Zur Professionalität der Professionalisierenden

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David Gerlach
Zur Professionalität der Professionalisierenden
Was machen Lehrerbildner*innen im fremdsprachendidaktischen Vorbereitungsdienst?
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8359-8 (Print)
ISBN 978-3-8233-0202-5 (ePub)
Für die Ausbilderinnen und Ausbilder. Und ihre LiV.
Muss man als „voreingenommen“ gelten, wenn man den Vorbereitungsdienst beforscht, den man selbst, wenn auch Jahre zuvor, besucht hat? Abgesehen von Forschungsmethodologie und -methode, Vorgehensweisen, die zu einer Fremdmachung des Forschenden zum Untersuchungsgegenstand führen, die diese Unterstellung im Laufe der Arbeit ad absurdum führen sollten, wäre vermutlich mein eigenes Erkenntnisinteresse an dieser spezifischen Phase der Lehrerbildung gar nicht erst entstanden, wenn ich nicht selbst einmal Lehrkraft im Vorbereitungsdienst für die Fächer Englisch und Biologie gewesen wäre. So erlebte ich selbst das Referendariat allerdings nicht als derart belastend, wie es in vielen Erfahrungsberichten und den (wenigen) vorliegenden Untersuchungen dargestellt wird. Vielmehr war es das Gefühl, „endlich“ in der Praxis angekommen zu sein, obwohl die Hälfte der Zeit weiterhin durch Prüfungssituationen und Ausbildung bestimmt war. Überraschenderweise verlief letztere in meiner persönlichen Wahrnehmung – und mit mittlerweile einigen Jahren Abstand und in dieser reflexiven Retrospektive – wenig formalisiert: Ich erlebte zwei sehr verschiedene Lehrerbildner in meinen beiden Fächern, die ausbildungsmethodisch-didaktisch kaum unterschiedlicher hätten sein können. Dies lässt sich zum einen sicherlich mit den unterschiedlichen Traditionen der Fächer begründen – die fachkulturellen Gegenstände und Methoden von Sprachen und Naturwissenschaften sind nunmal höchst divergent –, aber es war zum anderen eine sehr individuelle Überzeugung von Ausbildung, von inhaltlichen Schwerpunktsetzungen in der Interaktion mit den Referendarinnen und Referendaren und ebenso eine jeweils abweichende Bewertungs- und Gesprächspraxis in Unterrichtsnachbesprechungen, die ich im Nachhinein (und auch währenddessen bereits) derart bemerkenswert fand, dass es gerade diese Gruppe der Ausbilderinnen und Ausbilder ist, die mich in dieser Arbeit als Forschungssubjekte besonders interessiert. Dass es (bislang) zu keinem Vergleich von verschiedenen Fächern gekommen ist, sondern dass ich mich hier (zunächst) auf die Handlungspraxis und Ausbildungsdidaktik der Ausbildungskräfte in den Fremdsprachen konzentriere, ist dabei sowohl aus forschungspragmatischen und organisatorischen Gründen heraus zu sehen, als auch aufgrund der Tatsache, dass hier explorativ zunächst überhaupt ein Einblick in diese spezifische Gruppe von Lehrerprofessionalisierenden gegeben werden soll unter den besonderen Umständen des Vorbereitungsdienstes zum einen, unter Berücksichtigung der fremdsprachendidaktischen Unterrichts- und Ausbildungsgegenstände zum anderen.
Obwohl man alleine eine solche Untersuchung als Habilitationsprojekt plant, durchführt, Daten erhebt und sie in Ergebnisse und Diskussionen münden lässt, ist ein solches Projekt ein Unterfangen, an dem man nicht alleine beteiligt ist. Danken möchte ich daher an dieser Stelle zuerst ganz ausdrücklich den Ausbilderinnen und Ausbildern, die durch ihre Bereitschaft und Offenheit, an dieser Studie durch ihre Interviewteilnahme mitzuwirken, diese Untersuchung erst möglich gemacht haben.
