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Aber da sind wir eindeutig schon zu zweit.
Bevor ich mich jedoch wieder fangen kann, bildet sich ein sexy Grinsen auf seinen Lippen, welches dafür sorgt, dass mein Herz schneller schlägt. Mein Mund ist plötzlich trocken und mein Kopf wie leer gefegt.
Für einige Sekunden bin ich nicht mehr in der Lage etwas zu sagen, oder mich zu bewegen.
Die gleiche Reaktion hat er mir gestern schon entlockt. Und da habe ich mir vorgenommen, dass es mir kein zweites Mal passieren wird. Egal bei wem. Doch auch jetzt er nur wenige Sekunden gebraucht, um mich vom Gegenteil zu überzeugen.
Ich habe keine Ahnung, wieso er mich so gut im Griff hat. Doch mir ist klar, dass dies nicht der richtige Ort und auch nicht der richtige Zeitpunkt ist, um die Kontrolle zu verlieren.
Beinahe verzweifelt versuche ich mir in Erinnerung zu rufen, wo wir sind und wer sich um uns herum befindet. Dabei ist mir bewusst, dass mich gerade wahrscheinlich alle beobachten. Das ändert aber nichts daran, dass ich es nicht ändern kann.
Es dauert eindeutig zu lange, bis ich mich wenigstens so weit wieder beherrschen kann, dass ich mir nicht selber wie eine Idiotin vorkomme. Das ist mir bewusst, doch ich bin froh darüber, dass ich es irgendwann überhaupt wieder habe.
„Das sind die Kollegen vom siebten Revier“, verkündet der Colonel und zeigt auf meine Kollegen und mich. „Ich bin ja noch nicht so lange hier, aber wenn ich das richtig in Erfahrung gebracht habe, gab es hier noch keine Zusammenarbeit zwischen Seals und der Polizei. Man kann also sagen, dass es eine Premiere ist. Daher hoffe ich, dass es gut funktionieren wird.“
Bei seinen Worten frage ich mich automatisch, wie lange er erst an diesem Stützpunkt ist. Außerdem frage ich mich, was mit demjenigen passiert ist, der vor ihm diesen Job hatte. Doch genauso schnell stelle ich dieses Thema wieder nach hinten, da es gerade unwichtig ist. Obwohl ich zugeben muss, dass es eine schöne Abwechslung ist, da ich mich dann wenigstens einmal nicht mit dem Grund dafür befassen muss, wegen dem wir hier sind.
„Es geht um die internationale Drogenbande, von der man immer wieder hört. Ich bin mir sicher, dass ihr davon in den Nachrichten etwas mitbekommen habt.“
„Wie könnten wir nicht? Es wird ja groß ausgebreitet, was in den letzten Wochen alles geschehen beziehungsweise nicht geschehen ist.“
Der Mann, der neben Ryan sitzt, sieht erst seinen Vorgesetzten an, ehe er sich auf uns konzentriert.
Sein Blick ist beinahe ausdruckslos, sodass ich nicht genau weiß, was in seinem Kopf vor sich geht. Allerdings verzieht er das Gesicht, als würde er bereits darüber nachdenken, wie sie die Hintermänner am besten ergreifen können.
Auf jeden Fall hoffe ich, dass er sich darüber den Kopf zerbricht. Denn ich gebe zu, dass ich es langsam nicht mehr weiß, was ich machen soll. Und wenn ich die Blicke meiner Kollegen richtig deute, geht es ihnen auch so.
Das ist auch der Grund dafür, wieso wir hier sind.
„Kimberley wird Sie nun auf den neusten Stand bringen“, verkündet mein Chef und bedeutet mir, dass ich einen Schritt nach vorne machen soll.
Ein letztes Mal atme ich tief durch, ehe ich mich neben ihn stelle. Dabei kann ich jedoch nicht für mich behalten, dass ich nervös bin.
