Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur

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Die Gestalten, die sprechen – nie vor der Ankunft in Italien – und deren Worte überliefert sind, sind viele im Vergleich zu anderen Texten Ovids: Juno (als Saturnia) zu den Mänaden; Ino, zu den Göttern und den Männern des Landes; Herkules zu Ino (als Tante von Bacchus); Ino zur Weissagerin; Carmentis zu Ino und Melikertes.
Ovid stellt die Szenen dar, indem er abrupt die Aktion unterbricht und den Leser zu einem bestimmten Ort, ja zu einem neuen Gebiet des Mythos bringt: zum Forum Boarium in RomRom, neben dem Tiberstrom – in HellasHellas zur Klippe – in Rom zum Hain neben dem Tiber90. Das Raumspiel ist deshalb sehr wichtig: Forum Boarium – Tempel von Mutter MatutaMatuta – Athamas’ Haus – das von zwei Meeren umspülte Land – Mündungsgebiet des Tibers – Hain – Aventin – Carmentis’ Haus – Meer – Athamas’ Haus – Tempel von Mutter Matuta. Und die Bewegung ist wesentlich: die guten Mütter bleiben nahe – die Sklavinnen werden entfernt – Bacchus kommt zu Ino – Athamas wird gehetzt – Inos Lauf – die Fahrt auf der SeeSee – das Treffen mit den Mänaden – der Kampf zugunsten Melikertes – Herkules’ Ankunft – die Flucht der Mänaden – das Gerücht fliegt – Ino geht zu Carmentis – Leukothea und Palaimon werden auf dem Meer fahren – die Sklavinnen werden entfernt – Inos Dienerin geht zu Athamas.
Das arglistige, heimliche oder durch andere Figuren vermittelte Agieren häuft sich im Text. Athamas wird von den FurienFurien und durch ein Trugbild gehetzt, aber es ist Juno, die dahinter steckt – Saturnia taucht in einer anderen (deswegen falschen) Gestalt auf – Juno sagt, dass Ino falsch ist und sich als Freundin vorstellt, obwohl sie keine Freundin der Mänaden ist – Carmentis sagt voraus, aber dies scheint nur so: Der Gott spricht aus ihr – Man sieht Ino und Melikertes, aber sie sind die Gottheiten Leukothea-Mutter Matuta und Palaimon-PortunusPortunus – Athamas verliebt sich heimlich in eine Dienerin – Die SklavinSklavin enthüllt ihm Inos IntrigeIntrige – Man muss für die Kinder der anderen beten91.
Der Text ist voll von intertextuellen Hinweisen. Zunächst wendet sich Ovid an die guten Mütter und dann beginnt die echte Erzählung; aber sofort berichtet der Dichter eine ganz andere Geschichte (ferunt, Vers 479) und geht auf die Zeit der Könige zurück, eine Zeit, die der mythologischen Zeit der Helden und Götter sehr nah ist. Der Dichter kommt noch einmal zur Gegenwart zurück und ruft Bacchus an: Dies ist nicht Ovids Geschichte, sondern Bacchus‘, einer der wichtigsten Figuren dieses Berichts, obwohl der Leser nicht Bacchus’ Worte liest, sondern die Worte Ovids. Besser gesagt: Dies sind die Worte des von Bacchus geführten Dichters, weswegen der Gott noch ein zweites Mal angerufen wird. Die Erzählung wird fortgesetzt, Ovid spricht mit jeder Figur, die unter dem Bösen leidet, er redet nicht mit denen, die dieses Übel veranlassen. So wendet sich Ovid weder an JunoJuno noch an Athamas, der am Ende des Gedichts, in Vers 555, für improbus gehalten wird, noch an Ino in dieser Abteilung, denn auch sie wurde von den FurienFurien gehetzt, wie sie nachher zugibt, sondern an Learchos92 und Melikertes. Ovid berichtet die I-L-M-Version, von Athamas’ Wahnsinn und Learchos’ Tod bis zu Inos Sprung mit Melikertes ins Meer.
