Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur

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Ovid schildert ein Gefolge von sidonischen Frauen, die Ino begleiten. Sein Vater KadmosKadmos kam ursprünglich aus Sidon in Phönizien250; die Schwierigkeit ist aber deutlich, wie Anderson anführt: „These women can hardly be first-generation Sidonians“251. Außerdem ist Ino in ThebenTheben geboren und nicht in Sidon. Sie folgen ihr bis zum Rande der Klippe252, bis zum selben Ort, wo Ino ins Meer gesprungen ist; sie halten sie für tot253. Dann werden die typischen Attribute der damals üblichen Klageweiber254 beschrieben: sich die Haare raufen und die Kleider vom Leib reißen. Die zusätzliche laute Klage sidonischer Frauen füllt die Lücke des Trauerns. Den Gesten fügen sie nämlich die Worte hinzu: Juno ist ungerecht und sehr grausam. Dies ruft noch ein weiteres Mal Junos Zorn hervor: Die anklagenden Worte werden das deutlichste Denkmal dessen, worüber sie klagen, nämlich Junos Grausamkeit.
Res dicta secuta est (550)255. Die Worte der Göttin werden unverzüglich durchgeführt. Dies steht im Widerspruch zur großen Paraphernalia der früheren Verse. Junos Absicht wird dort durch einen langen und leidvollen Besuch in der Unterwelt und durch die Erinnye Tisiphone ausgeführt; noch dazu ist Athamas ein Mittel von ZeusZeus’ Frau, um KadmosKadmos’ Haus das Böse zu schicken. Hier nicht: Die Aktion ist zeitnah und unmittelbar. Junos Worte sind keine bloße Redefigur: Die sidonischen Frauen werden selbst zu einem Denkmal. Die Versteinerung der Gefährtinnen von Ino ist ein Zeugnis von Junos Grausamkeit, ein Denkmal für Paralyse, Ruhe, Tod. Merkwürdig ist, dass die ungerechte JunoJuno ihr bösartiges Werk mit der treuesten Gefährtin Inos beginnt; auf diese Weise zeigt sich noch deutlicher Junos Ruchlosigkeit. Bömer erklärt, „pietas ist als Bezeichnung eines Verhältnisses gegenüber Menschen außerhalb der consanguinitas (VII 169) selten“256.
In diese Skulpturengruppe kommen Viarre zufolge nach und nach „quatre attitudes différentes, signe d’un même deuil et d’une même inquiétude“257:
a) Der Antrieb: saltumque datura moueri | haud usquam potuit scopuloque affixa cohaesit (552–553). Diese sidonische Fraue verbindet sich völlig mit dem Fels der Klippe.
b) Ein Klagegeschrei: temptatos sensit riguis se lacertos (555). Seltsam ist, dass Ovid für diese Frau das Distributiv altera benutzt, denn sie ist nicht die zweite von zwei, sondern von vielen anderen Frauen. Gewagt ist die Verwendung von temptatos mit lacertos: Dies ergibt ein unerwartetes Bild.
c) Eine Anrufung der Wellen: Saxea facta manus in easdem porrigit undas (557).
d) Sich die Haare raufen: subito digitos in crine uideres (559).
Es gibt einen gewissen Prozess in der Versteinerung der sidonischen Frauen, genauso wie in der Fokussierung der Einzelheiten: vom Körper, der springen will, zu den Armen, die sich wünschen, auf die Brust zu schlagen, zu den nach den Wellen des Meeres sich ausstreckenden Händen, bis zu den die Haare raufenden Fingern. Die Bewegung erstarrt auf Junos Stimme hin; so müssen sie für ewig bleiben.
