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Social-Media-Content bedeutet die intelligente, qualitativ wertige Inhalteerstellung, die mehr offeriert als eine wenn auch noch so gute Website, deren Activity Streams Effizienz bei den Usern hervorbringt. In den Social Media kann gelobt oder getadelt werden, geteilt und kommentiert. User arbeiten gemeinsam spontan oder geplant an Projekten, die ebenso spontan oder geplant sind. (Perez, Juan Carlos, 27.04.2009: Facebook opens up »aktivity stream« to external developers, in: Computer World, in: http://www.computerworld.com/article/2524070/networking/facebook-opens-up--activity-stream--to-external-developers.html).
1.3 Gesellschaftliche, politische und ökonomische Bedeutung der sozialen Medien
Social Media sind aus der Welt nicht mehr wegzudenken. Spaßvögel können hier nur auf den Roman des Österreichers Marc Elsberg (eigentlich: Marcus Rafelsberger) mit dem Titel »Blackout« verweisen – Stromausfall, in einem Land zum nächsten passiert diese Katastrophe, mit dramatischen Folgen für die Menschen, die Wirtschaft, die Politik. Sollte ein solches Szenario jedoch nicht eintreten, werden soziale Medien Bedeutung für alle Bereiche haben. Second life, eine 2003 gestartete virtuelle Welt in 3-D (www.secondlife.com), ist aus der medialen Aufmerksamkeit verschwunden. Social Media sind »die« digitale Parallelgesellschaft geworden. (Das bestritt vor fünf Jahren noch recht skeptisch: Grieß: Einfluss von Social Media: Die digitale Parallelgesellschaft, in: Spiegel online vom 01.10.2010.)
Längst sind Social-Media-Kommunikationsplattformen nicht nur für Trash und Banales. Längst haben alle sogenannten klassischen Medienkonzerne ihre User, die alten wie die neuen, auf Social Media entdeckt. Der Einfluss auf die Gesellschaft, auf Politik wie Wirtschaft ist in diesem Kreise einer individuellen wie massengesteuerten Inszenierung evident. Marc Zuckerberg instrumentalisiert via FACEBOOK Abermillionen von Usern, bestens gehütete Algorithmen wissen schier alles von den Nutzern, dienen gewollt wie ungewollt Produkte an, offerieren Marketingkonzepte und suggerieren Kaufgewohnheiten. Das Wort Community, Gemeinschaft, findet bei Social Media eine neue Wendung an Bedeutung. Der Begriff der Grenzenlosigkeit, der Terminus der Freiheit und damit einhergehend Fragen nach Daten- und Jugendschutz sowie Medienethik prägen die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nachhaltig.
Der Mensch wird und ist vielleicht sogar transparenter als gewollt – und hat kaum Chancen, der (fast) alles durchleuchtenden Social-Media-Krake zu entkommen. Seit Jahren streitet sich die Politik über das Wie einer Medienkompetenz. Zarte Pflänzchen wachsen – wie könnte es anders sein – in Gruppen auf FACEBOOK. Längst ist »die« Politik auf Social Media. Auch hier ist FACEBOOK Taktgeber. Welcher Politiker, welche Politikerin wagt es, nicht auf dieser Plattform ein Profil zu haben? Wer keine Zeit hat, hat Mitarbeiter, die das Profil pflegen, mit mehr oder weniger großen Pannen zwischendurch. Dass diese Pannen (Die zehn größten Politiker-Pannen auf TWITTER und FACEBOOK, www.derwesten.de) just auf diesen Social-Media-Plattformen ausgekostet werden, versteht sich quasi von selbst.
Seriöse Akteure wie der Regierungssprecher twittern professionell – Social Media ist seit langer Zeit schon aus der Plauder- und Tratsch-Ecke hinausgewachsen (https://twitter.com/RegSprecher). Die politische Kommunikation erfährt eine Veränderung, traditionelle Medien sehen einem schwindenden Stellenwert entgegen. Sie verschwinden nicht, rutschen im Ranking der Relevanz immer mehr in das dritte und vierte Glied – nach Online, Mobile und Fernsehen. Dank oder wegen Social Media verrutschen die Grenzen zwischen den Politikern und »ihrem« Volk. Das Volk ist aktiv auf den sozialen Netzwerken, es kommentiert und teilt, es ist äußerst kritisch, noch fehlt dem Bürger im Rahmen des Social-Media-Sozialisationsprozesses Toleranz und feine Kritikkompetenz. Austeilen ist beim Teilen und Bewerten einfacher als intellektuelle Diskurse. Doch auch das wird sich ändern, zumal neue Berufsgruppen aktiv sind, den Kommunikationsprozess zu steuern, Shitstorms zu vermeiden und – wenn doch geschehen – professionell(er) zu kanalisieren.
