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Ich setz mich auf. »Was ist los? Raus mir der Sprache! Hast du Probleme? Hast du deshalb geheult, letztes Mal am Telefon?«
»Ach, Doro«, jammert Greta. »Es läuft gerade alles schief in meinem Leben. Ich hätte nicht nach Italien ziehen sollen. Hier will mich keiner. Schon gar nicht Adrianos Familie.« Greta schaut mich an, als würde ein Widerspruch meinerseits alles ins rechte Licht rücken.
»Wie kommst du darauf?«, tu ich ihr den Gefallen und frag nach. Ein bisschen konkreter muss sie schon werden.
Sie schnieft. »Du hast es doch mitbekommen, heute früh am Pool. Als wäre ich schuld an dem ganzen Desaster.«
»Ach komm, dein Schwiegervater war gestresst. Und das versteh ich sogar. Ich mein, der Tote und die Folgen, die daraus entstehen könnten. Die Angst, dass die Gäste was mitbekommen, dass ihm womöglich irgendeine Fahrlässigkeit angehängt wird …«
»Das ist es nicht. Adrianos Eltern waren entsetzt, als ihr Sohn eine Deutsche geheiratet hat. Ich kann mich anstrengen, wie ich will, sie sind nie zufrieden. Immer heißt es: Isabella hat das so gemacht, Isabella wollte das nicht so haben … Isabella, Isabella … bla, bla, bla«, stößt Greta bitter hervor.
Ist mir lieber, wenn sie wütend ist, als wenn sie heult.
»Isabella ist Adrianos Exfrau?«, kombiniere ich messerscharf.
Greta nickt und starrt auf ihre Hände. »Und sie sieht auch noch megagut aus«, seufzt sie und lacht unglücklich.
»Gibt’s Grund zur Eifersucht?«, frag ich, weil’s ja nicht das erste Mal wäre, dass alte Liebe wieder aufflammt.
Greta schüttelt den Kopf. »Nein, das nicht, aber sie schneit alle paar Wochen hier rein und bringt alles durcheinander. Da kann man nichts machen, sie ist die Mutter von Laura und Davide.«
»Wieso sind die Kinder eigentlich nicht bei ihr?«
»Die wären ihr nur im Weg. Als Model ist sie viel unterwegs. Und Adriano würde das niemals zulassen.«
Model – wie die Freundinnen von Paps. Muss ein Virus sein. Ich schüttle den bösen Gedanken ab.
»Aber er lässt zu, dass du unglücklich bist«, stelle ich schonungslos fest.
»Er sitzt halt zwischen den Stühlen«, sucht Greta nach einer Entschuldigung.
Aber das lasse ich nicht gelten.
»Hallo! Dein Mann soll sich gefälligst auf deinen Stuhl setzen!«
Meine Empörung muntert Greta auf. Sie nimmt ihr Glas und prostet mir zu. »Salute, Doro. Schön, dass du da bist.«
»Salute. Ja, ich freu mich auch«, sag ich und mein es auch so.
»Tut einfach gut, mit einer Freundin zu reden. Doppelt schön, weil wir uns nach der Schule ewig nicht gesehen haben … erst wieder im letzten Jahr … Und du bist trotzdem gekommen.«
Tja, Greta spricht aus, was ich mir auch schon gedacht habe.
»Wir waren nie die typischen Mädels, mit Händchenhalten, Tagebuch und Kicherpartys.«
»Stimmt«, lacht Greta, »wir haben uns lieber mit Kopfhörern im Zimmer verbarrikadiert und gelesen. Oder mit der Gitarre in den Englischen Garten verdrückt.«
»Ich hab oft Paps in der Küche geholfen. Hat mir Spaß gemacht.«
»Ja, und alle haben für den tollen Sascha Ritter geschwärmt und wollten dich als Freundin. Da war ich immer ein bisschen eifersüchtig.«
»Auf wen? Auf Paps oder auf mich?«
Wir lachen beide. Ich vor allem, weil ich Paps vor mir sehe, wie er geschmeichelt Autogramme verteilt.
»Felli war total in deinen Vater verknallt.« Greta kichert.