Ovid fährt mit der Geschichte fort, aber der Ton ist ab Inos Sprung ganz anders. Zunächst wird die unbeschwerte Reise von Ino und Melikertes dank Panope und ihrer Schwestern dargestellt; da beginnen die Worte, die bis jetzt nicht ausgesprochen worden sind, aufzutauchen; erst kommen sie indirekt vor, dann werden sie wortwörtlich berichtet. Die Gefahr ist jedoch nicht gebannt, denn die bösartige Macht der ersten Abteilung ist noch da, aber heimlich, weil sich alles geändert hat: Juno, als Saturnia betrachtet, das heißt, als Tochter von Saturn, der seine eigenen Kinder verzehrt, stachelt (der Name des Hains wies den Leser auf die Gefahr hin) die Mänaden an, Inos Sohn zu zerreißen. Nun spricht nicht Ovid, sondern Juno, und sie wendet sich nicht an den Leser, sondern an die Mänaden; Ovid versucht die Situation zu kontrollieren und ergreift das Wort, aber die Aktion ist stärker als er, seine Stimme geht im Geschrei der Mänaden unter. Dann ruft Ino die Götter und die Männer des Landes, und zwar diejenigen von RomRom, die die guten Mütter begleiten und an die der Dichter sich wendet. Inos Schreien wird gehört und der Held dieser Zeit, Herkules – der nicht Römer ist – tritt in Erscheinung; Ovid kann seine Erzählung fortsetzen. Herkules kommt herbei, die Mänaden flüchten und es herrscht wieder Ruhe. Dann fragt Herkules Ino, aber es ist Ovid, der antwortet, und nicht sie. Genauso wie Juno ihr Gesicht verbirgt, verbirgt Ino ihre Vergangenheit. Der Dichter ruft Athamas’ Ehefrau, wobei der Leser zu einer anderen Dimension der Geschichte geleitet wird: Ovid erzählt nicht den guten Müttern oder dem Leser Inos Geschichte, sondern ihr selber.
Ovid redet durch den Mund eines anderen: ferunt; rumor und nun diceris, traditur; der Sprecher bleibt unbekannt. Ovid ist nur ein Übertragungsweg, Leser oder Zuhörer einer Erzählung, die ihn überfordert. Diese unpersönlichen Subjekte, nämlich unbekannte Menschen einer mythologischen Zeit, lassen Ovid und seine Zeitgenossen vorbeiziehen: ‚Was damals passiert ist, erfahrt ihr, Römerinnen, auch heutzutage‘. Ovid spielt mit der Zeit. Rigoros bringt er die Zeitachse in Unordnung (535): ‘nunc’, ait‘o uates, uenientia fata resigna’.
Zwei Verse früher wurden auch mit einem nunc begonnen, aber dieses bezog sich auf seinen echten Inhalt, nämlich Ovids Zeit; am Anfang des Verses 535 ist das ‚jetzt‘ nicht real, sondern mythologisch, wie man dank des danebenstehenden ait bemerkt. Dies ist das ‚nun‘ der Weissagerin und nicht das der guten Mütter, es ist die Gegenwart der Vergangenheit. Aber diese Vergangenheit, die Gegenwart geworden ist, bleibt nicht bei sich selbst, sondern sie richtet sich wie von einer Schleuder geworfen an die Zukunft, bzw. an die Vergangenheit und die Gegenwart der guten Mütter und der Männer des Landes in der Zeit von Ovid.