Allerdings leiden sie nicht alle unter einer Lähmung, ganz im Gegenteil gibt es auch einige, die nie aufhören, sich zu bewegen. Sie werden zu Vögeln, zu den Ismeniden, die im dortigen Meer die Fläche streifen258. Die Ätiologie ist ersichtlich. Eitrem beteuert, „nach Ovid. Met. IV 561fOvidMet. IV 561. wurden die Gefährtinnen der L. in αἴθυιαι verwandelt (als solche erschienen sie ja selbst dem Odysseus in der Od. a. O., vgl. Die AtheneAthene αἴθυια bei MegaraMegara)“259. Es scheint, dass ein Heiligtum von Athene ‚Aithyia‘ sich auf den nahe bei Megara liegenden Klippen befand260; dies würde die megarische Version des Mythos unterstützen. Die Frage ist meiner Meinung nach, warum Ovid zwei Arten von Metamorphosen für die sidonischen Frauen nennt. Andersons Grund ist m.E. nicht sehr überzeugend: „Birds serve as a common symbol of grief, with their piercing cries and seemingly restless flight“261. Leider wurde dafür kein anderer Vorschlag gefunden.
Abgesehen von den erwähnten Varianten für die Verse 431 und 471 sollte man folgendes Textkritikproblem ansprechen: „MSS tradition indicates convincingly that 446 was not in the Ovidian text that survived into the medieval period“262. In der Tat wird dieser Vers in MNλ ausgelassen und nicht wenige Herausgeber haben Zweifel, ob er überhaupt zum Text gehört.
Zunächst muss man mit Bömer zugeben, dass „sich der Zusammenhang auch ohne diesen Vers verstehen“263 lässt. In diesem Fall muss man ein Zeugma und das Auflösen der ‚Strafen‘ annehmen. Dieser Vers kommt zum ersten Mal in einigen Korrekturen einer früheren Handschrift vor; die Datierung dieser Änderung ist vom 12. Jh. n. Chr. Seither wurde er in alle späteren Kopien der Handschriften eingestellt. Der Korrektor264 ist sehr kritisiert geworden, weil die Strafen innerhalb der Stadt der Toten, und nicht außerhalb stattfinden. Allerdings gilt diese Kritik zwar für Vergil, aber nicht für Ovid; in den Metamorphosen kann Juno selbst in diese Gegend eintreten, obwohl sie eine olympische Göttin ist. Man könnte denken, dass die vierte Gruppierung von Toten eine Art Übergang zu Junos Ziel vorbereitet.
Bömer, der den Vers ausführlich analysiert hat, meint: „so bleibt die Entscheidung über die Echtheit des Verses letztlich subjektiv“265. Da der Hauptteil der Tradition diesen Vers nicht präsentiert und die Darstellung der Strafen als ein Fremdteil der Gesamtbeschreibung anzusehen ist, entscheidet sich Bömer, ihn beiseite zu lassen: „Der Interpolator hat dann den Versuch gemacht, das harte Zeugma artes celebrare durch artes exercere zu glätten, seine Vergilkenntnisse anzubringen und gleichzeitig, mit Hilfe Vergils, seinen christlichen Zeitgenossen ins Gewissen zu reden“266. Anderson jedoch schließt aus, „the ‘interpolator’, if he is such, is right on target“267. Heinsius, Merkel, Magnus, Mendner unterlassen seine Erwähnung268; Helm, Lafaye, Breitenback verteidigen ihn269. Anderson behält ihn in Teubners Ausgabe, im Gegensatz zu Tarrant270, in dessen Ausgabe (Oxford) er eine Zeile frei lässt und den Vers darunter in eckiger Klammer schreibt. Meiner Meinung nach könnte der Vers wie bei Teubner im Text bleiben.
Diese besondere wichtige Textstelle ist einige persönliche Endüberlegungen wert.
Die in den Metamorphosen erzählte Geschichte über Athamas und Ino könnte meiner Meinung nach als eine grandiose theatralische Darstellung angesehen werden. Das Drehbuch hat Juno geschrieben; Tisiphone hat das Werk ausgeführt; Ino und Athamas spielen die Hauptrollen; Learchos und Melikertes sind die Nebenfiguren; Bacchus ist die angeblich abwesende Figur, aber er ist immer anwesend; die sidonischen Frauen sind der dem Werk hinzugefügte Epilog. Darüber hinaus ist in dieser Darstellung nicht der Leser der Zuschauer par excellence, sondern Juno, die aus dem Olymp die ganze Aktion sieht und daran Gefallen (vgl. Vers 524) findet.