Darüber hinaus gilt großer Dank meinen Hauptbetreuern, Frank G. Königs und Uwe Hericks, die mit ihrem Input, kritischen Fragen und offenen Ohren den gesamten Forschungsprozess konstruktiv begleitet haben. Leider hat Frank Königs den offiziellen Abschluss des Habilitationsverfahrens nicht mehr erlebt. Die Zusammenfassung der externen Gutachten zu dieser Arbeit war eine seiner letzten offiziellen Amtshandlungen für die Philipps-Universität. Seine offene und besonnene Art sowie sein Einsatz für das Fach, seine Mitarbeiter*innen und Studierenden werden mir immer ein Vorbild sein.
Für Inspiration und Feedback in wissenschaftlicher Hinsicht danke ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Bildungsgangkolloquiums. Ivo Steininger, Bianca Roters sowie Julia Fritz bin ich sehr dankbar für die „kollegiale Fallberatung“ sowie insbesondere Julia für den produktiven Austausch und das gemeinsame Grübeln im Rahmen unserer zahlreichen Interpretationswerkstätten zur Dokumentarischen Methode.
Den wunderbaren Kolleginnen und Kollegen am Informationszentrum für Fremdsprachenforschung in Marburg (IFS) gilt ganz ausdrücklich Dank für die mentale Unterstützung (und Ablenkung), außerdem für die Hilfe – auch hinsichtlich meiner vielen parallel laufenden Projekte – meinen studentischen Hilfskräften in Marburg sowie (seinerzeit) meiner Mitarbeiterin Angelika Raster in Regensburg.
Auch zu Dank verpflichtet bin ich den Mitgliedern der Habilitationskommission sowie den extern Begutachtenden und den Mitgliedern des Fachbereichsrats am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Philipps-Universität Marburg, die über die Annahme der Habilitationsleistung sowie die Erteilung der Lehrbefugnis letztgültig entschieden haben.
Und zuletzt möchte ich mich bei meiner Frau Carolin bedanken. Interessanterweise fiel ihr eigener Vorbereitungsdienst in die Phase meiner Untersuchung – ein nicht unwesentliches Detail, das zu den ein oder anderen erheiternden wie einsichtsvollen Diskussionen in den vergangenen Jahren geführt hat. Ich bin ihr besonders dankbar dafür, dass sie mich einerseits immer wieder entbehren muss(te), mich andererseits dennoch jederzeit uneingeschränkt unterstützt, wo auch immer ich gerade bin. Das werde ich nie als selbstverständlich ansehen.
David Gerlach Marburg im Herbst 2019
1 Als Einleitung: (Fremdsprachen-)Lehrer*innenbildung aus Sicht der „Betroffenen“
Nichts scheint zu funktionieren. Die Referendarin, frustriert vom Lärm in ihrer Klasse, sagt schon länger nichts mehr. Sie steht auf und beginnt langsam, etwas an das Whiteboard zu schreiben. Nach und nach wird es ruhiger, als wären die Schülerinnen und Schüler zunehmend gespannt, was von der Lehrerin notiert wird. Sie schreibt: „Manchmal weiß ich kaum, was ich machen soll.“ Dann setzt sich die Referendarin mit dem Rücken zur Klasse gewandt auf das Pult. – Es folgt eine Umblende auf den Schulflur, in einer Ecke steht ein Terrarium, offensichtlich mit lebenden Tieren, denn: Ein Hamsterrad dreht sich. Die Nahansicht offenbart, dass es sich um Spitzmäuse handelt. Sie sitzen leicht schreckhaft im Futternapf. Und im Hamsterrad drehen sie ihre Runden …
