Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit

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Damit stellt sich Frage, welche Spezifika im Handlungsfeld »Soziale Arbeit« bzw. für den Typus »Organisationen der sozialen Hilfe« (I. Bode 2012) zu identifizieren sind, die einen markanten Unterschied konturieren zu anderen Managementfeldern bzw. Organisationsbereichen. Es sei zugestanden, dass auch die Rede von Sozialer Arbeit als »einem Handlungsfeld« eine Abstrahierung darstellt: Auch hier kann man zu Recht geltend machen, dass die Managementanforderungen in einer größeren Komplexeinrichtung der Erziehungshilfe (mit ambulanten, teilstationären und differenzierten stationären Angeboten) anders sind als in einer Drogenberatungsstelle mit einem überschaubaren Umfang an Angeboten und Mitarbeitern oder einer Kindertageseinrichtung oder einem Jugendamt oder einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder einem Verein, in dessen Zentrum die gesetzliche Betreuung steht, u. a. m. Insofern ist es sicherlich nicht unproblematisch, von »Organisationen der sozialen Hilfe« oder »Organisationen der Sozialen Arbeit« zu sprechen, darauf bezogene Managementanforderungen zu analysieren und dabei einige bedeutsame Spezifika des Handlungsfeldes und Charakteristika der Organisationsformen zu übergehen. Jedoch sind gewisse Abstrahierungen erforderlich, um einen Organisationstypus und die damit verkoppelten Managementanforderungen in den Blick zu nehmen. Eine solche Abstrahierung ist insofern zu rechtfertigen, als sich – trotz weiterer Differenzierungen auf der Mesoebene der Analyse – ein Bündel von Ähnlichkeiten herausgebildet hat, das handlungsfeldübergreifend spezifische Anforderungen und Fragestellungen im Management bei Organisationen der Sozialen Arbeit prägt (Lambers 2015; Merchel 2015a; Bieker u. Vomberg 2012).
Organisationen der Sozialen Arbeit erbringen soziale Dienstleistungen. Es sind »Gebilde, die Zustände von Personen bearbeiten, die sich im ›normalen‹ sozialen Leben nicht hinreichend ›selbst helfen‹ bzw. funktionstüchtig sein können« (I. Bode 2012, S. 152); sie übersetzen die zum Teil diffusen Probleme der Hilfebedürftigkeit oder der Normabweichung in spezifischere Handlungsanforderungen und organisieren dafür möglichst zielentsprechende Veränderungsinterventionen. Soziale Dienstleistungen haben einen interaktiven Charakter; sie ereignen sich in Vorgängen der Betreuung, der Pflege, der personenbezogenen Förderung und Unterstützung, der Beratung, der Erziehung. Die reine Erbringung materieller Transferleistungen aufgrund von Versicherungsansprüchen (u. a. Arbeitslosengeld) oder wegen materieller Bedürftigkeit (Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter) wird nicht zu sozialen Dienstleistungen gerechnet; allerdings wird der Erbringung materieller Transferleistungen bisweilen ein interaktives Element der Beratung oder der Betreuung angekoppelt, wodurch im Vorgang der Leistungserbringung sowohl materielle als auch soziale Elemente zum Tragen kommen. Die rechtliche Kodifizierung der zu organisierenden und zu gestaltenden Dienstleistungen erfolgt weitgehend in den (derzeit) dreizehn Teilen des deutschen Sozialgesetzbuches (SGB I–XII, XIV; von Boetticher u. Münder 2011). Für die Steuerung des politischen Rahmens zur Definition gesellschaftlich gewünschter und zur Erbringung sozialer Dienstleistungen hat sich ein Feld der »sozialen Dienstleistungspolitik« herausgebildet (Dahme u. Wohlfahrt 2015). In diesem rechtlichen und politischen Rahmen haben Organisationen der Sozialen Arbeit sich mit Bedingungen auseinanderzusetzen, die sie bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen verarbeiten müssen und aufgrund derer sie organisationale Charakteristika herausbilden, die ihnen ein auf Effektivität und Wirtschaftlichkeit ausgerichtetes Managementhandeln ermöglichen. Solche Merkmale von Organisationen der Sozialen Arbeit, die sich als bedeutsame Bedingungsfaktoren für das Herausbilden von Managementhandeln erweisen, sind Gegenstand der Ausführungen in diesem Kapitel.
