Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer

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»Wenn sie Ihnen nur gefallen hat, Dagobert! Und was hat es weiter auf sich mit Ihren interessanten Vorzimmerstudien?«
Frau Violet sagte das in nicht gerade sehr gnädigem Tone. Freund Dagobert hätte wissen können, daß man bei einer schönen Frau, vielleicht bei einer Frau überhaupt, sehr selten Glück damit hat, wenn man über ein anderes weibliches Wesen besonders entzückt ist. Und nun erst, wenn dieses andere Wesen ein Stubenmädchen ist! Ernste Forscher sind zwar längst darüber einig, daß unter Umständen auch Stubenmädchen ihre ästhetischen Vorzüge haben können, aber über gewisse Dinge ist mit Frauen einmal nicht zu reden.
»Ich meine,« fuhr Dagobert fort, »daß dieses wechselnde und ausdrucksvolle Mienenspiel einer Künstlerin auf der Bühne einen Spezialapplaus eingetragen haben würde. Während der Fahrt zu Ihnen, meine Gnädigste, habe ich mir die Sache dann zurechtgelegt. Die Zofe hat in ihrer Hand zuerst die kleine Münze gespürt. Darob die gerechte Entrüstung. Der rasche Blick belehrte sie, daß es keine kleine Münze, sondern ein Goldstück war. Daraufhin –«
»Erlauben Sie, lieber Dagobert,« unterbrach ihn Frau Violet ein wenig ungeduldig, »Ihre Trinkgeldphilosophie mag ja recht interessant sein, aber eigentlich ist es doch nicht das, was ich von Ihnen wissen wollte.«
»Ich bin ganz bei der Sache, meine Gnädigste, aber man muß einen Menschen doch ausreden lassen. Goldstücke als Trinkgelder sind bei uns nicht recht gebräuchlich. In älteren Opern und Tragödien wirft man der Dienerschaft noch einen Beutel Zechinen hin, aber das ist nicht mehr modern. Heutigestags sind nur noch die französischen Dramatiker besonders verschwenderisch. Die lassen ihre Helden gewöhnlich einen ungeheuern Aufwand treiben – aus eine Million mehr oder weniger kommt es ihnen gar nicht an –, und namentlich lassen sie sie gern riesige Trinkgelder verteilen. In unserem bürgerlichen Gesellschaftsleben ist das nicht Stil. Wir geben einen Silbergulden, und ich meine –«
»Aber – Dagobert!!!«
»Werden Sie mir nur nicht ungeduldig, meine Gnädigste!«
»Wie soll da aber ein Mensch auch nicht ungeduldig werden! Sie wollten von einem Herzensroman sprechen, bei dem ich eine Rolle spielen sollte, und nun halten Sie mir einen Vortrag – über Trinkgelder!«
»Ich sagte, daß ich mir die Sache im Wagen zurechtgelegt habe. Die Trinkgeldgeschichte hat mich erst auf die richtige Fährte gebracht. Der junge Mann ist nicht dumm –«
»Hat auch niemand behauptet!«
»Und geht sehr methodisch vor. Baronin Gretl ist die anmutigste und liebenswürdigste junge Dame, die ich kenne. Wer hat ihn denn eigentlich in die Gesellschaft eingeführt?«
»Gretls Vettern, Fredl, der Kavallerist, und Gustl, der Ministerialsekretär, mit denen er intim befreundet ist. Sie müssen ihn übrigens auch vom Klub her kennen, wo er, seitdem er hier ist, als Gast eingeschrieben ist.«