Es ergeben sich vier Sichtweisen auf das Werk: Ino und Athamas, die nur die ihnen den Wahnsinn schickende Erinnye Tisiphone sehen; Juno, die Anstifterin, die weiß, warum jene wahnsinnig geworden sind; Ovid, der die ganze Geschichte schreibt und beabsichtigt, das, was er schon in den Metamorphosen aufgezeichnet hat, in diesem Buch noch zu schreiben, und auch das, was er von dieser Erzählung schon in anderen Werken berichtet hat und was schon über diesen Mythos vor ihm geschrieben wurde; der Leser, der zu all diesen Elementen hinzufügt, was nach Ovid darüber erzählt worden ist, eine Tradition, die mit Sicherheit wiederum von diesem Dichter und seinen Ansichten beeinflusst worden ist.
Meiner Meinung nach agieren die Personen entschieden und unverzüglich: Juno ist entschlossen, zur Unterwelt zu gehen, ohne lang darüber nachzudenken; Tisiphone verlässt ihr Haus augenblicklich; Athamas ruft sofort seine Gefährten, um zur Jagd zu gehen; Ino zögert nicht, vom Steilufer zu springen; Neptun verhandelt nicht über die Gewährung der Divinisierung. Alles vollzieht sich jedoch im letzten Teil langsamer, und zwar bei der Bestrafung der sidonischen Frauen: Da ist jede Einzelheit sehr wichtig und der Prozess der Versteinerung wird schrittweise und nicht unversehens geschildert.
Ovids Beschreibung stellt auch eine große Bewegtheit vor: Juno steigt aus dem Olymp bis zur Unterwelt hinab und kehrt zum Olymp zurück; Tisiphone steigt aus der Unterwelt zum Hause von Athamas hinauf und kehrt zu ihrem Haus zurück; Athamas schreitet aus dem Palast heraus in Richtung Wald; Ino bewegt sich aus dem Wald über die Felswand zum Meer. In den beiden letzten Fällen kehren die von Wahnsinn unterjochten Hauptfiguren nicht zum Hause zurück. Der Wald und das Meer bleiben als Todesorte. Nur dank des Eingreifens von VenusVenus wird die SeeSee für Ino (und Melikertes) ein Rettungsort und eine ewige Wohnung (Heilung des Wahnsinns). Diesen Bewegungen steht die fortschreitende Unbeweglichkeit der sidonischen Frauen entgegen: Ihre Bewegungslosigkeit ist nicht ein Rettungszeichen, sondern ein Zeugnis von Grausamkeit und Bestrafung. Deswegen haben sie kein Leben, darum werden sie zu Stein271.
Es sieht nicht so aus, als bekümmerte sich Ovid darum, eine ordentliche und perfekt zusammenhängende Erzählung zu verfassen, wie es schon oben angedeutet wurde. Der Dichter zeigt verschiedene Szenen, die sich „durch Assoziationen“272 verbinden. Vergil aber präsentiert eine einheitlichere Geschichte; das kann man z.B. in der Beschreibung der Unterwelt sehen: „Zusammenfassung des ersten Abschnitts (Aen. I 50, VII 323VergilAen. VII 323VergilAen. I 50), Aufbruch und Ankunft am neuen Ort, notwendige Angaben über den Ort, bzw. die Personen der neuen Szene (Aen. I 51–63, VII 324–29VergilAen. VII 324–329VergilAen. I 51–63), dann die weitere Handlung“273. Bernbecks Behauptung über den mangelnden Zusammenhang der Erzählung bei Ovid ist jedoch m.E. ein wenig übertrieben: „Ovid legt auf die Kontinuität der Handlung keinen besonderen Wert“274. Meiner Meinung nach schlägt Ovid eine andere Art von Beschreibung vor, nämlich eine anschaulichere Erzählung, die aus diesem Grund die perfekte Verbindung und Einheit verliert.
Bernbeck zufolge275 besteht der Text aus verschiedenen Szenen, die fast unabhängig voneinander sind:
Einleitung: Grund für Junos Zorn (416–419).
Erste Szene: Junos Monolog (420–431).Einführung zur 2. Szene: Tartaros Beschreibung (432–446).