»Ich glaub, das ist sie heute noch.« Ich kichere auch – eben doch Mädelsgequatsche, denk ich – und lästere fröhlich weiter. »Sie taucht immer mal wieder im ›Macis‹ auf, und so, wie sie ihm hinterherschmachtet … Ohne Worte!«
»Wieso eigentlich ›Macis‹? War’s früher nicht ›Saschas‹? Seid ihr umgezogen oder so?«
»Nee …« Jetzt bin ich in der Zwickmühle. Klar, früher hieß Papas Gourmettempel »Saschas«. Und der Grund, warum das nicht mehr so ist … Paps würde mir den Kopf abreißen. Andererseits find ich es blöd, Greta die offizielle Version von Modernisierung bla, bla, bla zu servieren. Ich geb mir nen Ruck. Was soll’s, Greta lebt hier in Italien.
»Macis, die Muskatblüte. Paps ist ein absoluter Muskatfan, die Idee hat ihm schon lange gefallen, aber eine bewährte Marke umzubenennen, macht man nicht einfach so, und …«, ich zögere kurz, »okay, es war so: Paps hat eine Bemerkung von nem Gast aufgeschnappt. Der hat beim Rausgehen übersehen, dass der Chef und seine Tochter an der Speisekarte am Eingang zugange waren, und hat böse über den Namen abgelästert. Sachen wie: ›Saschas‹ klinge nach Bordell auf der Reeperbahn oder der Besitzer sei schlicht und einfach ein selbstverliebter Egomane. Er solle sein Lokal besser ›Narziss‹ nennen …«
»Na, immerhin kennt der sich in der griechischen Mythologie aus«, spottet Greta. »Aber dass dein Vater deswegen gleich sein Restaurant umbenennt?« Sie legt ungläubig die Stirn in Falten. »Da müsste er doch drüberstehen!«
»Tut er normalerweise auch. Aber fatalerweise hab ich ne Woche vorher die Originalität des Namens infrage gestellt …«
»Oh, oh!« Greta nickt verstehend.
»Genau! Und das hat an ihm genagt. Weil – mein lieber Paps ist ein bisschen eitel, und vor allem sieht er sich als Künstler. Mangelnde Originalität, Langeweile oder Spießer – das sind No-Go-Begriffe im Zusammenhang mit Sascha Ritter!« Ich lache leise, als ich an Paps’ auffallend dunkle Gesichtsfarbe während unserer Diskussion denke.
»Wir hatten einen internen Wettbewerb ausgetragen. Vater gegen Tochter. Schlachtfeld Küche. Auf dem er mein Werk als fantasielos abgewertet hat – was es auch war, wie ich im Nachhinein zugeben muss. War einfach nicht gelungen und ich war beleidigt – und hab zum Gegenschlag ausgeholt. Er hat dann wortlos das Feld geräumt. Nach zwei Tagen haben wir uns versöhnt, aber ich hab gesehen, wie er skeptisch auf die Leuchtschrift über dem Eingang gestarrt hat.«
»Und dann kommt einer und nennt ihn einen selbstverliebten Egomanen.«
»Genau. Und ich war auch noch Zeugin! ›Idiot‹, hat Paps geknurrt, ›ein Egomane ist selbstverliebt!‹ ›Macis‹ hat uns dann beiden gut gefallen. Ich will nicht angeben, aber die Idee ist von mir – weil Paps liebt Muskat, egal ob als Nuss oder Blüte beziehungsweise Samenmantel. Und ein bisschen Intellekt darf ja sein – nach dem Narziss!« Wir kichern.
»Und der Typ hat Lokalverbot bekommen?«
»Nee, das nicht, aber ehrlich gesagt sind wir eigentlich immer ausgebucht, wenn er anruft …«
»Tja«, Greta schaut unschuldig, »geht uns manchmal auch so …«
»Five.«
»Five.«
Wir klatschen ab.
Mia taucht wieder auf. Schwebt zart, nein, ätherisch trifft’s besser, auf die Bühne. Ich hab echt keine Figurprobleme, aber solche Frauen machen mich gefühlsmäßig zehn Kilo schwerer.
»Na, du Arme, geht’s wieder besser?«, ruft Greta ihr mitfühlend entgegen.
»Ich hab gerade von einer Kugel Erdbeereis geträumt.« Mia lacht und macht sich an der Eisbar zu schaffen.
