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»Wann kannst du da sein?«, frag ich.
»Tja, ich will in der Früh losfahren, aber nicht Autobahn. Eher Reschenpass, mal sehen, wenn ich schon ein Motorrad habe …«
»Logisch, mach das. Ich freu mich auf unsere Touren hier. Und auf dich.«
»Und ich mich auf dich, meine Süße. Wirst du denn überhaupt Zeit haben? Immerhin bist du ja nicht zum Vergnügen bei den Rinaldis.«
»Stimmt. Aber das organisier ich, kein Problem. Du, Schatz, kann ich dich später zurückrufen? Ich muss dir einiges erzählen. Ah, Greta kommt mit einem Glas Weißwein. Und ich muss noch was für morgen notieren und dann gibt’s Pasta fürs Team …«
»Danke für die Info! Ich sitz hier einsam draußen, mit einer dicken Wolldecke, wenn ich das erwähnen darf! Vielleicht mach ich mir noch eine Tasse heißen Tee.« Vinc lacht leise.
»Übertreib mal nicht, du Spinner! Es gibt Internet und das sagt mir, dass es bei euch in München durchaus warm ist für die Jahreszeit. Aber trotzdem, eine Runde Mitleid! Und ab übermorgen südliche Sonne, Vino und natürlich das Sahnehäubchen …«
»Das da wäre?«
»Deine liebste Doro, was sonst?«
»Na, dann bis später, du Sahnehäubchen.«
»Bussi«, sag ich und schick ein Küsschen ins herbstliche München.
Niveo kommt, die Teller beladen mit dampfenden Tagliatelle und Ragout Bolognese, Adriano erscheint mit Eltern und Mia im Schlepptau.
»Buon appetito«, wünscht Vittorio Rinaldi als Familienoberhaupt.
»In Deutschland hat sich Bolognese praktisch untrennbar mit Spaghetti verbunden. Und ist zu tomatenlastig«, überlege ich laut.
»Wir haben heute extra für dich beim Menü Spaghetti verwendet, damit du kein Heimweh bekommst«, bemerkt Niveo.
»Also ich …«
Alle lachen. Sogar der alte Rinaldi. Ich hab zu spät gemerkt, dass Niveo mich auf den Arm nimmt. Die Rache fürs Pfirsichschnippeln. Natürlich ist allen klar, dass ich das italienische Originalrezept kenne und weiß, dass man unterschiedliche Nudeln für diese Soße verwendet, aber niemals Spaghetti.
»Ja, ja, alla tedesci, ich weiß«, mein ich augenzwinkernd. »Wisst ihr, mein Paps würde sich eher die Hand abhacken, bevor er dazu Spaghetti servieren würde. Einmal hat ein Gast gewagt, sich beim italienischen Büfett über die dazu gereichten Rigatoni zu beschweren. Ihr hättet sehen sollen, wie Paps’ Miene zum Eisblock mutierte. Seine Zornader an der Stirn hat pulsiert und ich kenn ihn. Das war Mount Ritter kurz vor dem Ausbruch.« Bei der Erinnerung daran muss ich so lachen, dass ich alle damit anstecke. Die Gäste schauen schon neugierig rüber.
»Apropos«, sag ich, wieder auf dem Boden der Tatsachen, »wieso bieten wir nicht mal nen original italienischen Abend? Ich denke, die meisten Gäste würden das lieben!« Die Begeisterung geht mit mir durch.
»Mal langsam, Mädchen«, stoppt Vittorio meinen Enthusiasmus. »Wir haben genug Arbeit, das wirst du schon noch merken. Da brauchen wir keine Extratouren. Außerdem sind wir original genug.«
Hab ich’s mir wieder versaut? Nee, glaub nicht, Vittorio lächelt mich milde an, wie ein Kind halt, das man in die Schranken weisen muss. Tja, das Los meines Alters, dazu eine Prise Genderproblematik eines italienischen Machos. Werd mich wohl ziemlich ins Zeug legen müssen, um den Alten von meinen Qualitäten zu überzeugen. Haha, packt mich da gerade der Ehrgeiz?
Die Küchenuhr rasselt.
»Scusa, ich muss den Kuchen aus dem Backrohr holen«, entschuldige ich mich, schieb die letzte Gabel Tagliatelle in den Mund und spring in die Küche.
