Gebrüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen – Band 183e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski

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Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen, und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, musste er am längsten lernen. Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen ergangen wäre und wie sie der Wirt noch am letzten Abend um ihre schönen Wünschdinge gebracht hätte. Als der Drechsler nun ausgelernt hatte und wandern sollte, so schenkte ihm sein Meister, weil er sich so wohl gehalten, einen Sack und sagte: „Es liegt ein Knüppel darin.“ – „Den Sack kann ich umhängen und er kann mir gute Dienste leisten, aber was soll der Knüppel darin? der macht ihn nur schwer.“ „Das will ich dir sagen,“ antwortete der Meister, „hat dir jemand etwas zuleide getan, so sprich nur: ‚Knüppel, aus dem Sack,’ so springt dir der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig auf dem Rücken herum, dass sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen können und eher lässt er nicht ab, als bis du sagst: „Knüppel, in den Sack.“ Der Geselle dankte ihm, hing den Sack um und wenn ihm jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er: „Knüppel, aus dem Sack.“ alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem nach dem anderen den Rock oder Wams gleich auf dem Rücken aus und wartete nicht erst, bis er ihn ausgezogen hatte, und das ging so geschwind, dass, ehe sich's einer versah, die Reihe schon an ihm war. Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an, wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges in der Welt gesehen habe. „Ja,“ sagte er, „man findet wohl ein Tischchen deck dich, einen Goldesel und dergleichen: lauter gute Dinge, die ich nicht verachte, aber das ist alles nichts gegen den Schatz, den ich mir erworben habe und mit mir da in meinem Sack führe.“ Der Wirt spitzte die Ohren: „Was in aller Welt mag das sein?“ dachte er, „der Sack ist wohl mit lauter Edelsteinen angefüllt; den sollte ich billig auch noch haben, denn aller guten Dinge sind drei.“ Als Schlafenszeit war, streckte sich der Gast auf die Bank und legte seinen Sack als Kopfkissen unter. Der Wirt, als er meinte, der Gast läge in tiefem Schlaf, ging herbei, rückte und zog ganz sachte und vorsichtig an dem Sack, ob er ihn vielleicht wegziehen und einen anderen unterlegen könnte. Der Drechsler aber hatte schon lange darauf gewartet; wie nun der Wirt einen herzhaften Ruck tun wollte, rief er: “Knüppel, aus dem Sack.“ Alsbald fuhr das Knüppelchen heraus, dem Wirt auf den Leib und rieb ihm die Nähte, dass es eine Art hatte. Der Wirt schrie zum Erbarmen, aber je lauter er schrie, desto kräftiger schlug der Knüppel ihm den Takt dazu auf dem Rücken, bis er endlich erschöpft zur Erde fiel. Da sprach der Drechsler: „Wenn du das Tischchen deck dich und den Goldesel nicht wieder herausgibst, so soll der Tanz von neuem angehen.“ „Ach nein,“ rief der Wirt ganz kleinlaut, ich gebe alles gern wieder heraus, lasst nur den verwünschten Kobold wieder in den Sack kriechen.“ Da sprach der Geselle: „Ich will Gnade für Recht ergehen lassen, aber hüte dich vor Schaden!“ dann rief er: „Knüppel, in den Sack!“ und ließ ihn ruhen.