2.1Politische Konstituierung sozialer Dienstleistungen
Soziale Dienstleistungen entstehen vor dem Hintergrund einer (sozial)politischen Entscheidung; an ihnen besteht ein öffentliches Interesse. Organisationen der Sozialen Arbeit bewegen sich also in einer besonderen Nähe zum (sozial)politischen System: Ihre Existenz ist unmittelbar abhängig von sozialpolitischen Entscheidungen – und dies sowohl hinsichtlich der elementaren Existenzmöglichkeiten (Finanzierung) als auch hinsichtlich der politisch gesetzten Bedingungen für die Leistungserbringung. Das sozialstaatlich begründete öffentliche Interesse hat zur Folge, dass für das Erlangen einer solchen Leistung der »normale« Marktmechanismus, durch den man an eine Leistung gelangt (nämlich durch Kauf), zu einem beachtlichen Teil außer Kraft gesetzt wird (Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 11):
»In einem durch politische Entscheidungen definierten Umfang haben auch Menschen Zugang zu sozialen Diensten, die aufgrund fehlenden Einkommens oder fehlender privater Vorsorge über Versicherungen ohne Unterstützung den Zugang nicht erhielten.«
Unter anderem dadurch werden Dienstleistungen zu solchen, die man als »sozial« kennzeichnet. Die Abkoppelung von der Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft als Kriterium für den Zugang zum Markt mündet in staatliche Regelungen zu Bedarfslagen, die einen Zugang zu den Dienstleistungen ermöglichen (konkretisiert im Leistungsrecht), sowie in Regelungen zu Bedingungen der Leistungserbringung und zu Spezifika der Finanzierung (Leistungserbringungsrecht).
Soziale Dienstleistungsorganisationen sind gekoppelt an einen politisch konstituierten Bedarf, der von den Bedürfnissen von realen und potenziellen Leistungsadressaten zu differenzieren ist. Soziale Dienstleistungen müssen als »öffentliche Güter« (Grunow 2011) politisch legitimiert werden: im Hinblick auf bestimmte, als durch die Gesellschaft unterstützungswürdig angesehene Lebenslagen (z. B. Alter oder Behinderung) oder im Hinblick auf krisenhafte individuelle Lebenssituationen (z. B. bei Hilfen zur Erziehung) oder im Hinblick auf normgerechtes soziales Verhalten (z. B. bei Straffälligkeit) oder in der Verkoppelung dieser Aspekte. Die Bedürfnisse von Leistungsadressaten, an die Interaktionen anknüpfen und zu Koproduktionen herausgebildet werden können, liefern einen Ansatzpunkt, aber sie bilden nicht den allein maßgeblichen Bezugspunkt für das Dienstleistungshandeln. Das Management sozialer Dienstleistungen vollzieht sich immer »im Spannungsverhältnis zwischen personenbezogener Bedürfnisbefriedigung und sozialer Problemdefinition und Ressourcenfreigabe, was sich (u. a.; Anm. S. G./J. M.) in der Finanzierungsstruktur niederschlägt« (Langer 2014, S. 484). Individuelle Bedürfnisse werden für die Organisationen Sozialer Arbeit dann relevant, wenn sie mit einem gesellschaftlich definierten Bedarf einhergehen bzw. in entsprechende politische Bedarfsentscheidungen eingegangen sind oder wenn sie sich durch politische Aktivitäten der Organisationen in eine solche Bedarfsentscheidung transferieren lassen.