Niveo folgt mir mit den leer gegessenen Tellern, begleitet von Mia.
»Pfirsiche an Soße Doro«, serviert er zwei Minuten später. »Müsst ihr probieren, schmeckt klasse.« Er schaut todernst.
Aha. Ich grinse. Er auch.
Meine Dessertsoße ruft allgemeine Begeisterung hervor.
»Wie wär’s jetzt mit einem Gläschen Ihres berühmten Limoncellos?«, frag ich Vittorio.
Ein geschmeicheltes Lächeln entkommt ihm.
»Mia, hol die Flasche und Gläser, per favore!«, schickt er seine Tochter los.
»Salute«. Ich schnuppere am Glas. Superzitronig. Der Limoncello fließt kalt, süß und sehr fruchtig die Kehle runter.
»Hmmh, echt lecker! Schmeckt viel besser als der, den ich in der Küche gefunden habe«, lobe ich begeistert und mein das auch so.
»Familienrezept.« Vittorio ist sichtlich stolz.
Na also, geht doch, denk ich zufrieden.
Ein schöner Abend, aber langsam werde ich müde und will meine Ruhe.
»Buona notte«, wünsch ich in die Runde und steh auf.
Adriano geht rüber zu den Gästen, die anderen bleiben noch sitzen.
Okay, war ein langer Tag. Hab mir eine Flasche Mineralwasser mit hochgenommen, die klemm ich mir unter den Arm und geh raus auf den Balkon. Aschenbecher steht auf dem kleinen weißen Plastiktisch, der Stuhl aus demselben Material war auch schon mal weißer, wie mir heute Nachmittag aufgefallen ist. Aber das schluckt jetzt die Nacht. Ich drück Vinc’ Kontakt. Da alle andern noch unten sind, gehe ich davon aus, ungestört telefonieren zu können. Kontrollblick zu den angrenzenden Zimmern, ist alles dunkel. Trotzdem rede ich sehr leise, als ich Vinc von den Ereignissen des Tages erzähle. Hauptthema ist der Unfall. Logisch. Beschäftigt mich sehr.
»Weißt du, die haben den Mann abtransportiert, Hauptsache, keiner kriegt was mit«, sag ich traurig.
»Doro, Schatz, klar ist das tragisch, aber so was passiert eben. Und dass die Polizei Rücksicht auf den Hotelbetrieb nimmt, finde ich nicht verkehrt.«
Ich seufze. »Das weiß ich ja, aber trotzdem, ich war vorhin noch kurz unten am Pool … Iieh, was ist das?«, ruf ich erschrocken und wedle abwehrend mit den Händen. Beinahe wär mir das Handy runtergefallen.
»Was ist los?«, fragt Vinc, klingt aber nicht sonderlich besorgt.
»Hallo! Ich werde hier von einer Armada Schwalben oder so angegriffen und du lachst?«, schimpf ich empört.
»Bestimmt ein paar Fledermäuslein«, spottet Vinc. »Die waren letztes Jahr doch auch da, mein kleiner Schisser, erinnerst du dich?«
»Echt? Fledermäuse? Meinst du?« Stimmt, ich erinnere mich … Weiß auch nicht, weswegen ich Gänsehaut kriege. Alte Gruselgeschichten aus der Kindheit wahrscheinlich. Wie sich Fledermäuse wie Kaugummi in den Haaren verfangen …
»Und wegen des Unfalls«, Vinc’ Stimme schiebt sich wieder in den Vordergrund, »Doro, du hörst das Gras wachsen. Lass es gut sein und wirbel keinen Staub auf, wo keiner ist.«
»Wird Zeit, dass du kommst, mein Held und Beschützer«, witzle ich liebevoll. »Ich freu mich auf dich. Bussi.«
»Bussi, bleib brav, bis übermorgen.« Ich hör sein leises Lachen, bevor er auflegt. Ein angenehmes Kribbeln breitet sich in mir aus.
Kapitel 4
Segreti – Geheimnisse
Martedi (Dienstag) – 28. August
In aller Früh tauchen die Eltern von Julian Weigel auf. Rote, verquollene Augen, traurig, fassungslos. Julians Freundin steht stumm dabei. Sie wollen ihren Sohn, ihren Verlobten nach Hause holen. Abschied nehmen, an dem Ort, an dem er gestorben ist. Die drei werden von einem Sergente begleitet. Einige Gäste sitzen bereits beim Frühstück und schauen neugierig zu dem traurigen Grüppchen, das gerade durch den Garten Richtung Pool zieht, dahin, wo das Unglück geschehen ist.