Ich hasse es, Vorträge halten zu müssen. Und wenn man es genau nimmt, ist es das. Schon in der Schule wollte ich mich am liebsten jedes Mal davor drücken und habe es so oft es nur ging, den anderen überlassen, Referate vorzutragen. Und auch jetzt ist genau das wieder der Fall.
Mir ist allerdings klar, dass keiner meiner Kollegen das übernehmen wird. Und genauso schlagartig wird mir klar, wieso sie wollten, dass ich das übernehme. Ihnen ging es nicht darum, dass ich zu denen gehöre, die am längsten daran sitze und nach ihrer Meinung am meisten darüber weiß. Auf jeden Fall nicht allen. Bei Amelie und Damian kann ich mit Gewissheit sagen, dass sie wollten, dass ich mich blamiere. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass ich das nicht gerne mache.
Als ich nun Amelies Blick begegne, erkenne ich das herausfordernde Glitzern darin. Um ihr zu signalisieren, dass mir durchaus klar ist, was sie vorhat, ziehe ich meine Augenbrauen ein Stück nach oben, bevor ich mich auf die Männer konzentriere.
„Wir sind einem internationalen Drogenring auf der Spur. Dieser kommt aus Mexiko, Kuba und dem Nahen Osten. Ein paar Mal hatten wir nun schon die Chance, sie zu schnappen. Allerdings konnten sie sich kurz vorher jedes Mal wieder ins Ausland absetzen“, erkläre ich den Männern souverän und lasse mir dabei nichts anmerken. „Vor drei Wochen haben wir nur noch das bereits startende Flugzeug gesehen und hatten keine Chance mehr, noch einzugreifen. Man kann behaupten, dass es das einzige Mal war, dass wir uns ihnen bis auf wenige Meter nähern konnten. So nah waren wir ihnen bis jetzt noch nie gekommen.“
Ich kann nicht für mich behalten, dass ich nicht sehr froh darüber bin. Allerdings bin ich der Meinung, dass es den meisten so geht. Schließlich haben wir schon viel Zeit in diese Ermittlungen investiert und sind noch keinen Schritt weiter.
Zumindest keinen großen.
Während ich von unseren Fehlschlägen berichte, versuche ich so sachlich wie möglich zu klingen. Dies gelingt mir allerdings nicht so gut, wie ich es gerne hätte. Und das vor allem aus dem Grund, weil Ryan mich keine Sekunde aus den Augen lässt.
Dieser Mann hat eine Wirkung auf mich, die es mir schwermacht, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich kann mich ihm nicht entziehen, egal wie sehr ich es versuche. Ich muss aber auch zugeben, dass ich gerade nicht die nötige Kraft dazu habe.
Bereits jetzt kann ich erahnen, dass die nächste Zeit nicht leicht für mich werden wird. Dennoch werde ich versuchen, es so professionell wie möglich zu halten. Auch wenn mein Gefühl mir sagt, dass es nur ein Versuch bleiben wird. Eine leise Stimme in meinem Kopf flüstert nämlich, dass er es mir nicht leicht machen wird.
Woher ich diese Gewissheit nehme, weiß ich nicht. Doch sie ist da und hält sich beharrlich.
3
Ryan
In dem Moment, in dem ich die Polizistin gesehen habe, habe ich beschlossen, dass ich mir einen Spaß daraus machen werde, dass sie so unsicher ist. Und das sie unsicher ist, hat man auf den ersten Blick erkannt. Schon alleine aus dem Grund, weil sie nicht wusste, wie sie sich verhalten soll, als sie wiederum auf mich aufmerksam geworden ist.
Mit großen Augen hat sie mich überrascht angesehen, während sie von ihren Kollegen dazu gedrängt wurde, in eine Rolle zu schlüpfen, die ihr anscheinend nicht gefällt. Zumindest hat mir das ihr Gesichtsausdruck gesagt.
Während ihres Vortrags hat sie ihren Blick nicht von mir abgewendet. Ich konnte erkennen, dass sie eine Weile gebraucht hat, bis sie verarbeitet hat, dass ich wirklich hier sitze.