Greta beugt sich zu mir. »Mia ist ein Schatz. Sie hält immer zu mir«, flüstert sie. Ihre Miene verdüstert sich. »Mehr als Adriano.«
»Ach komm, Greta, Kopf hoch, das rocken wir«, sag ich cool, »denk an den alten Wiesmüller, den haben wir uns auch zurechtgebogen.«
Greta muss lachen. »Vielen herzlichen Dank auch. Meinen Mann mit Wiesmüller zu vergleichen!«
»Der Gedanke hat was«, finde ich und smile, »aber im Ernst, du weißt, was ich meine, oder? Musketiere … alle für einen und so.«
»Mein armer Adriano tut mir jetzt schon leid …«
»Was gibt es zu lachen?«, fragt Mia neugierig. Sie lässt sich mit einer Megakugel Erdbeereis in der Waffel auf einen Stuhl fallen.
»Lass das bloß die Kinder hier nicht sehen, die wollen nie wieder eine normale Kugel«, zieh ich sie auf.
»Oje!« Mia schaut erschrocken auf ihren Erdbeereisberg.
»Entspann dich, Mia, alle Monster sind am Pool«, geb ich Entwarnung.
»Monster! Doro, wenn das die lieben Eltern hören.«
Wir lachen. Tut gut nach dem ganzen Stress. Der Tod von Julian Weigel steckt uns allen in den Knochen.
»Tja, Mädels, ich verzieh mich. Sachen auspacken, Nickerchen und so … Soll ich gleich die Gläser mitnehmen?«, frag ich und steh auf.
»Nee, lass mal«, winkt Greta ab.
»Ich helfe Greta«, sagt Mia.
Na, dann … Ich überlege kurz. Soll ich außenrum gehen, über den Parkplatz zum Hintereingang – da könnte ich gleich noch meine Sonnenbrille aus dem Auto holen. Ich entschließe mich dann aber für den Weg durchs alte Haupthaus. Ist kühler als draußen.
Im Minibüro hinter der Rezeption herrscht gähnende Leere. Francesca und Vittorio pflegen ihre Siesta bis zum späten Nachmittag. Hat sich nicht verändert seit dem letzten Jahr. Die Jungen halten abwechselnd die Stellung, ist nicht viel los um die Zeit. Die meisten Gäste sind am See oder gehen ne Kleinigkeit essen oder schlafen am Pool. Manche in der prallen Sonne … Okay, wer’s braucht. Später vielleicht Eiskaffee, ein kühles Pils vom Fass oder einen prickelnden Spritz. Sofort perlen verlockende Bilder an meinem geistigen Auge vorbei. Gibt’s für mich aber erst nach der Abendschicht. Auch wenn das »Magdalena« überschaubar ist, 50 oder 60 Essen punktgenau zu servieren, ist zwar nicht wirklich eine Herausforderung, ich will mich aber auch nicht blamieren.
Ich streife die Flipflops ab und streck mich auf dem Bett aus. Die Fahrt steckt mir noch in den Knochen. Ist zwar echt keine Weltreise von München an den Gardasee, aber dann noch die Aufregung vom Morgen … Ein alter Hausschlappen ist ein fitter Turnschuh gegen mich! Ich fummel mein Handy aus der Hosentasche, dabei spür ich den Knubbel in der kleinen Seitentasche. Ach, Mensch, den Knopf hab ich ganz vergessen, den bring ich später noch zu Forti.
