Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur

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Ino tritt in einem definitiv früheren Zeitraum als Medea auf, nämlich in einer ‚mythischen‘ Epoche4. Es ist der einzige Fall – zweimal wird μίαν emphatisch wiederholt –, den der Chor erwähnt, wenn er eine Figur andeuten will, die jemals ein solches Verbrechen gewagt hat. Diese einzige Erwähnung von Ino als unum exemplum ruft aber zweifachen Widerspruch hervor. Zunächst muss man Euripides erwidern, dass es mehrere Beispiele gibt, mit denen man Medeas Gräueltat hätte vergleichen können, wie z.B. Althaiea, Agave oder Prokne selbst, die vielleicht die Geeignetste5 für diesen Fall gewesen wäre. Man könnte dagegenhalten, dass keine dieser drei Frauen zwei Kinder getötet hat; darauf lässt sich aber antworten, dass sich der Kern des Beispiels nur auf die gottlose Tat einer mörderischen Mutter beschränken wollte. Auffällig ist auch, dass Euripides nur auf eine Frau hinweist, während die Autoren sonst zwei oder drei mythologische Figuren anzuführen pflegen, wenn sie ein exemplum setzen wollen. Newton sagt, „the suggestion therefore presents itself that the poet is suppressing other examples“6.
Wenig überzeugend sind m.E. die Gründe, die Newton als Argumente ins Feld führt, um die exklusive Erwähnung von Ino zu rechtfertigen. Es ist wenig glaubwürdig, dass Ino nach ihrem bekannten Sprung ins Meer, in Anspielung auf ihre DivinisierungDivnisierung, als dea-ex-machina vorausgeschickt wurde, um Medea im Sonnenwagen zu parodieren. Auf keinen Fall ist der KultKult der Kinder beider Heldinnen zu vergleichen, denn nur MelikertesMelikertes wird als Gott geehrt, die zwei Kinder von Medea aber in Heras Tempel in Akrea. Es ist meiner Meinung nach zweifelhaft, ob Medea ihre Kinder umbringt, um sie vor den Feinden zu beschützen; Medeas letzter Grund besteht in der Rache an JasonJason, ein Motiv, das im Fall von Ino nie erscheint, wenigstens nicht in allen uns bekannten Überlieferungen7. Ein anderer Unterschied liegt darin, dass Ino stirbt, indem sie tötet, Medea aber nicht ums Leben kommt, sondern feige der Begegnung mit Jason flieht.
Der Anlass für Inos Erwähnung durch Euripides befindet sich am Ende des exempli (Vers 1289): δυοῖν τε παίδοιν ξυνθανοῦσ’ ἀπόλλυται. Jouan / Van Looy8 glauben, „le parallélisme parfait9 avec le double infanticide de Médée“ sei eine von Euripides für diesen Fall erfundene Begründung. Im Gegensatz zu dieser Behauptung erklärt jedoch Page: „Eur.’s innovation here is so slight, and our ignorance so great, that no theory of interpolation here can be seriously entertained for a moment“10.
Mit den Worten μανεῖσαν ἐκ θεῶν wird zum ersten Mal auf Inos verwirrten Zustand hingewiesen. Diese erste allgemeine Bezeichnung11 wird sofort erklärt: HeraHera hat ihr den WahnsinnWahnsinn geschickt. Euripides benutzt ‚physische‘ Metaphern, um den Zustand des Irrsinns indirekt anzuführen: Das Haus kann ihr Herz darstellen, wo ihr Verständnis beherbergt wird12, sie selbst die Vernunft, die umherschweifenden Wege, die krummen Spuren, die nicht den üblichen Gedankengängen entsprechen. So versteht es auch Page: „ἄλῃ: metaph.‘distraction’,‘wandering of mind’, L. & S.9“13, und vor allem Padel, wenn sie über das Herumirren spricht: „Inside is sane. Being «out» of home and all it stands for (mind, right place) is mad. Mad is outside, other, foreign“14. Zweifellos wird ein physisches Herumirren15 nicht ausgeschlossen: Euripides kann sich auf beide Begriffe beziehen. Dieser Text konnte Nonnos (D. IX 242–279Nonnos von PanopolisD. IX 242–279) seine wunderschöne Beschreibung eingeben, wie Ino auf der Suche nach DionysosDionysos als eine Wahnsinnige durch die Berge irrt und den Parnass erreicht, wo ApollonApollon sie in einen erholsamen Schlaf wiegt.