Und genauso habe ich gemerkt, dass ihr nicht Wohl dabei war, das Wort zu übernehmen. Und ja, ich habe es nicht besser gemacht, da ich sie schief angegrinst habe. Mehrmals habe ich gemerkt, dass sie kurz davor stand, den Faden zu verlieren. Doch mir gefällt es, dass ich sie so leicht aus der Ruhe bringen kann.
Doch je mehr sie erzählt, umso größer wird meine Wut. Und je mehr von ihr kommt, umso mehr spüre ich die Wut, die von ihr ausgeht. Doch Kimberley ist auch genervt, was ich aber verstehen kann.
Sie ist nicht glücklich darüber, dass sie nach den letzten Wochen und Monaten noch keinen Schritt weiter sind und sie sich nun sogar Hilfe von außerhalb holen mussten. Wenn man es genau nimmt, stehen sie trotz intensiver Arbeit am Anfang. Ich kann nachvollziehen, dass sie nicht begeistert davon ist. Auch wir hatten schon mit harten Fällen zu tun, daher weiß ich, dass es irgendwann nur noch frustrierend ist.
Das erkenne ich genau an ihrem Gesichtsausdruck und den angespannten Muskeln.
Der Unterschied besteht allerdings darin, dass wir es auch so schaffen.
Diesen Gedanken behalte ich allerdings für mich. Vor allem auch deswegen, weil uns noch andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Jeden Tag sterben unzählige Menschen an diesem Zeug. Schwangere Frauen nehmen es und machen so schon ihre ungeborenen Kinder abhängig. Mütter und Väter sterben an einer Überdosis und lassen ihre Kinder alleine und schutzlos zurück. Obwohl ich sagen muss, dass sie bei ihren Eltern in diesem Fall wahrscheinlich auch nicht sehr viel Schutz genossen haben. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass sie noch in der Lage waren, ihre Kinder zu verteidigen.
Männer, die eh schon als gewalttätig eingestuft werden sollten, gehen auf ihre Frauen und Kinder los, bringen sie unter Umständen sogar um. All das nehmen die Menschen in Kauf, die nur Dollarzeichen in den Augen haben.
Sie weisen die Schuld von sich und erkennen nicht, dass sie genauso schuldig sind wie die Täter. Und das nur aus Profitgier.
„Für mich hört sich das an, als würde es einen Spitzel geben“, erklärt Sean und sieht jeden der Polizisten nacheinander an, nachdem sie geendet hat. Und mit dieser Feststellung spricht er auch den ersten Gedanken aus, der mir im Kopf herumgegangen ist.
Plötzlich ist es still im Raum. Keiner sagt etwas oder bewegt sich. Es dauert eine Ewigkeit, bis einige Sekunden vergangen sind. Auch wenn ich nicht glücklich darüber bin, müssen wir uns vor Augen halten, dass es durchaus so sein könnte.
Ich lasse sie ebenfalls nicht aus den Augen. Daher erkenne ich, dass jeder von ihnen große Augen bekommt. Ein wenig macht es den Anschein auf mich, als hätten sie vorher noch nicht darüber nachgedacht. Und ich muss sagen, dass ich das von Polizisten sehr naiv finde. Wenn Einsätze gegen die gleiche Organisation immer wieder schiefgehen, drängt sich dieser Gedanke einem schließlich auf. Er sollte mit als einer der ersten Vermutungen ausgesprochen werden.
Oder sie haben ein Problem damit, dass Sean diesen Verdacht einfach ausspricht und dabei nicht den Anschein macht, als würde es ihm leidtun.
Allerdings kenne ich meinen Kollegen lange genug, um zu wissen, dass es ihm wirklich nicht leid tut. Dafür hat er aber auch keinen Grund. Schließlich ist es sein Job.
Als ich einen Blick auf Kimberley werfe, erkenne ich, dass sie keine Ahnung hat, wie sie auf diesen Gedankengang reagieren soll. Ihr Blick huscht immer wieder zu mir, als würde sie sich von mir Hilfe erhoffen. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie ich ihr helfen kann. Niemand kennt ihr Team besser, als sie selber.