Ich drücke Vinc’ Nummer, aber er geht nicht ran. Die Hände im Nacken verschränkt, döse ich vor mich hin. Muss kurz eingeschlafen sein, jedenfalls höre ich jetzt jemanden sprechen. Männlich. Italiener. Spricht schnell und mit Dialekt. Klingt irgendwie … interessant. »Was interessiert dich eigentlich nicht?«, würde Vinc dazu mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sticheln. Vinc … Ich drücke die Wahlwiederholung. Wieder nix. Schade. Na ja, probier ich’s später noch mal. Muss langsam in die Küche, Abendessen vorbereiten, ist schließlich kein Urlaub hier. Mein Akku ist wieder aufgeladen, trotzdem, zwei Minuten gönn ich mir noch. Ich mach die Augen zu und freu mich auf Vinc. Träume von unseren Motorradtouren … Die Stimme von drüben wird lauter. Der Typ ist jetzt anscheinend auf dem Balkon. Aha. Muss ich mir merken. Wichtige Dinge nicht draußen besprechen. Ich grins vor mich hin, steh auf und stell mich an die Balkontüre. Ich hab keinerlei Skrupel zu lauschen, außerdem versteh ich eh nur ein paar Brocken, mein Rudimentäritalienisch ist absolut überfordert. Was ich raushöre, sind lediglich ein paar Worte. »Mama« und »Unfall«, er könne nichts für den Tod … und dass er in Sicherheit sei. Bin mir nicht sicher, der Stimme nach könnte es Niveo sein. Greta fragen, wer das Zimmer neben mir hat, notier ich für mich. Okay, er telefoniert also mit seiner Mutter, er kann nichts für den Tod und – er hat Angst. Letzteres kann ich an seiner Stimme hören. Wovor, frag ich mich. Da kann ich nur Vermutungen anstellen, aber darin bin ich ja Meisterin – würde Vinc zumindest behaupten. Hmm, ein Toter, ein seltsames Telefongespräch, meine Antennen sind auf Empfang! Was hat Niveo mit dem Tod von Julian Weigel zu tun? Und wovor hat er Angst? Kein Mensch hat irgendeinen Verdacht gegen ihn geäußert. Ich hab ihn gefragt, ob er versucht hat, den Mann wiederzubeleben … Das war kein Vorwurf, ich wollte nur den Ablauf ein wenig strukturieren. Und der Streit, auf den ihn Mia angesprochen hat … Ich mein, selbst wenn er mit dem Mann eine Auseinandersetzung gehabt hätte, hätte das noch lange nichts mit dem Tod von Julian Weigel zu tun. Außerdem hat er das ja mit dem Fahrradunfall erklärt. Ja gut, erzählen kann er viel! Hat er ein schlechtes Gewissen, weil er nicht sofort Erste Hilfe geleistet hat? Oder hat er vielleicht das Reinigungsmittel am Pool liegen lassen? War die Stelle glitschig? Mir ist nichts aufgefallen, als ich den Beckenrand in der Früh überprüft habe. Außerdem war Julian Weigel heute Morgen ja vor Niveo am Pool. Muss ich mir noch mal anschauen. Ein Blick auf mein Handy … 14.45 Uhr auf dem Display. 15 Uhr, hat Niveo gesagt. Eine Viertelstunde … okay, das passt. Noch schnell ins Bad, wo mir ein Blick in den Spiegel zeigt, dass sich meine hellbraune Naturkrause in einen Wischmopp verwandelt hat. Ich wähle das Zehnfingerprogramm und stürme aus dem Zimmer, Treppen runter, durch den Garten Richtung Pool. Einige Liegen auf der Wiese sind belegt, Schirme spenden Schatten, selige Ruhe. Genauso im Poolbereich. Gut, dann werd ich nicht angequatscht. Weil – blöde Fragen stellen darf nämlich nur ich!
An der Unfallstelle geh ich in die Hocke und rastere das Umfeld ab. Hmm, nichts. Absolut nichts, über das man stolpern könnte, nichts ist schmierig.
»Hast du was verloren?«
Ich bin mit den Gedanken bei Julian Weigel und nehme das Kind mit der piepsigen Stimme eher unbewusst wahr.
»Äh …«, ist alles, was mir einfällt. Was die Kleine aber nicht stört, sie hockt sich neben mich und lässt die Füße ins Wasser baumeln. Die Mutter blinzelt träge rüber, ein Auge auf ihr Engelchen, das sicher noch nicht schwimmen kann.
»Wie heißt du?«, fragt das Engelchen und wackelt mit den Zehen im Wasser.
»Doro. Und du?«
»Ich bin Frida. Da drüben ist meine Mama.« Sie zeigt mit dem ausgestreckten Finger und bestätigt damit meine Vermutung.
»Papa holt ein Bier«, informiert sie mich dann noch.
Ich unterdrücke mühsam ein Grinsen.
»Ich hab Schwimmflügel. Gehst du mit mir ins Wasser?«, beendet Frida die Vorstellungsrunde.
»Nee du, ich muss in die Küche, damit du heute Abend etwas in dein Bäuchlein kriegst«, sag ich und klopf ihr lachend auf dasselbige.
