Zur Professionalität der Professionalisierenden

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Bezogen auf eine Vielzahl von englischunterrichtsrelevanten Fragestellungen untersucht Borg in mittlerweile fast 100 Publikationen und Metaanalysen die Beliefs von Englischlehrkräften in verschiedenen globalen Kontexten. Neben diesen umfassenden und einschlägigen Publikationen, die auch schon früh in umfassender Weise weitere Ergebnisse zu Lehrerkognitionsforschung zusammenfassen (z.B. Borg 2003), erarbeitet er selbst „A Framework for Studying Language Teacher Cognition“ (Borg 2006: 271ff.), um hierin seine eigenen Erkenntnisse münden zu lassen und für die verschiedenen, an Lehrerbildung beteiligten Personen und Institutionen nutzbar machen zu können. Er unterteilt einen potentiellen Forschungsansatz in zwei unabhängige Variablen: zum einen in die Teilnehmenden, welche noch in Ausbildung sein können (pre-service) oder schon Unterricht erteilen (in-service), zum anderen in Themen, welche generischer Natur sein können (Unterrichtsplanung, Didaktik, allgemeine Methodik) oder domänenspezifisch (Grammatik, fremdsprachliche Kompetenzen). Inwiefern sich dann Fremdsprachenlehrerkognition und das Beliefs-System konstituiert, stellt Borg mitsamt seinen Elementen und Prozessen mittels einer älteren Abbildung dar, die er aber in späteren Publikation weiter verwendet (s. Abbildung 7). Borg betont wiederholt die zeitlich andauernde Stabilität von Beliefs und Überzeugungen und damit ihre Trägheit und Innovationsresistenz (vgl. Borg 2003/2006). Dies bestätigt – interessanterweise zu Englischlehrkräften im Vorbereitungsdienst – Rossa (2017) in einem Werkstattbericht einer laufenden Studie. Er zeigt, dass deren Beliefs über den 18-monatigen Zeitraum in NRW erwartungsgemäß recht stabil bleiben und die strukturellen Schwierigkeiten des Vorbereitungsdienstes, die in Kapitel 4 noch ausführlich gewürdigt werden, die größten Herausforderungen bereiten. Manche Beliefs werden allerdings auch abgelöst oder um neue ergänzt. Rossa führt als neu adaptierte Beispiele auf: „a more structured approach in designing teaching sequences, breaking learning processes down to smaller steps, and the perceived importance of differentiated instruction” (ebd.: 205), didaktisch-methodische Wissensbestände also, die scheinbar erst mit der Übernahme eigener Klassen relevant zu werden scheinen.

Fremdsprachenlehrerkognition und Beliefs konstituierende Elemente und Prozesse (Borg 2003: 82).
Im Feld der internationalen Forschung zu Reflexivität und Beliefs fällt auf, dass dort im Gegensatz zur deutschen Forschung überwiegend von Identitätskonstrukten ausgegangen wird, die primär im Anschluss und in Tradition von Meads Self zu sehen sind und zudem auf das Herausbilden und eine Bewusstseinsentwicklung von Persönlichkeitsstrukturen durch das Individuum fokussieren (vgl. Mead 1973; für eine Übersicht von Identitätskonstrukten in der Fremdsprachenlehrerbildung international vgl. Miller 2009 und Schultze 2018), während beispielsweise das Forschungsprogramm Subjektive Theorien explizit als Deutungspostulat aufstellt:
Kognitionen der Welt- und Selbstsicht
als komplexes Aggregat mit (zumindest impliziter) Argumentationsstruktur,
das auch die zu objektiven (wissenschaftlichen) Theorien parallelen Funktionen
der Erklärung, Prognose und Technologie erfüllt. (Groeben/Scheele 2010: 153)
Interessanterweise spielt ein offeneres Konstrukt von Identität und ihrer (Aus-) Bildung dann wiederum im Kontext der Entwicklung interkultureller (kommunikativer) Kompetenz im fremdsprachlichen Unterricht – allerdings eher auf Seiten der Lernenden – eine gewichtige Rolle, bei dem individuelle Haltungen, Vorwissen sowie Fremdverstehen mittels der Sprache und Begegnung fremdsprachlich geprägter Kulturen offengelegt und gefördert werden sollen (vgl. Byram 1997, Busse/Göbel 2017). In verschiedenen Reflexionsmodellen ist häufig Identitätsbildung angelegt (vgl. z.B. Abendroth-Timmer 2017), inter- bzw. transkulturelle Kompetenz wiederum hat z.B. Wilden (2013) bei angehenden Fremdsprachenlehrpersonen im Kontext des fremdsprachlichen Literaturunterrichts untersucht, Martinez (2008) beforscht die Subjektiven Theorien, ebenfalls von angehenden Lehrkräften, im Hinblick auf die Konzepte Sprachlernverständnis und Lernerautonomie.