Der Beruf des Lehrers und der Lehrerin steht, auch aufgrund eines erhöhten Bedarfs an Lehrkräften in vielen Bundesländern, aktuell unter besonderer medialer Beobachtung. Wenn ein Dokumentarfilm mit dem Titel Zwischen den Stühlen (vgl. Schmidt 2016), aus dem die oben geschilderte Szene stammt, im Jahr 2017 ein großes mediales Echo und hohe Besucherzahlen nach sich zieht, bedeutet dies, dass ein gewisses gesellschaftliches Interesse – vielleicht auch mit einer Prise Schaulust versetzt – für (angehende) Lehrkräfte und die Unwägbarkeiten ihrer Ausbildung und Berufstätigkeit besteht. Interessanterweise ist dieses gestiegene Interesse nicht nur gesellschaftlich-medial zu beobachten, wenn man die einschlägigsten Tages- und Wochenzeitungen durchblättert: Insbesondere seit der Jahrtausendwende ist ein immenser Zuwachs an Forschung hinsichtlich der Frage zu beobachten, was eine (gute) Lehrkraft ausmacht und wie Lehrerinnen und Lehrer1 „professionalisiert“ werden können (vgl. z.B. Baumert/Kunter 2006, Hattie 2009, Helmke 2015). In der empirischen Bildungswissenschaft und Schulpädagogik sind hier Strömungen beobachtbar, die in Forschungsparadigmen entsprechende Schwerpunkte legen und damit den Beruf der Lehrkraft, ihre Werdung, Wirkung und Qualität bzw. Optimierung zu beschreiben versuchen (vgl. Abel/Faust 2010, Terhart 2011; s. auch Kapitel 2). Ebenfalls die fachliche bzw. fachspezifische Dimension wird zuletzt für Forschende zunehmend interessant: Die einzelnen Fachdidaktiken stehen gewissermaßen unter einem Legitimationsdruck, Konzeptualisierungen einer eigenen fachdidaktisch ausgeschärften Professionsforschung vorzulegen – sowohl mit explorativen Vorhaben, die die fachdidaktische (Unterrichts-)Praxis zu beschreiben versuchen, als auch die Entwicklung von Empfehlungen, Kompetenzen und Standards, die die Profession „Fachlehrer*in“ in ihrer Spezifik beschreib- und damit mittelfristig professionalisierbar machen.
Bei der Forschung zur Lehrerbildung geht es damit nicht selten um bestimmte Strukturen in den lehrerbildenden Phasen, die in den deutschen Systemen prägend sind, seien sie im Hochschulbereich oder im Referendariat verankert, im Berufseinstieg oder im Fortbildungsbereich. Jedoch: „Weitgehend ungeklärt ist, was Studium und Referendariat im Einzelnen leisten und wo deren Grenzen liegen.“ (Cramer 2012: 59) Auffällig ist, dass insbesondere zum Referendariat, welches – auch durch oben medial wirksame Dokumentarfilme, aber ebenso in Erzählungen und durch Hörensagen Dritter – mitunter als „Horror“ von den Betroffenen charakterisiert wird, kaum Forschung vorliegt (vgl. Kapitel 4). Erst zuletzt wurde in einer der wenigen größeren Untersuchungen der Eintritt der Studienabsolvent*innen in den Vorbereitungsdienst gar mit einer Parabel von Kafka umschrieben, dessen Maxime ungefähr gedeutet werden muss wie: „Passe Dich möglichst schnell an die geforderten Erwartungen an!“ (Munderloh 2018: 9) Der Vorbereitungsdienst wird daher – auch von Seiten der Forschung – als Sozialisations- oder (stärker negativ konnotiert) als (nötiger) Anpassungsprozess charakterisiert, dem zwar ein starkes und weiterhin wachsendes Interesse an Lehrerprofessionalisierung generell gegenübersteht – nur über die Effekte des Vorbereitungsdienstes als vermeintlich prägendster Phase weiß man im Grunde genommen weiterhin kaum etwas. Und trotzdem finden sich Strukturen des Referendariats in fast allen deutschen Bundesländern als sogenannter zweiter Phase der Lehrerbildung wieder.