Interessiert schaut sie mich an. »Kann ich mitkommen?«
Oje, hab, glaub ich, nen Fan gewonnen. Paps sammelt die mondänen Damen der High Society und ich kleine Knirpse am Pool!
»Nee, Schätzchen, in der Küche ist’s viel zu gefährlich, weißt du. Die heißen Töpfe, Messer und lauter solche Dinge. Du gehst planschen, ich geh kochen, okay? Aber pass auf, dass du nicht ausrutschst. Wenn der Boden nass ist, wird’s glatt.« Womit ich wieder beim Thema bin.
»Ich laufe immer hier am Rand, der ist nicht glatt«, ruft Frau Naseweis, steht auf und hüpft davon.
Eben. Sag ich doch. Und der Tote war ein sportlicher junger Mann, nur auf der Durchreise für ein paar Tage, unterwegs mit dem Rennrad und unbestimmtem Ziel. Im Hinterkopf schwimmt – nicht greifbar – eine Erinnerung … irgendetwas. Ich seufze. Zeit, in die Küche zu gehen.
Niveo ist noch nicht da. Egal. Ich fang schon mal an. Soßen vorbereiten, köcheln lassen. Salat putzen. Tomaten aus dem Kühlschrank nehmen. Weißbrot checken. Zunächst die Soßen für den ersten Gang. Tomatensoße und Ragout Bolognese. Mit Spaghetti. Nicht sehr einfallsreich, aber die Speisepläne stehen, da werd ich nichts machen können. Wär vielleicht auch übertrieben. Aber am Salatbüfett lässt sich definitiv was ändern. Niveo hat mir heute früh eine kleine Einführung gegeben. Zutaten fürs Salatbüfett kommen direkt aus dem Kühlraum, das geht gar nicht. Tomaten müssen auf jeden Fall vorher raus. Und die Auswahl ist mir zu knapp. Mais, Bohnen, Rote Bete notier ich für mich. Alternativ zu den Pastagerichten noch Nudelsuppe mit Gemüsestreifen. Okay, das geht schnell. Bin fast fertig mit den Soßen, als Niveo hektisch in die Küche stürmt und sich überschwänglich entschuldigt. Rache ist süß, denk ich, und verdonnere ihn zum Kartoffelschälen und Gemüseschneiden. Beilagen für den zweiten Gang. Salzkartoffel und gegartes Gemüse. Zu Saltimbocca alla Romana oder Lachsfilet gegrillt. Pilze putzen fürs vegetarische Omelett. Wir sind schnell fertig.
»Müssen wir für die Nachspeise noch was vorbereiten?«, überleg ich laut.
Niveo schüttelt den Kopf. »Alles fertig«, sagt er und zeigt zum Kühlschrank. »Tiramisu hab ich gestern gemacht, ohne Ei.«
»Und zum Eis?« Eis gibt’s immer, hab ich mir sagen lassen.
»Sahne, wer will.« Niveo schaut mich fragend an.
»Wir legen ein paar Früchte dazu«, schlag ich vor und mach mich auf die Suche. Na bitte! Wunderbar reife Pfirsiche. Ich stell die Schüssel vor Niveo hin.
»Muss das sein?«, motzt der prompt.
»Ja«, sag ich gnadenlos und frohlocke innerlich, weil Niveo mit finsterer Miene zu schälen und schnippeln anfängt, meine Rolle als Chefin aber akzeptiert. Und das als italienischer Macho, schieb ich ihn ohne Skrupel in meine Vorurteilsschublade für südländische Männer. Ich rühre eine leichte Soße aus karamellisiertem Puderzucker, Orangensaft, Stärke, Vanillemark, einer Zimtstange, einer Prise Muskatblüte, Ingwer und einem kräftigen Schuss Limoncello an. Davon halte ich Niveo ein Löffelchen voll zum Probieren vor die Nase. Er schnuppert, lässt sich dann die Kostprobe in den Mund schieben. Er testet ausgiebig, ohne eine Miene zu verziehen.
»Gut«, sagt er und schnippelt weiter.
Die Soße schmeckt mehr als gut, das weiß ich. Braucht halt noch ein bisschen, mein kleiner Italiener.
»Das Ganze dann in den Kühlraum, okay? Und vergiss nicht, etwas Zitronensaft über die Schnitze zu träufeln, damit sie nicht braun werden«, geb ich freundlich noch ne Anweisung.
