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1. Einfach bleiben
Jesus warnt uns genau davor, beim Beten übermäßig kompliziert zu werden:
Die Welt ist voll sogenannter Gebetskrieger, die mit Methoden hausieren gehen, wie man von Gott bekommt, was man will. Fallt auf diesen Unsinn nicht herein. Es ist euer Vater, mit dem ihr es zu tun habt, und er weiß besser als ihr selbst, was ihr braucht. Wo solch ein Gott euch liebt, könnt ihr ganz schlicht beten.4
Und dann schenkt er den Jüngern das Vaterunser, das in seiner Ursprungssprache nur einunddreißig Wörter lang und in Reimform war. Jesus hat uns ein Gedicht geschrieben!5 Nachdem er sich für schlichtes Beten ausgesprochen hatte, gab er ein Beispiel mit einem kurzen, sich reimenden Prototyp, dessen englische Übersetzung in dreißig Sekunden gesprochen werden kann und in einen einzigen Tweet passt. Wie der Erzbischof Justin Welby sagt, ist das Vaterunser „so einfach, dass kleine Kinder es auswendig lernen können, und gleichzeitig so tief, dass es durch ein ganzes Gebetsleben trägt“.6
* * *
Wenn du noch nicht lange gläubig bist, hast du vermutlich alle möglichen Fragen zum Thema Gebet. Ich erinnere mich an eine elegante Dame, die mich eines Sonntags nach dem Gottesdienst ansprach. „Ich bin erst seit Kurzem Christ“, sagte sie. „Ist es in Ordnung, wenn ich unter der Dusche mit Gott spreche?“
Ich fuhr einen Freund durch die Stadt. Er war eben erst gläubig geworden, und ich schlug vor, gemeinsam zu beten. „Auf keinen Fall!“, schrie er und wollte mir fast ins Lenkrad greifen – vor lauter Angst, ich würde jetzt die Augen schließen.
Es gibt für Christen sehr wenige Regeln, was das Beten angeht. Ja, natürlich kannst du unter der Dusche beten oder auch beim Autofahren. Wir müssen nicht die Augen schließen, eine bestimmte Haltung einnehmen, uns auf bestimmte Art kleiden, rituelle Waschungen vornehmen oder eine festgelegte Wortfolge benutzen, um von Gott gehört zu werden. Manches davon kann hin und wieder hilfreich sein. Aber der Schreiber des Hebräerbriefs macht sehr deutlich, dass uns Gottes Gegenwart durch Jesus jederzeit und überall frei verfügbar ist (Hebr. 10,19).
Gott lädt dich ein, einfach, direkt und wahrhaftig genauso verrückt und wunderbar zu beten, wie er dich geschaffen hat. Spaziere durch den Regen. Schreib Gebete auf deine Schuhsohlen. Sing den Blues. Rappe. Dichte italienische Sonette.
Setze dich schweigend in den Wald. Geh laufen, bis du Gottes Lächeln spürst. Stürze dich eine Wasserrutsche runter und schreie dabei Halleluja, wenn das ganz ehrlich dein Ding ist. „Ich bete immer“, sagte der indianische Pastor Richard Twiss, der zum Sicangu-Oyate-Stamm in South Dakota gehört:
Ich bete nicht nur, indem ich Gott anspreche. Meine Gebete sind Fragen, Dialoge, das Abbrennen von Salbei und Weihrauch. Wenn ich im Pow-wow tanze, ist jeder Schritt ein Gebet: Ich tanze meine Gebete für die Menschen. Manchmal stelle ich mir meine Gebete vor, ich fantasiere meine Gebete; sie sind nicht immer hörbar.7
2. Echt bleiben
Leiere nicht gedankenlos Gebete herunter wie Leute, die Gott nicht kennen. Sie meinen, sie würden bei Gott etwas erreichen, wenn sie nur viele Worte machen. Folgt nicht ihrem schlechten Beispiel, denn euer Vater weiß genau, was ihr braucht, schon bevor ihr ihn um etwas bittet. (Mt. 6,7–8)