Bis auf ein paar bunte Handtücher auf einigen Liegen ist der Poolbereich verlassen.
Ein kleines Mädchen steht auf der Terrasse und schaut zu der Gruppe rüber.
Unter uns gedrückte Stimmung, keine Scherze in der Küche, das gebietet der Respekt vor dem Toten. Auch wenn wir ihn kaum gekannt haben. Die tiefe Trauer der Eltern und der jungen Frau schlägt uns aufs Gemüt. Adriano und Greta gehen rüber zum Pool, Niveo, Mia und ich übernehmen den Frühstücksbetrieb. Die eine oder andere Frage an Mia, die bedient. Ein bedauerlicher Trauerfall, sagt sie freundlich, aber in einem abschließenden Tonfall, der jegliche Nachfrage verbietet. Außerdem überlagert das Bedürfnis nach ungetrübtem Urlaub die Sensationslust, und so plätschert das Gemurmel im Speisesaal bald in gewohnten Bahnen. Die erweiterte Brotauswahl, der selbst gebackene Kuchen und vor allem der Gratisprosecco rufen allgemeine Begeisterung hervor. Hab ich’s nicht gewusst? Ich zwinkere Niveo zu, als eine ältere Dame ein gut gefülltes Glas Prosecco in der einen Hand, in der anderen Kaffeetasse samt Unterteller Richtung Terrasse jongliert, wo sie dann eine Zigarette aus dem hundertwasserbunten Etui zieht und auf ihrem Smartphone surft, während ihr Mann mit Kaffee und Bildzeitung folgt. Urlaubsidylle.
Neben Spiegelei-, Rührei- und Schinkenbruzzeln, werf ich einen Blick auf das Abendmenü. Valdo Carlotti hat angeboten, sich um die Bevorratung und Einkaufsliste zu kümmern, was mir sehr gut passt, auch mit Blick auf Vinc, der morgen kommt, da schadet Unterstützung in der Küche nicht.
»Oh Mann!« Greta kommt mit gerötetem Gesicht in die Küche. »Mir hat’s grade schier das Herz zerrissen. So was wünsch ich meinem schlimmsten Feind nicht.«
Sie hat Tränen in den Augen. Ich nehm sie in die Arme.
»Als Jugendlicher war er im Schwimmverein und hat jeden Wettbewerb gewonnen, hat seine Mutter gesagt«, schnieft Greta.
»Das ist Schicksal«, versuch ich sie zu trösten und weiß, dass es für die Familie von Julian Weigel keinen Trost gibt.
»Die Polizei hat den Leichnam freigegeben. Sie können ihn jetzt mit nach Hause nehmen.«
Wir nicken stumm, dann lenkt uns der laufende Betrieb ab. So ist das, denk ich, und es erschüttert mich, wie schnell der Alltag einen verschlingt, während sich im selben Moment für jemand anderen das Leben für immer verändert.
»Wann kommen eigentlich eure Kinder zurück?«, frag ich Greta.
»Isabella hat sie übers Wochenende mit nach Verona zu ihrer Familie genommen und bringt sie heute Abend oder morgen wieder. Pflicht für die nächsten Wochen erfüllt«, sagt sie böse. »Bis dahin können wir zusehen, dass sie wieder normal ticken.«
»Na, komm, so schlimm wird’s schon nicht werden«, will ich sie beruhigen, merk aber selber, wie blöd das klingt. Schließlich kenn ich Laura und Davide überhaupt nicht, und schon gar nicht ihren Zustand nach einem Aufenthalt bei ihrer Mutter.
Gretas Blick spricht Bände.
»Tut mir leid!«, entschuldige ich mich und umarme sie fest. »Aber ich unterstütz dich, versprochen!«
Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Schön. Tja, Köchin, Kindermädchen – und was kommt noch? Kein Ding, bin zuversichtlich, dass ich das rocke. Ich mein, ich kann ganz gut mit Kindern. Solang es nicht meine eigenen sind und ich sie wieder abgeben kann … Ist einfach noch kein Thema für mich und zum Glück schreit Paps auch nicht nach Enkeln. Und Vinc? Wir haben uns noch nicht in das Thema vertieft. Ich muss lachen. Hallo! Wie komm ich denn auf so tiefschürfende Gedanken?