»Er war mir noch nicht ausgefallen. Also er geht methodisch vor. Er liebt Baronin Gretl, und das ist ihm sicher zu verdenken.«
»Woher wissen Sie das, Dagobert?«
»Zuerst bemerkte ich es daran – aber Sie dürfen nicht böse werden – wie er Ihnen den Hof machte, gnädigste Frau.«
»Mir?!«
»Ihnen. Allerdings. Das war ganz richtig kalkuliert. Sie vertreten dort die Hausfrau und, wie ich gleich hinzufügen will, mit bewunderungswürdiger Grazie und unvergleichlicher Umsicht. Er hat Ihren Einfuß nicht zu hoch eingeschätzt. Seine Chancen stünden schlecht, wenn er Sie gegen sich hätte. Er hatte sich also an Sie herangemacht und, wie ich mit Vergnügen bemerkt habe, nicht ohne Erfolg.«
»Was wollen Sie damit sagen, Dagobert?«
»Was ich gesagt habe. Sie haben ihn in Ihr Herz geschlossen.«
»Weil er ein reizender Mensch ist.«
»Das sage ich auch. Es läßt sich nichts Hübscheres und Liebenswürdigeres denken als die Art, wie Sie, gnädige Frau, trotz der vielseitigen Inanspruchnahme die beiden Leutchen wohlwollend zu bemuttern wußten.«
»Habe ich damit etwas Unrechtes getan?«
»Gewiß nicht. Mir war es eine spezielle Freude, zu sehen, wie sich auch bei Ihnen der echt weibliche Trieb, Ehen zu stiften, betätigte.«
»Und was hat bei alledem – das Trinkgeld zu tun?«
»Nicht viel mehr, als daß es mich auf einige Ideen gebracht hat. Ich hätte sonst kaum über die ganze Geschichte weiter nachgedacht. Methodisch – sagte ich. Sie waren gewonnen. Irgendein Lümmel von den Lakaien hätte ihm kaum etwas nützen können, dagegen kann die Zofe unter Umstünden eine ganz verwendbare Bundesgenossin werden.«
Nun war auch Frau Violet befriedigt. Es hatte ihr doch gefallen, wie Dagobert all das herausgebracht hatte, wovon sie geglaubt hätte, daß es noch kein Mensch bemerkt habe. –
Einige Tage später befand sich Dagobert wieder im Grumbachschen Hause. Sie waren nur zu dritt bei Tisch gewesen, dann begaben sie sich ins Rauchzimmer, wo Frau Violet sich's auf ihrem Lieblingsplätzchen beim Kamin bequem machte, während die beiden Herren sich am Rauchtische einrichteten. Man saß erst eine Weile schweigend, und dann begann Dagobert mit ganz harmloser Miene, als spreche er von der natürlichsten und selbstverständlichsten Sache der Welt: »Weißt du übrigens, mein lieber Grumbach, daß in deinem Klub falsch gespielt wird?«
»Um Gottes willen!« rief Grumbach und fuhr wie von der Tarantel gestochen auf. Er war ganz blaß geworden. »Das ist ja entsetzlich! Und das sagst du mir erst jetzt?!«
»Ich weiß es selber erst seit heute vormittag, und ich wollte dir nicht vor Tisch den Appetit verderben.«
»Ich danke ab!«
»Das heißt, du willst dich um nichts kümmern. Dein Nachfolger soll dann sehen, wie er mit der Geschichte fertig wird.«
»Jedenfalls will ich mit solchen Geschichten nichts zu tun haben.«
»Von dir aus soll also dann ruhig weiter falsch gespielt werden?«
»Aber Dagobert, siehst du denn nicht, daß meine Lage furchtbar ist?«
»Angenehm ist sie allerdings nicht, Herr Präsident!«
»Da wird sich ein namenloser Skandal entwickeln!«
»Das ist wohl anzunehmen.«