Aufgrund des damit konstituierten öffentlichen Interesses wird der Dienstleistungsarbeit und den sie leistenden Organisationen auch ein gewisses Maß an Normalisierungs- und Überwachungsfunktionen zugewiesen, das sich sowohl in präventiven Tätigkeiten (vorsorgliche Vermeidung des Auftretens von Normverletzungen) als auch in Bemühungen zur Beseitigung manifester Normverletzungen (markant z. B. in der Erziehungshilfe oder in der Drogenhilfe) zeigen kann. Die den Bedarf konstituierenden Faktoren können sowohl auf der Ebene der bedürftigen Individuen begründet sein (gesellschaftlich und politisch anerkannte individuelle Bedürftigkeit) als auch in einem gesellschaftlichen Interesse an Normwahrung und Regelung eines normkonformen Zusammenlebens und des sozialen Friedens. Soziale Dienstleistungen weisen daher im Grundsatz zwei Zielperspektiven auf, die auch bei markanten Spannungen in Einzelfällen und in einigen Handlungsfeldern verfolgt werden müssen: »eine auf die Verbesserung von individuellen Lebensbedingungen gerichtete sowie eine am gesellschaftlichen Integrationsbedarf orientierte« (Heinze u. Schneiders 2013, S. 8).
Die politische Konstituierung des Bedarfs und die damit einhergehende notwendige Ankoppelung des Managements in Organisationen der Sozialen Arbeit an die Mechanismen und Vorgaben politischer Aushandlungen und Entscheidungen haben auf der Ebene der Leistungsadressaten eine eingeschränkte »Konsumentensouveränität« zu Folge. Während bei Marktverhältnissen den Konsumenten aufgrund der Zahlungsfähigkeit von Käufern ein souveräner Status zugesprochen wird – unabhängig davon, ob sie über sachlich ausreichende Kenntnisse zum Gebrauch oder zum Vergleich verschiedener Güter verfügen –, wird ein solcher Status der Leistungsadressaten bei sozialen Dienstleistungen nicht erreicht: Diese bleiben im Status eines »Leistungsempfängers«, für dessen Leistungsempfang Dritte einen Teil der oder gar die gesamten Kosten übernehmen. Die Leistungsnehmer befinden sich nicht in der Stellung eines im Rahmen von direkten Tauschbeziehungen mächtigen Marktteilnehmers. Darüber hinaus ist die Nutzersouveränität durch den Grad der Hilfebedürftigkeit eingeschränkt. Insbesondere bei stationären Einrichtungen (z. B. Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe, aber auch Einrichtungen der Heimerziehung) besteht ein hohes Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem einmal gewählten Leistungserbringer, sodass hier der Staat über Regelsetzung und Kontrolle im Rahmen der Betriebserlaubnis und Heimaufsicht einen Schutz für die Nutzer gewährleisten muss (Cremer 2013, S. 64 f.). Die eingeschränkte Nutzersouveränität ist verkoppelt mit einem – je nach Handlungsfeld mehr oder weniger intensiv wirkenden – Abhängigkeitsverhältnis des Leistungsnehmers von der leistungserstellenden Organisation. Personen, die auf Hilfe angewiesen sind oder die sich in einem durch Kontrollintentionen überlagerten Verhältnis zu einer Organisation der Sozialen Arbeit befinden, stehen in einer Situation des Machtungleichgewichts.
2.2Interaktion als Kern sozialer Dienstleistungen
Im Zentrum der von Organisationen der Sozialen Arbeit zu gestaltenden sozialen Dienstleistungen stehen Interaktionen: Die Organisationen sind darauf ausgerichtet, das Personal und die Leistungsadressaten so in ankoppelungsfähige Relationen zu bringen, dass zeitlich begrenzte koproduktive Arbeitsbündnisse entstehen, aufgrund derer die Leistungsadressaten in die Lage versetzt werden und sich in die Lage versetzen können, die ihrer je individuellen Lage entsprechenden Lösungs- und Bewältigungsstrategien zu finden und diese zur Verbesserung ihrer Lebenssituation zu realisieren.