Greta lauscht abgelenkt, dann eilt sie aus der Küche. Keine zwei Minuten später ist sie wieder zurück.
»War nur Hugo. Der wollte zu Mia. Die ist gerade auf ihr Zimmer gegangen.«
»Hugo? Ist das Mias Verlobter?«, frag ich neugierig. Den hab ich noch nicht kennengelernt.
Greta nickt.
»Hugo Scalieri. Ist mit Mia verlobt, ja. Macht sich zurzeit ein bisschen rar, aber Hochsaison ist bei uns Ausnahmezeit, unser Privatleben startet dann im Oktober … und die Scalieris haben ja selber ein Hotel. Das größte hier in Limone.«
Valdo Carlotti schlurft in die Küche, damit ist das Thema Scalieri erst mal beendet.
»Buon giorno!«, ruf ich zu ihm rüber.
»Buon giorno«, nuschelt er in seinen nicht vorhandenen Bart.
Okay, kein Frühaufsteher, resümier ich. Aber was will er dann schon hier? Hat ihn schließlich keiner gezwungen. Will er vielleicht meinen Untergang nicht verpassen? Obwohl, das glaube ich gar nicht. Eher, dass er sich verantwortlich fühlt und ein schlechtes Gewissen hat, dass er so viel Chaos verursacht. Wahrscheinlich hat er bis jetzt noch keinen Tag gefehlt …
»Signor Carlotti, Sie kümmern sich um die Organisation der Einkäufe, richtig?«, vergewissere ich mich.
»Si, certo.« Valdo nickt. »Adriano sagt, du brauchst selbst gemachte Marmeladen fürs Frühstück? Meine Frau kann welche machen. Und ein paar Nachbarinnen auch. Die verlangen nicht viel.«
»Das ist ja megaklasse!« Ich bin begeistert. »Das geht auf jeden Fall in Ordnung, sagen Sie den Damen, sie können gleich loslegen!«
Der Alte nickt. »Sag einfach Valdo zu mir. Wir sind schließlich Kollegen.« Er verzieht keine Miene bei diesen Worten.
»Doro«, sag ich und drücke ihm spontan ein Küsschen auf die Wange. Was ihm ein breites Schmunzeln entlockt.
Okay, ich checke die Speisenauswahl. Was haben denn die lieben Gäste für den Abend gewählt? »Am besten nimmst du die Liste«, sag ich zu Valdo. »Du kannst sie Niveo und mir dann später in die Küche legen.«
To-do-Liste für heute Abend. Auf jeden Fall ausreichend Pannacotta fürs Dessert, das muss kühlen bis zum Abend. Von der Dessertsoße ist genug übrig, dazu pürier ich frische Pfirsiche, verfeinere sie mit braunem Zucker und Limoncello, schneide ein paar von den Pfirsichen in kleine Stücke, mische sie unter, und ab damit in den Kühlschrank.
»Du machst das viel schneller als ich«, lobt Niveo überschwänglich, als er mich Pfirsiche schneiden sieht.
»Was heißt, du musst viel üben«, kommentiere ich ungerührt.
»Durchschaut«, Niveo schenkt mir ein ertapptes »Jungslächeln«. Ha! Das klappt vielleicht bei seiner Mutter, aber gut, den krieg ich schon noch.
»Was hältst du von Apfelkuchen morgen früh? Und eine Rosinenfocaccia?«, frag ich ihn.
»Focaccia kann ich übernehmen. Rezept von meiner nonna«, bietet Niveo geschäftig an. »Ich mach das später, hab noch etwas zu erledigen, d’accordo?«
»Perfetto! Teil’s dir ein, wie du willst. Ich mach hier erst fertig und hab dann später ein paar Stündchen frei.«
Greta und Adriano ziehen sich ebenfalls zurück.
Mia und ich räumen einvernehmlich das restliche Frühstück ab. Mia deckt für den Abend. Sie hat gerötete Augen. Hat sie geweint?
»Was Schlimmes?«, frag ich vorsichtig.