Ganz davon abgesehen gefällt mir das selber nicht. Wir hatten es erst vor nicht allzu langer Zeit mit zwei Maulwürfen zu tun. Da würde ich gerne noch ein wenig Abstand von diesem Thema haben.
Da es aber immer wieder nicht funktioniert hat, ist diese Schlossfolgerung am naheliegendsten. So, wie es sich angehört hat, sind alle Personen, die an diesem Fall arbeiten, hier versammelt. Daher ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Maulwurf auch hier steht.
Falls es einen gibt.
Langsam schiebe ich meinen Stuhl ein Stück nach hinten und stehe auf. Dabei lasse ich keinen von ihnen aus den Augen. Meinem geübten Blick entgeht gerade nichts.
Nachdem ich mich zu meiner vollen Größe aufgerichtet habe, setze ich mich langsam in Bewegung. Auch ihre Blicke kleben an mir fest. Mir ist bewusst, dass sie mich und mein Verhalten gerade nicht einschätzen können. Wenn man sich vor Augen hält, dass ich erfahrene Polizisten vor mir stehen habe, finde ich ihr Verhalten schon ein wenig lustig. Schließlich sind sie bestimmt nicht in dieser Gruppe gelandet, weil sie einfach nur gut aussehen.
Doch genau das ist es, worauf ich es angelegt habe. Sie sollen verunsichert sein, da sie so eher einen Fehler machen. Mir ist bewusst, dass sie Wahrscheinlichkeit dafür sehr gering ist, schließlich sind es alles Cops. Dennoch will ich diesen Versuch unternehmen.
Beinahe in Zeitlupe gehe ich an ihnen vorbei. Jeden einzelnen sehe ich genau an. Ich wurde dazu ausgebildet, mich in Menschen hineinzuversetzen und ihnen ihre Lügen anzusehen. Man kann mich auch als einen menschlichen Lügendetektor bezeichnen.
Auf den ersten Blick erkenne ich, dass sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Zumindest ist das bei den meisten der Fall. Je länger die Stille im Raum anhält, umso nervöser werden sie. Sie sind nicht hergekommen, um sich verdächtigen zu lassen, daher wissen sie jetzt auch nicht, was sie machen sollen. Keiner von ihnen war darauf vorbereitet, dass dieser Verdacht ausgesprochen wird.
Mein Verstand sagt mir sogar, dass einige von ihnen wahrscheinlich sogar selber noch keinen Gedanken daran verschwendet haben. Den anderen scheint es jedoch egal zu sein.
Schließlich bleibe ich vor Kimberley stehen, die die Letzte in der Reihe ist. Ich befinde mich so dicht vor ihr, dass sie ihren Kopf ein wenig in den Nacken legen muss, um mich ansehen zu können. Sie ist die Einzige, von der ich mit Gewissheit sagen kann, dass sie es nicht ist.
Sie sieht mich aus einem anderen Grund unsicher an.
Kurz betrachte ich sie, dann grinse ich sie schief an. Kimberley will es endlich hinter sich bringen und diese Männer schnappen. Das zeigt mir ihre Körperhaltung und die Art und Weise, wie sie vorhin gesprochen hat.
Es dauert einen Moment, doch schließlich macht sie einen Schritt nach hinten und bringt so ein wenig Abstand zwischen uns, sodass ich ein leises Lachen nicht für mich behalten kann. Mir ist bewusst, dass wir von ihren und meinen Kollegen umgeben sind. Und genauso bin ich mir darüber bewusst, dass sie uns beobachten. Doch das ist kein Grund für mich, sie ziehen zu lassen.
„Gut, dann werden wir das Problem mal angehen. Dieses Dreckszeug gehört von der Straße. Je eher, desto besser“, verkünde ich schließlich.
Für den Maulwurf lasse ich es so klingen, als wäre dieses Thema vom Tisch. Allerdings ist es das nicht. Ich will ihn nur in Sicherheit wiegen.