In der Tat ist dieser Zug von WahnsinnWahnsinn derjenige, den Prof. Hose als Hauptunterschied zwischen dem exemplum (Inos Mord) und der damit verglichenen Wirklichkeit (Medeas Mord) sieht: Medea tötet ihre Kinder nicht in einem Anfall von Wahnsinn, wie Ino es machte16: „Das ParadigmaParadigma greift also nicht, sondern dient statt als Parallele – und damit als Relativierung – des Kindermordes als Kontrast. Die Unerhörtheit und das Entsetzliche der Mordtat tritt damit noch stärker hervor“17. Dieser Unterschied zwischen Medea und Ino wird auch von McHardy betont: „Here, however, an important distinction is apparent. Whereas Ino is described as driven mad by the gods … Euripides’ Medea is sane and knows what she is doing“18. Das heißt, dass die Verschiedenheit beider Heldinnen im WahnsinnWahnsinn und der Leidenschaft besteht, die Übereinstimmung aber im Mord an ihren beiden Kindern19.
McHardy sieht eine andere Verbindung zwischen Kindesmord und Wahnsinn; er schlägt deshalb vor, „that through the influence of ideas relating to Dionysiac cult (especially maenadism) the portrayal of mothers killing their own children was deemed particularly suitable for tragic performances“20; viele Versionen von Kindern, die von ihren Müttern absichtlich getötet wurden, gehören tatsächlich in diesen Zeitraum, weil die vorherigen Traditionen entweder den Mord aus der Hand der Mutter nicht erwähnen oder auf eine unabsichtliche Tötung durch die Mutter hinweisen. Ino stirbt, indem sie nicht nur den trübsinnigen Melikertes, sondern auch ihre beiden von Athamas empfangenen Kinder umbringt. Dieses Verbrechen wird von Euripides als δυσσεβής betrachtet.
Interessant ist auch die Frage, warum dieser Tragiker auf die I-L-M-Version des Mythos von Athamas hindeutet. Gantz glaubt – genau wie Wilamowitz –, dass Euripides’ Version in seiner Medea leicht die Tradition des Mythos von Athamas „for the sake of a better parallel with Medea“21 ändert. Euripides aber ‚betrügt‘ feinsinnig. Medea ist auf die neue Frau von Jason und auf die zukünftige Nachkommenschaft sehr einfersüchtig, aber dieser Fall entspricht der I-L-M-Version überhaupt nicht, sondern berührt nur tangential die I-P-H-Version. Medea tötet ja ihre Kinder, aber sie bestraft auch die neue Frau von JasonJason; Ino bestraft jedoch niemanden in der I-L-M-Version: Auf jeden Fall wird sie mit dem Wahnsinn bestraft. Euripides wechselt von einer Figur (Medea), die mit der neuen Frau ihres Mannes Probleme hat, zu einer Figur (Ino), die irrsinnig wird und ihre Kinder in diesem Zustand tötet. Die Ähnlichkeit zwischen Medea und Ino ist tatsächlich minimal. Wenn Hyg. Fab. IVHyginusFab. IV die Handlung Euripides’ Ino spiegelt – wie es m.E. zutrifft – und diese Tragödie älter ist als seine Medea, konnte das Publikum den Vergleich von Med.EuripidesMed. 1282–1289 1282–1289 überhaupt nicht verstehen. Medeas Kindermord – und dasselbe kann man von Inos Kindermord sagen – wurde Halm-Tisserant22 zufolge in Euripides’ Medea verdammt.