Jesus lädt uns ein, das Gebet einfach und echt zu halten. Einmal erzählte er eine verblüffende Geschichte von zwei Männern, die zum Beten in den Tempel gingen. Einer der beiden, ein Pharisäer, stellte sich selbstsicher hin und hakte all die richtigen religiösen Kästchen ab mit seinem formidablen Fasten und Zehntengeben. Aber der andere Mann, ein verachteter Zolleinnehmer, „blieb verlegen am Eingang stehen und wagte es nicht einmal aufzusehen, schuldbewusst betete er: ‚Gott, sei mir gnädig und vergib mir, ich weiß, dass ich ein Sünder bin!‘ Ihr könnt sicher sein“, schloss Jesus seine Erzählung, „dieser Mann“ – der Zolleinnehmer, nicht der andere – „ging von seiner Schuld befreit nach Hause“.8 Der Trappistenmönch Thomas Merton sagte: „Gott ist viel zu real, als dass man ihn irgendwo anders als in der Realität finden könnte.“9
Anne Lamott hat ein erfrischend respektloses Buch über das Gebet geschrieben. Die drei Wörter Help, Thanks, Wow („Hilfe, danke, wow!“), so sagt sie, sind die einzigen Gebete, die wir je brauchen. Sie macht auf brillante Weise deutlich, wie wichtig es ist, beim Beten radikal ehrlich zu sein.
Ich glaube, dass du Gott nahe bist, wenn du die Wahrheit sagst. Wenn du zu Gott sagst: „Ich bin erschöpfter und deprimierter, als ich es mit Worten sagen kann, und ich mag dich im Moment überhaupt nicht und ich möchte mit den meisten Leuten, die an dich glauben, nichts zu tun haben“, dann bist du möglicherweise so ehrlich wie noch nie. Erzählst du mir, du habest zu Gott gesagt: „Es ist alles hoffnungslos, ich habe keine Ahnung, ob du existierst, aber ich bräuchte Hilfe“, dann muss ich beinahe weinen. Weil ich so stolz auf dich bin. Weil du den Mut aufgebracht hast, echt zu sein – echt ehrlich.10
Mit Gott kämpfen
In einer finsteren Nacht, als meine Frau Sammy im Krankenhaus auf ihre Hirnoperation wartete, lange bevor wir wussten, dass sie es überleben würde, kam mein Freund Dan vorbei, um mit mir zu beten.
„Herr, wenn es jetzt deine Zeit ist, Sammy heimzuholen“, wagte sich Dan schließlich vor und sprach damit meine schlimmste Befürchtung aus, „dann gib Pete bitte die Kraft, das Unerträgliche zu tragen.“ Es war bestimmt nicht leicht, so zu beten. Es war eine Bitte in Übereinstimmung mit dem Glauben und der Bibel, aber ich wollte davon nichts hören. „Nichts da“, unterbrach ich ihn ohne eine Entschuldigung. „Auf keinen Fall, Gott. Nur über meine Leiche!“ Ich war aufgesprungen und lief im Zimmer auf und ab. „Wenn du vorhast, mir meine Frau zu nehmen … Wenn du vorhast, den beiden kleinen Jungs ihre Mama zu nehmen, dann kriegst du es mit mir zu tun.“
Dan wirkte etwas nervös, aber das war mir egal.
„Und dann musst du dir in Zukunft auch jemand anderen suchen, der PR für dich macht“, fuhr ich fort. „Ich kündige. Ich steige aus. Ich laufe nicht rum und sage den Leuten, dass du gut bist, wenn du mir jetzt nicht den Beweis dafür gibst.“ Tränen strömten mir über das Gesicht. „Gott, es ist mir völlig egal, was dein Wille ist. Ich will dir sagen, was mein Wille ist – ich möchte, dass meine Frau lebt. Ich möchte, dass unsere Jungen ihre Mama behalten. Und wenn ihr Name auf irgendeinem Wandplaner im Himmel steht, wenn sie an diesem Ding sterben soll, dann will ich, dass du dich um uns kümmerst. Du musst es tun.“
Ich heulte fast in meinem Schmerz, während der arme Dan einfach dasaß und sich wahrscheinlich fragte, ob man zu so einer Respektlosigkeit „Amen“ sagen könnte.