Der Begriff „Lehrerbildung“ ist dabei nicht unproblematisch: Primär die erste Phase vereinnahmt diesen Begriff für sich, spricht sich in einer akademischen Orientierung gegen den Begriff der „Lehrerausbildung“ aus, wohingegen der Diskurs der zweiten Phase primär vom Ausbildungsbegriff geprägt ist: Personen, die „Professionalisierenden“, übernehmen hier ganz explizit die Verantwortung für Ausbildung und Professionalisierung über einen längeren Zeitraum. Mit den „auszubildenden“ Lehrkräften geschieht aktiv etwas, ein Prozess, der im Hochschulbereich aufgrund der Vielzahl von zu absolvierenden Lehrveranstaltungen noch vergleichsweise diffus, latent eigengesteuert und vereinzelt bleibt. Damit verlangt man von Lehramtsstudierenden ein hohes Maß an Autonomie und Selbstlernen, während im Vorbereitungsdienst dies von Lehrerbildner*innen stärker gesteuert zu sein scheint. Ist Professionalisierung im Studium damit (trotz Bologna) ein selbstgesteuertes Lernen, das sich im Vorbereitungsdienst qua Struktur in ein instruktionsgesteuertes verwandelt? Welche Bedeutung kommt dann den Ausbilderinnen und Ausbildern zu, die für die inhaltliche Ausgestaltung, Beratung und Bewertung der angehenden Lehrkräfte2 maßgeblich verantwortlich zeichnen? Wie gehen sie selbst mit den Anforderungen und formalen Vorgaben um, die an sie gestellt werden? Woran orientieren sie sich?
1.1 Erkenntnisinteresse und Relevanz des Forschungsvorhabens
Laut einer Definition der Europäischen Kommission (2013) sind der Gruppe der Lehrerbildner*innen all die Personen zuzurechnen, die formelle oder informelle Lerngelegenheiten für angehende Lehrkräfte bzw. Lehrerinnen und Lehrer in Ausbildung schaffen (vgl. auch Snoek/Swennen/van der Klink 2011). Ein Ausbilder, der Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer1 im Vorbereitungsdienst, der zweiten Phase in der deutschen Lehrerbildung, über 21 Monate begleitet und betreut, sagt im Interview mit mir zu seinem Aufgabenbereich und seinen Referendar*innen:
Also, es/ es/ es GIBT manchmal Referendare, wo man, al/, nicht oft, aber manchmal habe ich welche gehabt, wo ich dann gesagt habe, hier (..) möchte ich eigentlich meinen Sohn nicht als Schüler drin sitzen sehen. Ähm. In der Regel, weil FACHLICH, aber was noch viel schlimmer ist, wenn/ wenn ähm, wenn die menschliche Seite nicht stimmt. Wenn die Beziehungsebene nicht da ist. Aber das ist durchaus eher SELTEN. [Bastian Schmidt, Zeilen 291-297]
Dieses – zugegebenermaßen nicht unproblematische – Beispiel, zeigt, worum es in dieser Arbeit gehen soll. Ausbildungskräfte im Vorbereitungsdienst beurteilen ihre angehenden Lehrkräfte hinsichtlich bestimmter Kompetenzen oder Wissensbestände, durchaus jedoch ebenfalls auf Ebenen von Persönlichkeits- und Beziehungsstrukturen. Ungewiss ist, an welchen Stellen diese Beurteilungsmaßstäbe und Orientierungen wirksam werden – ein Sachverhalt, der vielen Referendarinnen und Referendaren große Schwierigkeiten im Zuge ihres Vorbereitungsdienstes bereitet (s. Kapitel 4). Interessant ist daher, wie Ausbilderinnen und Ausbilder ihre Tätigkeit wahrnehmen, intervenieren, in bestimmte Richtungen beraten – und zwar als vom System bestellte Ausbilderinnen und Ausbilder für Fremdsprachen, um die es hier gehen soll, die möglicherweise kaum dazu kommen, fremdsprachendidaktische Akzente zu setzen, da andere Schwerpunkte seitens der Referendarinnen und Referendare relevant gesetzt werden. Indem wir mehr über das Handeln der Ausbildungskräfte erfahren, besteht die Chance, einen Einblick in Strukturen und Inhalte des Vorbereitungsdienstes aus einer anderen Perspektive zu gewinnen. Wo sich Forschung zu Referendarinnen und Referendaren primär auf Belastungsfaktoren, zuletzt verstärkt ebenso auf Kompetenzentwicklung und Professionalisierung bezieht (s. Kapitel 4), steht die Vermutung im Raum, dass Ausbilderinnen und Ausbilder sowohl für die Belastung wie auch die Professionalisierung der LiV verantwortlich sein könnten. Und obwohl man mit solchen Kausalzusammenhängen natürlich vorsichtig sein muss, sollte man dieser These zumindest näherungsweise nachgehen und überhaupt mehr darüber erfahren wollen zur Frage – und das soll das hier schlicht zusammengefasste Erkenntnisinteresse dieser Arbeit sein:
Was machen Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildner im Vorbereitungsdienst angehender Fremdsprachenlehrkräfte?