Der Dichter führt noch einmal die Erzählung weiter und schildert die Umstände. Aber sofort ergreift wieder die Prophetin das Wort und beginnt laeta (541) zu singen und von der Zukunft zu sprechen, die Ovids Leser gegenwärtig ist. Wichtig ist, zu beachten, dass eigentlich nicht Carmentis weissagt, sondern der Gott, von dem sie besessen ist und dem sie nur die Stimme leiht. In diesem Moment geschieht die Enthüllung der Namen, die den griechischen Ursprung preisgibt und die lateinische Gegenwart von Ino und Melikertes verrät. Ovid endet mit der Vergangenheit, nachdem die Gestalten ihren Namen geändert haben, und er führt sie bis zum Leser, bis zur Gegenwart (550): … hic deus, illa dea est.
In diesem Augenblick bricht die Rede ab und eine Antwort taucht auf, zu der nie eine Frage gestellt worden war: Ovid führt die guten Mütter in die Erzählung ein und stellt den Text als einen Dialog dar, von dem nur die Worte einer Gesprächspartnerin festgehalten sind; so findet die ‚Unterhaltung‘ mit Ino statt. In der Tat antwortet Ovid den guten Müttern, indem er Ino erzählt, was bei ihr eigentlich geschah; denn die Dienerin, die zur Geliebten Athamas’ wurde, war Inos und nicht Athamas’ SklavinSklavin. Der Aiolide ist untreu und heuchlerisch, weil er diese Verliebheit zuließ; er handelte nicht offensichtlich, sondern heimlich, wie Saturnia in Semeles Hain. Dann antwortet Ovid, indem er immer noch zu Ino, und zu den guten Müttern spricht, tritt in Athamas’ Haus ein und hört, wie die Dienerin Athamas die Arglist hinsichtlich des gedörrten Samens enthüllt. Die Stimmen erheben sich überall: Die Dienerin verrät Athamas Inos IntrigeIntrige; Ino leugnet es, aber der Ruf, die Sage, nimmt es an. All dies bringt Ovid zur Sprache, der auf eine Frage antwortet, und die guten Mütter sind die Zuhörer der Antwort. Einfach genial!
Darüber hinaus kann man eine gewisse Ringkomposition des Chors in diesem letzten Teil feststellen: Mütter – Ovid – Ino – Dienerin / Athamas / Ino / Ruf – Ino – Ovid – Mütter. Es scheint, dass der Dichter die Frage von den guten Müttern gestellt bekommt, aber er antwortet nicht ihnen, sondern Ino (558): hoc est cur odio sit tibi serua manus. Ovid nimmt das Wort wieder auf und mahnt die frommen Mütter: Sie (hier ergreifen sie noch einmal das Wort) müssen die Kinder anderen Leuten übergeben, denn utilior Baccho quam fuit illa suis (562). Und der Text schließt mit Bacchus, der als erster in der Textstelle angerufen wurde.
Interessant ist es, an dieser Stelle die in den Metamorphosen und den Fasten berichtete Erzählung der I-L-M-Version schematisch zu vergleichen, worauf Bömer in seinem Kommentar hinweist93:
Metamorphosen Fasten IV 416 Überleitung: Bacchus in ThebenTheben (1) VI 481–484 Thema: Mutter MatutaMatuta in RomRom (4) IV 417–431 JunoJuno zürnt der Ino wegen ihres Stolzes und wegen SemeleSemele und Bacchus; Epische Begründung des Götterzorns (15) VI 485–488 Junos Zorn, quod Ino paelice natum educet (4) IV 432–473 Juno in der Unterwelt (41½) IV 473–511 Tisiphone (38½) IV 512–562 Athamas und Ino (51) VI 489–502 Athamas und Ino (14) 512–519 Athamas und Learchos (7½) 489–490 Athamas und Learchos (2) 519–542 Ino und Melikertes (23½) 491–502 Ino und Melikertes (12) 543–562 Die comites der Ino (20)Offensichtlich sollten auf Grund der in jeder Abteilung verwendeten Verse Junos Zorn, Athamas’ Wahnsinn und Inos Sprung in den Fasten als „Vorspiel (22 Verse) zu einer ausführlichen Erörterung der Situation im römischen Kult (48 Verse)“94 angesehen werden. In den Metamorphosen aber hat die Darstellung dieser Ereignisse einen epischen Ton. Auffällig ist, dass Ovid mehr als die Häfte der Geschichte (80 Verse von 147, wenn man die Szene der sidonischen Frauen mit eingeschließt) für Junos Reise in die Unterwelt und Tisiphones Angriff aufwendet. Wenn zu dieser Überlegung von Bömer auch die 20 Verse des in diesem Buch genannten ‚Anhangs‘ hinzugefügt werden (nämlich die Bestrafung der sidonischen Gefährtinnen von Ino), ergibt sich, dass mehr als 2/3 der ganzen Gechichte zu Szenen gehören, die sich nicht in der Tradition des Mythos befinden. Bömer meint abschließend, „diese neuen Szenen hier einzufügen war höchstwahrscheinlich Ovids eigene Konzeption“95.