Der Drechsler zog am anderen Morgen mit dem Tischchen deck dich und dem Goldesel heim zu seinem Vater. Der Schneider freute sich, als er ihn wieder sah und fragte auch ihn, was er in der Fremde gelernt hätte. „Lieber Vater,“ antwortete er, „ich bin ein Drechsler geworden.“ „Ein kunstreiches Handwerk,“ sagte der Vater, was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?“ „Ein kostbares Stück, lieber Vater,“ antwortete der Sohn, „einen Knüppel in dem Sack.“ „Was!“ rief der Vater, „einen Knüppel! das ist der Mühe wert! den kannst du dir von jedem Baume abhauen.“ „Aber Vater, sage ich: ‚Knüppel, aus dem Sack,’ so springt der Knüppel heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen schlimmen Tanz und lässt nicht eher nach, als bis er auf der Erde liegt und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe ich das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt lasst sie beide rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen und tränken und will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen.“ Der alte Schneider wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten zusammen. Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den Goldesel herein und sagte zu seinem Bruder: „Nun, lieber Bruder, sprich mit ihm.“ Der Müller sagte: „Bricklebrit,“ und augenblicklich sprangen die Goldstücke auf das Tuch herab als käme ein Platzregen, und der Esel hörte nicht eher auf, als bis alle soviel hatten, dass sie nicht mehr tragen konnten. (Ich sehe dir's an, du wärst auch gern dabei gewesen.) Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte: „Lieber Bruder, nun sprich mit ihm.“ Und kaum hatte der Schreiner „Tischchen, deck dich“ gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten Schüsseln reichlich besetzt. Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute Schneider noch keine in seinem Hause erlebt hatte und die ganze Verwandtschaft blieb beisammen bis in die Nacht und waren alle lustig und vergnügt. Der Schneider verschloss Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einen Schrank und lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit,
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die schuld war, dass der Schneider seine Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie schämte sich, dass sie einen kahlen Kopf hatte, lief in eine Fuchshöhle und verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Hause kam, funkelten ihm ein paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, dass er erschrak und wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm und da der Fuchs ganz verstört aussah, so sprach er: „Was ist dir, Bruder Fuchs, was machst du für ein Gesicht?“ „Ach,“ antwortete der Rote, „ein grimmiges Tier sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt.“ „Das wollen wir bald austreiben,“ sprach der Bär, ging mit zur Höhle und schaute hinein: als er aber die feurigen Augen erblickte, wandelte ihn ebenfalls Furcht an; er wollte mit dem grimmigen Tiere nichts zu tun haben und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm und da sie merkte, dass es ihm in seiner Haut nicht wohl zu Mute war, sprach sie: „Bär, du machst ja ein gewaltig verdrießlich Gesicht, wo ist deine Lustigkeit geblieben?“ „Du hast gut reden,“ antwortete der Bär, es sitzt ein grimmiges Tier mit Glotzaugen in dem Hause des Roten und wir können es nicht herausjagen.“ Die Biene sprach: „Du dauerst mich, Bär, ich bin ein armes schwaches, Geschöpf, das ihr im Wege nicht anguckt, aber ich glaube doch, dass ich euch helfen kann.“ Sie flog in die Fuchshöhle, setzte sich der Ziege auf den glatten geschorenen Kopf und stach sie so gewaltig, dass sie aufsprang, „meh! meh!“ schrie und wie toll in die Welt hineinlief, und weiß niemand auf diese Stunde wo sie hingelaufen ist.
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Daumesdick
Daumesdick
Es war ein armer Bauersmann, der saß abends beim Herd, und schürte das Feuer und die Frau saß und spann. Da sprach er: „Wie ist's so traurig, dass wir keine Kinder haben! Es ist so still bei uns und in den anderen Häusern ist's so laut und lustig.“ „Ja,“ antwortete die Frau und seufzte, „wenn's nur ein einziges wäre und wenn's auch ganz klein wäre, nur Daumens groß, so wollt ich schon zufrieden sein; wir hätten's doch von Herzen lieb.“ Nun geschah es, dass die Frau kränklich ward und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern vollkommen, aber nicht länger als ein Daumen war. Da sprachen sie: „Es ist wie wir es gewünscht haben und es soll unser liebes Kind sein,“ und nannten es nach seiner Gestalt Daumesdick. Sie ließen's nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind ward nicht größer, sondern blieb wie es in der ersten Stunde gewesen war; doch schaute es verständig aus den Augen und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles glückte was es anfing.