Es war eines meiner ehrlichsten Gebete. Eine Weile schämte ich mich dafür, wie ich in jener Nacht versucht hatte, mit Gott zu kämpfen, schämte mich, dass ich nicht genug vertraut hatte und nicht heilig genug gewesen war, um die große Hingabe Jesu in seiner dunkelsten Stunde nachzuempfinden: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“
Aber dann zeigte mir der Herr ganz behutsam, dass er meine Bereitschaft, um Sammys Leben zu kämpfen, tatsächlich gut gefunden hatte. Er liebte sie ja auch. Dass er nichts anderes von mir erwartet hätte. Dass er selbst den Vater angefleht hatte: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen“, bevor er das andere schaffte.
Ehrlich vor Gott
Die Bibel ist oft viel ehrlicher als die Gemeinde. Es ist dir wahrscheinlich schon aufgefallen, wie viele Psalmen (sie sind das jüdische Gebetbuch) nicht fröhlicher Jubel sind, sondern Schmerzensschreie. „Den ganzen Tag über klage und stöhne ich, bis er mich hört“ (Ps. 55,18). Das ist eine Menge Klagen und Stöhnen!
Einer der größten Patriarchen der Bibel, Jakob, rang in einer Gebetsnacht so heftig mit Gott, dass er eine Verletzung davontrug, die bis ans Ende seines Lebens nie auskurierte.
Mose jammerte über das Volk, das er nach Gottes Berufung führen sollte: „Warum tust du mir das an? … Musst du mir wirklich die Verantwortung für dieses ganze Volk aufhalsen? … Bin ich etwa die Mutter dieser Menschen? Habe ich sie zur Welt gebracht?“11
Der Prophet Jeremia schnauzte Gott an – anders kann man es nicht sagen: „Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen! Du bist stärker als ich und hast den Kampf gewonnen. Und nun werde ich lächerlich gemacht – tagaus, tagein; alle verhöhnen mich!“12
Das wirklich Bemerkenswerte an all den unhöflichen, respektlosen, selbstmitleidigen Gebeten in der Bibel ist nicht, dass sie überhaupt gesprochen wurden, sondern dass man sie nie gestrichen hat. Diese unverschämten Gebete wurden von Antihelden gebetet, die zu heftigem Narzissmus, krasser Dummheit und auch äußerstem Edelmut in der Lage waren. Ein bisschen wie du und ich.
Die wie unsere schlechtesten Gebete aussehen, könnten in Gottes Augen tatsächlich unsere besten sein. Die, die am wenigsten von andächtigen Gefühlen gestützt werden, … entstammen vielleicht einer tieferen Ebene als dem Gefühl. Gott scheint manchmal am vertrautesten zu uns zu sprechen, wenn er uns sozusagen unvorbereitet erwischt. (C.S. Lewis)13
3. Dranbleiben
Wie wichtig es ist, unermüdlich zu beten und dabei nicht aufzugeben, machte Jesus durch ein Gleichnis deutlich. (Lukas 18,1)
Egal wie einfach und ehrlich wir beten, es kommt leicht vor, dass wir den Mut verlieren und aufgeben wollen, weil das Beten nichts zu bringen scheint. Deshalb reicht bloßes Einfachbleiben und Echtbleiben nicht aus. Jesus sagt auch, dass wir „unermüdlich beten und dabei nicht aufgeben“ sollen. Das ist für jeden von uns derart wichtig, dass ein ganzes Kapitel dieses Buches dem Umgang mit Enttäuschungen über spät oder gar nicht erhörte Gebete gewidmet ist. Aber an dieser Stelle nur so viel: Gebet kann große Ähnlichkeit mit dem Aufeinanderstapeln von Dominosteinen haben. Wir beten dasselbe, was wir schon hundertmal gebetet haben, und plötzlich fällt der ganze Turm in sich zusammen. Der Durchbruch ist da. Das Wunder geschieht. Nicht, weil wir endlich die richtige Formel gefunden hätten. Es geschieht, weil wir nicht ein Gebet zu früh aufgegeben haben.