Beide Texte haben unterschiedliche Ziele, weswegen sie sich auf unterschiedliche Aspekte konzentrieren: In den Metamorphosen werden Athamas’ Wahnsinn und Inos und Melikertes’ Divinisierung erzählt; in den Fasten aber soll der Kult zu Ehren von Mater Matuta in ihrem römischen Tempel im Forum Boarium berichtet werden, weswegen alles, was hier ‚I-L-M-Version‘ genannt wird, nur ein Prolog des echten Interesses von Ovid ist, nämlich die AbenteuerAbenteuer von Ino und Melikertes nach ihrem Sprung zu erzählen und noch konkreter ihre Erlebnisse in dem Gebiet, das eines Tages RomRom heißen wird.
Bemerkenswert ist es nun, die großen Unterschiede in der Zusammenfassung beider Textstellen zu beachten. In den Metamorphosen prahlt Ino mit ihrer Beziehung zu Bacchus und zu ihren Schwestern96; in den Fasten begründet Ovid selbst die gute Tat von Ino, nämlich die, auf ihren Neffen aufzupassen, nachdem ihre Schwester SemeleSemele verbrannt starb (demütiges Bild von Ino). In den Metamorphosen beklagt sich Juno aus vollem Hals97 über verschiedene Beleidigungen und sie betont Athamas’ Stolz und Inos Schmach; in den Fasten, in denen bis zur Ankunft von Ino und Melikertes in Italien keine Unterhaltung mit genauen Worten stattfindet – das heißt, dass man sich schon außerhalb der üblichen I-L-M-Version befindet –, bietet man nur ein Motiv für Junos Zorn an: Bacchus’ Erziehung (positives Bild von Ino). In den Metamorphosen schickt Tisiphone Athamas und Ino den Wahnsinn; in den Fasten ergreift der Irrsinn Athamas, aber man sagt nicht explizit – alles weist auf Juno hin –, wer ihn geschickt hat. In den Metamorphosen beschreibt Ovid ausführlich und auf grausame Art Learchos’ Tod; in den Fasten wird er kaum angedeutet. In den Metamorphosen lässt Ino Learchos unbestattet; in den Fasten begräbt Ino die Leiche ihres ältesten Sohnes (frommes Bild von Ino). In den Metamorphosen bittet VenusVenus Neptun, dass er ihre Nichte und ihren Urenkel zu Seegöttern macht, und Neptun gewährt ihr die Bitte; in den Fasten bittet kein Gott für Ino und Melikertes. Panopes (kleine Gottheit) Eingriff ist nur sehr kurz. In den Metamorphosen besteht man auf Grausamkeit und auf Tod; in den Fasten werden alle blutrünstigen Merkmale vermieden.
Letztendlich schließt Bömer (treffend m.W.): „So besteht kein Gegensatz zwischen den Met. und den Fasten, die Divergenzen gehen nicht auf verschiedene Versionen zurück, sondern auf die unterschiedliche Form und Intention der beiden Darstellungen“98. In den Metamorphosen will Ovid ja Junos Grausamkeit schildern, in den Fasten aber will er nur auf die am Anfang der Geschichte gestellten Fragen antworten.