Längst hat die Wirtschaft den Internethandel via Social Media entdeckt. Hotels, Leckereien, all dies flutscht dem FACEBOOK-User ungewollt ins Haus. Und viele bleiben sprichwörtlich hängen. Kaufen. Das Geschäft blüht. Social-Media-Marketing wird immer wichtiger. Umsätze werden gesteigert auf den sozialen Medien-Plattformen. Kommunikation potenzieller Kunden mit den Unternehmen wird professionell angetriggert.
Eine aktuelle Übersicht von 2015 zeigt, welche Bereiche eines Unternehmens derzeit Social Media nutzen. Noch stehen PR, Werbung und Vertrieb an oberster Stelle, interessant auch der Vergleich von B2B zu B2C. Doch ist mehr als interessant, dass Journalisten doch immer mehr auch für ihre Recherche Social-Media-Plattformen nutzen.
1.4 Dark Social
Seit gut zwei Jahren existiert der Begriff des »Dark Social«. Gemeint ist ein dunkles, ein geheimes Social Media, wo verbreitete Daten nicht mehr nachverfolgbar sind. Am bekanntesten aktuell ist wohl WHATSAPP (www.whatsapp.com). Schon aus digitaler Sicht steinalt, doch als Dark Social bislang nicht bezeichnet, sind jedoch auch E-Mails und Instant Messenger, also beispielsweise Skype, wo zwei oder mehrere User sofort sich Nachrichten übermitteln können, zu nennen. Keiner kann hier öffentlich »einsehen«, was distribuiert wird. WHATSAPP wurde bekanntlich – und mit großer Kritik zunächst – von FACEBOOK-Gründer Marc Zuckerberg aufgekauft. Heute interessiert dies die breite Öffentlichkeit nicht mehr. WHATSAPP boomt. Man spricht von Dark Social Traffic (www.futurebiz.de). Es gibt Thesen, wonach WHATSAPP FACEBOOK den Rang ablaufen könnte. Ob das von Relevanz für den User ist? Wie hoch ist seine Medienkompetenz ausgeprägt? Tatsache ist, dass Datenschutzfachleute hier unter anderem mögliche Gefahren eines unerlaubten Datenaustauschs sehen.
Abb 1: Welche Bereiche Ihres Unternehmens nutzen derzeit Social Media?

Abb 2: Wie häufig recherchieren Sie aktiv nach Inhalten auf Social-Media-Plattformen (z. B. Facebook, Twitter)?

1.5 Zukunft der sozialen Medien
Social Media entwickeln sich weiter. Der Kommunikationsexperte Michael Ehlers betont zu Recht die wachsende Bedeutung von Marken (Ehlers, 2013: Kommunikationsrevolution Social Media). Social Media erweitern ihre Zielgruppen. Medienunternehmen setzen auf ihre Marke. Deren Redakteure werden als Marke mit aufgebaut. Social Media erweitern ihre Themen. Und – sie werden im Zuge der Professionalisierung eine Aufsplitterung erfahren. Die eine Zielgruppe wird sich auch weiterhin zufriedengeben mit dem, was geboten wird. Social Media als Methode für Zerstreuung, für Unterhaltung, für Zeitvertreib. Die andere Zielgruppe jedoch wird verstärkt auf Qualität, Seriosität, auf Tugenden wie Ethik und Werte, auf Kultur und Bildung setzen.
