- -
- 100%
- +
Irgendwie stand die Frage noch im Raum: „Wo bin ich hier eigentlich?“ Vielleicht hatte Frau K. ihre Worte auch mehrfach wiederholt. Jedenfalls hat ein kleines Mädchen, das mit seiner Mutter bei einer anderen Bewohnerin zu Besuch war, die Frage aufgeschnappt. Das Mädchen sagte zu seiner Uroma: „Oma, du bist im Kindergarten für alte Leute.“
Kindergarten für alte Leute! Das trifft es doch. Das klingt lustig, zumindest nicht so ernst wie Altenheim und auch nicht so realitätsfern wie Königsschloss.
So geht es hier ja auch manchmal zu, wie im Kindergarten, wenn Spiele gemacht, Tiernamen erraten, Luftballons aufgeblasen werden, wenn fröhlich gesungen wird.
Kindergarten. Ich nehme das Wort auseinander: Kinder. Kinder sind wir alle. Das trifft im genealogischen Sinn auf jeden Erdenbürger zu. Das Heim ist also ein Ort, wo Menschen Kind sein dürfen, hilflos, naiv, zuwendungsbedürftig.
Und der Begriff Garten weckt bei mir viele, überwiegend positive Assoziationen. Ich sehe grüne Rasenflächen mit Gänseblümchen übersät, Rosenbeete, Bäume, Sträucher. Mir gefällt die Vorstellung von einem Garten, zumindest als visionäre Begrifflichkeit. In einem Garten kann etwas aufblühen, gedeihen und wachsen. Der Garten ist ein Wohlfühlort. Da lässt sich das Leben genießen. Da kann geerntet, da kann etwas eingebracht werden. Lebensernte. Da kann man sich an den Lebensfrüchten freuen und stolz sein. Der Garten steht für Arbeit und Ausruhen, für Gebrauchtwerden und Entspannung. Selbst die religiösen Hoffnungen und Vorstellungen vom Paradies beschreiben nichts anderes als einen prächtigen „Wonnegarten“, so die Übersetzung des altpersischen Wortes Paradies.
Meine Fantasie geht mit mir durch. Ich entwickle schon Ideen, dieses Heim „gärtnerisch“ umzugestalten: Überall Blumen, lauschige Winkel, kleine Sitzgruppen in gemütlichen Lauben. Vogelgezwitscher per CD-Einspielung statt Schlager und Volksmusik. Ein Zimmerbrunnen plätschert fröhlich vor sich hin. Frischer Fliederduft breitet sich aus. Alte, vertraute Gerätschaften hängen dekorativ an den Wänden. Das Gebäck zum Kaffee kommt aus dem Picknickkorb. Klingt das nicht paradiesisch? Noch fantastischer wäre es, den Innerbereich mit einem wunderschön angelegten und geschützten Garten im Umfeld des Heimes zu verbinden. Da gäbe es Vogelgezwitscher live, den Duft von Blumen und Kräutern, Blätterrauschen, Schattenplätze unter Bäumen, frische Luft. Man könnte aufatmen unter freiem Himmel, Freiheit atmen, das Leben so gut es geht genießen.
„Wo bin ich hier eigentlich?“ die Frage holt mich gedanklich zurück ins Heim. Aus der Wahrnehmung der Realität erschließt sich die ehrliche Antwort: Wir sind hier in einem Altenheim. Aber die Vorstellung, etwas gestalten zu können, sodass sich alt gewordene Menschen wohl und geborgen fühlen, beflügelt mich. Es muss ja nicht gleich das Paradies sein. Und ich wende mich erst einmal der noch immer etwas verwirrten Dame zu, versuche zu vermitteln, dass sich viele freundliche Menschen liebevoll um sie kümmern werden.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.