Zweite Szene: Bitte um Tisiphones Hilfe (447–480).
Dritte Szene: Tisiphones Angriff (481–511).
Vierte Szene: Athamas’ Wahnsinn und Inos SprungSprung (512–530).
Fünfte Szene: Bitte von VenusVenus und Divinisierung von Ino und Melkertes (531–542).
Daraus ergibt sich, dass die Schilderung des Wahnsinns nicht das Hauptmotiv in Ovids Erzählung ist und die Geschichte sich vor allem auf die Darstellung der Unterwelt konzentriert. Bernbeck sagt deshalb: „Bei Ovid dagegen überwuchern die vorbereitenden Szenen, bezeichnenderweise seine eigenen Erfindungen, das durch die Überlieferung vorgegebene Geschehen“276. Dieser Meinung ist auch Anderson: „Thus, he ends up with a brief traditional tale in two phases of about sixteen lines each, which frames his own episode of grotesque Tisiphone, a brilliant tour de force of eighty lines“277.
Bernbeck278 hat Recht, wenn er meint, dass die Figuren von JunoJuno und Tisiphone eine hervorragendere Rolle spielen als Athamas bzw. Ino selbst. Er übt aber eine sehr strafende Kritik an Ovids angeblichen Fehlern gegen die epische Tradition, wie z.B. das Weglassen der Teile, die die Monologe oder die Bitten vorbereiten. Er glaubt, „es fehlen die im Epos gebräuchlichen Angaben über Zugang und Abgang der Personen“279. Ebenso merkt er, wie schon angedeutet worden ist, den Mangel der Einheit der Szenen an und meint darum, dass bei Ovid Ungenauigkeiten und Widersprüche bestehen. Letzlich denkt er, „all diese Erscheinungen bedeuten eine Durchbrechung der Kontinuität des Geschehens und der Darstellung“280. Dies ist m.E. zu exzessiv; Ovid hat seine Art von Erzählung und seine eigenen Richtlinien. Schließlich ist der Humor, den Bernbeck so ungern und im Text allgegenwärtig sieht, auch nicht in der ganzen Erzählung zugegen.
Auf jeden Fall gilt Ovids Textestelle als wesentlich im Verstehen des Mythos von Athamas, denn seine Erzählung ist verpflichtender Lesestoff, wenn nicht sogar die einzige vorhandene Quelle, für die nach ihm kommenden Schriftsteller. Man kann kategorisch behaupten, dass die Mythologie allgemein und Athamas Legende insbesondere aus Ovids Perspektive im Laufe der Jahrhunderte gelesen und verstanden wurden. Interessant ist diesbezüglich ein typisches Beispiel von literarischem Weiterleben im Feld der Mythologie, nämlich ein Fortbestand der berühmten Beschreibung der in diesem Buch I-L-M genannten Version in Ovids Metamorphosen: Es handelt sich um Dantes Göttliche Komödie281.
Im 30. Gesang der Hölle beginnt Dante seine Geschichte, indem er den Leser in eine entfernte, irreale und mythologische Zeit transponiert: „Nel tempo che“282. Dante schlägt zwei Beispiele von WahnsinnWahnsinn vor; das erste gehört zum thebanischen Zyklus: Die von Ovid berichtete I-L-M-Version283. Dante bezieht sich offensichtlich auf Ovids Erzählung, wie man aus den im Gedicht verwandten Bildern schließen kann. Athamas ruft seine Gefährten für die Jagd zusammen; der Aiolide sieht eine Löwin mit ihren Jungen; er tötet Learchos, indem er ihn am harten Gestein zeschmettert. Das Auffälligste in Dantes Text ist die Charakterisierung von Athamas als tierisch284, die den Leser verwirrt, so wie der Aiolide selbst die Wirklichkeit verwechselt285.
I.1.3 Met. VI 115–128OvidMet. VI 115–128
Die nächste Textstelle spricht über einen Teil des von Arachne gewobenen Stoffes. Von dieser Erzählung wird nur Vers 117 hervorgehoben; darin berichtet Ovid, wie der in einen WidderWidder verwandelte Gott Neptun mit Bisaltide geschlafen hat, deren Frucht das bekannte goldene VliesGoldenes Vlies sein wird. Die Geschichte wurde ausführlich von Hygin in Fab. CLXXXVIIIHyginusFab. CLXXXVIII erzählt.