Eine stärker berufsbiographisch orientierte Perspektive nehmen Valadez Vazquez (2014) und Schultze (2018) ein, wenn sie sich Identität als theoretisches und empirisches Konstrukt zunutze machen. Valadez Vazquez (2014) zeigt beispielsweise, „dass berufliche Identitätsprozesse von (angehenden) Spanischlehrenden stark von ihrer subjektiven Zufriedenheit mit dem (späteren) Spanischlehrberuf abhängen“ (ebd.: 416). Wie in ihren Fallrekonstruktionen deutlich wird, ist diese Zufriedenheit sowohl abhängig von der aktuellen Phase, in der die Spanischlehrkräfte sich befinden, aber auch von der Identifikation mit dem Fach sowie dem eigenen Erleben als „sprachkompetent“. Schultze (2018) untersucht auf der Grundlage verschiedener Identitätskonstruktionen (und ihrer kritischen Bewertung), wie sich professionelle Identitäten von angehenden Englischlehrpersonen – in ihrem Beispiel zwei Englisch-Lehramtsstudierende, die als ausführliche Fallrekonstruktionen dargestellt werden – entwickeln und wie diese beruflichen und berufsbiographisch wachsenden Identitäten beispielsweise auch mit den individuellen Sprachlernbiographien zusammenhängen.
Wird der Fremdsprachenlehrer*innenrolle mittels Subjektiver Theorien, Beliefs und Reflexivität besondere Beachtung geschenkt, werden diese Konstrukte selten zum Selbstzweck als zugrundeliegende Ansätze oder zur Erhebung der Innenperspektive der Lehrpersonen verwendet, sondern häufig zielgerichtet als Grundlage für Interventionen und Qualitätsoptimierungen eingesetzt, was der Schwerpunkt des nächsten Kapitels sein soll.
3.1.3 Aktionsforschung und Interventionen
Umfassendere, langfristige Prozesse von Fremdsprachenlehrerprofessionalisierung innerhalb der deutschen, phasigen Lehrerbildung wurden bislang kaum untersucht. Vielmehr sind es bestimmte Interventionen im Studium oder im Schuldienst, die auf ihre Wirkung auf Seiten der Lehramtsstudierenden oder der Lehrkräfte hin betrachtet werden. Häufig anschlussfähig an die Konstrukte Reflexion und Reflexivität kann im Bereich von Fremdsprachenlehrerprofessionalisierung als eine durchaus prominente Interventionsmaßnahme die Aktionsforschung (auch Handlungs- oder Lehrerforschung) gesehen werden, die sich nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch besonders international gemessen an der Zahl der Veröffentlichungen stark steigender Beliebtheit erfreut.1 Der Ansatz bezeichnet dabei zunächst einmal „eine Arbeitsrichtung …, die Lehrpersonen dazu animiert und dabei unterstützt, ihre Praxis zu erforschen und weiterzuentwickeln“ (Altrichter/Feindt 2014: 285), gleichsam die Förderung des in den Lehrerbildungsstandards für das Fachprofil Neue Fremdsprachen aufgeführten „forschenden Habitus“ (s.o.). Diese Haltung scheint insbesondere virulent durch die Neufokussierung auf die Rolle der Lehrperson im allgemeinpädagogischen – und wenn man so möchte Hattieschen – wie auch fachdidaktischen Sinne einer soziokulturellen Wende, Lehrer*innen dazu ermutigend „active users and producers of theory in their own right, for their own means, and as appropriate for their instructional contexts“ (Johnson 2006: 240) zu werden. Wie Borg (2013) im Anschluss an seine Beliefs-Forschung darstellt, kann er jedoch trotz der großen Befürwortung einer solchen Lehrerhaltung, kaum feststellen, dass Aktionsforschung (Teacher research) tatsächlich (auch international) kohärent und nachhaltig in Lehrer*innenbildung oder der Praxis eingesetzt wird:
Despite much theoretical advocacy as well as practical guidance in the form of research methods manuals for language teachers, it was clear from my reading and work in a range of international contexts that, for most teachers, teacher research remained a foreign concept, or at least and unfeasible one. (ebd.: 1)