Der Bauer machte sich eines Tages fertig in den Wald zu gehen und Holz zu fällen, da sprach er so vor sich hin: „Nun wollte ich, dass einer da wäre, der mir den Wagen nachbrächte.“ „O Vater,“ rief Daumesdick, „den Wagen will ich schon bringen, verlasst Euch darauf, er soll zur bestimmten Zeit im Wald sein.“ Da lachte der Mann und sprach: „Wie sollte das zugehen, du bist viel zu klein, um das Pferd mit dem Zügel zu leiten.“ „Das tut nichts, Vater, wenn nur die Mutter anspannen will, ich setze mich dem Pferd ins Ohr und rufe ihm zu wie es gehen soll.“ „Nun,“ antwortete der Vater, „einmal wollen wir's versuchen.“ Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte Daumesdick ins Ohr des Pferdes und dann rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte: „Jüh und joh! hott und har!“ Da ging es ganz ordentlich als wie bei einem Meister und der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Wald. Es trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog und der Kleine „har, har!“ rief, dass zwei fremde Männer daher kamen. „Mein,“ sprach der eine, „was ist das? da fährt ein Wagen und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu und ist doch nicht zu sehen.“ „Das geht nicht mit rechten Dingen zu,“ sagte der andere, „wir wollen dem Karren folgen und sehen wo er anhält.“ Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und richtig zu dem Platze, wo das Holz gehauen ward. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm zu: „Siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol mich herunter.“ Der Vater fasste das Pferd mit der Linken und holte mit der Rechten sein Söhnlein aus dem Ohr, das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten, wussten sie nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den anderen beiseite und sprach: „Hör, der kleine Kerl könnte unser Glück machen, wenn wir ihn in einer großen Stadt für Geld sehen ließen: wir wollen ihn kaufen.“ Sie gingen zu dem Bauer und sprachen: „Verkauft uns den kleinen Mann, er soll's gut bei uns haben.“ „Nein,“ antwortete der Vater, „es ist mein Herzblatt, und ist mir für alles Gold in der Welt nicht feil.“ Daumesdick aber, als er von dem Handel gehört, war an den Rockfalten seines Vaters hinaufgekrochen, stellte sich ihm auf die Schulter und wisperte ihm ins Ohr: „Vater, gib mich nur hin, ich will schon wieder zurückkommen.“ Da gab ihn der Vater für ein schönes Stück Geld den beiden Männern hin. „Wo willst du sitzen,“ sprachen sie zu ihm. „Ach, setzt mich nur auf den Rand von eurem Hut, da kann ich auf und ab spazieren und die Gegend betrachten, und falle doch nicht herunter“ Sie taten ihm den Willen, und als Daumesdick Abschied von seinem Vater genommen hatte, machten sie sich mit ihm fort. So gingen sie bis es dämmrig ward, da sprach der Kleine: „Hebt mich einmal herunter, es ist nötig.“ „Bleib nur droben,“ sprach der Mann, auf dessen Kopf er saß, „ich will mir nichts draus machen, die Vögel lassen mir auch manchmal was drauf fallen.“ „Nein,“ sprach Daumesdick, „ich weiß auch, was sich schickt; hebt mich nur geschwind herab.“ Der Mann nahm den Hut ab und setzte den Kleinen auf einen Acker am Wege, da sprang und kroch er ein wenig zwischen den Schollen hin und her, dann schlüpfte er plötzlich in ein Mauseloch, das er sich ausgesucht hatte. „Guten Abend, ihr Herren, geht nur ohne mich heim,“ rief er ihnen zu und lachte sie aus. Sie liefen herbei und stachen mit Stöcken in das Mauseloch, aber das war vergebliche Mühe: Daumesdick kroch immer weiter zurück und da es bald ganz dunkel ward, so mussten sie mit Ärger und mit leerem Beutel wieder heim wandern.