Meine Stimme ist nicht mehr als ein Knurren. Auf diese Weise gebe ich jedem zu verstehen, dass ich wütend bin und man sich mit mir gerade am besten nicht anlegen sollte.
Einen Augenblick sieht Kimberley mich mit leicht geöffneten Augen an, bevor sie sich wieder im Griff hat.
„Deswegen sind wir hier“, entgegnet sie.
„In dem Fall habt ihr Glück, dass ihr das beste Seal-Team an der Seite habt, dass es hier gibt.“
Einen Moment sieht sie mich an, als würde sie etwas darauf erwidern wollen. Ihre Augen fragen mich, ob ich nicht zu überheblich bin. Doch sie behält die Worte für sich, worüber ich ein wenig enttäuscht bin.
Langsam setze ich mich wieder in Bewegung und gehe zurück zu meinem Stuhl.
„Dann sollten wir uns nun überlegen, wie wir in dieser Angelegenheit am besten vorgehen.“
4
Kimberley
Als ich mich an diesem Abend in mein Auto setze, um nach Hause zu fahren, bin ich einfach nur müde. Anders kann ich meinen Gemütszustand beim besten Willen nicht beschreiben.
Die meiste Zeit des Tages haben wir auf dem Stützpunkt verbracht. Gemeinsam mit den Seals haben wir einen Plan entwickelt, mit dem wir endlich an die Hintermänner kommen wollen. Beziehungsweise, wir wollten das. So wirklich werde ich das Gefühl nicht los, dass wir uns nicht wirklich vom Platz bewegt haben. Und das ist etwas, was mir ehrlich gesagt überhaupt nicht gefällt.
Dabei ist mir auch nicht die Anschuldigung von Ryan aus dem Kopf gegangen, obwohl ich wirklich versucht habe, sie zu verdrängen. Unaufhörlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht und meine Kollegen nicht aus den Augen gelassen. Doch wenn ich ehrlich bin muss ich zugeben, dass ich es keinem von ihnen wirklich zutraue. Außerdem war es wirklich das erste Mal, dass ich es tatsächlich in Betracht gezogen habe, dass genau das der Fall sein kann. Klar, es ist mir schon einmal in den Kopf gekommen. Doch da habe ich es einfach verdrängt und mich nicht mehr damit beschäftigt. Nun kann ich das aber nicht mehr.
Ja, wir könnten wirklich einen Maulwurf in den eigenen Reihen haben. Und das ist auch etwas, was mir überhaupt nicht gefällt.
Allerdings will das kein Polizist hören. Es gehört nicht unbedingt zu den Dingen, mit denen man sich in unserem Job gerne beschäftigt. Unter anderem auch deswegen, weil man sich dann gleichzeitig damit beschäftigen muss, welchen Grund jemand hat, um sich auf die andere Seite zu schlagen.
Doch nicht nur das hat mich die letzten Stunden beschäftigt. Auch die Tatsache, dass ich mich kaum von Ryan abwenden konnte, zieht mich auch jetzt noch immer aus der Bahn. Alle paar Sekunden hat er in meine Richtung geblickt und mich angelächelt.
Ich bin mir sicher, dass er genau wusste, was das bei mir anrichtet. Er hat sich einen Spaß daraus gemacht, dem ich hilflos gegenüber stand.
Dabei kann ich mich nicht daran erinnern, wann es mir das letzte Mal so ging. Bis jetzt hatte ich mich immer im Griff, wenn es um meine Arbeit geht. Und ich muss ehrlich auch sagen, dass ich solchen Situationen gerne aus dem Weg gehe, egal, ob es beruflich oder privat ist.
Ich habe zwar immer mal wieder eine Beziehung, doch für gewöhnlich lasse ich keinen Mann so nah an mich heran, wie Ryan es von der ersten Sekunde an geschafft hat. Ein wenig ist es so, dass ich eine Schutzmauer um mich herum aufgebaut habe, da ich nicht verletzt werden will.