Wie Bömer meint, ist nur folgendes nennenswert: „Aus Bisaltis wird durch Fehlinterpretation bei Hyg. fab. 188,1 und Schol. Germ. p. 143,9 BREYSIGScholia zu GerrmanicusSchol. in Germ. Arat. G 143 Breysig Bisaltidis (statt Bisaltis) filia“1. Ovid benutzt das Verb fallo, das die Geschichte in Verbindung mit Liebesbetrug bringt. Anderson zufolge strickt Arachne die unglückliche Liebeseskapade von Neptun, „whom Ovid apostrophizes in hymnal form in order to undermine the divinity of the god“2. Von den sechs Betrugsaffären, nämlich jener mit Kanake, Iphimedeia oder Tyros, Theophanes, Demeter, Medusa, Melantho, ist es die dritte, die auf Athamas’ Mythos anspielt.
I.1.4 Met. XI 194–196OvidMet. XI 194–196
Hier geht es um den HellespontHellespont. Der Kontext dieser Textstelle ist die Rückkehr von Apollon, nachdem er Midas in Troja bestraft hat, weil er den mit ApollonApollon selbst und Neptun geschlossenen Pakt gebrochen hatte.
Der Hellespont wird angustum citra pontum Nepheleidos Helles genannt, im Gegensatz zu D.P. 506–519Dionysios PeriegetesD.P. 506–519, D.P.Par. 513–516 MüllerParaphrase zu Dionysios PeriegetesD.P. Par. 513–516 Müller und Et.GudEtymologicum GudianumEt.Gud. ε 459. ε 459, die HelleHelle zu Athamas Tochter machten. Dieser Beleg kommt zum ersten Mal vor und, wie Bömer erklärt, „nur hier in der klassischen Dichtung“1. Es stimmt, dass Valerius Flaccus nachher von pecoris Nephelaei uellera (I 56) reden wird, aber nicht von dem Meer des Hellesponts; zwei spätere Textstellen aber, und zwar Lucan. IX 956LucanusLucan. IX 956 und Auson. MosAusoniusMos. 287–288. 287–288, folgen ja ganz genau Ovids Spur.
Das Wort citra bedeutet „zwischen Pontus und Tmolus“2; das heißt, dass man sich von Tmolus aus gesehen auf der asiatischen Seite befindet, und dass man nordwärts geht. In der Tat benutzt Ovid in den Metamorphosen nur die griechischen Namen von Ino, Melikertes (beide schon divinisiert), PhrixosPhrixos und Helles Mutter (LeukotheaLeukothea, PalaimonPalaimon und NepheleNephele), und nicht ihre lateinischen Varianten oder Übersetzungen, wie es z.B. Hygin macht.
Ovid erwähnt den HellespontHellespont in seinen Werken sieben weitere Male3, aber jedes Mal auf andere Weise. Lohnenswert ist es, diese Textstellen kurz zu analysieren, um pauschal betrachten zu können, wie sich der Dichter auf Helles MeerMeer bezog.
1’) Fast. IV 561–568OvidFast. IV 561–568: Keres, die von Triptolemos’ Mutter entdeckt wird, verlässt ihr Haus; sie geht an vielen Orten vorbei, unter anderen auch am Hellespont.
2’) Tr.OvidTr. I 10, 24 I 10, 24: Dies ist die zehnte Elegie, in der Ovid sich wünscht, ein Schiff zu haben, um zur SeeSee zu fahren und aus dem Pontus zu fliehen. Dann benutzt Ovid hier ein Adjektiv: Hellesponticas … aquas.
3’) Tr.OvidTr. I 10, 27–28 I 10, 27–28: Ein wenig weiter unten in derselben Elegie bezieht sich der Dichter auf die zwei berühmten Städte von Sestos und Abydos. Er deutet Helle (uirginis) und ihren SturzSturz (uectae male) in dieser Meerenge an (angustas … undas).
