Außerdem war es besser, Elisa zu meiden. Nicht ein Bankett, nicht eine Soirée hatte sie verstreichen lassen, ohne um ihn herumzuschwänzeln. Sie war eine Wespe. Sie schwirrte herbei, summte um ihn herum und passte er nicht auf, stach sie ihn an der empfindlichsten Stelle.
„Seien Sie ehrlich, Maestro! Ein Lehrer weiß schon nach zwei Wochen, ob sein Schüler begabt ist.“
Santa Maria, dachte Niccolò. Er hat mich doch nicht nach seiner Begabung gefragt, sondern nach seinen Fortschritten. Und mit beiden ist es nicht weit her.
„Erlauben Euer Gnaden, mit dem Urteil noch ein wenig zu warten.“ Paganinis Wangen röteten sich, was ihm gut stand. Sein Gesicht wurde ernst und in seinen Augen blitzte es. Felice erschrak. Plötzlich zweifelte er nicht mehr daran, dass Paganini ein Geheimnis hatte. Aber welches?
„Gut, gut, Maestro. Muntern Sie mich dennoch ein wenig auf. Alles, was Sie tun, ist mit dem Kopf nicken oder Hmmm murmeln. Mir ist zu Ohren gekommen, wie eifrig Sie Ihre Schüler vom Orchester anspornen. Bin ich, Ihr Prinz, weniger wert als die kleinen Schüler?“
Paganini schloss die Augen und stellte sich schnell das Gesicht seines strengen Vaters vor, weil er fürchtete, höhnisch und ungebührlich aufzulachen. War der Prinz dumm oder naiv? Wie konnte er sich mit einem Musiker des Orchesters vergleichen? Paganini ging den Weg des geringsten Widerstandes, um rasch verschwinden zu können.
„Euer Gnaden sind meiner Verehrung gewiss. Sie haben enorme Fortschritte gemacht! Vertrauen Sie mir: Ich werde Sie zukünftig tüchtig anspornen.“
Unglücklicherweise tauchte in dem Augenblick Elisa auf. Sie war kugelrund und figurlos, was ihr Kleid noch hervorhob. Der Rockteil war hoch angesetzt und von einem goldenen Band über dem Bauch gehalten. Ihre schmale Nase wirkte durch das hagere Gesicht noch länger und die Augen hingen wie zwei feuchte Trauben unter den Augenbrauen. Paganini verneigte sich und griff nach seinem Geigenkasten.
„Maestro, s’il vous plaît, ne partez pas si vite!“
„Madame, mi scusi!“ Er verneigte sich ein drittes Mal. Diesmal lächelten seine Augen. Sein Mund verzog sich charmant, so jedenfalls wirkte es auf Elisa. Paganini bezweckte nicht, charmant zu sein, er suchte das Weite. Und er fand Elisa, bei aller Hochachtung, die er ihr entgegenbrachte, schlicht und einfach albern. Heute oder morgen sollte ihr Kind zu Welt kommen und sie hörte nicht auf, ihren Kammervirtuosen anzuschmachten und an dem Vater des Kindes vorbeizusehen, als wäre er ein Möbelstück. Felice schien davon nichts zu bemerken. Ihm fehlten gewisse Antennen. Das machte sich natürlich auch im Geigenunterricht bemerkbar.
„Lieber Signor Paganini, wann immer ich Ihnen begegne, sind Sie in Eile. Das gefällt mir durchaus nicht. Bis auf die ungezogenen Gegner meines Bruders sind Sie der Einzige, der nicht jede Sekunde mit mir ausnützen will. Nennen Sie mir bitte den Grund Ihrer permanenten Hast.“
Paganini verneigte sich ein weiteres Mal. Diesmal, um seine gelangweilte Miene zu verbergen. Als er den Kopf wieder hob, verbarg ein Lächeln seinen Ärger.
„Madame, ich erlaube mir zu behaupten, dass ich Ihrer kostbaren Zeit nicht würdig bin, solange ich nicht spiele. Meine Bedeutung liegt in meiner Kunst und liegt die brach, will ich Ihrer Herrlichkeit mit meiner Wenigkeit nicht auf die Nerven gehen.“ Paganini versuchte, sich rückwärts davonzumachen, sich dabei stets verneigend, um seine spöttische Miene zu verbergen. Elisa wackelte ihm hinterher. An der Tür verlangte es die Höflichkeit von ihm, nochmals aufzusehen.
„Madame, au revoir!“
Elisa blickte ihm geradewegs in die Augen. Mit einer Glut, die ihn entzünden musste, ob er wollte oder nicht.