Eine Mauer, die Ryan anscheinend nicht interessiert.
Ein letztes Mal atme ich tief durch, bevor ich den Schlüssel ins Zündschloss stecke und den Motor starten will. Allerdings gibt mein Auto keinen Ton von sich. Er springt nicht an, röchelt nicht einmal.
Nichts!
Ein wenig kommt es mir so vor, als wäre der Tank komplett leer, was jedoch nicht sein kann. Schließlich habe ich heute Morgen erst getankt.
Aus einem Reflex heraus versuche ich es noch ein zweites und drittes Mal. Doch dieses Mal habe ich auch nicht mehr Glück.
„Verdammt, das hat mir gerade noch gefehlt“, fluche ich laut, wobei ich spüre, dass die Wut mich unter Kontrolle bringen will. Ich schlage sogar auf mein Lenkrad, obwohl mir bewusst ist, dass es mir nicht helfen wird.
Augenblick gehe ich jede Person in Gedanken durch, die ich bitten könnte, mich nach Hause zu bringen.
Meine Kollegen sind alle selber schon zu Hause. Allerdings musste ich mich noch um eine Menge Papierkram kümmern, der in den letzten Wochen liegen geblieben ist und den ich nicht mehr vor mir herschieben konnte. Aus diesem Grund bin ich noch auf dem Revier geblieben.
Gerade bereue ich es allerdings, dass ich mir ausgerechnet diesen Tag ausgesucht habe, um Arbeit nachzuholen. Zu meiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass ich es nur deswegen heute gemacht habe, um mich von Ryan abzulenken.
Hätte ich das aber an einem anderen Tag gemacht, hätte mich nun einer von ihnen mitnehmen können. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als auf einen Abschleppwagen zu warten, was sicherlich eine Ewigkeit dauern wird.
In der Sekunde, in der ich nach meiner Tasche greifen will, um mein Handy herauszuholen, zucke ich allerdings erschrocken zusammen. Jemand klopft laut an die Seitenscheibe auf der Fahrerseite, sodass mein Herz für einen Moment stehen bleibt. Noch im selben Augenblick bewege ich meinen Kopf in die entsprechende Richtung und sehe direkt in die warmen Augen von Ryan, die dafür sorgen, dass es in doppelter Geschwindigkeit weiterschlägt.
Scharf ziehe ich die Luft ein, während ich eine Ewigkeit brauche, bis ich mich wieder gefangen habe. Auf jeden Fall kommt es mir so vor. Doch dann öffne ich die Tür, woraufhin er einen Schritt nach hinten macht, sodass ich aussteigen kann. Dabei komme ich allerdings so dicht vor ihm zum Stehen, dass sein Geruch mir in die Nase steigt. Gleichzeitig merke ich, dass mein gesamter Körper zittert.
Unweigerlich atme ich tief ein und kann mir dabei gerade noch ein Seufzen verkneifen. Ich kann es nicht genau einordnen, doch sobald er sich in meiner Nähe befindet, entspanne ich mich automatisch. Und genauso ist es auch dieses Mal.
Es sollte mir Angst machen, dass es so ist. Doch genau das ist nicht der Fall. Ich freue mich darüber, dass er diese Wirkung auf mich hat. Wenigstens in diesem Moment.
„Ist alles in Ordnung?“, fragt er mich, nachdem ich die Tür wieder hinter mir geschlossen habe.
Einen Moment denke ich darüber nach, ob ich Ja sagen soll. Doch mir ist klar, dass er es mir eh ansieht, dass etwas nicht stimmt. Gerade kann ich meine schlechte Laune nämlich nicht für mich behalten. Schon alleine deswegen wäre es einfach total bescheuert, zu lügen. Ganz davon abgesehen habe ich keine Ahnung, was er mitbekommen hat, bevor er geklopft hat.
„Mein Auto springt nicht an“, erkläre ich also und werfe einen Blick auf den Wagen hinter mir. Dieses Mal seufze ich aber.