Social Media werden immer mehr gefragt und nachgefragt auf der Suche nach Qualitäts-Content. Qualitätsjournalismus auf Social Media wird nicht mehr punktuell zu finden sein. Medienunternehmen werden immer mehr diese Plattform als ihre Stärke im Aufmerksamkeits-Konkurrenzdruck erkennen. Wer nun publizistischen Content mit PR und Marketing vermengt, was durchaus von einigen gewollt ist und schon heute exzessiv gepflegt wird, muss diese Kombination gut begründen. Ansonsten schwinden die harten Social-Media-Währungen wie Click, Like und Share. Das – bleiben wir bei FACEBOOK – registriert denn auch rasch der clever eingestellte Algorithmus. Und dann taucht der bei den Massen ungeliebte Account in der Timeline einfach nicht mehr auf. Der GUARDIAN veröffentlichte 2013 einen hoch spannenden Beitrag von Stephan Noller, in dem die Frage aufgeworden wurde: »Why we need an algorithm ethic«. Laut Verfasser Noller sei es Zeit für eine breite Diskussion, ob Unternehmen wirklich im Netz unsere Rechte respektieren. Noller reduzierte diese Frage nicht auf eine technologische, sondern auf eine ethische. Algorithmen seien transparent zu machen, deren Quellcodes zu veröffentlichen, denn: »We need to have a discussion involving the whole of society about how we want to live in a world dominated by electronic conversations« (zit. n. Noller, in: The Guardian, 22.01.2013, in: http://www.theguardian.com/media-network/media-network-blog/2013/jan/22/algorithmethic-mechanisms-control-security).
Schon heute ist die These zu untermauern: Print wird nicht aussterben. Print wird sich allerdings vom gigantischen Massenmedium zum Elitemedium wandeln. Das bedeutet für die Medienunternehmen, deren Geld nach wie vor in weiten Teilen aus Printerlösen kommt, sodass man sich die Spielwiese des Internets – Social Media, Mobile, Online – leisten kann, dass diese im Internet neue Erlöse generieren müssen. Schon heute weiß man, dass der User für Qualität bereit ist, das Portemonnaie zu öffnen. Ergo muss Social Media Qualität im Content liefern. Je mehr und je exklusiver, umso eher kann hier ein neuer Content-Markt entstehen.
Aus der Evolution von Social Media wird eine Revolution. Der Umwälzungsprozess hat bereits eingesetzt. Die Mediennutzer erheben sich als echte Partner und Teilhabende am Kommunikationsprozess. Die Medienunternehmen wie die übrige Wirtschaft sucht nach Wegen, mit dem Wandel einen positiven Verbesserungsprozess zu generieren. Fast kann man von einer Massenerhebung sprechen. Dem kann sich kaum einer entziehen.
Die Gesellschaft mag mancher in Digital Natives und Digital Immigrants teilen. Wir sprechen zusätzlich von den Digital Strangers. Es liegt an den Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft wie Wirtschaft, diese Kluft wieder zu schließen. Alle mitzunehmen auf dem Weg in eine digitale Neuordnung, die die alten Kommunikationsebenen nicht wegschieben, aber übertrumpfen wird, ist eine Herkulesaufgabe. Mag es auch schlagzeilenträchtig sein: Wenn Manfred Spitzer von einer »Digitalen Demenz« (Spitzer, 2012: Digitale Demenz) spricht, mangelt es doch an breit aufgestellter und gewollter Medienkompetenz. Sich herauszumogeln aus dieser Verantwortung, steht einer Gesellschaft weltweit nicht an, denn: Was nicht wegzubekommen ist, mit dem ist klug, weitsichtig, gewissenhaft und verantwortungsbewusst, ethisch korrekt umzugehen. Hier zu lamentieren, ist zu wenig. Die Symptome sind bekannt. Ähnlich wie in der Naturwissenschaft wird es allerdings nicht ausreichen, nur die Symptome zu behandeln. Man muss, sagte ein Nobelpreisträger, verstehen, was sich im Einzelnen abspiele (Chemienobelpreisträger Stefan Hell in der ALLGEMEINEN DEUTSCHEN ZEITUNG am 29.10.2014, in: www.adz.ro). Bezogen auf Social Media, »helfen« weder Verbote noch weinerliches Geschrei. Was hilft, ist breit aufgestellte Kompetenz – in den Medien, mit deren Umgang, im Recht etc.
So wie Frieden zu wahren ist, muss hier mehr geschehen als nur Lippenbekenntnisse. Wer die digitale Kommunikation beherrscht, wird auf der Siegerseite sein. Und ob die Sieger dann die »Guten« sein werden, davon hängt Wohl und Wehe der digitalen Zukunft ab. Wenn sich Social Media ausschließlich mit kleinteiligen, unbedeutenden Themenspektren befassen, wenn sich die Menschen auf Miniaturfiguren mit Miniaturinteressen und begrenzter Intelligenz, begrenztem Interesse und begrenztem Wissensdurst reduzieren lassen und wollen, wird die auf Sozialtugenden, Bildung und Transparenz, auf Rechtsstaatlichkeit und Fairness fixierte Demokratie wackeln.