4’) Ep. XVIII 107–108OvidEp. XVIII 107–108: Dies ist eine sehr schöne und emotionale Textstelle, wenn Leander Hero einen Liebesbrief schreibt. Wie schon bekannt, wohnte Leander in Abydos und jeden Tag sollte er den HellespontHellespont durchschwimmen, um seine Geliebte Hero zu treffen, die in Sestos wohnte und ihm mit einer Lampe den Weg zeigte. Eines Tages löschte der Sturm das Licht; Leander verlor den Weg und ertrank. Als Hero dies erfuhr, warf sie sich ins MeerMeer und ertrank ebenfalls. In diesem Gedicht von Ovid wird der Hellespont nur als Adjektiv genannt: Hellespontiaci … maris (108). Diese SeeSee habe weniger Algen als die beiden Verliebten in einer denkwürdigen Nacht Freuden hatten.
5’) Ep. XVIII 136–145OvidEp. XVIII 136–145: In dieser Textstelle nennt Leander den Hellespont Athamantidos aequora und erzählt, dass der aufkommende Sturm das MeerMeer so aufwühlen werde wie damals, als Helle in ihm versank und ihm ihren Namen verlieh. Das Wort Hellespont ist eigentlich von Anfang an mit Leiden und Blut befleckt. Leander gibt noch einen Hinweis: Er beneide Phrixos, quem per freta tristia tutum4 / aurea lanigero uellere uexit ouis (142–143); so spielt er auf die Reise von Phrixos und Helle auf dem Seeweg5 an.
6’) Ep. XIX 31–32OvidEp. XIX 31–32: Hero antwortet Leander. Das Mädchen küsst die Kleider, die Leander trug, als er den Hellespont durchschwamm.
7’) Ep. XIX 121–128OvidEp. XIX 121–128: Eine großartige Textstelle aufgrund ihrer Zusammenstellung und ihres Pathos. Hero blickt auf das tobende MeerMeer des HellespontHellesponts und findet zwei mögliche Antworten auf diese Gewalten, obwohl sie keine von ihnen kategorisch bejaht6. Der erste Grund könnte die dunkle, den Himmel bedeckende WolkeWolke sein (höchste Ebene). Hero glaubt, dass der die See beschädigende Regen die Tränen von Nephele sind, die angstvoll sieht, wie ihre Tochter versinkt. Zum ersten Mal wird Nephele pia (123) genannt. Der Schmerz der Mutter veranlasst das Toben. Der zweite Grund liegt in der Tiefe des Meeres (unterste Ebene). Hero fragt sich, ob der Hass der StiefmutterStiefmutter die SeeSee toben lässt: Ino, schon in eine Nereide verwandelt, peitscht die Wellen, um Helle von dem Widder stürzen zu lassen. In diesem Fall ist der Groll einer StiefmutterStiefmutter für die Aufregung des Meeres verantwortlich.Allerdings gehören sowohl der erste als auch der zweite Grund zur Vergangenheit. In der Gegenwart ist es Leander, der den Hellespont durchschwimmt. Der gegenwärtige Sturm spiegelt den Zustand der See, als Helle auf dem Widder reiste. Selbstverständlich denkt Ovid an eine Seefahrt, denn es ergibt keinen Sinn, dass Ino die See aufwühlt, wenn Helle durch die LuftLuft fliegt.Außerdem mischt Ovid absichtlich die I-P-H- und die I-L-M-Version im Meer von Hellespont und bietet eine sehr konkrete ‚Chronologie des Mythos‘: Ino hat gegen Phrixos und Helle intrigiert; diese haben dem OpferOpfertod entfliehen können und begeben sich auf dem Widder mit dem goldenen Vlies nach KolchisKolchis. Athamas verfolgt sofort Ino und Melikertes, die sich ins Meer stürzen. Ino wird zu Leukothea, aber ihr Hass gegen Nepheles Kinder bleibt unvermindert bestehen7. Nachdem sie die Macht über die Wellen empfangen hat, ist sie – zum ersten Mal wird dies angedeutet – die für ihren SturzSturz letztlich Verantwortliche, nicht der Widder oder die schwache Natur von Helle. Ovid hat also eine besondere Erklärung für den Absturz von Athamas’ Tochter. Sehr schön ist auch der letzte Vergleich zwischen HERO und HELLE8, bei dem Hero sich über die Ungunst dieses MeerMeeres teneris … puellis (127) beklagt.