2.2.1Charakteristika sozialer Dienstleistungen
Soziale Dienstleistungen weisen einige Charakteristika auf, die in den Handlungsprogrammen der Organisationen zu verarbeiten sind und somit managementrelevante Rahmenbedingungen markieren (vgl. Arnold 2014a; Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 5 ff.):
•Immaterialität/Intangibilität
•Unteilbarkeit und Nichtspeicherbarkeit
•Einbeziehung des Nachfragers/Nutzers in die Dienstleistungserstellung
•Individualität
Immaterialität/Intangibilität
Die Kernleistung bei Dienstleistungen, das zwischen den Personen ablaufende eigentliche Interaktionsgeschehen, ist weder sichtbar noch greifbar. Zwar werden auch Sachleistungen als Voraussetzung zur Erbringung von Dienstleistungen einbezogen, jedoch ist das zentrale Element der Dienstleistung nicht gegenständlich. Das hat zur Folge, dass der Nachfrager sich von der angebotenen Leistung und deren Nutzen zwar eine Vorstellung macht, die Leistung jedoch vor ihrer Erstellung nicht genau kennt. Der Nutzer kann sie, anders als bei Sachgütern, nicht im Vorhinein prüfen oder von anderen prüfen lassen. Auch wenn man sich z. B. vor der Kontaktaufnahme zu einer Beratungsstelle von anderen Personen berichten lässt, die diese Beratungsstelle aufgesucht haben, weiß man nicht, ob die Erfahrungen der anderen Personen bei der eigenen, spezifischen Problems ebenfalls zutreffen werden. Bei sozialen Dienstleistungen handelt es sich um Vertrauensgüter: Es bedarf einer gewissen Zuversicht, die jeweilige Leistung in Anspruch nehmen zu wollen.
Unteilbarkeit und Nichtspeicherbarkeit
Bei sozialen Dienstleistungen fallen Produktion und Konsum zusammen, was traditionell als »Uno-actu-Prinzip« genannt wird. »Der Zeitpunkt der Leistungserstellung und der Leistungsabgabe sind bei Dienstleistungen identisch, Produktion und Konsumption erfolgen somit synchron.« (Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 6.) Für die meisten personenbezogenen Dienstleistungen ist die Präsenz der Kunden unerlässlich. Damit verbunden ist in der Regel die Standortgebundenheit der Dienstleistung: Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die Distanz technisch überbrückt wird (insbesondere: Onlineberatung), ist eine Anwesenheit von Leistungserbringer und Leistungsnutzer an einem Ort erforderlich. Soziale Dienstleister müssen daher Maßnahmen ergreifen, um die räumliche Distanz zwischen dem Nachfrager und dem Anbieter zu überwinden.
Einbeziehung des Nachfragers/Nutzers in die Dienstleistungserstellung
In der Sozialen Arbeit sind die Kunden bzw. Nutzer Mitproduzenten der Dienstleistung; die Erstellung der Dienstleistung erfolgt koproduktiv. Beteiligen die Nutzer sich nicht in einem gewissen Maß aktiv, kann die Leistungserbringung nicht gelingen; sie läuft ins Leere. Eine reine Anwesenheit des Klienten und sonstige Passivität bei einer Beratung oder Therapie führt weder zu einem Beratungsprozess noch zu einem Erfolg; nur bei aktiver Beteiligung des Leistungsadressaten kommt die Dienstleistung tatsächlich zustande. Es geht also nicht nur um das Herstellen einer gewissen räumlichen Nähe, sondern insbesondere um die Überwindung einer sozialen Distanz – dies zumindest so weit, dass anknüpfungsfähige Kommunikationen entstehen, die das notwendige Maß an Koproduktionsbereitschaft aufseiten des Nutzers entstehen lassen. Da die Bereitschaft und die Fähigkeit des Leistungsadressaten zur Koproduktion nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann, bedarf es besonderer Bemühungen zur Herstellung einer Bereitschaft und Aktivierung einer koproduktiven Haltung aufseiten der »Leistungsempfänger«.