Als Daumesdick merkte, dass sie fort waren, kroch er aus dem unterirdischen Gange wieder hervor. „Es ist auf dem Acker in der Finsternis so gefährlich gehen,“ sprach er. „wie leicht bricht einer Hals und Bein.“ Zum Glück stieß er an ein leeres Schneckenhaus. „Gottlob,“ sagte er, „da kann ich die Nacht sicher zubringen,“ und setzte sich hinein. Nicht lange, als er eben einschlafen wollte, so hörte er zwei Männer vorübergehen, davon sprach der eine: „Wie wir's nur anfangen, um dem reichen Pfarrer sein Geld und sein Silber zu holen?“ „Das könnt ich dir sagen,“ rief Daumesdick dazwischen. Was war das?“ sprach der eine Dieb erschrocken, „ich hörte jemand sprechen.“ Sie blieben stehen und horchten, da sprach Daumesdick wieder: „Nehmt mich mit, so will ich euch helfen.“ „Wo bist du denn?“ „Sucht nur auf der Erde und merkt, wo die Stimme herkommt,“ antwortete er. Da fanden ihn endlich die Diebe und hoben ihn in die Höhe. „Du kleiner Wicht, was willst du uns helfen!“ sprachen sie. „Seht,“ antwortete er, „ich krieche zwischen den Eisenstäben in die Kammer des Pfarrers und reiche euch heraus, was ihr haben wollt.“ „Wohlan,“ sagten sie, „wir wollen sehen, was du kannst.“ Als sie bei dem Pfarrhause ankamen, kroch Daumesdick in die Kammer, schrie aber gleich aus Leibskräften: „Wollt ihr alles haben, was hier ist?“ Die Diebe erschraken und sagten: „So sprich doch leise, damit niemand aufwacht.“ Aber Daumesdick tat, als hätte er sie nicht verstanden und schrie von neuem: „Was wollt ihr? Wollt ihr alles haben was hier ist?“ Das hörte die Köchin, die in der Stube daran schlief, richtete sich im Bett auf und horchte. Die Diebe waren ein Stück Wegs zurückgelaufen, endlich fassten sie wieder Mut und dachten: „Der kleine Kerl will uns necken.“ Sie kamen zurück und flüsterten ihm zu: „Nun mach' Ernst und reich uns etwas heraus.“ Da schrie Daumesdick noch einmal so laut er konnte: „Ich will euch ja alles geben, reicht nur die Hände herein.“ Das hörte die horchende Magd ganz deutlich, sprang aus dem Bett und stolperte zur Tür herein. Die Diebe liefen fort und rannten als wäre der wilde Jäger hinter ihnen; die Magd aber, als sie nichts bemerken konnte, ging ein Licht anzünden. Wie sie damit herbeikam, machte sich Daumesdick, ohne dass er gesehen wurde, hinaus in die Scheune; die Magd aber, nachdem sie alle Winkel durchgesucht und nichts gefunden hatte, legte sich endlich wieder zu Bett und glaubte, sie hätte mit offenen Augen und Ohren doch nur geträumt.
Daumesdick war in den Heuhälmchen herumgeklettert und hatte einen schönen Platz zum Schlafen gefunden: da wollte er sich ausruhen, bis es Tag wäre, und dann zu seinen Eltern wieder heimgehen. Aber er musste andere Dinge erfahren; ja, es gibt viel Trübsal und Not auf der Welt! Die Magd stieg, als der Tag graute, schon aus dem Bett, um das Vieh zu füttern. Ihr erster Gang war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte, und gerade dasjenige, worin der arme Daumesdick lag und schlief. Er schlief aber so fest, dass er nichts gewahr ward und nicht eher aufwachte, als bis er in dem Maul der Kuh war, die ihn mit dem Heu aufgerafft hatte. „Ach Gott,“ rief er, „wie bin ich in die Walkmühle geraten!“ merkte aber bald, wo er war. Da hieß es aufpassen, dass er nicht zwischen die Zähne kam und zermalmt ward, und hernach musste er doch mit in den Magen hinabrutschen. „In dem Stübchen sind die Fenster vergessen.“ sprach er, „und scheint keine Sonne hinein; ein Licht wird auch nicht gebracht.“ Überhaupt gefiel ihm das Quartier schlecht, und was das schlimmste war, es kam immer mehr neues Heu zur Tür hinein und der Platz ward immer enger. Da rief er endlich in der Angst, so laut er konnte: „Bringt mir kein frisch Futter mehr.“ Die Magd melkte gerade die Kuh, und als sie sprechen hörte ohne jemand zu sehen, und es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehört hatte, erschrak sie so, dass sie von ihrem Stühlchen herabglitschte und die Milch verschüttete. Sie lief in der größten Hast zu ihrem Herrn und rief: „Ach Gott, Herr Pfarrer, die Kuh hat geredet.