Der wegweisende Missionspädagoge Frank Laubach, durch dessen Alphabetisierungsprogramme über sechzig Millionen Menschen lesen lernten, verglich Gebet mit Steinwürfen in einen Sumpf: Die Steine versinken, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die Tätigkeit erscheint sinnlos. Mach das aber lange genug weiter, höre nicht auf, Steine in den Sumpf zu werfen, dann wird dieser irgendwann ausgefüllt sein. Eines Tages wird der Stein, den du wirfst, nicht mehr versinken. Und dann entsteht fester Boden.
Ich habe festgestellt: Um „dranzubleiben“ – immer wieder Steine in den Sumpf zu werfen –, gehört die Disziplin einer täglichen Ruhezeit zu den wichtigsten Schlüsseln. Jesus hat einmal seine Freunde eingeladen: „Kommt, nur ihr allein, abseits an einen einsamen Ort und ruht ein wenig aus“14, und seitdem nehmen sich Millionen seiner Anhänger jeden Tag ein wenig Zeit, um sich mit Jesus an einen ruhigen Ort zurückzuziehen.
Als jemand, der im Bereich Selbstdisziplin viel zu kämpfen hat – dass ich ins Fitnessstudio gehe, den Schokoladenkuchen ablehne, mich vor Mitternacht schlafen lege, Zahnseide benutze und, ja, sogar regelmäßige Gebetszeiten einhalte –, als so jemand zögere ich, eine starre Routine zu befürworten. Ich will dir nichts Schweres oder nicht Einhaltbares aufbürden, wenn du im Gebet wachsen willst. Aber um diese große Wahrheit, die in der Schrift gelehrt, von Christus vorgelebt und ausnahmslos von allen unseren Glaubenshelden vertreten wird, kommen wir nicht herum: Man kann nicht im Gebet wachsen ohne ein gewisses Maß an Anstrengung und Unbehagen, Selbstdisziplin und Selbstverleugnung. So wie du ohne regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung nicht körperlich fit werden kannst, so wird dein geistliches Wachstum zu einem sehr großen Teil durch die Gebetsübungen bestimmt, mit denen du es aufbauen und aufrechterhalten willst.
Die Beschaffenheit der Romantik
Frisch verliebt, waren Sammy und ich wie besessen voneinander, in fast peinlichem Ausmaß. Wir telefonierten stundenlang und wollten ständig zusammen sein. Wenn Sammys Name fiel, schlug mein Herz höher. Verabredungen waren unnötig, denn wir steckten sowieso die meiste Zeit zusammen. Aber inzwischen sind wir seit einem Vierteljahrhundert verheiratet und es ist, sagen wir mal einfach, nicht mehr ganz so intensiv! Ohne die Disziplin geplanter Ehe-Abende könnten ohne Weiteres Wochen vergehen, in denen wir nicht richtig miteinander reden oder in irgendeine Form von Romantik investieren.
GENUSS OHNE DISZIPLIN VERBRAUCHT SICH MIT DER ZEIT.
Ich bin sicher, dass ein verliebtes Pärchen, das uns heute sieht, denken könnte: „Lass uns bloß nie so werden wie Pete und Sammy. Wir müssen unbedingt darauf achten, dass unsere Beziehung immer leidenschaftlich und spontan bleibt. Wir wollen nicht so langweilig und vorhersehbar enden, dass wir sogar die Romantik planen müssen!“
Die Sache ist aber die: Die Beziehung zwischen Sammy und mir ist heute, nach fünfundzwanzig Jahren, erfüllender, als wir es damals in der ersten Zeit der heftigen Verliebtheit hätten verstehen können. Und es war die Disziplin täglicher Kommunikation, häufiger Eheabende, regelmäßigen Vergebens und der jährlichen Erneuerung unseres Eheversprechens, die unsere Liebe lebendig gehalten hat. Niemand ist dafür geschaffen, jahrelang auf der Höhe emotionaler Intensität zu leben. Das wäre ungesund, nicht auszuhalten, nicht real. Genuss ohne Disziplin verbraucht sich mit der Zeit, das ist unausweichlich. Der Schwung lässt nach. Aber wenn Genuss und Disziplin miteinander tanzen lernen, dann geht es Beziehungen gut. Sie reifen und halten. Sammy und ich mögen nicht mehr das junge, verliebte Pärchen sein, das Pheromone ausdünstet wie ein Lkw Diesel. Aber dank der heiligen Gewohnheiten, die wir über viele Jahre hinweg gemeinsam gepflegt haben, sind wir heute ein Vierteljahrhundert näher daran, eins dieser schrumpeligen alten Paare zu werden, die man manchmal auf der Straße sieht – Hand in Hand und irgendwie immer noch verliebt.