Niveo nickt grantig.
Halb sechs. »Ich verzieh mich ein halbes Stündchen auf’s Zimmer«, verkünde ich und hänge die weiße Schürze an den Haken an der Tür. Vielleicht erreiche ich Vinc, hoffe ich, und reiß schwungvoll die Tür auf.
»Attenzione!«, bellt es mir scharf entgegen.
Ups! Fast hätte ich den Gipsarm des Alten gerammt.
»Valdo!« Niveos Miene hellt sich sichtbar auf.
»Salve, Niveo.« Der Alte nickt zu Niveo rüber, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Okay, Ruhepause gestrichen. Valdo Carlotti, der capo della cucina, inspiziert sein Revier. Jetzt mein Revier. Zwei italienische Machos, fass ich zusammen, und stell mich der Herausforderung.
»Hallo, Signor Carlotti«, begrüße ich den Alten und strecke ihm die Hand entgegen. »Ich bin Doro Ritter, Ihre Vertretung.« Jetzt ist er am Zug.
»Salve, signorina Doro. Ritter. Der berühmte papà, habe ich schon gehört«, kommt es stimmgewaltig auf Deutsch mit charmantem italienischem Akzent. So wie’s die Deutschen lieben. Italien, aber bitte auf Deutsch.
Was war das? Ein schelmisches Blitzen in den Augen? Bin mir nicht sicher. Valdo zieht sich einen Stuhl aus der Ecke und lässt sich nieder. Was wird das? Will der hier einziehen?
»Äh …«, mehr fällt mir nicht ein. Nicht mein Tag heute. Hmm …
»Wollen Sie uns helfen?«, frag ich scheinheilig.
Der Alte hebt leicht seinen linken Arm mit dem Gips in die Höhe und schüttelt den Kopf. »Darf nix machen, sagt der Dottore.«
»Leisten Sie uns ein bisschen Gesellschaft?« Carlotti ist zäh, lässt sich jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.
Valdos Stirn umwölkt sich.
Niveo steht mit verschränkten Armen da, beobachtet uns, unverschämt zufrieden, möcht ich mal sagen. Ich muss lachen. Ich mein, was soll’s. Dem Alten ist wahrscheinlich langweilig oder seine Frau hat ihn rausgeschmissen, weil er daheim nervt, und diese Küche hier ist seine Welt. Seit Jahrzehnten. Seit das Hotel besteht eigentlich. Hat Greta erzählt.
»Na dann, willkommen zurück«, sag ich fröhlich, »ab und zu einen guten Ratschlag kann schließlich jeder brauchen. Sogar eine Signorina Doro. Ritter.«
Die Miene des lädierten Küchenchefs glättet sich. Wir verstehen uns.
»Bin kurz draußen«, melde ich mich bei Niveo und Valdo ab. Vielleicht ist Vinc jetzt erreichbar. Das Handy am Ohr, spring ich Richtung Eingangslobby, auf der Suche nach Greta. Vinc geht immer noch nicht ran. Im Büro sitzt Vittorio Rinaldi mit Forti. Das passt mir gut, ich renn auf mein Zimmer, schnapp mir den Knopf, das spart mir den Weg zur Carabinieri-Station.
Forti nickt, als ich ins Büro stürme, Rinaldi verzieht säuerlich das Gesicht.
»Den Knopf hab ich am Pool gefunden. Direkt an der Unfallstelle. Ich dachte, das könnte Sie interessieren.«
Forti nimmt den Knopf, begutachtet ihn gründlich, hält ihn sich vor die Augen, als ging’s um Karat und nicht um Plastik. Nickt wieder. »Ich prüfe das«, sagt er, dann bin ich Luft für die beiden.
Aha. Bitte schön, gern geschehen! Oder verarscht der mich grade?
Mir jetzt egal, ich such Greta.
In der Küche läuft dann alles wie am Schnürchen, Valdo bleibt brav auf seinem Platz und schafft es tatsächlich, sich rauszuhalten – zumindest meistens.
Einmal hat er kurz gezuckt, als ich frisches Weißbrot zum Salatbüfett gestellt hab statt der alten Frühstückssemmeln … und eine Schüssel Mais und eine mit grünen Bohnen zusätzlich. Hat aber nichts gesagt.