»Und der Klub wird dabei zugrunde gehen! Was haben wir uns nicht alles auf unsere bürgerliche Ehrbarkeit zugute getan! Mit welcher Beruhigung haben nicht unsere alten Herren uns ihre Söhne zugeführt, – und nun das, das Allerschrecklichste. Ich geh'!«
»Ich denke, daß du gerade bleiben mußt, um den Klub zu retten.«
»Ich danke dir! Wessen Name wird mit der schmutzigen Geschichte in Zusammenhang gebracht werden? Der meinige! Das Regime Grumbach! Unter seinem Vorgänger war derlei doch nicht möglich! Den Klub retten? Der ist so wie so verloren. Es braucht nur ein Wort davon in die Öffentlichkeit zu dringen, – und wie willst du das verhindern? – und jeder, der nur etwas auf seine Reputation hält, wird sich zurückziehen. Mit Recht. Polizei, Staatsanwalt, ein Skandal, wie er noch nicht da war, – und mitten drin throne ich als Präsident!«
»Es ist eine böse Geschichte, Grumbach, aber eben deshalb müssen wir trachten, den Kopf nicht zu verlieren.«
»Da läßt sich nichts mehr machen, wenn die Sache einmal ins Rollen gekommen ist. Soll ich's vielleicht auf mich nehmen, solche Geschichten zu vertuschen?! Es ist meine Pflicht, die Anzeige zu machen, und damit reiße ich den Klub zusammen.«
»Hja – ehrlich gestanden, bin ich mir in diesem Falle selber nicht klug genug.«
»Was weißt du, Dagobert?«
»Ich weiß zunächst nur, daß falsch gespielt wird, mehr nicht.«
»Hast du Beweise?«
»Ich habe sie in der Tasche.«
Er griff in die Rocktasche und brachte ein Spiel Karten zum Vorschein, das er Grumbach überreichte. Frau Violet, die schon still vor sich hinzuweinen begonnen hatte, weil sie nicht ohne Grund ihre glücklich errungene gesellschaftliche Stellung ernstlich bedroht sah, wenn Grumbach wirklich abdankte, gesellte sich nun zu den beiden Herren und begann mit ihrem Gatten das verhängnisvolle Spiel zu prüfen. Beide waren aber außerstande, irgend etwas Verdächtiges zu entdecken.
»Die Sache ist ja nicht schlecht gemacht,« gab Dagobert zu, »aber es ist doch die einfachste Form der Maquillage. Es gibt noch bessere Methoden. Diese ist nur die bequemste und für ein Publikum, das nicht argwöhnisch ist, vollkommen ausreichend.«
»So zeigen Sie uns doch,« drängte Frau Violet, »wie und wo diese Karten gezeichnet sind!«
»Aber mit Vergnügen, meine Gnädigste. Zuerst will ich Ihnen aber beweisen, daß sie wirklich markiert sind. Wollen Sie so freundlich sein und das Spiel mischen. Nur noch mehr! So! Haben Sie gut gemischt?«
»Gewiß!«
»Gut, und nun, Grumbach, hebe du ab. Noch einmal! Man kann nicht vorsichtig genug sein. Und nun werde ich Blatt geben. Wie viele Karten soll ich Ihnen geben, Gnädigste?«
»Sagen wir vier.«
»Gut, da haben Sie vier Karten. Halten Sie sie nur recht vorsichtig, damit ich sie nur ja nicht sehe. Hier auch für dich vier Karten, Grumbach. Glauben Sie, daß ich sehen konnte, was ich Ihnen gab?«
»Unmöglich!«
»Natürlich ganz unmöglich, aber Sie, meine Gnädigste, haben Herz Dame, Carreau König, Herz acht und Pique Dame, und du, Grumbach: Pique König, Herz Buben, Treff Aß und Carreau Aß. Stimmt es?«
Es stimmte.