I.3 Ibis
I.3.1 IbOvidIb. 277–278. 277–278
Diese Textstelle deutet auf die wunderbare, von Ino-Leukothea geleistete Hilfe in OdHomerOd. V 333–353. V 333–353 hin. Ino wird als Semeles Schwester dargestellt, womit es sehr wahrscheinlich ist, dass Ovid dem gebildeten Leser einen Hinweis auf das Motiv der Divinisierung Inos gibt, nämlich den, dass sie Dionysos’ AmmeAmme war.
Ganz anders verstehen die Scholien (Schol. in Ou. Ib. 277 La PennaScholia zu OvidSchol. in Ou. Ib. 277 La Penna) diesen Text, die übrigens zwei interessante Angaben anbieten. Die erste auffällige Angabe ist die Begründung der von Ino geleisteten Hilfe an Ulixes, ein Grund, der mit Porphyrios und Eustathios nicht übereinstimmt: Ulixes war ein Verwandter von Ino. Die Verbindung dieser Verwandschaft ändert sich je nach Handschrift. In P[EC] ist Ulixes ein direkter Verwandter von Ino; wie sie verwandt sind, wird nicht gesagt. In den anderen Fällen wird Ulixes Athamas’ Familie zugeordnet. In B(a*) wird nicht gesagt, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie stehen; in G und in Z ist er ein Neffe Athamas‘. Im ersten Fall wird er als Sisyphos’ Sohn bezeichnet; im zweiten als Sohn von Laërtes, der als Aiolos’ Sohn und Athamas’ Bruder angesehen wird, eine Angabe, die von keinem anderen Beleg weder in der griechischen noch in der lateinischen Literatur bestätigt wird. In C(FD*) wird Ulixes zum Sohn der Nichte von Athamas, obwohl der Scholiast davon berichtet, dass viele glauben, er sei Sisyphos’ Sohn, wie es auch in G zu lesen ist. Auf jeden Fall eilte Ino Ulixes zu Hilfe, weil sie beide irgendwie verwandt waren.
Die zweite wichtige Angabe dieser Scholien ist die Erwähnung des zweiten Schlüsselpunkts der I-L-M-Version, nämlich Inos Sprung. In der Spur von Frg. 275 SHKallimachosFrg. 275 SH von Kallimachos und von Frg. 12 BlänsdorfLaeviusFrg. 12 Blänsdorf von Laevius wird in diesen Versen beteuert, dass Ino im Wahnsinn gesprungen ist. Nichts wird über Athamas’ Verfolgung berichtet. Darüber hinaus will der Scholiast m.E. ausdrücken, dass Inos Zustand allein ihren Sprung berechtigt, und eine Verfolgung durch ihren Mann als Begründung nicht notwendig ist.
I.3.2 Ib.OvidIb. 493–498 493–498
In diesem Exilwerk greift Ovid einen alten Freund an, dessen Name nicht erwähnt wird, weil er beabsichtigt, sich der Güter Ovids zu bemächtigen. In Buch Ibis ist eigentlich nur Ino bedeutsam. In dieser konkreten Textstelle wird eine Liste von mythologischen Figuren1, die sich in den Abgrund stürzen und aufgrund ihrer Leiden zu prototypischen Beispielen geworden sind, dargestellt.
Ovid bezieht sich auf die I-L-M-Version. Er verbindet Inos Schicksal – hier wird ihr berühmter Sprung angedeutet2 – mit der Erziehung des Bacchuskindes. Da der Text so kurz ist, kann der Dichter diesbezüglich keine bedeutenden Angaben unterbringen. Das Schol. in Ou. Ib. 497 La PennaScholia zu OvidSchol. in Ou. Ib. 497 La Penna bietet aber einen interessanten Hinweis: Ino wurde wahnsinnig, weswegen sie sich ins Meer warf. Nichts wird über das Motiv dieses Wahnsinns gesagt, nicht einmal, ob er von Juno geschickt wurde. Es gibt auch keinen Beleg für Athamas.