So wie eine solide Ehe auf Rhythmus und Routine aufgebaut sein muss, so überlebt und gedeiht auch unsere Beziehung zu Gott nur durch Disziplin in Bibellesen, Gemeinschaft, Bekennen und Beten. „Sonst“, sagt der Bibelübersetzer Eugene Peterson, „sind wir auf die Gnade von Hormonen, Wetter und Verdauung angewiesen. Und die kennen keine Gnade.“15 Ein Christ, der nur betet, wenn er sich danach fühlt, mag überleben, aber er wird nicht wachsen und gedeihen. Sein riesiges, ureigenes Potenzial wird verkümmern, denn Gnade braucht ein bisschen Platz, um in den Rissen im Leben eines Menschen Wurzeln zu schlagen.
Wenn je jemand eine Entschuldigung gehabt hätte, nicht in irgendwie reglementierter Weise zu beten, dann sicher der sündlose Sohn Gottes. Jesus hätte so leicht argumentieren können (wie es heutzutage manche Leute tun): „Sieh mal, eigentlich ist alles, was ich tue, Gebet. Mein Leben ist ein ständiges Gespräch mit dem Vater. Wenn ich schlafe, wenn ich einen Becher Wasser trinke, ist das Gebet. Ich brauche keine besonderen Zeiten und Orte. Ich brauche keine einschränkenden Regeln.“ Aber lies die Evangelien und du wirst sehen, dass Jesus eifrig betete und ständig Möglichkeiten schuf, um mit seinem Vater allein sein zu können.
Einfach und erfreulich soll es sein!
Manche beten lieber zu Beginn des Tages, so wie es Jesus oft tat: „Am nächsten Morgen stand Jesus vor Tagesanbruch auf und zog sich an eine einsam gelegene Stelle zurück, um dort allein zu beten.“16 Andere finden es morgens schwierig und nehmen sich am Abend Zeit, bevor sie schlafen gehen. Das machte Jesus auch: „Abends verließ er die Stadt und verbrachte die Nächte am Ölberg.“17 Pendler beten oft eine halbe Stunde im Auto oder im Zug oder versorgen sich mit Gottes Wort. Vielbeschäftigte Mütter von Kleinkindern finden es vielleicht am einfachsten, sich während des Tages kleine Zeit-Häppchen zu nehmen. Susanna Wesley, die Mutter von John und Charles (und unser „Gebets-Vorbild“ am Ende dieses Kapitels) pflegte sich die Schürze über den Kopf zu ziehen. Immer wenn sie das tat, wussten ihre zehn – richtig: zehn – Kinder, dass sie betete und nicht gestört werden durfte.
Egal, welche Tageszeit für dich am besten sein mag – um vom sporadischen, spontanen Ansatz zu einer nachhaltigen, verändernden Gebetsgewohnheit zu wechseln, gibt es einen Schlüssel: Halte dein Beten so einfach und erfreulich wie möglich.