Die fachliche Eingrenzung ist dabei nicht irrelevant: Die Andeutung oben, dass mittlerweile zahlreiche Fächer unter einem gewissen Druck stehen, professionstheoretische Erkenntnisse zu liefern, hat sich aufgrund größerer empirischer Untersuchungen zunächst in der deutschen Mathematikdidaktik (vgl. Kunter et al. 2011) sowie in Deutsch und Englisch (vgl. Blömeke et al. 2011) prominent niedergeschlagen. Weitere fachspezifische Konzeptualisierungen, insbesondere von fachdidaktischem Professionswissen (vgl. Krauss et al. 2017) folgten. Auch in der Fremdsprachendidaktik lässt sich in den vergangenen 15 Jahren ein starkes Anwachsen an theoretischer wie empirischer Forschung beobachten, die Fremdsprachenlehrerprofessionalität und -professionalisierung beschreib- respektive förderbar machen möchte (vgl. Kapitel 3). Dies ist damit von besonderer Bedeutung für diese Arbeit, denn zum einen interessiert mich – in einer zunächst theoretischen Perspektive – die komparative und in sich ergänzende, sich manchmal nur auf den ersten Blick ausschließende, Betrachtung dominierender Strömungen professionstheoretischer Ansätze in der Schulpädagogik im Vergleich zu Ansätzen fachdidaktischer Professionsforschung in der Fremdsprachendidaktik. Dies macht es daher nötig, die einschlägigsten Strömungen, Konzepte und Ansätze in den nächsten Kapiteln darzustellen und damit potentiell vergleichbar zu machen, selbst wenn sie im späteren Verlauf gegenstandsbezogen und methodisch-methodologisch für das Forschungsvorhaben möglicherweise eher in den Hintergrund treten.2
Wenn in der vorliegenden Studie explorativ auf das Handeln von Ausbildungskräften im fremdsprachendidaktischen Vorbereitungsdienst fokussiert wird, ist dies demnach immer vor der theoretischen Folie von schulpädagogischer wie auch fremdsprachendidaktischer Professionsforschung zu sehen. Die vorzustellenden Erkenntnisse sollen in empirischer wie theoretischer Hinsicht Anregungen zur Weiterentwicklung in beiden Feldern bieten. Schließlich können die beforschten Untersuchungssubjekte als Gestaltende von Fremdsprachenlehrerbildung gesehen werden in einer Phase, zu der sowohl in schulpädagogischer wie fremdsprachendidaktischer Hinsicht noch kaum Erkenntnisse vorliegen.