“ „Du bist verrückt,“ antwortete der Pfarrer, ging aber doch selbst in den Stall und wollte nachsehen, was es da gäbe. Kaum aber hatte er den Fuß hineingesetzt, so rief Daumesdick aufs neue: „Bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr.“ Da erschrak der Pfarrer selbst, meinte, es wäre ein böser Geist in die Kuh gefahren und hieß sie töten. Sie ward geschlachtet, der Magen aber, worin Daumesdick steckte, auf den Mist geworfen. Daumesdick hatte allerdings große Mühe sich hindurch zu arbeiten, doch brachte er's schließlich soweit, dass er Platz bekam, aber als er eben sein Haupt herausstrecken wollte, kam ein neues Unglück. Ein hungriger Wolf lief heran und verschlang den ganzen Magen mit einem Schluck. Daumesdick verlor den Mut nicht. „Vielleicht,“ dachte er, „lässt der Wolf mit sich reden,“ und rief ihm aus dem Wanste zu: „Lieber Wolf, ich weiß dir einen herrlichen Fraß.“ „Wo ist der zu holen?“ sprach der Wolf. „In dem und dem Hause, da musst du durch die Gosse hineinkriechen, und wirst Kuchen, Speck und Wurst finden, soviel du essen willst,“ und beschrieb genau seines Vaters Haus. Der Wolf ließ sich das nicht zweimal sagen, drängte sich in der Nacht zur Gosse hinein und fraß in der Vorratskammer nach Herzenslust. Als er sich gesättigt hatte, wollte er wieder fort, aber er war so dick geworden, dass er denselben Weg nicht wieder hinaus konnte. Darauf hatte Daumesdick gerechnet und fing nun an in dem Leib des Wolfes einen gewaltigen Lärm zu machen, tobte und schrie was er konnte. „Willst du stille sein,“ sprach der Wolf, „du weckst die Leute auf.“ „Ei was,“ antwortete der Kleine, „du hast dich satt gefressen, ich will mich auch lustig machen,“ und fing von neuem an aus allen Kräften zu schreien. Davon erwachte endlich sein Vater und seine Mutter, liefen an die Kammer und schauten durch die Spalte hinein. Wie sie sahen, dass ein Wolf darin hauste, liefen sie davon, und der Mann holte die Axt, und die Frau die Sense. „Bleib dahinten,“ sprach der Mann, als sie in die Kammer traten, „wenn ich ihm einen Schlag gegeben habe, und er davon noch nicht tot ist, so musst du auf ihn einhauen und ihm den Leib zerschneiden.“ Da hörte Daumesdick die Stimme seines Vaters und rief: „Lieber Vater, ich bin hier, ich stecke im Leib des Wolfs.“ Sprach der Vater voll Freuden: „Gottlob, unser liebes Kind hat sich wiedergefunden,“ und hieß die Frau die Sense weg tun, damit Daumesdick nicht beschädigt würde. Danach holte er aus und schlug dem Wolf einen Schlag auf den Kopf, dass er tot niederstürzte; dann suchten sie Messer und Schere, schnitten ihm den Leib auf und zogen den Kleinen wieder hervor. „Ach,“ sprach der Vater, „was haben wir für Sorge um dich ausgestanden!“ „Ja, Vater, ich bin viel in der Welt herumgekommen; gottlob, dass ich wieder frische Luft schöpfe!“ „Wo bist du denn all gewesen?“ „Ach, Vater, ich war in einem Mauseloch, in einer Kuh Bauch und in eines Wolfes Wanst; nun bleib ich bei euch.“ „Und wir verkaufen dich um alle Reichtümer der Welt nicht wieder,“ sprachen die Eltern, herzten und küssten ihren lieben Daumesdick. Sie gaben ihm zu essen und zu trinken, und ließen ihm neue Kleider machen, denn die seinigen waren ihm auf der Reise verdorben
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Die Hochzeit der Frau Füchsin
Die Hochzeit der Frau Füchsin – Erstes Märchen
Es war einmal ein alter Fuchs mit neun Schwänzen, der glaubte, seine Frau wäre ihm nicht treu und wollte er sie in Versuchung führen. Er streckte sich unter die Bank, regte kein Glied und stellte sich, als wenn er mausetot wäre. Die Frau Füchsin ging auf ihre Kammer, schloss sich ein, und ihre Magd, die Jungfer Katze, saß auf dem Herd und kochte. Als es nun bekannt ward, dass der alte Fuchs gestorben war, so meldeten sich die Freier. Da hörte die Magd, dass jemand vor der Haustür stand und anklopfte; sie ging und machte auf, und da war's ein alter Fuchs, der sprach:
„Was macht sie, Jungfer Katze?
schläft se oder wacht se?“
Sie antwortete:
„Ich schlafe nicht, ich wache.
Will er wissen was ich mache?