I.4 Liebeskunst
I.4.1 AA. III 173–176OvidAA. III 173–176
Diese Textstelle liefert eine merkwürdige Angabe – die Farbe des Widders.
Ovid verbindet sich in diesem Text, der natürlich die I-P-H-Version präsentiert, mit den griechischen Dichtern der Archaischen Epoche (Simonides, Akusilaos), die über die Farbe des Widders sprachen und sie entweder als weiß oder als purpurn bezeichneten. Der Text ist sehr kurz, so dass er nicht viele Angaben des Mythos bringen kann; die Schlüsselpunkte dieser Version aber werden ja präsentiert: Die IntrigeIntrige von Ino und die Rettung von Phrixos und Helle durch einen Widder. Athamas kommt überhaupt nicht vor.
Das einzige Problem des Textes ist, zu wissen, auf wen sich das quae1 von Vers 175 bezieht. Die übliche Deutung dieser Passage erklärt das Femininum quae als ein Relativ vom Widder, der als ouis betrachtet wird, wie in Ou. Fast. III 852OvidFast. III 852; Ep. XVII 143OvidEp. XVII 143. Im Gegensatz zu dieser Meinung denkt Edwards, dass es keinen besseren Hinweis für das Femininum gibt als Phrixus’ und Helles’ Mutter Nephele2 und erklärt es folgendermaßen: „Nephele’s colour would presumably be that of the rain-cloud, the prevailing sense of nubes and νεφέλη; dusky, that is, or dark purple3 (nigrans, κυανέη)“4. Die blaue Farbe und die Nennung der Wolken in Vers 173 könnten wirklich auf Phrixos’ und Helles’ Mutter hinweisen. Allerdings ist die Interpretation von Widder als ouis auf Grund der Erwähnung der purpurnen Farbe in Vers 170 und der Nennung der Wolle meiner Meinung nach noch treffender.
Zweites Kapitel Ausführliche Analyse der wichtigsten Themen jeder Version
Einleitung
In diesem Kapitel werden all die Ideen über den MythosMythos von Athamas geordnet und systematisch präsentiert, damit sich allgemeine Schlussfolgerungen ziehen lassen.
An erster Stelle werden die Schlüsselpunkte der Rede über Athamas und die Motivierung der Autoren für die Nennung dieses Mythos dargestellt. Auf diese Weise kann man alle Begriffe, die in Beziehung zu der einen oder anderen Version1 treten, systematisch zusammenstellen und die Motive betonen, die als Schlüssselwörter gelten, um die die ganze Tradition dieser SageSage kreist.
An zweiter Stelle wird jeder dieser Schlüsselpunkte durch eine allgemeine Übersicht über diese Begriffe untersucht, durch andeutungsweises Aufzeigen des Gesamtbildes dieser Motive bei den griechischen und lateinischen Schriftstellern und durch Vertiefung einiger Aspekte hinsichtlich des modus agendi bei dem AiolidAioliden2.
Einige dieser Themen sollen in Perspektiven untersucht werden, denn sie verbinden sich mit Elementen, die in einem breiteren Kontext verstanden werden müssen. Es sind folgende Motive, die eine vorausgehende Analyse der Untersuchung des Mythos von Athamas erfordern:
Die StiefmutterStiefmutter
PotipharPotiphar3
Die MenschenopferMenschenopfer
Der KatasterismosKatasterismos
Euhemerismos und Palephatismos
DionysosDionysos
Der WahnsinnWahnsinn
Die Riten der Unsterblichmachung
Die Mysterien im KultKult
Die Isthmischen SpieleIsthmische Spiele
Die Identifizierung zwischen Leukothea und Mutter MatutaMatuta
Der Kult von Mutter Matuta und PortunusPortunus in RomRom
Absicht ist nicht, all diese Themen umfassend zu behandeln, sondern ihre Gestalt in Athamas’ Mythos auszuweiten, um die Schlüsselpunkte dieser Begriffe darzulegen und sie mit ihrer Handlung in anderen Legenden zu vergleichen.