In diesen Versen gibt es keine textlichen Probleme, es tauchen aber Schwierigkeiten bei der Interpretation auf. Zum Beispiel: Wie sollte φόνωι … δυσσεβεῖ verstanden werden? Page zufolge ist es „causal dative,‘because of the murder’“23 und er schlägt folgende Belege als Muster vor: Io. 940; Hel. 79; Ba. 1120; Supp. 1042, ElEuripidesIo. 940EuripidesHel. 79EuripidesBa. 1120EuripidesSupp. 1042EuripidesEl. 149. 149, usw. Dieser Meinung ist auch Farnell: „According to Euripides, the mother slew both her children, but the manner of their slaying he does not specify“24. Diese Deutungen aber weisen darauf hin, dass Ino sich ins Meer stürzt, nachdem sie ihre Kinder getötet hat; sie springt also aus Verzweiflung, um ihren Schmerz zu lindern. Valgiglio stimmt auch dieser Sichtweise zu, die Inos Tod als eine Befreiung von einem unerträglichen Übel sieht: „Fra i mali che fanno desiderare la morte c’è la sventura che consiste nella perdita di una persona cara, colla quale si vorrebbe συνθανεῖν incontrando un ἥδιστος θάνατος (Suppl. 1006) che ci libera dal dolore di una sciagura insopportabile, conservando ininterrotto il vincolo che ci lega allo scomparso“25. Nach diesem Gelehrten hat sich Ino mit den Leichen ihrer beiden Kinder ins Meer gestürzt. Diese Idee findet sich auch bei einem antiken Autor: bei Nymphodoros.
Aélion denkt jedoch ganz anders und bezieht sich auf die Worte des Chors: „Une autre femme dans le passé, dit-on, Ino, a tué ses enfants, se jetant avec eux dans la mer, par-delà la falaise marine“26. Diese Wissenschaftlerin interpretiert die Begriffe κλύω und πάρος als ein über den Tod der Kinder Inos entstandenes Gerücht, das den erschütternden Hilferuf der Kinder von Medea übertönt und im Hintergrund lässt. McHardy behauptet aber, „Ino is said to have killed her two children (in an unspecified way) and to have committed suicide by throwing herself into the sea after being driven mad by HeraHera“27. Dieser Kasus φόνωι … δυσσεβεῖ ist auch als ein gleichzeitiger Dativ zu verstehen: Beide Ereignisse geschehen zeitgleich. Der Ausdruck kann m.W. ‚mit dem gottlosen Mord’ treffend übersetzt werden, wobei er die Zweideutigkeit zulässt, die Euripides wahrscheinlich auch beabsichtigte.
Zwei spätere Textestellen können nun hilfreich sein, um MedEuripidesMed. 1282–1289. 1282–1289 besser zu verstehen. In FGrHist. 572 F. 18 von NymphodorosNymphodorosFGrHist. 572 F 1828 – einem von Natale Conti (VIII 4)Natale ContiNatale Conti VIII 4 überlieferter Text – wird Athamas freigesprochen und Ino des Mordes ihrer Kinder beschuldigt. Wahrscheinlich gab es eine Überlieferung – man kann aber nicht ausschließen, dass Euripides es erfunden hat –, in der Ino ihre Kinder umbringt. Newton29 bemerkt, das Schol. in E. Med. 1284 SchwartzScholia zu EuripidesSchol. in E. Med. 1284 Schwartz stellt den Ausdruck ‚einige‘ dem Namen ‚Euripides‘ gegenüber. Er sagt, dass die Möglichkeit, Euripides habe diese Tradition erfunden, zur Wahrscheinlichkeit wird, wenn der Kontext der Andeutung, nämlich die ganze Tragödie, ausführlich analysiert wird: „Euripides is the first to present Medea as the deliberate murderess of her sons“30. Es ist möglich31, obwohl man m.E. auf viele Schwierigkeiten stößt. Falsch ist aber meiner Meinung nach, dass Euripides Inos Fall als „an event which never occurred“32 vorschlägt, denn nur so wird Medeas Grausamkeit deutlich. In der TragödieTragödie wäre diese Verwendung eines exempli ein Sonderfall33.
Es ist auch möglich, dass Euripides diese Version nicht erfunden hat, sondern dass sie nur eine parallele Version mit gerigem Bekanntheitsgrad war und auch nach diesem Tragiker weithin unbekannt blieb. Page meint dazu, diese Version „must have been current before Eur.’s allusion to it here: the poet cannot have introduced even so slight an innovation in a passing reference intended as a parallel“34. Sogar Newton weist auf diese Idee hin, obwohl er sie vorsichtiger darstellt: „It is possible, of course, that they are referring to a version which, though now lost to us, the ancient audience would have recognized“35.