Individualität
Soziale Dienstleistungen sind nur begrenzt standardisierbar. Sie müssen variabel sein für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nachfrager und weisen daher in ihrer Ausführung individuelle Qualitäten auf. Eine »Leistung von der Stange« ist nicht möglich bzw. wenn eine solche Orientierung in einer Organisation Platz greift, wäre dies mit erheblichen Qualitätsdefiziten verbunden. Damit geht eine Unsicherheit der Nachfrager einher, ob bzw. in welcher Weise die angebotene Dienstleistung ihren Erwartungen entspricht, was wiederum auf den Faktor »Vertrauensgut« verweist. Aus der Individualität sozialer Dienstleistungen resultiert die Erfordernis, eine flexible Leistungserstellung zu ermöglichen und die weitgehende Dysfunktionalität von Standardprogrammen zu berücksichtigen.
2.2.2Folgen für das Steuerungshandeln
Verdeutlicht man sich diese Charakteristika von sozialen Dienstleistungen und deren Folgen für die Interaktionsgestaltung, so erscheinen zwei Folgen für das Steuerungshandeln in Organisationen der Sozialen Arbeit zentral:
•der hohe Grad von Unsicherheit in den Anforderungen, der in den Handlungsprogrammen der Organisation zu verarbeiten ist, und – damit einhergehend –
•die Dominanz von Zweckprogrammen, die jedoch nur wenig Unsicherheit zu absorbieren vermögen.
Das Phänomen der Unsicherheit sowohl in der Interpretation der Anforderungen als auch in der Konzipierung von Bearbeitungsperspektiven resultiert vor allem daraus, dass bei sozialen Dienstleistungen mit »Personen« gearbeitet werden muss. Personen sind gemäß Klatetzki (2010, S. 13)
»zu Selbstaktivierung bzw. Selbstreferenz fähig. Damit ist gemeint, dass Individuen auf der Grundlage ihrer jeweils subjektiven Situationsinterpretation handeln und folglich in der Lage sind, Interventionen zu neutralisieren. Kurz gesagt: Personen mit einem freien Willen lassen sich nicht kausal beeinflussen.«
Es bleibt also unsicher, wie bestimmte methodische Impulse aus Handlungsprogrammen der Organisation von den Personen verarbeitet werden und ob ähnliche Impulsgebungen überhaupt bei verschiedenen Personen ähnlich ankoppelungsfähig sind und zu bedeutsamen Kommunikationen im Sinne der Programmintentionen werden. Dabei sind nicht nur die kommunikative Aufnahme und Verarbeitung der Interventionen unsicher: Bereits die Interpretation der Ausgangs- oder Problemsituation, auf die mit Interventionen geantwortet werden soll, verbleibt in der Regel bei der Hypothese. Denn was eine Ausgangssituation für welche beteiligte Person bedeutet, kann je nach Interpretation verschiedener Beteiligter und je nach »praktischer Ideologie« (zu diesem Begriff siehe Klatetzki 1998, S. 63 ff.; kurz erläutert bei Merchel 2015a, S. 121 f.), mit der Fachkräfte an die Situation herangehen und diese sich interpretativ für ihr Handeln verfügbar machen, vielfältige Varianten aufweisen.