Ich koche Warmbier, tu Butter hinein:
will der Herr mein Gast sein?“
„Ich bedanke mich, Jungfer,“ sagte der Fuchs, „was macht die Frau Füchsin?“ Die Magd antwortete:
„Sie sitzt auf ihrer Kammer,
sie beklagt ihren Jammer,
weint ihre Äuglein seidenrot,
weil der alte Herr Fuchs ist tot.“
„Sag' sie ihr doch, Jungfer, es wäre ein junger Fuchs da, der wollte sie gern freien.“ „Schon gut, junger Herr.“
Da ging die Katz die Tripp die Trapp,
Da schlug die Tür die Klipp die Klapp.
„Frau Füchsin, sind Sie da?“
„Ach ja, mein Kätzchen, ja.“
„Es ist ein Freier draus.“
„Mein Kind, wie sieht er aus?“
„Hat er denn auch neun so schöne Zeiselschwänze wie der selige Herr Fuchs?“ „Ach nein,“ antwortete die Katze, „er hat nur einen.“ „So will ich ihn nicht haben.“
Die Jungfer Katze ging hinab und schickte den Freier fort. Bald darauf klopfte es wieder an, und war ein anderer Fuchs vor der Tür, der wollte die Frau Füchsin freien; er hatte zwei Schwänze; aber es ging ihm nicht besser als dem ersten. Danach kamen noch andere immer mit einem Schwanz mehr, die alle abgewiesen wurden, bis zuletzt einer kam, der neun Schwänze hatte wie der alte Herr Fuchs. Als die Witwe das hörte, sprach sie voll Freude zu der Katze:
„Nun macht mir Tor und Türe auf,
und kehrt den alten Herrn Fuchs hinaus.“
Als aber eben die Hochzeit sollte gefeiert werden, da regte sich der alte Herr Fuchs unter der Bank, prügelte das ganze Gesindel durch und jagte es mit der Frau Füchsin zum Hause hinaus.
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Zweites Märchen
Als der alte Herr Fuchs gestorben war, kam der Wolf als Freier, klopfte an die Tür, und die Katze, die als Magd bei der Frau Füchsin diente, machte auf. Der Wolf grüßte sie und sprach:
„Guten Tag, Frau Katz von Kehrewitz,
wie kommt's, dass sie alleine sitzt?
was macht sie Gutes da?“
Die Katze antwortete:
„Brock mir Wecke und Milch ein:
will der Herr mein Gast sein?“
„Dank schön, Frau Katze,“ antwortete der Wolf, „die Frau Füchsin nicht zu Hause?“
Die Katze sprach:
„Sie sitzt droben in der Kammer,
beweint ihren Jammer,
beweint ihre große Not,
dass der alte Herr Fuchs ist tot.“
Der Wolf antwortete:
„Will sie haben einen andern Mann,
so soll sie nur heruntergan.“
Die Katz die lief die Trepp hinan,
und ließ ihr Zeilchen rummer gan
bis sie kam vor den langen Saal:
klopft an mit ihren fünf goldenen Ringen.
„Frau Füchsin ist sie drinnen?
Will sie haben einen andern Mann,
so soll sie nur heruntergan.“
Die Frau Füchsin fragte: „Hat der Herr rote Höslein an, und hat er ein spitz Mäulchen?“ „Nein,“ antwortete die Katze. „So kann er mir nicht dienen.“
Als der Wolf abgewiesen war, kam ein Hund, ein Hirsch, ein Hase, ein Bär, ein Löwe, und nacheinander alle Waldtiere. Aber es fehlte immer eine von den guten Eigenschaften, die der alte Herr Fuchs gehabt hatte, und die Katze musste den Freier jedesmal wegschicken. Endlich kam ein junger Fuchs. Da sprach die Frau Füchsin: „Hat der Herr rote Höslein an, und hat er ein spitz Mäulchen?“ „Ja,“ sagte die Katze, „das hat er.“ „So soll er heraufkommen,“ sprach die Frau Füchsin und hieß die Magd das Hochzeitsfest bereiten.
„Katze, kehr die Stube aus,
und schmeiß den alten Fuchs zum Fenster hinaus.
Bracht so manche dicke fette Maus,
fraß sie immer alleine,
gab mir aber keine.“
Da ward die Hochzeit gehalten mit dem jungen Herrn Fuchs, und ward gejubelt und getanzt, und wenn sie nicht aufgehört haben, so tanzen sie noch.
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