Überzeugt vom Ansatz und gleichzeitig im Bewusstsein der Tendenz Aktionsforschungs-feindlicher, bildungspolitischer Rahmungen in den verschiedenen Kontexten, die er erlebt hat, präsentiert er neben einer Metaanalyse der vorliegenden empirischen Studien vier eigene Untersuchungen mit über 1.700 Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern. Obwohl in Teilen der Publikation die Grenze zwischen Aktions- und Unterrichtsforschung zu verwischen scheint – und nebenbei zudem wenig konkrete Ansätze von Aktionsforschung an sich in den Fokus gerückt werden – zielt die Arbeit in Borgscher Tradition tatsächlicher eher auf die Einstellungen der an Fremdsprachenlehrerbildung beteiligten Personen ab, inwiefern diese ihre Praxis beforschen bzw. Lehrkräfte hierzu ermutigen. Dabei sind die Gründe für Lehrpersonen, nicht aktionsforschend tätig zu werden, relativ offensichtlich: „a lack of time, a belief that doing research was not part of their job, and a lack of skills and knowledge” (ebd.: 212). Es wird offensichtlich, dass Borg eine sehr akademische Sichtweise auf Teacher research verfolgt, die nicht, wie häufig konzeptualisiert, mittels basaler, forschungsmethodischer Ansätze anhand des kleinen Klassensamples gewisse Effekte des Lehrer*innenhandelns messbar machen möchte, dass eine gewisse „forschende Haltung“ als zielführend für jegliche Unterrichtsplanung und -evaluation gesehen wird. Vielmehr geht es ihm (auch) um die Rezeption (und eigene Publikation) von Interventionsergebnissen in internationalen Journals, während in bestimmten internationalen Kontexten tatsächlich eine Dissemination von Praxisforschungsprojekten stattfindet, dies jedoch eher im Rahmen von kleineren Reflexionsgruppen innerhalb bspw. eines Kollegiums erfolgt.
Während in der deutschen Fremdsprachenforschung bereits Marita Schocker-von Ditfurth (2001, s.o.) in ihrer Habilitationsschrift im Kontext des forschenden Lernens im Fachpraktikum2 angehender Fremdsprachenlehrkräfte zeigte, wie dieses Lernen auch das Selbstverständnis formen und es in Relation zu den Anforderungen eines kommunikativen Fremdsprachenunterrichts setzen kann, geht ein anderes Projekt, neben anderen von ihr initiiert, einen anderen, weil unmittelbar in der Praxis und bei Lehrkräften ansetzenden Weg: Der Studiengang E-LINGO – Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens an der Pädagogischen Hochschule Freiburg hat die (Weiter-)Qualifikation von Primarfremdsprachenlehrkräften zum Ziel und wurde durch Publikationen konzeptionell dargestellt (vgl. z.B. Legutke/Schocker-von Ditfurth 2008) sowie durch entsprechende Qualifikationsschriften (vgl. Zibelius 2014, Benitt 2015) begleitend erforscht. Mittels eines (berufsbegleitenden) Blended Learning-Formats qualifizieren sich hier (angehende) Lehrpersonen für den Grundschulunterricht in Englisch oder Französisch, sind also neben Präsenzveranstaltungen mittels Onlinetools miteinander verbunden und dokumentieren dort ihre Erkenntnisse und professionelle Entwicklung auch innerhalb verschiedener Aktionsforschungsprojekte (vgl. Schocker-von Ditfurth 2008). Zibelius (2014) zeigt forschungsmethodologisch der Grounded Theory folgend, wie die Studierenden einer E-LINGO-Kohorte mittels der verwendeten Onlineplattform kollaborieren, hier zunehmend in der Praxis generiertes (Erfahrungs-)Wissen austauschen, das der anderen Teilnehmenden kommentieren und hierdurch kollaboratives Lernen entsteht. Obwohl die Studie nicht explizit auf die Professionalisierungsprozesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer abzielt, sondern stärker das Potential der Onlinekollaboration und des Wissensaustauschs in den Vordergrund stellt, zeigt sich für die Autorin insbesondere im Vergleich zu vorliegenden Erkenntnissen zu kollaborativem Lernen realiter (ebd.: 233ff.), dass der tendenziell anonyme Austausch durchaus auf einer sehr persönlichen und professionell-reflektierten Ebene stattfinden kann und hier die Flexibilität des kollaborativen Onlinelernens, d.h. auch bspw. zeitversetztes Reagieren auf Beiträge Anderer, wertgeschätzt wird.