In der Tat wird in Medeae Argumentum Schwartz36 gesagt, dass Euripides nur eine Bearbeitung eines früheren Werkes von Neophron37AthenNeophronMedea:Frg. 3 war; Del Rincón Sánchez zufolge „ambos argumentos debieron ser muy similares, pero Eurípides introdujo un desenlace diferente, que pudo motivar que la tragedia, paradójicamente, fracasara ante Euforión“38. In dem auf Neophrons Medea zurückgeführten Frg. 2, 11–12NeophronMedea:Frg. 2, 11–12 sollte Medea nach Snell wahnsinnig geworden sein. Sie wäre nicht die einzige: Senecas Medea39 hat auch den Verstand verloren, denn sie wird in dieser Tragödie als rasende Mänade dargestellt (Verse 123–124, 382–386SenecaMed. V 382–386SenecaMed. V 806–807SenecaMed. V 849–852SenecaMed. V 123–124, 806–807, 849–852). Diese Grausamkeit von Ino verknüpft sich mit ihrer Erbamunglosigkeit in der I-P-H-Version. Es ist auch möglich, dass Euripides und Nymphodoros dieser ersten Tradition über Athamas’ Frau in ihren Werken folgten: Ino tötet zunächst ihre zwei Kinder und wirft sich danach in einer Verzweiflungstat ins Meer. Das gilt m.E. nicht für Euripides’ Ino in seiner Medea, wenn auch diese Idee sicher nicht ausgeschlossen werden kann.
In der zweiten Textstelle (Plu. Mor.PlutarchMor. 267d-e 267d-e) wird gesagt, dass Ino, eifersüchtig auf die SklavinSklavin ihres Mannes, ihren ZornZorn gegen den Sohn richtet. Der Kontext dieser Passage will eine Antwort auf Leukotheas KultKult geben. Das Problem ist hier die Deutung von τὸν υἱὸν: Ist er Inos Sohn, nämlich LearchosLearchos bzw. Melikertes, oder ist er Athamas’ Sohn – das ist das Wahrscheinlichste –, und zwar Phrixos? Wenn man die erste Möglichkeit annimmt, ist Plutarchs Textstelle mutatis mutandis nach Euripides’ Medea zu verstehen, denn sie tötet auch Jasons Kinder, damit ihr untreuer Mann große Schmerzen leidet. Deshalb kann man sagen, dass diese Version des Mythos von Athamas, in der Ino ihre beiden Kinder umbringt, von Eifersucht geprägt war. Darüber hinaus agieren Euripides’ wie auch Plutarchs Ino im Zustand des Wahnsinns. Es kann eingewendet werden, dass Medea ihre beiden Kinder tötet, Ino aber nur eins. Man könnte erwidern, dass Ino immer eine Griechin bleibt, und dass sie nie so grausam wie die barbarische Medea sein wird; genau diese Angabe wurde in der Tradition von Euripides modifiziert.
Das wichtigste Problem der Textstelle bei Euripides ist die Erwähnung des von HeraHera geschickten WahnsinnWahnsinns. Dies ist etwas Merkwürdiges, vor allem bei Euripides, der sich sehr zurückhält, wenn er die menschlichen Ereignisse auf die Götter zurückführen muss. Schwierig ist die Vorstellung, dass Hera sich einmischt, wenn Dionysos nicht in der Mitte der Geschichte steht; anderenfalls ist es aber auch nicht gerechtfertigt, dass Hera Ino den Wahnsinn schicken sollte, nur weil Athamas z.B. eine Geliebte hatte, wie Plutarch in seinem Text erzählt. Euripides bezieht sich m.E. auf eine sehr alte Variante der I-L-M-Version, in der Ino, und nicht Athamas, Heras Bestrafung bekommt – möglicherweise weil sie Dionysos erzogen hat – und ihre beiden Kinder tötet. In diesem Fall wird das negativste Bild von Ino präsentiert und Athamas’ Wahnsinn überhaupt übersehen40.
III.2 Iphigenie im Taurerlande
Euripides erwähnt auch LeukotheaLeukothea und PalaimonPalaimon, aber ohne eine Andeutung zu Athamas’ Mythos, in ITEuripidesIT. 270–274. 270–274: Ein Hirte sieht von weitem zwei Figuren; er weiß nicht, wer sie sind, und versucht, sie als die zwei Gottheiten zu identifizieren.