Durch Unsicherheit geprägte Anforderungen an die Leistungserstellung stellen die Organisation vor ein zentrales Problem: Sie muss trotz der Unsicherheiten eine einigermaßen verlässliche und mit präsentierbaren positiven Wirkungen verbundene Leistungserstellung gewährleisten, und zwar als eine Organisationsleistung, welche die Umwelt und die Leistungsadressaten relativ unabhängig von personenbezogenen Zufälligkeiten und Eigenheiten des Personals erwarten können. Über Handlungsprogramme (Konzepte, methodisch strukturierte Vorgehensweisen, Verhaltensvorschriften, Standardisierungen etc., aber auch informell wirkende Regeln und Gewohnheiten, Routinen) versucht die Organisation, Unsicherheit zu absorbieren und die Leistungserstellung stärker kalkulierbar zu machen. Konditionalprogramme, bei denen ein kausaler Bezug zwischen handlungsauslösenden Ereignissen und bestimmten Folgehandlungen hergestellt wird, sind in der Regel untauglich, weil die »Auslösebedingungen des Handelns in der Vergangenheit (liegen): Für relativ bekannte Bedingungen liegen relativ erprobte Routinen für Entscheidungen vor« (Lambers 2015, S. 33). Somit verbleiben Zweckprogramme: Verfahrensweisen, bei denen ein Entscheidungsrahmen mit entsprechenden Handlungsoptionen für jeweils spezifisch zu definierende Zwecke benannt und als Orientierungskorridor gesetzt wird. Aber solche Zweckprogramme vermögen nur begrenzt Unsicherheit zu absorbieren, denn »bei ihnen liegen die Auslösebedingungen des Handelns in der Zukunft« (ebd.): Man entscheidet über den wahrscheinlich angemessenen Zweck und über darauf ausgerichtete Handlungsweisen, mit denen vermutlich oder wahrscheinlich der angezielte Zweck auch im spezifischen Einzelfall realisiert werden kann.
Die Folge ist, dass soziale Dienstleistungen notwendigerweise inhomogen sind – und zwar auch in gewissen Grenzen innerhalb einer Organisation –, weil durch die Unsicherheit und durch die unverzichtbare aktive Mitwirkung von Individuen mit ihrem jeweiligen Eigensinn auch bei ähnlichen Zweckprogrammen jeweils unterschiedliche Dienstleistungen entstehen – was mit dem einen Leistungsadressaten gut funktioniert, kann mit dem nächsten wiederum ins Leere gehen oder gar gegenteilige Wirkungen erzeugen (Dunkel 2011, S. 188). Soziale Dienstleistungen müssen situativ und individuell konstituiert werden und sind daher nur begrenzt standardisierbar: am ehesten in ihren administrativen Rahmenbedingungen, kaum jedoch in ihrem interaktiven Kern. Bei »front-line organizations« (Smith, zit. nach Klatetzki 2010, S. 17), bei denen das Entscheidende in den vielfältigen Interaktionen zwischen dem »Frontpersonal« und den Leistungsadressaten geschieht, das für das Leitungspersonal nicht unmittelbar, sondern vor allem über Mitteilungen des Personals zugänglich ist, sind die wesentlichen Handlungsmodalitäten bei der Leistungserstellung nur begrenzt und kaum intentional durch Managementhandeln steuerbar. Zentrale Vorgaben, z. B. über Standardisierungen mit entsprechenden Verhaltensvorschriften, stoßen an Grenzen gegenüber den sich jeweils immer wieder neu ergebenden und zu bewältigenden Situationsanforderungen, die in Abstimmungsprozessen bearbeitet werden müssen. Dies erfordert insgesamt einen Steuerungsmodus, bei dem die untere Hierarchieebene wegen ihrer Problemwahrnehmungs- und Problembearbeitungsnähe eine große Bedeutung einnimmt und die beim Management daher einbezogen werden muss.
Die zentrale Stellung nimmt das Personal ein, das durch entsprechende Maßnahmen des Personalmanagements eingeworben, qualifiziert und kompetent gehalten sowie an die Organisation gebunden werden muss: Die Leistungsfähigkeit der Organisation hängt wesentlich ab von einem Personalstamm an »Arbeitskräften, die ihre Tätigkeit wissenschaftlich, vergleichsweise autonom und im Rekurs auf einen besonderen ethischen Kontext« ausübt (I. Bode 2012, S. 153). Umgekehrt muss die Organisation »ein gewisses Maß an Vertrauen in die Kompetenzen der (angestellten) Mitglieder und in den Berufsethos der zentralen Funktionsträger« aufbauen (ebd., S. 157). Dabei darf ein solches Vertrauen nicht blind proklamiert werden, sondern muss auf einer Basis der von der Organisation geprüften und kontinuierlich entwickelten Kompetenz und Motivation des Fachpersonals (»Personalentwicklung«) erfolgen.