Professionstheoretisch geformt und ausgehend von den Konstrukten reflexiver Praxis, (Lehrer-)Wissensforschung sowie dem Novizen-Experten-Paradigma untersucht Benitt (2015) im Rahmen ihres Dissertationsprojekts, wie und unter welchen Umständen Aktionsforschung Lehrerprofessionalisierung bzw. Teacher learning, wie sie es vorsichtiger beschreibt, stattfinden kann. Die im Rahmen von E-LINGO von den Studierenden durchzuführenden, zu dokumentierenden und präsentierenden Aktionsforschungsprojekte untersucht sie anhand der Portfolios und Lerntagebücher von zwölf Teilnehmerinnen3 sowie Interviews mit diesen Praxisforschenden, um dann mittels der Dokumentarischen Methode vorrangig auf impliziter Wissensebene Themen und Dimensionen von Lehrer*innenlernen zu identifizieren, die Rückschlüsse und greifbare Antworten auf die Forschungsfrage zulassen können. Sie identifiziert acht kritische „Aha-Momente“ (ebd.: 154ff.), die das Potential sowohl der Aktionsforschung im Sinne von vertiefter und anwendungsbezogen-reflektierter Theorie sowie den kollaborativen Mehrwert der gemeinsamen Aushandlung und Bearbeitung der Projekte mit den Kommilitoninnen transparent macht und sich in drei Dimensionen extrapolieren lassen:
[The] cognitive dimension relates to a better understanding of theory and/or teaching methodology, the interpersonal dimension refers to learning incidents linked to cooperative learning formats, and the affective dimension comprises notions of professional confidence and self-perception. (Benitt 2017: 129-130)
Eine relativ geringe Rolle spielt in den einschlägigen Publikationen und Forschungsschwerpunkten die Sprachkompetenz der (angehenden) Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer. Auch in den oben bereits aufgeführten quantitativen Untersuchungen werden Sprachkompetenzmessungen oder -tests eher als beiläufige Kontrollvariable verwendet (wie in PKE; vgl. König et al. 2016), es wird eine Einschätzung auf Grundlage des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (vgl. Europarat 2001) vorgenommen (wie in TEDS-LT; vgl. Roters et al. 2011) oder es wird gar keine Abfrage der Sprachkompetenz einbezogen (wie aus Gründen der Testpraktikabilität in FALKO-E; vgl. Kirchhoff 2016/2017).
Bezüglich einer Verbesserung der Sprachkompetenz werden dabei häufig Auslandsaufenthalte angehender Fremdsprachenlehrkräfte aufgrund immersiven Spracherlebens als wirksam angesehen, was gleichzeitig im Sinne eines interkulturellen Fremdverstehens der Zielkultur einen intellektuellen wie professionalisierenden Mehrwert für die Sprachstudierenden haben soll. Auch Appel (2000) hatte im Kontext des Erfahrungswissens von Fremdsprachenlehrkräften dem Auslandsaufenthalt einen gewissen Ertrag unterstellen können, Ehrenreich (2004) jedoch relativiert diese häufig angenommenen, sich vermeintlich quasi-automatisch einstellenden Effekte eines Auslandsaufenthaltes in einer explorativen Studie. Mittels eines berufsbiographischen Ansatzes erhebt sie querschnittsartig mittels Interviews den Ertrag des sogenannten Assistant-Jahres, den examinierte Lehramtskandidatinnen und -kandidaten in der Regel vor ihrem Eintritt in den deutschen Vorbereitungsdienst oder Schuldienst absolvieren. Es zeigt sich, dass dieser angenommene Ertrag im Sinne einer Weiterentwicklung von zahlreichen Faktoren auf personaler und situativer Ebene komplex abhängig ist, in der Regel bezogen auf das gezogene Sample sogar kaum an die eigene Lehrerbildung angebunden wird, sondern primär der persönlichen bzw. persönlichkeitsbildenden Weiterentwicklung ohne mittelbare Professionsrelevanz zugeschrieben wird. Die subjektiv eingeschätzte Entwicklung der Sprachkompetenz ist ebenfalls eher ernüchternd:
Die Diskrepanzen bei der Bewertung des fremdsprachlichen Fortschritts spiegeln die ausbildungsphasenspezifische Vorherrschaft unterschiedlicher Sprachbegriffe – akademische Schriftsprache an der Hochschule versus flexibles mündliches Sprachhandeln in Referendariat und Schule – wider. (ebd.: 436)
Dafür zeigt sich jedoch eine verstärkte zielkulturelle Wahrnehmung bzw. auch eine Übertragung der hier positiven Erfahrungen in Form von „‚begeisterter landeskundlicher Vermittlung‘ und als Engagement im Schüleraustausch“ (ebd.: 436). Ehrenreich kommt u.a. zu dem Schluss, dass das Assistant-Jahr stärker in und an Lehrerbildung ein- und angebunden und „als spezifischer Lernort“ (ebd.: 444; Hervorhebung im Original) wahrgenommen werden müsse, um tatsächlich im Hinblick auf berufsbiographisch-professionsrelevante und insbesondere fremdsprachendidaktisch relevante Entwicklungspotentiale wirksam(er) zu werden, während es bislang noch zu stark von der je individuellen Einsatzbereitschaft der Lehrkräfte und deren persönlichkeitsbezogenen Neigungen abhängig ist.4