Literatur & Links
www.allfacebook.de
Bank, Stefan von der (2013): Medienethik durch Medienkompetenz? Über den Zusammenhang von Medienkompetenz und (medien-)ethischem Lernen, in: Communicatio Socialis, 46. Jg., 2013, Heft 3–4, S. 324–332.
http://blog.wiwo.de/look-at-it/2013/12/10/5-jahre-social-media-die-entwicklungder-sozialen-netzwerke-von-2008-bis-2013/
Dyson, George (2014): Turings Kathedrale. Die Ursprünge des digitalen Zeitalters, Propyläen Verlag, Berlin.
Ehlers, Michael (2013): Kommunikationsrevolution Social Media, books4success-Verlag, Kulmbach.
Elsberg, Marc (2012): Blackout. Morgen ist es zu spät, München.
Faulstich, Werner (2004): Medienwissenschaften (Uni-TB Basics), Stutgart.
Faulstich, Werner (2004): Grundwissen Medien (Uni-TB L), Stuttgart.
Faulstich, Werner (2011): Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart.
http://www.futurebiz.de/artikel/dark-social-die-dunkle-seite-von-social-media/
Goderbauer-Marchner, Gabriele/Glasauer, Bernhard: Social Media als Kommunikations-, Informations- und Werbekanal, in: Büsching, Thilo/Goderbauer-Marchner, Gabriele (Hg.) (2014): E-Publishing-Management, Wiesbaden, S. 195–205.
Grieß, Andreas: Einfluss von Social Media: Die digitale Parallelgesellschaft, in: Spiegel online vom 01.10.2010.
Heigl, Andrea/Hacker, Philipp (2010): Politik 2.0: Demokratie im Netz; Czernin Verlag, Wien.
Janssen, Cory: What is a Many-to-Many Relationship?, in: www.techopedia.com (Zugriff am 10.1.2015).
http://kommunikation-zweinull.de/10-echte-thesen-zur-zukunft-von-social-mediathe-missing-manual-fur-die-bvdw-thesen-zu-social-media/
http://www.moleskine.com/de/news/draw-future-social-media
Noller, Stephan (2013): Why we need an algorithm ethic, in: The Guardian, 22.01.2013, in: http://www.theguardian.com/media-network/media-networkblog/2013/jan/22/algorithm-ethic-mechanisms-control-security.
o. A.: Many-to-many-Beziehung zählt, in: Computerwoche, 7.10.2010, in: http://www.computerwoche.de/a/many-to-many-beziehung-zaehlt,2354642 (Zugriff am 10.1.2015).
Perez, Juan Carlos (27.4.2009): Facebook opens up »aktivity stream« to external developers, in: Computer World, in: http://www.computerworld.com/article/2524070/networking/facebook-opens-up--activity-stream--to-external-developers.html.
Pscheida, Daniel (2010): Das Wikipedia-Universum, Transkript Verlag, Bielefeld.
Simons, Anton (2010): Journalismus 2.0, UVK, Konstanz.
http://www.socialmedia-institute.com/liste-der-wichtigsten-social-media-undonline-marketing-studien-2014/
Spitzer, Manfred (2012): Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, Droemer, München.
www.statista.com
Übungsaufgaben
1. Warum war der Erfolg der Social Media abhängig vom Web 2.0?
2. Warum ist es wichtig für Unternehmen und Politik, auf Social Media präsent zu sein?
3. Wagen Sie eine Prognose für die Zukunft: Wie verändern Social Media die Kommunikation?
2 Publizistische Ziele von Journalisten und Content-Managern
Gabriele Goderbauer-Marchner und Norbert Matausch
Wer mit Inhalten arbeitet, ist nicht automatisch journalistisch-publizistisch tätig. Hier werden nun die publizistischen Ziele beleuchtet – einerseits von Journalisten, andererseits von sogenannten Content-Managern.
2.1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Ausrichtung
Sowohl die Journalisten, egal, ob frei, fest angestellt oder in einem »festen freien Verhältnis«, als auch die Content-Manager, die mit Aufkommen der digitalen Welt immer mehr ihren Platz in der medialen Arbeitswelt finden, wirken nach publizistischen Zielen für unterschiedliche Plattformen oder Kanäle. Was ist gleich, was konträr?
Content-Manager
Grundsätzlich besteht im derzeitigen Sprachgebrauch keine allgemeingültige Aufgabendefinition für Content-Manager. Die allgemein vorherrschende Meinung (vgl. online-redakteur.biz, medienwiki.org, contentmanager.de) geht jedoch davon aus, dass die Aufgaben neben redaktionellen Tätigkeiten auch in stärkerem Umfang folgende Aktivitäten mit einschließen:
• Planung und Erstellung von Online-Portalen,
• Pflege des Bild-, Text- und Multimedia-Inhaltes von Webseiten,
• Einrichtung und Verwaltung von Content-Management-Systemen,
• Erfassung und Analyse von Produktdaten.
Der Content-Manager im 21. Jahrhundert hat sich zu befassen mit allen Varianten eines Content-Management-Systems (CMS), mit Suchmaschinen (SE), deren Strategien und deren Optimierung, mit Social Media, mit (Social-Media- sowie Digital- und Suchmaschinen-)Marketing, mit Juristischem und der Frage nach dem Nutzen – und dann auch noch mit der Frage nach dem Content, den kreativen Inhalten, den Fragen, wie der User über pfiffige Inhalte gelockt werden kann. Der Spruch, Content sei King, gilt also auch für die »neue« mediale Welt.
Die Frage, die sich stellt, ist: Halten wir am Terminus des Content-Managers fest, wenn wir bei Social Media mehr und mehr an (Qualitäts-)Inhalte denken?
Journalist
Im Vergleich dazu die Tätigkeitsbeschreibung des Journalisten, wie sie in vielen Lehrbüchern – hier nach dem Deutschen Fachjournalistenverband – definiert wird:
»Journalisten informieren die Öffentlichkeit über Sachverhalte und Vorgänge, die von allgemeiner, politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Bedeutung sind«, des Weiteren »artikulieren (sie) für die Öffentlichkeit Sachverhalte und Probleme. Um dieser Aufgabe als ›Frühwarnsystem‹ und Kontrollinstanz der Gesellschaft gerecht werden zu können, stehen Journalisten besondere Recherchebefugnisse zu. (…) Wichtige Aufgaben des Journalismus sind damit Kritik und Kontrolle: Manche Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind weniger für die Öffentlichkeit bestimmt, werden aber durch den Journalismus publik gemacht, was dem Gemeinwesen nützlich sein kann« (zit. n. DFJV, 2012). Der Deutsche Journalisten-Verband DJV formuliert in seinem Grundsatzprogramm: »Aufgabe und Verantwortung von Journalistinnen und Journalisten ist es insbesondere, die Rechte einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers auf Achtung und Schutz der Menschenwürde, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf freie Unterrichtung aus allgemein zugänglichen Quellen zu wahren« (www.djv.de).
Das »Lenken der öffentlichen Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen und Ereignisse (Agenda Setting)« wird ebenso als wichtige Aufgabe angesehen, außerdem die »reine Unterhaltungsfunktion« (vgl. DFJV, 2012). Viele Attribute zeichnen einen Journalisten aus – von der Glaubwürdigkeit bis zur Vertrauenswürdigkeit, von der Kompetenz im Sprachlichen bis zur Neugierde (Goderbauer-Marchner, 2011: Journalist werden!, S. 45).
Durch den ständig zunehmenden Druck auf die Redaktionen, die Aktualität ihrer Meldungen immer weiter zu erhöhen, wird auch die Aufgabenbeschreibung für Journalisten um Online-Komponenten erweitert. Dazu gehören die Navigation des Nutzers durch das eigene Angebot, die Verlinkung auf andere, themenrelevante Inhalte anderer Anbieter und auch die »Moderationstätigkeit in der Kommunikation mit und zwischen den Nutzern« (vgl. Rosenberger, 2000, S. 2). Diese Breitfächerung des journazistischen Fokus in online-organisatorische Belange hinein könnte nun vielleicht für manche bedeuten, dass der Journalist von seinen vor dem Internet-Zeitalter definierten Kernkompetenzen Recherche und Verfassen Abstriche machen muss, um den erweiterten Anforderungen seines Berufs gerecht zu werden. Aber: Wollen wir das? Ist nicht eher die Frage zu stellen, ob die journalistische Kompetenz und Medienethik mehr denn je Anwendung finden muss in den Feldern von Online, Mobile, Social Media? Auch damit befasst sich dieses vorliegende Werk.
Schließlich sei – pars pro toto – hingewiesen auf zwei höchst erfolgreiche Firmen. Zunächst ein Blick auf BuzzFeed. Dieses Medienunternehmen aus den USA trat 2006 an als »Media Company for the Social Age« (www.buzzfeed.com). Und BuzzFeed sagt von sich selbst: »BuzzFeed has the hottest, most social content on the web« (www.buzzfeed.com). »Buzz« ist ein Summen, aber auch ein Gerücht. Die User werden also mit Gesumse »angefüttert«. Erhält der User hier Journalismus? Ist das Qualitäts-Content? Nein und ja und vielleicht. Kaum einer wird Katzenfilmchen als journalistische Produkte bezeichnen. Aber BuzzFeed kann auch anders: Der Konzern publiziert News, Blogs, agiert mit viel von Nutzern generiertem Inhalt (User Generated Content), und alles wird, so das Geschäftsmodell, via Social Media verbreitet, dort geteilt und geliked. Juliane Leopold von BuzzFeed sagt auf der Jahrestagung von Netzwerk Medienethik im Februar 2015 in München, für BuzzFeed werde Social Media zur neuen Homepage. Drei von vier Lesern kämen über Social Media auf die Homepage von Buzzfeed – und bleiben dort »kleben« (http://www.netzwerk-medienethik.de/jahrestagung/tagung2015/).
Erwähnenswert ist Mashable (www.mashable.com). Dieses britisch-amerikanische Unternehmen publiziert Blogs, auf die man über Social Media gelangt. Die Blogs wiederum befinden sich auf einer Webseite. Die Branche nennt eine solche Homepage den »One-Stop-Shop der Social Media«. Der Konzern nennt sich selbst »the leading media company for the connected generation and the voice of digital culture«. Und auch hier stellt sich die Frage, wie viel Journalismus diese sogenannte Nachrichten-Homepage tatsächlich verbreitet und generiert. Neidlos anerkennen muss man, dass dieser Brei (»mash«) sehr gut ankommt bei den Usern.
Bei modernen Definitionsversuchen zu Journalismus und der realen Beobachtung von sich selbst als Journalismus bezeichnenden Aktivitäten im Netz ist zu fragen: Stellt der sogenannte Bürgerjournalismus wirklich Journalismus dar? Wenn Laien Sensationsmeldungen und Bilder nach Art schlechter Paparazzi an Boulevardmedien verkaufen? Ist der Bürger, der User Generated Content auf Social-Media-Plattformen verbreitet, schon journalistisch aktiv? Sind User, die Werke anderer auf Social Media verbreiten durch Teilen, bereits eine Art journalistisch tätiger Verleger? Oder publizistisch agierender Herausgeber? Greift das alte Vokabular noch?
Der Journalist als Gatekeeper
Der vom amerikanischen Medienkritiker und Journalisten Walter Lippmann (Lippmann, 1922: Public Opinion) geprägte Begriff des »Gatekeeper« als Funktionsbeschreibung des Journalisten (vgl. Frerichs, 2000) verliert mit der Zunahme von Internet-basierten Informationsangeboten immer mehr an Relevanz. Journalisten entscheiden diesem Modell zufolge, welche Nachrichten an die Öffentlichkeit gelangen, und (auflagen-)technisch bedingte Einschränkungen tragen ebenfalls zur Filterung der gesamten theoretisch zur Verfügung stehenden Nachrichtenmenge bei.
Diese Gatekeeper-Funktion und die damit einhergehende Steuerung der öffentlichen Meinung konnten die etablierten Print-Medien wie SPIEGEL ONLINE, BILD.DE, DIE WELT, ZEIT ONLINE und FOCUS ONLINE noch bis März 2014 für sich behaupten (vgl. Schröder, 2014), bevor sie von reinen Online-Plattformen ohne journalistischen Anspruch überholt wurden. Die Tragweite dieser Veränderung wird dann ersichtlich, wenn man die Anzahl aller Likes, Tweets und anderer Sympathiebekundungswährungen der Online-Welt in Beziehung zur Anzahl der derart Ausgezeichneten setzt:
Die Online-Plattform HEFTIG.DE, die mit dem Slogan »Dinge, die wichtig sind. Erzähl sie weiter!« wirbt, gehörte erstmals im April 2014 zu den fünf Social-Media-Sammelseiten, die von ihren Lesern am häufigsten mit Likes, Shares oder Tweets ausgezeichnet wurden. Mit gerade mal 90 Artikeln erreichte HEFTIG.DE insgesamt 2,356 Mio. Likes, Shares und Tweets, während SPIEGEL ONLINE und BILD.DE mit zusammen insgesamt 6.000 Artikeln auf 2,618 Mio. Likes, Shares und Tweets kamen (vgl. Schröder, 2014).