1.2 Aufbau der Arbeit
Der Komplexität der Fragestellung und des Untersuchungsgegenstandes ist es geschuldet, dass nach dieser Einleitung und dem kurzen Problemaufriss (Kapitel 1) auf mehreren Ebenen Eingrenzungen vorgenommen werden müssen. Diese erfolgen zunächst hinsichtlich der professionstheoretischen Ansätze, zum einen in schulpädagogischer Hinsicht und den damit verbundenen, aktuell dominierenden Bestimmungsansätzen (Kapitel 2), zum anderen in fremdsprachendidaktischer Hinsicht mit dort vorherrschenden Forschungsschwerpunkten und -erkenntnissen in Bezug auf „die Fremdsprachenlehrerin“/„den Fremdsprachenlehrer“ (Kapitel 3). Wenn auch die beiden Kapitel zur schulpädagogischen und fremdsprachendidaktischen Lehrerprofessionsforschung nacheinander aufgeführt werden, da das Format einer Publikation es auf textlicher Ebene nicht anders erlaubt, muss man sich diese beiden Kapitel gleichsam als parallel nebeneinander gestellt denken, die einen Zugriff auf das Konstrukt „Fremdsprachenlehrerprofessionalität“ ermöglichen, zu dem das danach folgende Kapitel zum Vorbereitungsdienst (Kapitel 4) eine systemische Rahmung einzieht und diese dann im Kapitel zur Fremdsprachenlehrerprofessionalisierung im fremdsprachendidaktischen Vorbereitungsdienst1 gegenstandstheoretisch zusammenfasst und in den konkreten Forschungsfragen münden lässt (Kapitel 5).

Struktur der Theoriekapitel.
Es geht mir also zunächst darum, die jeweilige Spezifität schulpädagogischer und fremdsprachendidaktischer Professionsforschung heraus- und diese den Erkenntnissen und Strukturen zum Vorbereitungsdienst gegenüberzustellen, in denen diese Professionalität bzw. Professionalisierung greift. Motiviert von den geringen Erkenntnissen zu Lehrerbildner*innen fokussiert das Forschungsprojekt dann auf die Rekonstruktion von Handlungspraxis2 der fremdsprachendidaktisch Ausbildenden im Vorbereitungsdienst und die von ihnen angelegte Ausbildungsdidaktik. Ausgehend von Bourdieus Habituskonzept (vgl. Bourdieu 1987/2006) und der praxeologischen Wissenssoziologie von Bohnsack (2014/2017) wird in Kapitel 5 hergeleitet, inwiefern die Rekonstruktion von Handlungspraxis der Ausbilderinnen und Ausbilder Einblicke in den fremdsprachendidaktisch orientierten Vorbereitungsdienst bieten kann. Hiermit einher geht die Formulierung von vier Forschungsfragen, die Ausbildungspraxis und Ausbildungsdidaktik greifbar machen und im weiteren Verlauf beantwortet werden sollen. Die dahinterstehende Methodologie und das methodische Vorgehen mitsamt Datenerhebung sowie Analyse mittels Dokumentarischer Methode (vgl. Bohnsack 2014a) wird auch unter Berücksichtigung forschungsethischer Aspekte in Kapitel 6 diskutiert. Die insgesamt elf Ausbildungskräfte wurden mittels narrativ-episodischer Interviews in berufsbiographischer Hinsicht sowie zu Situationen aus ihrer Tätigkeit als Lehrerbildner*innen befragt.
Ich möchte zeigen – und das kann hier als ein nicht unerwartbares Kernergebnis bereits vorweggenommen werden –, dass die Themen und Bedürfnisse, die von der Disziplin in Theorie und Empirie relevant gesetzt werden (Kapitel 2-4), nicht in dem Maße zum Gegenstand von Ausbildungspraxis gemacht werden, wie es gemeinhin gefordert wird. Der Grund hierfür ist allerdings nicht auf Seiten des Personals zu suchen, d.h. ihnen kann kein Vorwurf gemacht werden, dass das Potential an Professionalisierungsprozessen nicht voll ausgeschöpft werden kann: Die Lehrerbildner*innen, aber ebenso die Referendarinnen und Referendare, finden sich im Vorbereitungsdienst in einem System wieder, das kaum Möglichkeiten eröffnet, die schulpädagogisch und fremdsprachendidaktisch relevant gestellten Bedingungen für erfolgreiche Professionalisierungsprozesse