Natürlich wird das Thema des WahnsinnWahnsinns einen zentralen Platz in dieser Untersuchung haben, denn Athamas wurde von vielen Autoren in der Antike zum Mindesten als einer der Prototypen des Irrsinnsanfalls bzw. furor angesehen. Das war auch der Ausgangspunkt dieser Arbeit, bevor die Quellen ausführlich analysiert wurden. Nun sollten mindestens ‚drei Figuren‘ namens Athamas unterschieden werden, die nach der verschiedenen, in jeder Version gespielten Rolle, als homo sacrificanshomo sacrificans, homo furenshomo furens bzw. homo ignauushomo ignauus bezeichnet werden können. Trotzdem muss die Überlegung über den Wahnsinn noch eine hervorragende Rolle in dieser Untersuchung spielen, weil Athamas mit diesem furor in der griechischen, aber vor allem in der lateinischen Literatur eng verbunden ist. Das Thema des Wahnsinns wird deshalb in diesem Buch ausführlich untersucht.
Diese Motive werden nicht getrennt behandelt, sondern eingebettet in die allgemeinen Überlegungen des Mythos, wie ein Exkursus und immer im Verhältnis zu der Absicht dieser Untersuchung, nämlich einer tieferen Kenntnis von Athamas.
Gründe für die Nennung von Athamas und für seine SageSage
I. Ino-Phrixos-Helle-Version
Es gibt zehn Facetten1, welche die I-P-H-Version2 teils andeuten, teils ausführlich3 erzählen4; die Textstellen in mythographischen5, ethnographischen bzw. geographischen6 Werken bleiben ausgeschlossen. Hier werden nur die Autoren, und nicht die Werke, erwähnt, wobei ein Autor in zwei bzw. mehreren Abschnitten7 erscheinen kann.
1) Das Motiv der StiefmutterStiefmutter: Pherekydes und Herodoros.
2) Die Geschichte der ArgonautenArgonauten: Pindar, Apollonios von Rhodos, Dionysios Skytobrachion, Valerius Flaccus und Dracontius.
3) Das kultische Merkmal des MenschenopferMenschenopfers: Herodot, Aristophanes und Platon.
4) Die Entmythologisierung des Mythos von Athamas: Palaiphatos, Dionysios Skytobrachion, Heraklit, Lukianos, Apostolios und Isidor von Sevilla.
5) Als Ursprung der I-L-M-Version: Menakrates (Zenobios) und Philostephanos.
6) Der KatasterismosKatasterismos des Widders in den astrologischen Bearbeitungen des Mythos: Eratosthenes, Ovid und Badius.
Aber viele Autoren behandeln das Thema des Katasterismos nicht, sondern sie sprechen nur über den WidderWidder als die signifikante Figur des Textes8: Hesiod, Simonides, Hekataios, Akusilaos, Lukianos, Methodios, Martial und Lucanus.
7) Der Ursprung des Namens HellespontHellespont: Philostephanos, Dionysios Skytobrachion, Dionysios Periegetes, Eustathios* und Isidor von Sevilla.
8) Die Gründung einer Stadt (HalosHalos): Herodot9, Theon, Herodianos, Stephanos von Byzanz, Eustathios.In zwei Fällen spricht man über diesen Mythos, indem man von einer konkreten Stadt redet:a) KorinthKorinth: Lukianos.b) AthenAthen: Pausanias.