„Sie haben schöne Augen, mon Virtuose! Es lodert ein Kaminfeuer darin, an das man sich setzen möchte.“ Ihre Stimme hatte einen samtenen Klang und für wenige Augenblicke spürte er ein sonderbares Verlangen. Ein Ziehen im Magen, ein kurzer Drang, sich im weichen Samt ihres Kleides niederzulassen. Die Idee berührte ihn flüchtig und kaum hatte er das Zimmer verlassen, dachte er nicht mehr daran.
20
Elisa will mich um jeden Preis. Es schmeichelt mir, dennoch wehre ich mich energisch. Der Gedanke, dem armen Wicht von Ehemann Hörner aufzusetzen, schmerzt körperlich. Genügt es nicht, dass er auf Wunsch des Kaisers seinen Namen Pasquale in Felice hatte ändern müssen? Er ist ein Einfaltspinsel, aber ein gutmütiger Kerl und verdient mehr Respekt. In der Regel sind mir dumme Menschen eine Qual, bei Felice hingegen urteile ich milder. Er tut mir leid. Seine Frau schert sich nicht um ihn. Er kann sich alle Mühe geben, er bleibt eben nichts weiter als das Anhängsel einer Bonaparte.
Zwei Wochen vor der Geburt des Kindes taucht die Prinzessin kaum noch auf ihren Empfängen auf und auch ich mache mich rar. Ich betreue, so weit es geht, die Schüler, erfülle meine Pflichten im Hoforchester.
Unter den Musikern tummelt sich ein gar sonderliches Subjekt. Es frisst alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Nein, es frisst auch, was fest ist. Seine Fingernägel, seine Haare, seine Kleider und selbstverständlich seine Partituren. Immer wieder sind wir veranlasst, die Partitur für ihn zu kopieren, bevor er sie auffrisst. Leider ist der Mann Violinist, was mich fürchten lässt, er knabbere eines Tages an seiner Geige oder am Bogen. Flöte und Pauke laufen weniger Gefahr, gefressen zu werden. Der Musiker hört auf den Namen Alessandro und hat ein vorzügliches Ohr. Er spielt auch ganz anständig, überrascht zwar nicht mit seinem Spiel, aber das erwartet ja kein Mensch von einem Orchestermusiker. Wie auch immer. Wäre nicht der absonderliche Mensch, würde ich mich in aller Ruhe auf meine neue Komposition für Orchester und Violine konzentrieren können. Elisa, die Teufelin, wünscht etwas Besonderes zum Geburtstag ihres Bruders im März des kommenden Jahres. Als sie es mir sagt, streift ihr Arm meine Brust und ihr dicker Bauch meine Schenkel. Ich spüre den Strom ihres Verlangens. Er überträgt sich bei jeder Berührung.
Endlich kommt das Kind zur Welt und Elisa ist abgelenkt. Ich arbeite an der Sonate. Einen Monat lang habe ich Ruhe, in einem freundlichen Zimmer des Hauses Quilici. Mein Fenster zeigt auf den Garten, der im Augenblick in seiner ganzen Farbenpracht erblüht. Eine schmale Allee von roten Rosensträuchern führt zu einer Laube in dunklem Grün. Dahinter blitzt etwas blauer Himmel, in dem weiße Wolken schweben. Sie erinnern tatsächlich an ungeschorene Schafe. Mit Notenblatt, Feder und Tintenfass setze ich mich täglich ans Fenster. Ich schaue hinaus und bald schon sehe ich die Farben vor meinen Augen nicht mehr. Nein, ich höre sie. Ich höre das Thema, ein wenig pastoral, ein wenig poetisch, leicht dahinwiegend, im Sechsachteltakt. Eine fließende Melodie, die ein Frauenherz erweicht. Aber wird es Elisa genügen? Einen Sprung in den Zweivierteltakt mag diese gestrenge Frau sicherlich. Das klingt nach Marsch. Jawohl, Madame, wir Lakaien marschieren vor Ihrer Hoheit in Reih und Glied auf: Eins, zwei, eins, zwei. Nun jucken meine Finger. Drei Variationen werden folgen und dazu tanze ich nicht nach Madames Rhythmus. Raus aus dem Gefängnis der Gewohnheit. In den beiden ersten Variationen springt mein Bogen, dann wechseln sich Flagoletts mit Grundtönen ab und endlich, gegen Ende der dritten Variation bebt mein ganzer Körper von der Tonfülle, die mir in schnellen Läufen von Zweiunddreißigstel-Quartolen aus den Fingern strömt. Und alles auf der G-Saite. Ja, die Violinstimme wird nur auf der G-Saite singen. Eine kühne Idee! Wunderbar! Jetzt noch ein bombastisches Finale. Und einen eindrucksvollen Anfang. Wie soll beides aussehen? Es fällt mir in diesem Sommer nicht mehr ein.