I.1.5 Met. XIII 917–921OvidMet. XIII 917–921
Glaukos spricht Scylla an, die er gerade gerettet hat, und weist darauf hin, er sei ein Seegott wie Proteus, Triton und Athamantiadesque Palaemon. Eindrucksvoll ist die Benutzung des Wortes prodigium (917) als monstrum1 oder portentum. Dieser Begriff gilt auch für die Charakterisierung des Goldenen Vlieses in A.R. I 258Apollonios von RhodosA.R. I 258; IV 120Apollonios von RhodosA.R. IV 120, in denen das Wort τέρας verwendet wird.
Glaukos sagt, dass Proteus, Triton und Palaimon in der Flut nicht stärker sind als er; all diese Götter sind männlich, weswegen Leukothea nicht erwähnt wird. Triton ist ein Sohn von Poseidon und Amphitrite; im Laufe der Zeit wurden sein Name und sein Bild mit Wesen verschmolzen, die männlich oder weiblich sein konnten und die das Gefolge der Seegötter, der Tritonen, bildeten. Diese Figuren wurden von Pausanias (IX 21, 1) ausführlich beschrieben. In Bezug auf Proteus, dessen Wort auf das ‚erste‘ hinweist, wird ἁλίοιο γέροντος in Od. IV 365HomerOd. IV 365 genannt; später wurde er zum Sohn von Poseidon, Nereus bzw. Okeanos gemacht. Auf jeden Fall sind sie alle di minores der Wellen; Okeanos und Tethys besitzen größere Macht im Meer.
Von all diesen Figuren wird in Ovids Text nur Palaimons Vater genannt; das Wort Athamantiades kommt nur hier vor und der TLL bezieht sich auf den Terminus Αθαμαντιάδης2. Bömer glaubt, Palaimon, „gehörte in RomRom zur ältesten Götterordnung“3. Korn meint seinerseits, mit Athamas’ Sohn „wird Glaucus auch sonst in Verbindung gebracht“4. Die Verbindung mit Glaukos war sehr populär, vor allem, in der lateinischen Literatur; möglicherweise war dieses Paar schon in der Zeit von Vergil ein untrennbares Duo5.
I.2 Fasten
I.2.1 Fast. II 627–630OvidFast. II 627–630
Dieser Text beruft sich auf den 22. Februar. An diesem Tag feierte man das Fest von Karistia, die nach einer falschen Volksetymologie eine Feier zur Ehre von cognati … kari (617) war, weswegen die Lares Familiares an diesem Tag verehrt wurden.
Leidenschaftlich lehnt Ovid jene ungerechten und bösen Verwandten, die von dieser Feier ausgeschlossen werden sollten, ab. In diesem Zusammenhang tauchen im Text Atreus und Thyestes1, Medea2, Ino, Philomela und Prokne samt Tereus3 auf; kein rücksichtsloser Protz darf auch daran teilnehmen. All diese mythischen Figuren sind Mörder von direkten Verwandten: Atreus bringt seine Neffen um und gibt sie Thyestes, dem Vater der Kinder, zu essen, denn Atreus will an seinem Bruder Thyestes Rache nehmen; Medea tötet ihren Bruder und später ihre zwei Kinder, um, in diesem letzteren Fall, JasonJason ein großes Leiden aufzuerlegen; Ino trachtet ihrem Stiefsohn (manchmal ihren zwei Stiefkindern) nach dem Leben und veranlasst, dass Athamas befiehlt, seinen Sohn auf dem Altar zu opfern4; Prokne bringt mit Hilfe ihrer Schwester Philomela ihren eigenen Sohn Itys um und gibt ihm Tereus zu essen, um sich an ihm für die Vergewaltigung ihrer Schwester zu rächen.