Um halb zehn ist der Speisesaal leer, die Gäste sind runter in den Ort flaniert oder sitzen draußen auf der Terrasse mit Vino, Smartphone, Tablet oder bei einem Spiel mit den Kindern. Karten, Würfel, Brettspiele. Zum Teil aus dem Hotelfundus. Grüppchen haben sich gebildet, andere bleiben lieber separat. Adriano bedient heute Abend draußen, ich hab nen Eins-A-Beobachtungsposten vom Familientisch aus, gönn mir eine Zigarette und nippe nebenbei an einem Glas Prosecco. Mein Favorit im Sommer. Eindeutig. Und liegt durchaus im Trend, neben Spritz, Vino und Bier natürlich. Ein letzter Schluck, dann letzter Kücheneinsatz für heute. Hab mir einen schlichten Rührkuchen fürs Frühstücksbüfett vorgenommen, das schaffe ich locker, bis Niveo und Mia die Spülmaschine bestückt und die Küche gesäubert haben. Greta deckt fürs Frühstück und bereitet das Büfett vor. Danach gibt’s Essen für uns. Vom Ragout ist noch genügend da, Niveo schmeißt die Pasta ins Wasser.
»Was machen deine Eltern so den ganzen Tag?«, frag ich Mia.
»Meinst du im Hotel?«
»Ja. Sind die immer da und passen auf?«
Mia schüttelt den Kopf. »Nein, die wohnen oben in Tremosine. Da ist es kühler und sie haben ihre Ruhe. Aber in der Hauptsaison sind sie oft hier. Sie haben eine kleine Wohnung in unserem Privattrakt, gleich neben meinem Appartement. Hauptsächlich hüten sie die Rezeption und pflegen den Garten. Und papà macht den Limoncello.«
»Ach, der ist selbst gemacht?« So was interessiert mich immer.
»Ja, und sogar aus unseren eigenen Zitronen. Nach dem Essen musst du ein Glas probieren, Doro.«
Tja, Familienstolz. Geht mir mit Paps genauso.
»Gerne«, stimm ich begeistert zu und streiche die Teigmasse aufs Blech. Okay, das reicht. Die gekaufte Pampe muss schließlich auch noch weg. Ich nehm die Küchenuhr und verzieh mich nach draußen.
»Bin grade fertig«, ruft Greta durch die offene Terrassentür. »Ein Glas Weißwein zum Essen?«
»Ja, gerne«, ruf ich zurück.
»Ich bring’s gleich mit.« Sagt’s und verschwindet Richtung Rezeption und Theke.
Hoffentlich wird sie nicht von Gästen gekrallt, die immer schnell was brauchen, wenn jemand von der Familie vorbeikommt, denn die Lobby ist allgemeiner Knotenpunkt für Urlauber und Personal. Hier liegt das kleine Büro, gleich davor die Rezeption zum Ein- und Auschecken und ganz wichtig natürlich das Herzstück, die Bar, an der die kulinarische Flüssigversorgung stattfindet.
Mein Handy vibriert.
»Hallo, Vinc! Hab’s vorhin schon bei dir probiert …«
»Küsschen, Schatz. Ich war bis jetzt unterwegs und hab blöderweise mein Handy daheim liegen lassen. Zuerst war ich bei Fredi, Einweisung Motorrad, morgen hol ich es dann ab. Danach bin ich weiter zur Uni und hab mit meinem Chef geredet, wegen Urlaub und so … Geht klar, hat er gemeint. Er hilft mir morgen bei ein paar Änderungen an der Anlage, das war’s dann eh, bis das Semester wieder losgeht.«
»Super!« War ein Glücksfall, dass Vinc den Job an der Uni bekommen hat, obwohl er BWLer ist und kein Informatiker. Das externe Unternehmen ist zuständig für die digitale Versorgung der Uni und sucht immer Studenten für bestimmte Bereiche. Vinc’ Aufgabe ist die Kommunikation zwischen den Technikern und den Laien. Und das kann mein Schatz. Er ist geduldig, kommunikativ, diplomatisch und innovativ. Ich grinse. Alles Eigenschaften, die auch bei mir oft zum Einsatz kommen. Sozusagen Voraussetzung beim Management von Doro Ritter.