Er ist nicht mehr der jüngste und ich habe ihn schon seit ein paar Jahren, aber es ist das erste Mal, dass er Schwierigkeiten macht. Daher bin ich der Meinung, dass er sich ganz gut gehalten hat. Dennoch finde ich, dass es nicht unbedingt jetzt hätte sein müssen.
Ryan macht einen Schritt zur Seite und wirft einen Blick auf die Motorhaube. Ein wenig sieht er aus, als würde er abschätzen, wie groß der Schaden wohl ist.
„Ich bin kein Mechaniker“, stellt er als nächstes fest und wirft mir dabei einen entschuldigenden Blick zu. „Und ich gebe zu, dass ich nicht sehr viel Ahnung von Autos habe.“
Ryan verzieht ein wenig das Gesicht, sodass ich nun doch lachen muss. Und ich gebe zu, dass es sich nach diesem Tag gut anfühlt. Ein wenig so, als würde man mir eine große Last von den Schultern nehmen.
Obwohl ich keine Ahnung habe, was diese Last genau ist.
„Ich kann dich aber nach Hause bringen“, spricht er weiter.
Es dauert einen Moment, bis sein Vorschlag bei mir angekommen ist. Doch dann sehe ich ihn überrascht an, während ich überlege, was ich darauf antworten soll. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken, doch ich komme nicht wirklich zu einem Ergebnis.
„Was machst du eigentlich hier?“, frage ich ihn, als ich endlich wieder in der Lage bin, etwas von mir zu geben.
Ich hoffe, dass ich auf diese Weise noch ein wenig Zeit bekomme, um mir zu überlegen, ob das wirklich eine gute Idee ist. So ganz kann ich es gerade nämlich nicht einschätzen.
Als ich jedoch das Leuchten in seinen Augen bemerke weiß ich, dass er mich durchschaut hat. Daher warte ich darauf, dass er etwas dazu sagt. Doch genau das macht er nicht.
„Ich musste deinem Chef noch etwas vorbeibringen“, geht er auf mein Spiel ein.
Ryan zuckt mit den Schultern und tut so, als wäre das keine große Sache. Doch unweigerlich geht mir dir Frage durch den Kopf, ob sie sich nochmal über die Sache mit dem Maulwurf unterhalten haben. Und vor allem, ob sie vielleicht eine oder mehrere Personen genannt haben, die dafür infrage kommen.
Natürlich haben sie sich darüber unterhalten. Mich würde es wundern, wenn es nicht so wäre.
Allerdings gebe ich zu, dass es nur dafür sorgt, dass ich wieder Kopfschmerzen bekomme. Schon alleine deswegen will ich mich jetzt nicht damit beschäftigen, auch wenn ich das dringend muss.
„Und? Soll ich dich nun nach Hause bringen?“
Sein neugieriger Blick ruht auf mir.
„Das musst du wirklich nicht. Ich rufe mir einfach ein Taxi“, winke ich ab, auch wenn ich nicht sonderlich scharf darauf bin.
Ich brauche jedoch nur einen Blick in sein Gesicht zu werfen, um zu wissen, dass er mir diese Ausrede nicht durchgehen lässt. Wenigstens vor mir selber kann ich zugeben, dass ich erleichtert darüber bin.
„Na los, steig schon ein“, fordert er mich mit einem frechen Grinsen auf den Lippen auf.
Mit diesen Worten öffnet er die Beifahrertür des Fahrzeugs, welches sich direkt neben meinem befindet und bedeutet mir, dass ich einsteigen soll. Erst jetzt fällt mir auf, dass er die ganze Zeit neben mir stand.
Obwohl ich mich darüber freue, bin ich mir nicht sicher bin, ob das wirklich eine gute Idee ist. Gerade habe ich die Befürchtung, dass ich nicht für mich behalten kann, wie nervös er mich macht, wenn wir uns auf so engem Raum befinden. Schon alleine bei dem Gedanken daran, dass wir die nächste halbe Stunde in einem Wagen sitzen, beginnt mein Herz schneller zu schlagen.