Im Gegensatz zur OdysseeHomerOd. V 333 (V 333–353) schlägt Euripides Palaimon als Hauptfigur der Meereshelfer vor, aber mit Umsicht bezieht er sich auf seine Abstammung, um auch Leukothea einzuführen. Diese Textstelle präsentiert die Anrufung zu den divinisierten Ino und Melikertes, die Hilfe im Meer leisten, obwohl diese Szene an der Küste der Tauren stattfindet, einem Ort, der übrigens nordwestlich von KolchisKolchis liegt.
III.3 InoIno
Im Katalog der TragödieTragödien von Kannicht (Kol. I 21) wird dieses Werk mit dem Eintrag Εἰνώ präsentiert. Kannicht1 bemerkt, dass die Handschriften das Wort Οἰνεῖ statt ̓Ινοῖ schreiben.
Diese Tragödie genoss immer großes Ansehen, wie Piccardi anmerkt: „Ebbe una notevole fortuna anche in età imperiale, come testimoniano le numerose citazioni che si trovano in Plutarco, e in particolar modo in Egitto, come dimostra l’alto numero di papiri rinvenuti che contenevano questo dramma: del tema si era appropriato anche il pantomimo (Luc., saltLukian von SamosataSalt. LXVIILukian von SamosataSalt. XLII. 42 e 67), probabilmente attratto dalla spettacolarità delle scene di follia“2.
Ino gehört zu der Gruppe der ‚rachsüchtigen Frauen‘, wie Klytaimnestra, Medea, usw., die nicht zögern, Lüge, Arglist, sogar Mord anzuwenden, wenn es nötig ist, um ihr Ziel zu erreichen. Euripides war von diesem Motiv fasziniert und er bearbeitete es zeitlebens öfter. Valgiglio berichtet, „il problema matrimoniale è il leitmotiv del teatro euripideo del primo gruppo delle tragedie pervenute: Alcesti, Medea, Ippolito (alle quali sono da aggiungere Stenebea, Bellerofonte, Fenice, Ino, Eolo, Peleo, Andromaca)“3. In der Tat ist Ino ja eng mit den von Athamas infolge seiner Ehen verursachten Problemen verknüpft.
Jouan / Van Looy4 zufolge ist dieses Werk sehr wichtig, denn es hat Athamas’ Mythos, vor allem, der I-T-Version, die definitive Gestalt gegeben. Valgiglio meint, dass, obwohl man nicht sicher ist, welche Version Euripides in dieser Tragödie verwendet hat, kein Zweifel darüber besteht, dass die elenden Lebensumstände der Frauen da aufgeführt wurden: „Il pianto della protagonista vi doveva apparire tanto da farne un personaggio flebilis per antonomasia (Hor. Ad PisHorazArs P. 123. 123)“5. Andererseits denkt Aélion, dass Ino früher als 425 gewesen sein muss, weil dieses Datum dem Werk Die Acharner von Aristophanes entspricht. Sogar die Metrik der erhaltenen Fragmente macht ein früheres Datum denkbar. Wenn folgende Behauptung von Aélion richtig ist, und zwar „le silence du choeur est assuré dans toutes les tragédies où il est en pleine sympathie avec les personnages dont il approuve les plans“6, ist es wahrscheinlich – die Sympathie für Ino muss sicher sein7 –, dass der Chor auch in dieser TragödieTragödie die furchtbare Aktion von Ino gegen ThemistoThemisto verschweigt.
Zwei Belege von Aristophanes lassen sich auf Euripides’ Ino zurückführen:
1) Ar. AchAristophanesAch. 432–434. 432–434
In dieser Textstelle wird über Inos Lumpenzeug geredet. Der Kontext ist folgender: Dikaipolis besucht Euripides, damit er ihm hilft, sich angemessen anzukleiden, weil er vor der Versammlung sprechen muss. Genau wie Telephos muss Dikaipolis mit zerfetzter Kleidung den Acharnern entgegentreten. Diese Lumpen lagen zwischen denen des Thyestes und der Ino.
2) Ar. VespAristophanesVesp. 1412–1414. 1412–1414.