•Einfach. Die Entscheidung, bis an dein Lebensende täglich vor Sonnenaufgang aufzustehen und eine Stunde lang ununterbrochen Fürbitte zu tun, wird sich schwerlich als tragfähig erweisen. Viel besser wäre ein erreichbares Ziel – anfangs vielleicht nur eine Viertelstunde täglich zu einem geeigneten Zeitpunkt an einem günstigen Ort. Du wirst angenehm überrascht sein, wie leicht das ist und wie oft du die Stille Zeit überziehen wirst. Mehr noch: Bleibst du zwei Monate lang dabei, könnte es nach der Aussage von Psychologen eine lebenslange Gewohnheit werden.18
•Erfreulich. Es ist auch wichtig, die tägliche Andacht so schön wie möglich zu machen. Meistens freue ich mich auf meine Momente der Stille, in denen ich mit dem Herrn allein bin, morgens mit einem großen Becher Kaffee in der Hand, mittags, wenn ich eine Pause einlege und das Vaterunser bete, und spätabends beim Spaziergang unter Sternen. Ich bin gespannt, wenn ich die Bibel aufschlage und überlege: „Was wird mir der Herr heute sagen?“ Es ist ein Vorrecht, meine Anliegen mit dem lebendigen Gott besprechen zu können.
Ich werde oft gefragt, wie mein persönlicher Gebetsrhythmus aussieht. Erst wollte ich etwas so Privates nicht preisgeben, aber dann habe ich beschlossen, es doch zu tun – ganz einfach in der Hoffnung, dass es anderen Menschen helfen kann, ihre eigene einfache, erfreuliche Gebetsstruktur zu entwickeln. Vorsorglich muss ich aber zwei Dinge sagen. Erstens: Denke bitte nicht, du müsstest meine Routine kopieren. Meine Umstände und Vorlieben sind möglicherweise ganz anders als deine. Zweitens: Du musst verstehen, dass ich es oft nicht schaffe. Oft ist viel los und ich lasse mich leicht ablenken. Wenn das passiert, versuche ich, mich nicht dafür herunterzumachen. Ich fühle mich überhaupt nicht weniger geliebt oder berufen oder nützlich für den Herrn. Ich stehe einfach nur wieder auf und fange von vorn an.
Normalerweise esse ich drei richtige Mahlzeiten am Tag und versuche, daran angelehnt, mich auch geistlich dreimal täglich zu nähren: morgens, mittags und abends.
•Morgens: Stille Zeit. Fast jeden Morgen beginne ich meinen Tag, indem ich kurz in der Bibel lese und bete. Ich wechsele etwa vierteljährlich zwischen verschiedenen Andachtsbüchern, die ich gut finde. Dazu gehören Nicky Gumbels „Bible in One Year“, das „Celtic Daily Prayer“ der Northumbria Community und die „Divine Hours“ von Phyllis Tickle.19
•Mittags: Vaterunser. Jeden Mittag erinnert mich die Weckfunktion meiner Uhr daran, eine Pause zu machen und das Vaterunser zu beten. Das ist etwas, was ich ziemlich schnell (und, wenn ich in der Öffentlichkeit bin, im Stillen) mache, aber manchmal schaffe ich es, langsamer zu beten und jede Zeile persönlich zu nehmen und tiefer zu ergründen.
•Abends: Examen. Vor dem Zubettgehen setze ich mich oft schweigend hin oder gehe kurz mit den Hunden raus, um den Tag zu verarbeiten. Das ist meine eigene Version einer alten Gebetshilfe des heiligen Ignatius namens „Examen“ (oder „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“, siehe Kapitel 10). In diesen Momenten klage und juble und flehe ich nicht: Ich bringe meine Seele zur Ruhe, denke dankbar an den Tag zurück, der nun zu Ende geht, und bereite mich innerlich auf den Schlaf vor.
Zwischen diesen drei Fixpunkten flechte ich Beten auch auf andere Weise in mein Alltagsleben ein. Zum Beispiel bemühe ich mich, dreimal pro Woche im Fitnessstudio nicht nur meinen Körper zu trainieren, sondern auch meine Seele, indem ich Anbetungsmusik, Predigten oder interessante Podcasts höre, während ich auf dem Crosstrainer schnaufe. Beim Abendessen hat unsere Familie das Ritual entwickelt, das große, klobige Festnetztelefon auf dem Tisch kreiseln zu lassen. Dem, auf den es dann zeigt – auch wenn das ein nichtchristlicher Gast ist – werden zwei große Privilegien gewährt: Er darf das Tischgebet sprechen (Gott für das Essen danken) und jedem Einzelnen am Tisch irgendeine Frage stellen. Wir hatten schon alle möglichen Verhöre im Lauf der Jahre: peinlichstes Erlebnis? Früheste Erinnerung? Das Schlimmste, was du je gegessen hast? Das Ungezogenste, was du je getan hast? Es ist eine wunderbare Regel, die alle in die Sakramente der Gemeinschaft und des Danks einbezieht.