3.2 Zwischenfazit II: Spezifik von Fremdsprachenlehrerprofessionalität und ihrer Erforschung
Es mag kaum überraschen, dass vor allem die Lücke bzw. die „gap“ zwischen Theorie und Praxis, „theory and practice“, auch die deutsche und internationale, fremdsprachendidaktische Forschung im Besonderen beschäftigt und damit allerdings zunächst wohl kaum als ein Spezifikum einer gewissen Fremdsprachenlehrerprofessionalität gesehen werden kann. Oder etwa doch? Besteht möglicherweise gerade in der, wie im Kontext des Professionswissens herausgearbeitet, geringen Strukturiertheit der Domäne Fremdsprachendidaktik eine besondere Problematik der Disziplin, dessen Charakteristik die Überwindung des Grabens zwischen Theorie und Praxis besonders erschwert und damit eine besondere Professionalisierungsbedürftigkeit der Lehrerinnen und Lehrer moderner Fremdsprachen impliziert wird? Ist hierin die Forderung nach einem „forschenden Habitus“ der Fremdsprachenlehrkraft begründet, die sich sonst in keinem anderen Fach der Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung (KMK 2017) zeigt oder ist dies lediglich eine Folge domänenspezifischer Tradition von Aktionsforschung und der Betonung einer zu fördernden und zu erreichenden Reflexionskompetenz? Zumindest wird nach der Sichtung des Forschungsüberblicks international bereits ein Bottom-up-Ansatz von Fremdsprachenlehrerbildung mittels Reflexion, Aktionsforschung und anwärterorientierter Lerngelegenheiten konzeptualisiert und umgesetzt (vgl. Crandall/Christison 2016). Wiederum ein Fragezeichen gesetzt werden müsste dann, übertragen auf die spezifisch deutsche Phasigkeit, wie diese Lerngelegenheiten abgesehen von einzelnen größeren beschriebenen Projekten wie E-LINGO (vgl. Legutke/Schocker-von Ditfurth 2008, Zibelius 2014, Benitt 2015) zielführend in der Fremdsprachenlehrerbildung integriert werden.
In der zusammenfassend historischen Betrachtung der Ausbildungsgegenstände bis in die 70er Jahre wird eine stark rezeptologische Prägung der Fremdsprachendidaktik offenbar, die teilweise bis heute nachwirkt (vgl. Kirchhoff 2017, Hallet/Königs 2013b). International galt in der Vergangenheit ein Absprechen autonomer Handlungs- und Lernoptionen der (werdenden) Fremdsprachenlehrpersonen: „Traditionally, the professional development of teachers has been thought of something that is done by others for or to teachers.“ (Johnson 2009: 25; Hervorhebung im Original) Parallel hierzu schlug sich unterrichtsgegenständlich ein stark kompetenzorientierter Ansatz mit Fokus auf Kommunikation als Folge der kommunikativen Wende nieder, was sich auf inhaltlicher Ebene in der Fremdsprachendidaktik als hoch einflussreiches Standardisierungsinstrument mit dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (vgl. Europarat 2001) zeigt. Für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern international bedeuteten diese Entwicklungen eine Abkehr von tendenziell formalistischen und durchstrukturierten Fremdsprachenlehrerbildungssystemen hin zu kooperativem wie eigenverantwortlicheren und selbstgesteuerten Professional development der Fremdsprachenlehrkräfte, „the recognition that teachers‘ informal social and professional networks, including their own classrooms, function as powerful sites for professional learning“ (Johnson 2009: 25; vgl. auch Borg 2011). Diese Sichtweise auf Professionalisierung ist dabei gewiss ebenfalls dem Umstand geschuldet, dass es in internationalen Kontexten und Tätigkeitsbereichen von Fremdsprachenlehrkräften, die in den vorliegenden Metaanalysen beispielsweise die Erwachsenenbildung mit einbeziehen, seltener die Möglichkeit zur direkten Weiterqualifizierung gibt bzw. diese Möglichkeiten nicht ohne einen gewissen Aufwand umsetzbar erscheinen. Darüber hinaus fand eine Vielzahl besonders der internationalen Forschungsprojekte z.B. zu Fremdsprachenlehrerkognitionen in Hochschulkontexten oder privaten Qualifizierungseinrichtungen statt, vernachlässigte aber häufig schulische Bildungssysteme auf der Ebene der Sekundarstufe(n) (vgl. Borg 2009: 168, Borg 2006).