Diese Textstelle präsentiert Ino, „die dem Euripides am Beine hängt“8. Der Kontext ist folgender: Der Protagonist Philokleon hat eine Bäckerin namens Myrtia beleidigt, die Philokleons Sohn, nämlich Antikleon, um seine Hilfe bat. Philokleon spottet darüber, dass das Brotweib Chairephon als Zeugen gewählt hat, denn sein weibisches Aussehen wird ihn daran hindern, als echter Zeuge auszusagen, und Philokleon wird freigesprochen. Myrtia ist eigentlich, Aristophanes zufolge, ein leichenblasses (θαψίνη) Weib, eine Ino κρεμαμένῃ πρὸς ποδῶν Εὐριπίδου (1414). Das Schol. in Ar. Vesp. 1413b KosterScholia zu AristophanesSchol. in Ar. Vesp. 1413b Koster erläutert das Wort θαψίνῃ auf eine merkwürdige Weise: vet Tr θαψίνῃ: ἵν’ ᾖ‘ὠχρᾷ’, ὡς οἱ κεχρημένοι θαψίᾳ. V εἰσήγαγε γὰρ R δὲ V Εὐριπίδης τὴν Ἰνὼ ὠχρὰν ὑπὸ τῆς κακοπαθείας· καὶ ὁ Χαιρεφῶν δὲ V τοιοῦτος. RV. In Poll. IV 140PollusPoll. IV 140 wird der Schmuck der Frauen angedeutet und der Begriff ὠχρὰ bedeutet ,Freude- oder Gesundheitsmangel‘.
In Bezug auf den Vers 1414AristophanesVesp. 1414 leugnet Robert, dass die vierte Fabel von Hygin in Zusammenhang mit diesem Werk von Euripides9 steht; er ist aber der Meinung, dass „in den übertreibenden Worten des Aristophanes VespAristophanesVesp. 1413. 1413 Ἰνοῖ κρεμαμένῃ πρὸς ποδῶν Εὐριπίδου doch ein Körnchen Wahrheit stecken muss. Danach scheint es, dass Athamas nach dem Tode von Themisto und ihrer Kinder an Ino Rache nehmen wollte; aber Dionysos wird wohl seine Pflegemutter gerettet haben, wie in einer andern von Hyg. FabHyginusFab. II . 2 berichteten Version“10.
Das Problem liegt dann in dem präzisen Sinne von κρεμαμένῃ πρὸς ποδῶν Εὐριπίδου. Abgesehen von Kannichts Skepsis, der die Meinung vertritt, „incertum est quo sensu pependerit Ino πρὸς ποδῶν Εὐριπίδου“11, haben die Gelehrten verschiedene Lösungen erwogen. Mastromarco erläutert, „l’eroina si aggrappava ai piedi di un altro personaggio, forse il marito Atamante“12. Kannicht zitiert Matthias und bietet eine andere Deutung für den Terminus ‚hängen‘: „Videtur igitur Euripides‘κρεμάμενος’ sensu translato posuisse quo Latini ‘suspensum animo’ dicunt, et hoc risisse Aristophanes“13, das heißt, dass Ino Angst hat, weil sie nicht weiß, welche Haltung Athamas ihr gegenüber einnehmen wird, und dass ihre Seele an einem seidenen Faden hängt. Diese psychologische Deutung ist m.E. im üblichen Sinne entweder von ‚knien‘ oder von ‚am Beine hängen‘ abzuleiten. Diese Geste will das Erbarmen in dieser Person hervorrufen und die Seele des Betroffenen ist im Ungewissen, bis sie barmherzige Worte des Mächtigen hört. Von dieser Geste gibt es viele andere Belege: E. HF.EuripidesHF. 520 520; Thuc. VII 75ThukydidesThuc. VII 75, 4, 4; Luc. ToxLukian von SamosataTox. LXI. 61 … In Hinblick auf das Wortspiel Εὐριπίδου pro ̓Αθάμαντος macht Mastromarco folgende Bemerkung: „‘di Euripide’ è aprosdóketon in luogo del nomen del personaggio ai cui piedi Ino si agrappava“14.
Infolgedessen kann man wegen dieser beiden Textstellen von Aristophanes nicht ausschließen, dass Ino die Bühne mit einem bleichen Aussehen – entweder wegen einer Krankheit oder als Strategie, um Athamas’ Gnade zu gewinnen – und mit Lumpen betrat.