Das sind also die einfachen, erfreulichen Gewohnheiten, die meinen Tag durchsetzen und mir die Gegenwart und Gesprächsbereitschaft Gottes stärker bewusst machen. Wenn du Mäuschen spielen könntest, wärst du wahrscheinlich nicht beeindruckt, so einfach und kurz sind meine Gebetszeiten oft, so oft vergesse ich auch mal eine, so nebensächlich ist das meiste, was ich mit dem Herrn bespreche, und so oft muss ich sagen: „O Herr, es tut mir wirklich leid.“
* * *
In diesem Kapitel habe ich drei der wichtigsten Bausteine des christlichen Gebetsverständnisses dargelegt: Einfachheit, Ehrlichkeit und Ausdauer. Ich habe dich auch ermutigt, deine eigene einfache, erfreuliche Gebetsgewohnheit zu entwickeln, z. B. täglich Stille Zeit zu halten.
Aber vielleicht ist es gar nicht deine größte Schwierigkeit, Raum und Zeit zum Beten zu finden. Vielleicht betest du schon regelmäßig. Du findest es aber etwas trocken und sehnst dich nach mehr Tiefgang. Gehen wir also den ersten Schritt im „P.R.A.Y.“-Prozess. Wie kaum etwas anderes steht diese Schlüsselerkenntnis für ein tieferes, erfüllteres Gebetsleben unserem Instinkt und unserer Kultur entgegen, ganz leicht wird sie ignoriert: Um anzufangen muss man aufhören. Um im Gebet voranzukommen, müssen wir lernen innezuhalten („Pause“)!
Weiterführende Literatur: Gary Thomas, Sacred Pathways (dt.: Neun Wege, Gott zu lieben).
VORBILD IM EINFACHEN GEBET
Susanna Wesley
Mutter des Methodismus
Die Gesundheit von Susanna Wesley, die als „Mutter des Methodismus“ gilt, war angegriffen, ihre Ehe mit einem mittellosen Prediger zutiefst dysfunktional, sie verlor neun Kinder im Säuglingsalter und zog zehn weitere fast allein auf. Ihr Haus wurde niedergebrannt. Zweimal. Ihr Mann wurde inhaftiert. Zweimal. Und dennoch haben ihre einfachen, ehrlichen, ausdauernden Gebete zweifellos die Welt verändert.
Susanna Wesley bewies eindrückliche Führungsqualitäten, lange bevor ihre Söhne John und Charles berühmt wurden. Als ihr Mann, der Pfarrer von Epworth, wegen finanzieller Misswirtschaft ins Gefängnis kam und sein Vertreter auf der Kanzel in der Evangeliumsverkündigung kläglich versagte, nahm Susanna die Dinge selbst in die Hand. Sie begann in der Küche eine Sonntagsschule für ihre eigenen Kinder zu halten, aber so viele Nachbarn wollten daran auch teilnehmen, dass die Versammlung sehr bald in die Scheune verlegt werden musste. Es dauerte nicht lang, da kamen jeden Sonntag 200 Menschen, um Susanna anzuhören, die Predigten las, Psalmen sang und Gebete sprach. Die beinahe leere Kirche nebenan kümmerte derweil vor sich hin.
Susanna unterrichtete ihre Kinder täglich sechs Stunden und erzog ihre Töchter in gleicher Weise wie ihre Söhne. Zusätzlich widmete sie jedem Kind eine Stunde pro Woche ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Wie um alles in der Welt schaffte sie das bloß? Wie überlebte sie den Verlust von neun Kindern und das Herzeleid einer instabilen Ehe, ohne zu zerbrechen oder verbittern? Und wie führte sie einen so turbulenten Haushalt und richtete gleichzeitig eine Sonntagsschule ein und unterrichtete zehn Kinder, von denen zwei zu internationalem Einfluss und Ruhm gelangen sollten?