Mia schüttelt den Kopf. Ich seh, wie ihr Tränen in die Augen steigen.
»Wenn du reden willst, ich bin da … Manchmal fällt es außerhalb der Familie leichter«, biete ich mein Ohr an.
»Tutto bene«, flüstert sie heiser, ohne mich anzuschauen.
Ich streiche ihr leicht über den Arm. »Ich mach dann mal Pause, bis der Apfelkuchen fertig gebacken ist.«
Mia nickt.
Mit nem Cappuccino auf dem Tablett verzieh ich mich nach draußen und leiste Valdo Gesellschaft, der im Schatten des Sonnenschirms sitzt.
»Willst du auch einen Cappuccino? Ich hol dir einen«, biete ich an, aber er winkt ab.
»Stört es dich?«, frag ich, bevor ich mir eine Zigarette anzünde.
»Absolut nicht. Ich rieche es immer noch gerne, obwohl ich seit fünf Jahren keine mehr geraucht habe«, beruhigt er mich.
»Echt? Respekt!«
»Na ja, mein Arzt hat gemeint, mit meinen Gefäßen steht es nicht zum Besten, und wenn ich nicht aufhöre zu rauchen … Du hättest meine Frau hören sollen. Da hättest du auch aufgehört! Wäre übrigens nicht das Schlechteste, gerade junge Frauen …«
»Danke, das weiß ich selber, aber es hält sich in Grenzen bei mir. Was sind das eigentlich für komische Vögel?«, lenk ich Valdos Aufmerksamkeit auf zwei Männer, schätze mal Anfang 30, die auf der Hotelterrasse einen Kaffee trinken. Hausexterne Gäste fallen auf, noch dazu um diese Uhrzeit. Wir beobachten sie eine Weile.
»Möchte wissen, was die hier wollen«, grummelt Valdo stirnrunzelnd.
Würde mich auch interessieren. Ein bisschen seltsam, die beiden. Quatschen jeden an, der vorbeigeht.
Ich steh auf. »Ich peil mal die Lage«, sag ich und geh zur Gästeterrasse rüber. Greta ist inzwischen aufgetaucht und hat den Service übernommen.
»Buon giorno, signori. Tutto bene?«, frag ich scheinheilig.
»Grazie mille, signorina. Und selbst?«, kommt es mit charmantem Lächeln retour.
Das können sie, die Italiener. Fühlt man sich immer gleich viel schöner!
»An so einem herrlichen Tag muss es einem ja gut gehen«, schmalz ich mit einer ausladenden Handbewegung auf gleicher Ebene mit.
Wir plänkeln ein bisschen hin und her.
»Il conto, per favore«, ruft der eine Greta zu.
Aha, das Gespräch scheint beendet, die beiden waren bei den anderen Gästen wesentlich redefreudiger, denk ich und setz mich wieder zu Valdo.
»Keine Ahnung, was die hier wollen, die labern bloß belanglos herum«, informiere ich ihn. »Die reden so ähnlich wie Niveo, find ich.«
Valdo schaut mich alarmiert an. »Vom Süden?«
»Keine Ahnung, da darfst du mich nicht fragen. Bei dem Dialekt versteh ich wesentlich weniger als normal. Niveo strengt sich immer an, wenn er mit mir redet und er kann ja auch recht gut Deutsch.«
»Hmm …« Valdo reibt sich nachdenklich das Kinn.
Ich beug mich vor. »Meinst du … Mafia?«, flüstere ich ungläubig. Sensationslüstern, würde Vinc sagen. Ich grinse heimlich und mein Herz schlägt ein, zwei Takte schneller. Ausnahmsweise nicht wegen Vinc, eher wegen der Gedanken an die Mafia …
»Wer weiß. Fangen die jetzt hier auch schon an, verdammt!«, presst Valdo zwischen den Zähnen hervor, anstatt mich zu beruhigen. Er springt auf.
Ich habe Angst, dass er Ärger macht, aber er dreht ab und verschwindet in der Küche.
Die beiden Mafiosi, wie ich sie für mich nenne, verlassen die Bühne. Aus der Küche hör ich Valdo. Ich geh hinein.
»Die belästigen die Gäste«, schimpft er. »Sind aus dem Süden, wie du«, schmeißt er grade Niveo provozierend an den Kopf.