Interessant ist nun, dass man sich, Aristophanes auslassend, auf die vierte Fabel von Hygin konzentriert; denn dieses Werk ist die unfangreichste Quelle von Informationen, aber nicht ohne Schwierigkeiten. In dieser Fabel erscheint ein bedeutsamer Titel: INO EVRIPIDIS. Dieser Titel hat zu einer bemerkenswerten Polemik geführt, und die Haltungen der Wissenschaftler dazu sind gespalten.
1) Die Authentizität der Zuweisung von Hygin wird abgelehnt.
Es gibt einige Forscher, die diese Fabel für unecht halten und glauben, dass sie nicht für die Rekonstruktion der euripideischen Tragödie beachtet werden sollte. So denkt z.B. Nauck: „Spuriam recte iudicant C. Bursian Jahrb. f. Philol., vol. 94, p. 776 et M. Schmidt Hygini fabHyginusFab. IV. 4“15. Derselben Meinung ist auch Robert: „Über das Schicksal der Ino ist aus Hygin nichts zu entnehmen, da der Schluss der Geschichte einfach aus fab. 2HyginusFab. II wiederholt wird und mit Euripides nicht zu tun hat“16. Es scheint, dass Page sich auch für diese Ansicht entscheidet, indem er die erwähnte Passage von Euripides’ Medea erläutert: „The plot of Eur.’s Ino is unknown“17; es ist klar, dass die von Hygin überlieferte Information nicht gilt.
2) Die Authentizität der Zuweisung von Hygin wird angenommen.
Es gibt auch diejenigen, die Hyg. Fab IVHyginusFab. IV für zuverlässig halten. So meint z.B. Wagner: „Inonis historiam ex Euripide narrat Hygin. fab. IV“18. Darüber hinaus schlägt dieser Gelehrte als Kernpunkt der Handlung das Spiel um Inos Identität ‚hüllen-enthüllen‘ vor. Kannicht behauptet, dass „hanc quoque fabulam ex argumentis Euripideis fluxisse demonstruit Luppe“19. Luppe aber beschränkt sich nur auf die Hypothesis der euripideischen Tragödie und bezieht sich nicht auf das Werk selbst; er stellt jedoch fest: „Die Vermutung, die Vorlage Hygins könnte in der „Antiopa“- und in der „Ino“-Fabula unmittelbar auf die betreffenden Euripides-Hypothesen zurückgehen, scheint sich m.E. durch Art und Ausdrucksweise dieser Hygin-Fabeln zu bestätigen“20. Auf jeden Fall war Hygins Kopie durchaus keine buchstäbliche.
D’Antò glaubt, dass es keinen Grund gibt, an Hygins Theorie zu zweifeln: „Sarebbe, com’è espressamente indicato nel titolo, l’argomento dell’Ino euripidea“21. Aélion ist auch für die Glaubwürdigkeit des lateinischen Autors: „Nous admettons donc que l’Ino d’Euripide est résumée par Hygin“22; sie räumt aber ein, dass man nicht weiß, wie die Teile verbunden waren, und dass die von Fragmenten geleistete Hilfe sehr begrenzt ist. Kakridis verknüpft ebenfalls Hygins Werk mit Euripides’ Tragödie: „Nach Hygin, der uns den Inhalt jener Tragödie gibt, …“23. Dasselbe meinen Schmid / Stählin, vor allem seit der Entdeckung des aus dem 2. oder 3. Jh. n. Chr. stammenden Papyrus: „Das Geständnis macht nach Hygins’ Bericht, der im wesentlichen offenbar das euripideische Stück richtig wiedergibt …“24. Ruiz de Elvira entscheidet sich für diese Haltung: „Algunos de sus relatos son un fiel resumen de algunas obras conservadas de la épica y dramática griegas, por lo que resulta digno de crédito para las no conservadas“25. Webster beruft sich auf Hygin, um Euripides’ TragödieTragödie zu rekonstruieren; er vertritt die Ansicht, „Horace’s flebilis Ino, contrasted with Medea ferox, suits the oppressed Ino of the story“26, wie in Hyg. Fab. IVHyginusFab. IV erzählt wird.