Anfang Juli befiehlt Elisa den gesamten Hof auf ihre Sommerresidenz Bagni di Lucca. Mir gestattet sie eine kurze Konzertreise nach Livorno. Angeblich kann sie mich entbehren. Obwohl sie mir ziemlich egal ist, verletzt es, von ihr vorgeladen und dann wieder weggestoßen zu werden. Sie geht mit mir um wie mit ihren Dienern. Aber das hat Paganini nicht nötig. Jedenfalls nicht mehr, denke ich und lasse mich weiterhin wie einen Lakai behandeln. Andererseits: Habe ich Grund zur Klage? Ich bin kein brotloser Künstler wie viele andere. Als Genueser kann ich rechnen. Einnahmen und Ausgaben notiere ich sorgfältig in meinem Notizbuch. Alles in allem geht es mir nicht schlecht. Ich bewege mich in illustren Kreisen, esse unter Kandelabern, trinke vorzüglichen Wein und werde angebetet. Und wie besonders tröstlich ist es, von Madame Frassinet angebetet zu werden. Die junge Frau ist Hofdame bei Elisa und versäumt keinen meiner Auftritte. Wo und wann auch immer ich spiele, sie sitzt unten und hebt ihr entzücktes Gesicht zu mir herauf. Manchmal andächtig, manchmal erhitzt. Ich sehe ihre glänzenden Augen, sehe ihre Brust sich heben und senken, erkenne trotz des diffusen Lichtes die hektischen Flecken auf ihren Wangen und ich weiß, dass ihr Herz wild klopft, ihr Blut wallt. Ich spüre es auf der Bühne, denn von dieser zarten Gestalt dort unten geht eine himmlische Gewalt aus. Diese Gewalt nimmt mich vollständig in Besitz. Ich spiele das Adagio meines neuesten Werkes und bringe sie zum Weinen. Im changierenden Licht des Teatro Avvalorati in Livorno glitzern ihre Tränen wie Edelsteine. Da empfinde ich Liebe für sie. Zärtliche Liebe und das Verlangen, sie zu küssen, ihr zu danken, ihr meine Violine zu Füßen zu legen.
Wir lieben uns in einem Hotel in Livorno. Es ist das erste Mal. Sie ist so anders als Emilia. Nur wenig älter als ich, doch scheu und voller Erwartung. Ich wollte ihr meine Guarneri zu Füßen legen, doch bevor ich es tue, sinkt sie nieder und umklammert meine Knie: „Nimm mich wie deine Geige. So sanft, so großzügig, so gewaltig. Und pack mich mit der Guarneri in den Geigenkasten. Trage mich bei dir, wo immer du auch hingehst. Ich will nicht mehr Hofdame einer herrischen Kuh sein und Ehefrau eines verknöcherten Generals.“
Ich entdecke nicht nur Madame Frassinets unersättliche Lust, ich entdecke auch ihre Gesangsstimme und ihre Gitarrenkünste. Beides beherrscht sie nicht perfekt, doch angenehm. Wir können also unsere Liebe im Geheimen weiterpflegen, da sie von nun an bei mir Gitarrenunterricht nimmt und hin und wieder als Sängerin auftritt. Elisa und auch Frassinets Ehemann, ein gebeutelter General unter Napoleon, dürfen nichts erfahren. Madame Frassinet belebt meine freien Stunden in Lucca, ihr anschmiegsamer Körper inspiriert mich. Ich verstecke mich während der Liebe nicht mehr unter der Decke. Sie wirft jedes Kleidungsstück zu Boden, schiebt Schleier und Decken zur Seite, schlingt sich um mich und zieht mich in sich hinein. Unser letztes Treffen in Lucca löste eine bombastische Orchesterintroduktion für meine Sonate in mir aus. Mit einigen trillernden, leichten Flöten, die sich in Elisas Ohr schleichen und warm über ihren Rücken rieseln werden. Und schlicht, aber eindrucksvoll höre ich das Finale. Die Violinstimme unterhält sich voller Übermut, hin- und her springend mit der Flöte, kurz trumpfen Streicher, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner in Es und Posaunen auf, werden von der übermütigen Violine unterbrochen, erklingen ein letztes Mal triumphierend und verneigen sich vor ihrer Herrlichkeit. Vor welcher eigentlich?
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