»Aha! Und alle Süditaliener sind von der Mafia, oder was? Und Sizilianer sowieso. Mach dich nicht lächerlich«, weist Niveo den Vorwurf scharf zurück. Er ist auf einmal total bleich, schielt durch den Vorhang, aber die Typen sind längst weg.
Fast witzig, denk ich, wenn die beiden nicht so … ernst dreinschauen würden. Bayern – Norddeutsche, Nord- und Süditaliener … überall das Gleiche. Wie soll Greta als Deutsche hier Fuß fassen? Megaschwer.
»Fino a presto.« Niveo verschwindet ohne ein weiteres Wort zu dem Thema.
»Ja, bis später«, ruf ich ihm hinterher.
»Bisschen empfindlich, der Gute.«Ich zwinkere Valdo zu, um die Stimmung aufzulockern.
»Werd jetzt mit meiner Frau reden, wegen der Marmeladen«, murmelt der und geht.
Okay, Mimose Nummer zwei, denke ich und finde die italienische Männerwelt noch kurioser als die deutsche. Zumindest Vinc ist ein unkompliziertes Exemplar, den bringt nicht so leicht etwas aus der Ruhe. Außer ich vielleicht manchmal …
Eigentlich wollte ich Vorbereitungen für den Abend treffen, aber die Aufregungen am Morgen sind mir auf den Magen geschlagen. Mach ich lieber jetzt meine Pause. Dann kann ich Niveo später ein bisschen auf den Zahn fühlen. Na ja, oder auch nicht …
Auf dem Zimmer ist es angenehm kühl, die Krone des großen Olivenbaums wächst bereits bis über den zweiten Stock hinaus und ist Gold wert. Natürlicher Schatten und Blickschutz. Einziger Nachteil des Zimmers ist das Bad, genauer das Badfenster. Kann man zwar kippen, aber nicht ganz öffnen, was sich im Zuge der Anbauänderungen so ergeben hat. Zwischen Alt- und Neubau ist ein blinder Gang entstanden, der vom neuen Flur mit einer Tür abgetrennt wurde und jetzt als Besenkammer dient. Und auf diesen blinden Gang geht mein Badfenster raus. Ornamentglas, aber kein Rollo oder Vorhang. Egal, Fenster gekippt, die Badtür offen, da brauch ich kein Licht – der Gang wird zwar nur selten genutzt und ich bin nicht besonders verklemmt, aber das Gefühl, im Gegenlicht quasi unbemerkt beobachtet werden zu können, ist nicht sehr prickelnd. Noch dazu, wenn ich auf der Toilette sitze – so wie jetzt. Und Fall X eintritt, so wie jetzt!
Ich hör Stimmen. Die nähern sich mehr oder weniger direkt meinem Fenster. Na super, Liveprogramm auf dem Klo! Aber ich habe keine Wahl. Wenn ich jetzt aufstehe, dann sieht man das von außen. Unangenehme Situation. Was soll’s, bleib ich halt sitzen, wahrscheinlich nur ne heimliche Raucherpause der Zimmermädchen. Mal hören, was sie so tuscheln … Ein paar Insiderinfos schaden nie, und so viel ist sicher: Außer Vinc wird das nie jemand erfahren!
Oh, oh, ein Pärchen. Meine Antennen sind voll auf Empfang. Die beiden reden leise, aber nicht leise genug für meine interessierten Ohren. Sind das nicht … Mia und Niveo. Bin mir ziemlich sicher. Niveos Dialekt schützt zumindest seine Daten vor meinem Lauschangriff. Bedauerlicherweise. Weil – Mias Hälfte macht mich neugierig. Sie redet schnell, ich kann sie kaum verstehen. Niveo versucht sie zu beruhigen, flüstert nicht mehr. Klar, selbst wenn er weiß, dass das mein Zimmer ist, vor dem er steht, denkt er ja, dass ich noch in der Küche beschäftigt bin.
»Das ist nicht mehr so einfach«, jammert Mia. »Ich bin schwanger.«
Stille. Verhaltenes Weinen von Mia. Ich trau mich kaum zu atmen. Ist ja ein Ding! Schwanger? Von Hugo? Logisch. Klar, von wem sonst. Sie ist ja mit ihm verlobt. Aber … warum ist sie dann mit Niveo hier? Ist er ein so guter Freund, dass sie sich an ihn wendet, weil sie Angst vor ihrer Familie hat? Okay, hab ja selber gesagt, dass es manchmal leichter fällt außerhalb der Familie … Hab dabei allerdings an mich als verständnisvolle Zuhörerin gedacht, nicht an diesen smarten Süditaliener.