herzustellen. Dies wird zwar aus der theoretischen Herleitung mittels der Kapitel 3 und 4 in Ansätzen erkennbar, besonders deutlich allerdings in der Darstellung von drei Fällen von Ausbilderinnen und Ausbildern (Kapitel 7), in deren Rekonstruktion sichtbar wird, wie didaktisch und methodisch Lehrer*innenbildung in der zweiten Phase umgesetzt wird (oder eben nicht). Die Ergebnisdarstellung teilt sich dementsprechend in zwei Oberkapitel auf: Zunächst werden die drei kontrastiven Fälle dargestellt (Kapitel 7), die in sich aufgeschlossen werden und im späteren Vergleich das Kontinuum an Ausbildungspraxis aufspannen sollen. Die drei Fälle zeigen je spezifische Themen und Orientierungsrahmen, welche sich im Vergleich auch mit den weiteren Fällen ergeben und validieren lassen. Um dies zu festigen, erfolgt in einem zweiten Schritt der Ergebnisdarstellung in Kapitel 8 eine komparative Betrachtung aller untersuchten Fälle – im jeweiligen Rückgriff auf die ausführlichen Fallrekonstruktionen in Kapitel 7 – entlang bestimmter Themen, die für die Rekonstruktion habitueller Ausbildungspraxis durch die Analyse mittels der Dokumentarischen Methode relevant wird. Kapitel 9 untersucht in einem stärker explorativen Ansatz durch die Ausbildungspraxis relevant gesetzte ausbildungsdidaktische Konzepte und ihre jeweilige, teils hoch-kontextspezifische Aushandlung mittels einzelner, aus den Daten heuristisch abgeleiteter Beispiele.
Die Zusammenfassung der Ergebnisse, unter erneutem Rückgriff auf die vorliegende Theorie und Empirie, erfolgt in Kapitel 10 aufgeteilt nach Ausbildungspraxis und -didaktik. Außerdem wird hier näherungsweise der Versuch unternommen, einen Habitus von Lehrerbildner*innen im fremdsprachendidaktischen Vorbereitungsdienst zu umreißen. Näherungsweise aus dem Grund – auch das kann hier vorweggenommen werden –, dass die Rekonstruktion von Orientierungsrahmen im Sample methodisch nicht leicht war: Die Tatsache, dass Ausbildungskräfte – und das mag Teil ihres Habitus sein – einen höchst reflexiven Sprechmodus offenbaren, sich als Teil ihrer Tätigkeitsbeschreibung ständig ebenso mit Reflexionen von angehenden Lehrkräften auseinandersetzen müssen, verhinderte an vielen Stellen das Erreichen langer, in sich geschlossener Narrationen, die für eine sichere Habitusrekonstruktion nötig gewesen wären. Dennoch liefern die Beschreibungen und Argumentationen der Ausbildungskräfte, insbesondere in ihrer jeweiligen Auseinandersetzung und Interaktion mit dem Vorbereitungsdienst sowie formalen Vorgaben und den LiV interessante Aspekte, die zur Habitusrekonstruktion hinleiten können.
Im Anschluss an die Ergebnisdiskussion wird der Forschungsprozess insgesamt reflektiert (Kapitel 11). Hier geht es mir zum einen um eine begründete Rekapitulation der ganzen Untersuchung, die sich mit der Vorbereitung und der Erstellung dieses Manuskripts über fünf Jahre erstreckt hat, zum anderen müssen mit der entsprechenden Distanz ebenfalls zum Gegenstand sowie den Forschungssubjekten und Analysen kritische Aspekte beleuchtet bzw. mögliche Alternativen auch für Anschluss- oder ähnlich gelagerte Projekte formuliert werden. Vor diesem Hintergrund sollen abschließend Implikationen sowohl für Professionsforschung wie auch Lehrerbildung an sich gegeben werden (Kapitel 12). Die vorher diskutierten Ergebnisse könnten einerseits Rückschlüsse für die Gestaltung der zweiten Phase und der Qualifikation des Personals, andererseits Folgen für die erste und sogenannte „dritte“ Phase der Fortbildungen haben – ebenso in fremdsprachendidaktischer wie fächerübergreifender Hinsicht, obwohl der Fokus hier auf der fremdsprachendidaktischen Lehrerbildung verbleiben soll.