2.3Legitimation sozialer Dienstleistungsorganisationen
Die politische Konstituierung sozialer Dienstleistungen und die Eingebundenheit in einen sozialstaatlichen Rahmen, der mit Begriffen wie ›soziale Hilfe‹, ›Chancengerechtigkeit‹, ›Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens‹, ›gesellschaftliche Integration‹ etc. normativ aufgeladen ist, haben zur Folge, dass die Organisationen Sozialer Arbeit sich in besonderer Weise politisch und normativ als Organisationen legitimieren müssen. Sie müssen sich als von gesellschaftlichen und (sozial)politischen Entscheidungen unmittelbar abhängige Organisationen legitimieren
•über die Art ihrer Leistungserstellung (Prozesse);
•über die Effekte der von ihnen erbrachten Leistungen, wobei diese Effekte zum einen auf die Verbesserung der Lebenssituation ihrer Leistungsadressaten und auf die Erfolge der in die sozialen Hilfen eingewebten Kontrollaktivitäten bezogen sind, aber zum anderen auch darüber hinausgehen, denn es geht auch um Effekte hinsichtlich der geforderten Integrationsleistungen für das gesellschaftliche Zusammenleben (u. a. Aktivierung gesellschaftlichen Engagements und Zusammenhalts, Vermittlung und Stabilisierung von Solidaritätsnormen, Erzeugen persönlicher Nähe u. a. m.);
•über die Darlegung von Prozessen und Effekten eines organisationsinternen Managements, das dem normativen Rahmen, in den die Organisation eingebettet ist, entspricht (»Corporate Governance«; Schuhen 2014).
Organisationen der Sozialen Arbeit sind aufgrund ihrer spezifischen gesellschaftlichen und politischen Umweltkonstellationen gefordert, im Hinblick auf unterschiedliche Interessenträger und hinsichtlich dieser drei Faktorenbündel Legitimation zu erzeugen und aufrechtzuerhalten sowie dadurch die eigene Organisation mit einem tragfähigen Vertrauenspotenzial ihrer Umwelt auszustatten. Die besondere Angewiesenheit sozialer Dienstleistungsorganisationen auf die Legitimation gegenüber ihrer Umwelt macht auf zwei für das Management relevante Mechanismen aufmerksam:
•Kongruenz zwischen Außendarstellung und Innenleben der Organisation: Organisationen der Sozialen Arbeit müssen in besonderer Weise Wert legen auf das, was Kühl die »Schauseite« der Organisation nennt (Kühl 2011, S. 136 ff.): Das Schaufenster, in dem die Organisation von außen betrachtet werden kann, darf nicht vernachlässigt werden. Zwischen der nach außen gerichteten Fassade, mit der zu Legitimationszwecken ein Bild von der Organisation gezeichnet und vermittelt wird, und der in der Organisation wahrnehmbaren Realität wird in der Regel keine vollständige Deckungsgleichheit herrschen. Jedoch muss die Organisation bemüht sein, die Entkoppelung von Fassade und realer Erlebbarkeit nicht allzu groß werden zu lassen. Denn wenn die relevanten Akteure aus der Umwelt die Fassade als »scheinheilig« (ebd.) erkennen, verliert das Schaufenster drastisch an Legitimationspotenzial. Insofern muss das Management für ein legitimationsfähiges Schaufenster sorgen und darauf auch entsprechende Sorgfalt aufwenden. Doch der Nutzen schöner Fassaden (u. a. Verbergen interner Konflikte und Unzulänglichkeiten, Ausbalancieren widersprüchlicher Anforderungen) darf nicht so in den Mittelpunkt rücken und damit »überzogen« werden, dass die Kommunikationsangebote des Schaufensters sich als nicht mehr ausreichend anschlussfähig erweisen an das wahrnehmbare Geschehen in der Organisation. Die Folge wäre ein Verfall von Glaubwürdigkeit, also das genaue Gegenteil der mit dem schönen Schaufenster beabsichtigten Legitimation.