Benitt (2015) fasst die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Bereich der Fremdsprachenlehrerbildung (Foreign Language Teacher Education = FLTE), hier insbesondere unter Berücksichtigung internationaler Kontexte der Englischlehrerbildung, wie folgt zusammen:
Educational models have developed from linear towards cyclic models, such as the reflective model of teacher education, which assumes that learning takes place in a dialogic manner.
The distinction of pre-service (theoretical) and in-service (practical) teacher education has given way to a more holistic approach to conceptualising teacher education and teacher learning.
Teaching and teacher education are considered socio-cultural activities. Experiential learning and the activity of teaching are considered central elements of FLTE.
The teacher as well as her personal and professional learning and development has become a central subject of interest in educational research, acknowledging the important role of the teacher in the teaching and learning context.
The mode of FLTE is slowly shifting from traditional lecture mode (one-way) to group mode (interactive), in which learning takes place through joint co-construction of knowledge. At the same time, FLTE is developing from traditional university education to blended-learning and online formats of teacher education. (ebd.: 43)
Während damit international eine Stärkung und Autonomieförderung auf der individuellen Ebene der Lehrkraft bzw. ihrer Kooperation mit anderen Kolleginnen und Kollegen stattgefunden hat, kritisiert Kurtz (2011), dass ihm in vielerlei deutschen Reformbemühungen vornehmlich der letzten beiden Jahrzehnte genau diese Subjektperspektive, die der (angehenden) Lehrerinnen und Lehrer, zu kurz gekommen sei. Von Seiten der Bildungspolitik und verschiedener Expertisen sei stärker das Unterrichtsgeschäft bzw. die Arbeitsausübung in den Fokus gerückt worden, seltener die Rolle und Bedürfnisse, die jede/r einzelne Lehramtskandidat*in im Rahmen der Ausbildung einnimmt und mitbringt. Dies scheint sich – vor allem beeinflusst durch die Neufokussierung international – auch in Deutschland mittlerweile zu verschieben bedingt durch Forschung zu Lehrerkognitionen, Beliefs und Subjektiven Theorien: „It shifted attention from what teachers should know to who they are, what they already know, and what they actually do when they teach.“ (Graves 2009: 117) D.h. ohne die Bewusstmachung und Reflexion vorhandener Wissensbestände auf Seiten der angehenden Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer besteht die Gefahr, dass das innerhalb von Lehrerbildungscurricula vermittelte Professionswissen nur wenig Anschluss in der Praxis findet und losgelöst ohne Anwendungsbezug gleichsam verpufft.
Im Kontext von Subjektiven Theorien, Beliefs bzw. Lehreridentitäten wird verschiedentlich herausgestellt, wie diese das Lehrer*innenhandeln beeinflussen (vgl. z.B. Borg 2006, Caspari 2014, Schart 2014), jedoch auch, wie stark sie z.B. durch eigene Schulerfahrungen oder Überzeugungen habituell geprägt sind, bezüglich verschiedenster Unterrichtsaspekte reflektiert werden müssen (z.B. Lortie 1975, Hochstetter 2011) und in einer gewissen Starrheit durch Lehrerbildung gleichsam nur schwer veränderbar bzw. optimierbar erscheinen (vgl. Crandall/Christison 2016). Kubanyiova (2016) stellt z.B. in ehrlicher und beeindruckender Weise dar, wie ein innovatives Weiterbildungskonzept für Lehrkräfte aktuellste (Unterrichts-)Forschung berücksichtigt, innovative Materialien vorbereitet und diese von aufgeschlossenen Lehrkräften bearbeitet werden, die Intervention dann aber zu keinerlei positiven Effekten im Fremdsprachenunterricht führt. Sie muss zugeben:








