Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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Zur Feier der Ankunft seiner Söhne ließ Bulba alle anwesenden Hauptleute und Regimentskommandeure versammeln, und als zwei von ihnen sowie der Unterhetman Dmitro Towkatsch, sein alter Kampfgenosse, erschienen, stellte er ihnen sofort seine Söhne vor und sagte: „Seht euch mal die tapfren Jungens an! Ich will sie bald nach der Sjetsch schicken.“ Die Gäste beglückwünschten Bulba und die beiden jungen Leute, und versicherten ihnen, daß das wohlgetan wäre, es gäbe für einen jungen Mann überhaupt keine bessere Schule als die Saporoger Sjetsch.
„Nun Brüder, nehmt alle am Tisch Platz. Da, wo es jedem am bequemsten ist. Und jetzt, meine Jungens, wollen wir vor allen Dingen einen Schnaps trinken,“ sagte Bulba. „Gott segne euch! Bleibt gesund, Kinder. Dein Wohl Ostap und deins Andrij. Gott gebe, daß ihr in der Schlacht immer Sieger bleibt, daß ihr alle Heiden, die Türken und die Tataren vernichtet, und wenn die Polen unsern Glauben antasten wollen, so gebt es auch ihnen ordentlich! Gib mal dein Glas her! He, der Schnaps ist gut? Wie heißt eigentlich Schnaps auf lateinisch? Ja, ja, das waren alles Dummköpfe, die Lateiner, die wußten nicht einmal, daß es Schnaps auf der Erde gibt. Wie hieß doch der, der lateinische Verse geschrieben hat. Ich kann nicht viel lesen und schreiben, und weiß es darum nicht mehr recht … Horaz, hieß er nicht Horaz?“
„Sieh mal einer den Vater an,“ dachte der ältere Bruder Ostap, „der alte Mops weiß alles und verstellt sich so.“
„Ich mein’, der Archimandrit hat euch nicht einmal Schnaps zu riechen gegeben,“ fuhr Taraß fort, „aber gesteht mal Jungens, man hat euch doch den Rücken und alles, was ein Kosak sonst noch hat, tüchtig mit Birken- und frischen Kirschenruten bestrichen? Oder hat’s wohl gar Peitschenhiebe gegeben, da ihr mir schon gar zu klug zu sein scheint. Man hat euch wohl nicht nur Sonnabends, sondern auch am Mittwoch und Donnerstag damit regaliert?“
„Laß das doch, Vater“, sagte Ostap kaltblütig, „was geschehen ist, ist geschehen.“
„Mag’s doch jetzt mal einer versuchen!“ sagte Andrij, „er soll nur kommen, und uns anrühren; wenn mir so ein Tatarenkerl in den Weg käme, der sollte schon erfahren, was ein Kosakensäbel für ein Ding ist.“
„Brav, Söhnchen, brav, bei Gott. Wenn die Sache so steht, so fahre ich selbst mit euch. Bei Gott, das tu ich. Was zum Teufel, soll ich denn hier sitzen und warten? Soll ich etwa Buchweizen säen, nach den Schafen und Schweinen schauen, den Hauswirt spielen oder gar mit meinem Weib schön tun? Der Teufel soll sie holen, ich bin ein Kosak und mache solche Dinge nicht! Was macht’s, daß es jetzt keinen Krieg gibt! Ich gehe mit euch zu den Saporogern – ich will mich dort ein wenig austoben. Bei Gott, ich fahre mit.“
Und der alte Bulba regte sich immer mehr und mehr auf, und geriet endlich vollkommen in Zorn, stand auf, stampfte mit dem Fuß und nahm eine energische Haltung an. „Morgen geht’s los. Wozu sollen wir es aufschieben! Welchen Feind können wir denn hier abfangen? Was soll mir diese Hütte? Wozu brauchen wir das alles? Wozu sind diese Töpfe?“ Und bei diesen Worten nahm er die Töpfe und Flaschen, warf sie auf den Boden und zertrümmerte sie. Die arme alte Frau, die an dies Benehmen ihres Mannes schon gewöhnt war, saß auf der Bank und sah traurig vor sich hin. Sie wagte nichts zu sagen: als sie jedoch von dem schrecklichen Entschluß ihres Mannes hörte, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten; sie sah ihre Kinder an, von denen sie sich so schnell trennen sollte – und niemand hätte wohl die ganze stumme verhaltene Kraft ihres Kummers beschreiben können, der, wie es schien, in ihren Augen und den krampfhaft aufeinandergepreßten Lippen zitterte.
Bulba war schrecklich eigensinnig. Das war einer jener Charaktere, wie sie nur in dem harten XV. Jahrhundert, in einem von halben Nomaden bewohnten Winkel Europas geboren werden konnten, als noch das ganze alte Süd-Rußland, von seinen Fürsten verlassen, durch die unaufhaltsamen Überfälle der mongolischen Räuber von Grund auf verwüstet und verheert wurde; als die Menschen ihres Herdes und jeglicher Habe beraubt, immer tollkühner und verwegener wurden, sich im Angesicht der ständigen Gefahr und der furchtbaren Feinde in ihren abgebrannten Häusern niederließen und sich, der Furcht spottend – daran gewöhnten, dem Kampf mutig ins Auge zu schauen; als der alte, friedliche slavische Geist von der kriegerischen Flamme erfaßt wurde, als das Kosakentum, dieses machtvolle Symbol der russischen Natur, erstand und alle an den Flüssen gelegenen Gegenden, alle Fähren und alle niedrigen und bequem liegenden Plätze von Kosaken überschwemmt wurden, deren Zahl niemand anzugeben wußte und deren kühne Kameraden einem Sultan auf seine Frage nach ihrer Anzahl antworten durften:
„Wer soll das wissen? Die ganze Steppe ist mit ihnen übersät, und wo sich nur ein Hügelchen erhebt, da ist auch schon ein Kosak.“ Es war wirklich eine ungewöhnliche Erscheinung der russischen Kraft, die der Feuerstrahl des Unglücks aus der russischen Brust geschlagen hatte. An Stelle der früheren Lehnsgüter, der mit Hundewärtern und Oberjägermeistern bevölkerten kleinen Städte, an Stelle der kleinen Fürsten, die sich gegenseitig bekriegten und ihre Städte verhandelten, entstanden trotzige Niederlassungen, Kosakendörfer und Ortschaften, die durch die gemeinsame Gefahr und den Haß gegen die heidnischen Räuber verbunden waren. Es ist jedem aus der Geschichte bekannt, wie ihr ewiger Kampf und ihr ruheloses Leben Europa vor den beständigen Angriffen der Mongolen gerettet haben, die es zugrunde zu richten drohten. Die polnischen Könige, die an Stelle der Lehnsfürsten die Herrscher dieser großen Ländereien geworden waren, begriffen – obgleich sie zu weit entfernt und zu schwach waren – sehr wohl die Bedeutung der Kosaken und den Vorteil dieses so kampffrohen und wachsamen Lebens.
Sie spornten die Kosaken sogar an und leisteten ihren Neigungen Vorschub. Unter ihrer durch ihre Entfernung nur wenig drückenden Herrschaft schufen die Hetmane, die selbst aus der Mitte der Kosaken gewählt wurden, die Dörfer und Ansiedelungen in regelrechte Truppenlager und Reviere um. Dies waren zwar keine regulären Truppen – die hätte man hier vergebens gesucht – aber im Kriegsfall, wenn eine allgemeine Bewegung durch das Land ging, stellte sich jeder Kosak in höchstens acht Tagen hoch zu Roß in voller Rüstung ein. Ein jeder erhielt vom Könige für seine Dienste nur einen Dukaten, und doch wurde innerhalb zwei Wochen ein solches Heer aufgestellt, wie es keine Rekruten-Aushebung hätte schaffen können. Wenn der Krieg beendet war, kehrte jeder Krieger zu seinen Wiesen und Weideplätzen, oder zu den Ufern des Dniepr zurück, lebte dort als Fischer weiter, handelte, braute Bier, und wurde wieder ein freier Kosak.
Die Ausländer waren damals mit Recht erstaunt über die außerordentlichen Fähigkeiten des Kosaken. Es gab kein Gewerbe, das er nicht verstand: Wein keltern, Wagen bauen, Pulver mahlen, Schmiede- und Schlosserarbeiten verrichten und dazu die ganzen Nächte hindurch bummeln, trinken und zechen, wie nur irgend ein Russe das vermag – das alles war so recht nach seinem Geschmack. Neben den registrierten Kosaken, die es für ihre unabweisliche Pflicht hielten, sich im Kriegsfalle zur Verfügung zu stellen, konnte man im Notfalle auch noch jederzeit ganze Scharen von Freiwilligen zusammenbringen; zu diesem Zwecke mußten die Unterhauptleute nur einmal durch alle Märkte und Plätze der Dörfer und Städtchen hindurchfahren und von ihren Wagen herab laut verkündigen: „Hallo, ihr Bierbäuche und Bierbrauer! Hört doch endlich auf, immer nur Bier zu brauen, hinter dem Ofen herumzuliegen und die Fliegen mit euren dicken Wänsten zu mästen. Macht euch auf, Ruhm und Ritterehre zu erwerben! Hallo, ihr Ackerleute, ihr Bauern, Schafhirten und Weiberknechte! Ihr seid lange genug hinter dem Pfluge einhergelaufen, habt eure gelben Stiefel mit Erde beschmutzt und mit den Weibern scharwenzelt. Wollt ihr eure Ritterehre ganz vergessen? Auf, Kerls, es ist Zeit, wieder Kosakenruhm zu erwerben!“ Solche Worte waren gleich Funken, die in trockenes Holz fielen. Der Ackermann zerbrach seinen Pflug, die Bierbrauer verließen ihre Kübel und zertrümmerten ihre Fässer, die Händler und Handwerker ließen ihr Handwerk und ihren Laden zum Teufel gehen, zerbrachen zu Hause das Geschirr, und wer es nur irgendwie durchsetzen konnte, schwang sich aufs Pferd. Kurz, der russische Charakter kam hier mächtig und herrlich zur Entfaltung und zeigte sich in einer neuen, kräftigen Gestalt.
Taraß gehörte noch zu den alten Kosakenhäuptlingen von echtem Schrot und Korn: sein ganzer Charakter war dazu angetan, die Gefahren und die Unruhe des Krieges auf sich zu nehmen, und er zeichnete sich durch ein grobes, aber offenes und gerades Wesen aus. Damals machte sich bereits der Einfluß Polens im russischen Adel bemerkbar. Viele hatten polnische Sitten angenommen, führten ein üppiges Leben, besaßen eine glänzende Dienerschaft, Falken, Hunde und ein großes Gefolge, und hielten zudem rauschende Feste und Bankette ab. All das war Taraß verhaßt. Er liebte das einfache Leben der Kosaken, entzweite sich oft mit seinen Genossen, die der Warschauer Art zugeneigt waren, und nannte sie Sklaven der polnischen Pane. Nie gönnte er sich Ruhe und er hielt sich für den rechtmäßigen Beschützer der rechtgläubigen Kirche. Unerwartet und eigenmächtig kam er in die Dörfer, wo man über den Druck der Pächter oder über die allzu harten neuen Steuern klagte, die auf den Höfen lasteten. Dort hielt er selbst inmitten seiner Kosaken Gericht ab. Er hatte es sich zur Regel gemacht, in drei Fällen stets zum Säbel zu greifen, erstlich wenn die Kommissare den Ältesten der Gemeinde nicht die nötige Achtung erweisen wollten und mit der Mütze auf dem Kopfe vor ihnen standen; zweitens, wenn sie über die rechtgläubige Kirche spotteten und die Sitten der Vorfahren belächelten, und endlich drittens: wenn es sich um Feinde, Türken und Mohammedaner handelte, gegen die er es stets für erlaubt hielt, zum Ruhme der Christenheit das Schwert zu ziehen.
Jetzt freute er sich schon im voraus bei dem Gedanken, mit seinen beiden Söhnen in der Sjetsch einzutreffen und dort laut verkündigen zu können: „Seht mal her, was ich euch für tüchtige Kerle mitgebracht habe!“ Er freute sich darauf, sie all seinen kampferprobten Freunden zu zeigen und dann ihre ersten großen Taten in der Kriegs- und Fechtkunst, die er ebenfalls für die Haupttugend eines Ritters hielt, miterleben zu dürfen. Zuerst wollte er sie allein fortschicken; aber angesichts ihrer frischen Jugend, ihres kräftigen Wuchses und ihrer männlichen Schönheit loderte sein kriegerischer Geist empor, und er beschloß, sich schon am nächsten Tage selbst mit ihnen auf den Weg zu machen, wenn ihn auch keine andere Notwendigkeit zu dieser Reise veranlaßte, als allein sein eigensinniger Wille. Er war bereits aufs äußerste beschäftigt und erteilte Befehle, wählte die Pferde, Geschirr und Sattelzeug für seine jungen Söhne aus, sah sich in den Ställen und Speichern um und bestimmte die Diener, die morgen mit ihnen zusammen aufbrechen sollten. Seine Ämter übergab er dem Unterhauptmann Towkatsch, und befahl ihm zugleich aufs strengste, sich unverzüglich mit der ganzen Schar einzufinden, sowie er aus der Sjetsch eine Nachricht von ihm erhalte. Obgleich er noch ein wenig angeheitert war, und der Branntwein noch in seinem Kopfe rumorte, vergaß er doch nichts: er befahl sogar, die Pferde zu tränken, ihnen den schönsten und besten Weizen in die Krippe zu schütten, und kam endlich ganz ermüdet von all seinen Besorgungen zu Hause an.
„Jetzt heißt es, ausschlafen, Kinder, und morgen, da machen wir, was Gott uns eingiebt. Ja, und mach uns keine Betten zurecht. Wir brauchen kein Bett; wir werden auf dem Hofe schlafen.“
Die Nacht hatte ihre Schwingen noch kaum über den Himmel gebreitet, aber Bulba pflegte sich stets früh zur Ruhe zu begeben. Er streckte sich auf dem Teppich aus und bedeckte sich mit einem kurzen Schafspelz, denn die Nachtluft war ziemlich frisch, und Bulba hüllte sich gern tüchtig ein, wenn er zu Hause war. Es dauerte nicht lange, da begann er schon zu schnarchen, und bald folgte der ganze Hof seinem Beispiel; alles, was in den verschiedenen Ecken herumlag, schnarchte, pfiff und grunzte in den verschiedensten Tönen im schönsten Konzert. Zuallererst schlief der Wächter ein: er hatte zur Feier der Ankunft der jungen Herren am meisten getrunken.
Nur die arme Mutter schlief nicht. Sie schlich sich an das Kopfende ihrer Herren Söhne, die nebeneinander lagen, kämmte ihre jungen, wirren Locken mit einem Kamme und netzte sie mit ihren Tränen. Sie blickte sie an, blickte sie vollen Herzens an, als wäre sie ganz Auge geworden – und konnte sich nicht satt an ihnen sehen. Sie hatte sie an ihrer eigenen Brust genährt; hatte sie selbst gehegt und gepflegt und großgezogen – und jetzt sollte sie sie nur einen kurzen Augenblick bei sich sehen!
„Meine Söhne, meine lieben Söhne! Was wird aus euch werden? Was erwartet euch?“ sagte sie, und die Tränen blieben in den Runzeln hängen, die ihr einstmals so schönes Gesicht gänzlich verändert hatten. Wirklich, sie war zu bedauern, wie jede Frau in dieser kampflustigen Zeit. Nur einen Augenblick hatte sie die Liebe, die ersten hitzigen Triebe der Leidenschaft, die erste stürmische Glut der Jugend kennen gelernt, und schon hatte ihr rauher Geliebter sie verlassen, um sie gegen den Säbel, die Kameraden und Zechgelage einzutauschen. Gewöhnlich sah sie ihren Mann zwei, drei Tage im Jahr; es kam aber auch vor, daß sie jahrelang nichts von ihm hörte. Aber selbst wenn sie ihn dann sah, wenn sie zusammen lebten – was war das für ein Leben! Sie mußte jede Beleidigung über sich ergehen lassen, sie erhielt sogar Schläge, und die Liebkosungen, die ihr zuteil wurden, warf man ihr nur wie aus Gnade hin. Sie war ein seltsames Wesen, mitten in diesem Kreise unbeweibter Reiter, denen das unbändige Saporoger Leben seinen rauhen Charakter mitgeteilt hatte. Ihre an Glück und Genüssen arme Jugend war dahingeschwunden; ihre wunderschönen frischen Wangen und Brüste waren ungeküßt verblüht und hatten sich vorzeitig mit Runzeln bedeckt. Alle Liebe, alle Gefühle, alles was eine Frau an Zartheit und Leidenschaft in sich birgt, hatte sich bei ihr ausschließlich in mütterliches Empfinden verwandelt. Voller Glut und Leidenschaft, und mit Tränen in den Lidern hing sie wachsam wie eine Steppenmöve an ihren Kindern. Ihre Söhne, ihre lieben Söhne sollten ihr genommen werden – und sie würde sie niemals wiedersehen! Wer weiß, vielleicht würden die Tataren ihnen schon in der ersten Schlacht die Köpfe abhauen, und sie würde nie erfahren, wo ihre Leiber hingekommen seien, die unbeachtet am Wege lagen und die vielleicht ein vorbeifliegender Raubvogel zerfleischte. Wie gern hätte sie für jeden Tropfen ihres Blutes ihr ganzes Leben hingegeben! Weinend schaute sie ihnen in die Augen, die der allmächtige Schlaf schon zu schließen begann: „Vielleicht,“ sprach sie leise vor sich hin, „vielleicht wird Bulba, wenn er aufwacht, die Reise doch noch auf zwei Tage verschieben, vielleicht wollte er nur deshalb so früh aufbrechen, weil er zu viel getrunken hat.“
Der Mond beleuchtete schon längst den Hof, der voller Schläfer lag, und blickte auf das Weidengestrüpp und all das hohe Steppengras herab, das den Hof gleichsam umzäunte. Sie aber saß immer noch zu Häupten ihrer geliebten Söhne, blickte nicht einen Augenblick von ihnen weg und dachte nicht an Schlaf. Die Pferde, die bereits die Morgendämmerung witterten, lagen im Grase und fraßen bald nicht mehr; die Wipfel der Weiden zitterten, und ein leises Flüstern glitt wie ein Strom bis zu ihren Wurzeln herab. Sie saß da, bis es hell wurde, verspürte nicht die leiseste Müdigkeit und wünschte insgeheim, daß die Nacht recht lange dauern möchte. Von der Steppe her hörte man das leise Wiehern der Füllen, und am Himmel leuchtete der erste Streifen der Morgenröte auf.
Plötzlich erwachte Bulba und sprang empor. Er erinnerte sich an alle Anordnungen, die er gestern getroffen hatte. „Hallo, ihr Burschen, jetzt ist es vorbei mit dem Schlafen! Es ist Zeit, höchste Zeit. Tränkt die Gäule! Und wo ist die Alte? (So nannte er gewöhnlich seine Frau.) Schnell, schnell Alte, mach das Essen bereit: wir haben einen langen Weg vor uns!“
Die arme Alte ging traurig und ihrer letzten Hoffnung beraubt, ins Haus. Während sie tränenden Auges alles vorbereitete, was zum Frühstück erforderlich war, erteilte Bulba seine Befehle, machte sich im Stall zu schaffen und suchte selbst den kostbarsten Schmuck für seine Söhne aus.
Die Seminaristen schienen plötzlich wie umgewandelt. Statt der alten schmutzigen Stiefel hatten sie nun welche aus rotem Saffianleder mit silbernen Beschlägen; die Beinkleider, die so weit waren, wie das schwarze Meer, schlugen tausend Falten und wurden durch einen goldenen Gurt zusammengehalten, an dem lange schmale Riemen mit Troddeln und anderem Zierat für die Tabakspfeife angebracht waren. Ihre feuerroten Kosakenröcke schnürten bunt gestickte Gürtel ein, in denen schön ziselierte türkische Pistolen staken, und ihre Füße umklirrte ein mächtiger Säbel. Ihre nur wenig gebräunten Gesichter schienen noch schöner und weißer geworden zu sein, und ihre jünglingshaften schwarzen Schnurrbärte ließen die helle Farbe und die gesunde kraftvolle Blüte ihrer Jugend noch stärker hervortreten. Mit ihren in eine goldene Spitze auslaufenden Schaffellmützen sahen sie tatsächlich wunderschön aus. Die arme Mutter! Als sie sie erblickte, vermochte sie kein Wort hervorzubringen, und die Tränen blieben ihr in den Augen stecken.
„Nun Jungens, es ist alles fertig. Jetzt ist keine Zeit mehr zu verlieren!“ sagte Bulba endlich. „Doch wir wollen uns vor der Abreise nach christlichem Brauch erst noch einmal niedersetzen.“
Alle ließen sich nieder, selbst die Knechte, die bisher ehrerbietig an der Tür gestanden hatten.
„So, jetzt segne deine Kinder, Mutter,“ sagte Bulba, „bete zu Gott, daß sie wacker kämpfen, stets die Ritterehre hochhalten und den christlichen Glauben beschützen mögen – sonst sollen sie lieber zugrunde gehen, und ihre Spur mag vom Erdboden getilgt werden! Kinder, geht zu eurer Mutter hin, das mütterliche Gebet schützt einen zu Wasser wie zu Lande!“
Die Mutter umarmte sie, schwach wie jede Mutter, zog zwei kleine Heiligenbildchen hervor und legte sie ihnen schluchzend um den Hals. „Die heilige Jungfrau möge euch beschirmen … Vergesst eure Mutter nicht, Kinder … laßt uns ab und zu eine Nachricht zukommen …“ Mehr vermochte sie nicht zu sagen.
„Nun kommt, Jungens,“ sagte Bulba. Die gesattelten Pferde standen vor der Tür. Bulba schwang sich auf seinen „Teufel“, der sich wütend aufbäumte, wie wenn er eine Last von zwanzig Zentnern auf sich fühlte. – Taraß war nämlich außerordentlich schwer und umfangreich.
Als die Mutter sah, daß ihre Söhne bereits die Pferde bestiegen, schmiegte sie sich an den Jüngeren, dessen Züge mehr Zärtlichkeit für sie verrieten. Sie ergriff seine Zügel, klammerte sich an seinen Sattel und wollte, die Augen voll Verzweiflung auf ihn geheftet, nicht von ihm lassen. Zwei kräftige Kosaken packten sie vorsichtig an und trugen sie in das Haus zurück. Aber als die Kavalkade gerade das Tor passiert hatte, lief sie, was in keinem Verhältnis zu ihrem Alter stand, mit der Behendigkeit einer jungen Ziege vor das Tor, hielt das Pferd mit unbegreiflicher Kraft an und umarmte ihren Sohn mit einer geradezu rasenden und sinnlosen Leidenschaft. Man mußte sie zum zweiten Male fortschleppen.