Egal, was die Lösung ist, Niveo sagt nicht viel dazu, nur, dass er ihr auch etwas Wichtiges erzählen muss. So versteh ich es zumindest.
Jemand sperrt die Tür auf.
»Versteck dich«, zischt Mia hektisch.
Wo? Im Wäscheschrank? Ich spür ganz deutlich, wie ein Lachanfall in mir hochkriecht. Ich glaub’s echt nicht! Doro’s private sitcom.
»Was brauchst du, Paola?«, ruft Mia dem Zimmermädchen zu. »Ich kann’s dir mit rausbringen, bin eh hier fertig.«
»Grazie, ich wollte nur die beiden Gießkannen holen. Ich lasse die Tür offen, in Ordnung?«
»Grazie, Paola.«
»Du kannst rauskommen«, gibt Mia nach einer kleinen Weile grünes Licht.
»Mia, cara, ich muss mit dir reden. Dringend!«
Cara? Liebste?
»Heute Abend. Jetzt müssen wir zurück. Greta braucht mich.«
»Mia! Ich brauche dich auch. Und ich muss dir etwas sagen.«
Niveo betont jedes Wort, um die Wichtigkeit seines Anliegens zu unterstreichen, und tut mir damit einen Gefallen, weil ich ihn so besser verstehen kann.
»Niveo, heute Abend, okay? Paola kommt sicher gleich zurück und ich will nicht hier erwischt werden wie ein unreifer Teenager.«
»Okay, aber dann müssen wir reden.«
»Versprochen.«
Alles ist ruhig. Vermute mal, sie küssen sich.
Hmm, Mia und Niveo. Ist mir echt nicht aufgefallen. Aber gut, ich bin erst zwei Tage hier und es war ja einiges los. Und selbst ich kann meine Antennen nicht nach allen Richtungen justieren, bin schließlich kein Satellit. Endlich! Die beiden traben ab und ich kann mich aus meiner unwürdigen Position befreien. Ich leg mich aufs Bett und verschränke die Hände im Nacken. Was wollte Niveo Mia so Dringendes sagen? Was ist so wichtig, dass die Nachricht über die Schwangerschaft fast untergeht? Überhaupt, Schwangerschaft … Heißt das jetzt, dass Niveo …? Mir fällt das Telefonat von gestern ein. Hat er doch etwas mit dem Tod von Julian Weigel zu tun? Wovor hat er Angst? Ich mein, heute mit den zwei Typen, da hat er ja auch komisch reagiert. Wird Zeit, dass Vinc morgen kommt, ich brauche jemanden, mit dem ich meine Beobachtungen besprechen kann. Greta will ich nicht damit behelligen, die hat genug am Hals.
Ich spring wieder aus dem Bett. Bin viel zu unruhig zum Entspannen. Ich schlüpf in meine Espadrilles und spaziere durch die Olivenhaine nach oben, Richtung Tremosine. Das laute Geschrei der Zikaden beruhigt mich, bin gerade lieber hier oben als unten zwischen fröhlich lauten Touris am Strand. Ich bleib stehen und lausche. Das Geräusch verstummt. Aber nur für ein paar Sekunden. Dann geht’s wieder los, gefühlte Lautstärke eines Hubschraubers. Na ja, fast. Nach einer Weile kann ich das Tier orten. Unscheinbar graubraun und kleiner als erwartet zirpt es sich, getarnt am Baumstamm, die Seele aus dem Leib. Ich leg mich ins Gras und mach die Augen zu. Die Luft ist unbeschreiblich … warm, würzig, weich, ich kann’s nicht besser benennen. Egal, auf jeden Fall mega. Als ich wieder aufwache, knallt mir die Sonne ins Gesicht. Okay, noch ein paar Minuten, bevor die Küche ruft. Ich rutsche in den Schatten und verfolge die vereinzelten Wölkchen, die am Himmel vorbeiziehen. Schönwetterwolken – sag ich mal, bin aber kein Experte auf dem Gebiet.