Trübsinnig ritten die jungen Kosaken davon, indem sie sich aus Furcht vor dem Vater krampfhaft bemühten, die Tränen zurückzuhalten, der selbst etwas bewegt war, obgleich er sich’s nicht merken ließ. Es war ein trüber Tag, das Grün schimmerte grell, und die Vögel zwitscherten wild durcheinander. Nachdem unsere Freunde ein Weilchen geritten waren, schauten sie sich um: das Gehöft schien wie in den Boden gesunken zu sein, nur die beiden Schornsteine ihres bescheidenen Häuschens und die Wipfel der Bäume waren noch zu erblicken, in deren Ästen sie früher wie Eichhörnchen herumgeklettert waren. Nun lag die weite Wiese vor ihnen, die die Erinnerungen an ihr ganzes Leben wachrief: seit den Jahren da sie sich auf dem betauten Gras herumgetummelt hatten, bis zu der Zeit, wo sie den schwarzäugigen Kosakenmädchen auflauerten, die mit ihren flinken jungen Füßchen ängstlich über die Wiese liefen. Jetzt sah man nur noch die Stange über dem Brunnen, die mit ihrem oben befestigten Wagenrad einsam in den Himmel ragte, und die Ebene, die sie durchritten hatten, schien ihnen fast wie ein Berg, der alles verdeckte. – Lebt wohl, ihr kindlichen Spiele, lebt alle, alle wohl!
Zweites Kapitel
Die drei Reiter ritten schweigend vor sich hin. Der alte Taraß dachte an die Vergangenheit, seine Jugend zog an ihm vorüber: die dahingeschwundenen Jahre, die der Kosake beweint, der sein ganzes Leben lang jung zu bleiben wünscht. Er dachte daran, wem von seinen einstigen Kameraden er wohl in der Sjetsch begegnen würde. Er rechnete aus, welche von ihnen bereits gestorben wären, und wer wohl noch am Leben sein mochte. In seinem Auge glänzte eine stumme Träne, und sein ergrauter Kopf hing traurig herab …
Seine Söhne waren mit ganz andern Gedanken beschäftigt. Doch es ist Zeit, etwas Näheres über sie mitzuteilen. Mit zwölf Jahren waren sie auf das Seminar von Kiew geschickt worden, denn alle höheren Würdenträger jener Zeit hielten es für nötig, ihren Söhnen eine gelehrte Erziehung zuteil werden zu lassen, obschon dies zu keinem andern Zweck geschah, als damit sie nachher alles Gelernte wieder vollständig vergessen. Bei ihrem Eintritt ins Seminar waren sie, wie alle Jünglinge ihrer Art, noch sehr wild und richtige Naturburschen; dort aber wurden sie gewöhnlich etwas abgeschliffen und nahmen bald durch die gleichmäßige Erziehung Gewohnheiten an, die da machten, daß sie sich alle ein wenig ähnlich sahen. Ostap, der ältere, begann seine Laufbahn damit, daß er noch im ersten Jahre die Flucht ergriff. Man brachte ihn zurück, prügelte ihn fürchterlich durch und setzte ihn hinter die Bücher. Viermal vergrub er sein Lesebuch in die Erde, und viermal wurde ihm ein neues angeschafft, nachdem er das alte unmenschlich zerrissen hatte. Er hätte es zweifellos noch zum fünftenmal versucht, wenn ihm sein Vater nicht feierlich geschworen hätte, ihn volle zwanzig Jahre als Knecht ins Kloster zu schicken und ihm nicht angedroht hätte, er solle die Sjetsch niemals zu Gesicht bekommen, wenn er sich auf der Akademie nicht alle Wissenschaften aneignen werde. Es ist interessant, daß derselbe Taraß Bulba dies sagte, der über alle Gelehrsamkeit spottete und, wie wir gesehen haben, seinen Kindern empfahl, sich nicht mit solchen Dingen zu beschäftigen! Seit dieser Zeit begann Ostap mit außerordentlichem Fleiß über dem langweiligen Buche zu brüten und wurde bald einer der besten Schüler. Das damalige Unterrichtssystem nahm nicht die geringste Rücksicht auf das wirkliche Leben; denn diese scholastischen, grammatikalischen, rhetorischen und logischen Finessen paßten gar nicht zu dem Zeitalter, wurden nie angewendet und wurden im Leben nie wieder gebraucht. Die, die sie beherrschten, konnten ihr Wissen, auch wenn es weniger scholastisch war, nirgends anbringen. Die damaligen Gelehrten waren bei ihrer Weltfremdheit, und weil es ihnen an der nötigen Erfahrung fehlte, fast noch unwissender, als die andern Menschen. Außerdem mußte ihnen auch die republikanische Verfassung der Seminare – diese ungeheuere Anzahl gesunder, kräftiger, junger Leute, Lust zu einer Tätigkeit einflößen, die gar nichts mit den Studien, die sie trieben, zu tun hatte. Oft genug erzeugten auch die schlechte Kost, die häufigen Hungerstrafen und die Bedürfnisse, die in einem frischen, gesunden, jungen Manne erwachen, jenen Unternehmungsgeist in ihnen, dem sie nachher in der Saporoger Sjetsch ungehemmten Lauf lassen konnten. Die hungrigen Seminaristen streiften durch die Straßen Kiews und zwangen alle zur peinlichsten Vorsicht. Die Hökerfrauen, die auf dem Markte saßen, bedeckten ihre Pasteten, Brezeln und Kürbissamen stets mit den Händen wie das Adlerweibchen seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen vorbeikommen sahen. Der Konsul, dessen Pflicht es war, die ihm untergebenen Kameraden im Zaum zu halten, hatte so riesige Taschen in seinen weiten Beinkleidern, daß er den ganzen Kramladen der etwas eingeschlafenen Handelsfrau darin hätte unterbringen können. Diese Seminaristen bildeten eine abgeschlossene Welt für sich. Zu den höheren Kreisen, die sich aus dem russischen und polnischen Adel zusammensetzten, hatten sie keinen Zutritt. Selbst der Wojewode Adam Kissel führte sie trotz des Protektorates über das Seminar, das er übernommen hatte, nicht in die gute Gesellschaft ein, und erließ den Befehl, sie recht streng zu halten. Übrigens war diese Anordnung ganz überflüssig, denn der Rektor und die geistlichen Professoren sparten weder Ruten noch Peitsche, und oft genug züchtigten die Liktoren ihre Konsuln auf ihren Befehl so fürchterlich, daß jene sich noch wochenlang die Beinkleider kratzten. Vielen machte das kaum etwas aus, und brannte es nur ein wenig stärker, als ein gut gepfefferter Schnaps; andere jedoch bekamen die ständigen Züchtigungen gründlich satt und brannten nach dem Saporog durch, wenn sie den Weg dorthin zu finden wußten und nicht wieder eingefangen wurden. Ostap Bulba blieb, obschon er die Logik und die Gottesgelahrtheit mit großem Eifer zu erlernen begonnen hatte, keineswegs von den ewigen Prügelstrafen verschont. Es ist nur zu natürlich, daß diese Behandlung schließlich den Charakter verhärten und ihm jene gewisse Festigkeit geben mußte, die den Kosaken stets eigen war. Ostap galt immer für einen der besten Kameraden. Er verführte selten andere zu frechen Unternehmungen – wie etwa zu Raubzügen in fremde Obst- und Gemüsegärten; dafür aber war er einer der ersten, die sich unter die Fahne eines kühnen, unternehmungslustigen Seminaristen stellten, und nie, und unter keinen Umständen hätte er einen Kameraden verraten: weder Peitschenhiebe noch Rutenstreiche konnten ihn dazu veranlassen. Er war gleichgültig und voller Verachtung gegen alle Leidenschaften, die nicht auf den Krieg oder ein Freß- und Saufgelage abzielten. Wenigstens dachte er fast an nichts anderes. Gleichgestellten gegenüber besaß er eine große Offenheit. Er besaß eine gewisse Güte, soweit dies in dieser Zeit und bei einem solchen Charakter möglich war. Die Tränen der armen Mutter hatten sein Herz außerordentlich bewegt, und es war allein dies Gefühl, das ihn jetzt verwirrte und ihn zwang, nachdenklich den Kopf zu senken.