»Und glauben Sie nun,« fuhr Dagobert fort, »daß mir diese Wissenschaft einen recht erheblichen Vorteil über meine Mitspieler sichert?«
»Ob ich das glaube!« rief Frau Violet. »Hören Sie, Dagobert, Sie sind mir unheimlich. Sie sind ja förmlich selber ein vollendeter Falschspieler!«
»Ich könnte es wenigstens sein, meine Gnädige. Denn alles, was dazu gehört, weiß und beherrsche ich vollkommen. Mein Gott, man macht seine Studien. Es gibt nämlich auch dafür eine Literatur. Ein sehr belehrendes Buch über das Falschspiel hat der hervorragende französische Polizist Mr. Cavaillé geschrieben. Unterhaltend ist auch das Buch des Prestidigitateurs Houdin über denselben Gegenstand. Das gründlichste Buch darüber schrieb aber natürlich ein Deutscher, der unter dem Pseudonym Signor Domino sich nur notdürftig verbarg. Sogar eine eigene Zeitschrift war dieser nobeln Disziplin gewidmet. Sie erschien knapp vor Ausbruch der großen Revolution und führte den Titel Diogène à Paris. Das Falschspiel dringt auch in weitere Kreise und höher hinauf, als man gemeiniglich annimmt. Von Kardinal Mazarin wird mit aller Bestimmtheit behauptet, daß er ein Falschspieler gewesen sei. Vielleicht ist das Mythe, sicher aber und beglaubigt ist es, daß im Jahre 1885 Graf Callado, der Gesandte des Kaisers von Brasilien, in Rom beim Falschspielen abgefaßt worden ist.«
»Hören Sie, Dagobert, Sie wissen aber auch alles!«
»An mir ist, vielleicht nicht nur meiner Überzeugung nach, ein Detektiv verloren gegangen, und eine was für klägliche Rolle müßte ein solcher gegebenenfalls spielen, wenn er das alles nicht wüßte und könnte.«
»Jedenfalls mochte ich mit Ihnen nicht spielen,« sagte Frau Violet lachend.
»Ich danke für das ehrende Vertrauen, aber ich möchte es Ihnen selbst nicht anraten. Ich bin nämlich ein starker Spieler und in allen Sätteln gerecht. Ich habe das Spieltalent. Viel tue ich mir darauf nicht zugute, aber es ist einmal da. Ich wäre also auch ohne Mogelei für jeden, geschweige denn für Ihr kindliches Gemüt, meine Gnädige, ein sehr gefährlicher Gegner. Weil dem aber so ist, und weil ich alles weiß und kenne, spiele ich selbst niemals, grundsätzlich nicht. Ich bin nur ein sehr geachteter Kiebitz, der im Zuschauen keine Fehler macht, und gelte bei allen Streitfragen als oberste und inappellable Instanz.«
Grumbach war viel zu erregt und bekümmert, um jetzt den Plaudereien Dagoberts den richtigen Geschmack abgewinnen zu können. Er wollte wissen, wie Dagobert darauf gekommen sei, daß im Klub mit gezeichneten Karten gespielt werde.
»Das war sehr einfach,« entgegnete Dagobert. »Als Ausschußmitglied habe ich die Pflicht, mich um die Verwaltung zu kümmern. Was Küche und Keller betrifft, habe ich mich schon umgetan. Es ist alles in schönster Ordnung, und – tröste dich – das Defizit aus diesen Betrieben wird uns ungeschmälert erhalten bleiben. Dann wollte ich mich auch für das Kartendepartement interessieren. Von einem Amateurdetektiv wird dich das nicht wundernehmen. Auch da, was die Verrechnung betrifft, alles in Ordnung.«
»Ich danke für eine solche Ordnung!« rief Grumbach mit Bitterkeit dazwischen.
»Da kam mir die Idee,« fuhr Dagobert fort, »die einem anderen vielleicht nicht gekommen wäre. Ich wollte einmal die überspielten Karten überprüfen. Ich ließ mir also alle Kartenspiele, die während der abgelaufenen Woche zur Verwendung gelangt waren, ins Vorstandszimmer bringen, sperrte die Tür ab und nahm dann die Überprüfung vor.«
»Wie viele Spiele hat man Ihnen denn hingeschleppt?« fragte Frau Violet.
»Vierhundertundfünfzehn Spiele, meine Gnädige.«
»Herrgott, da haben Sie ja eine furchtbare Arbeit gehabt!«
»Es war nicht so arg. Sie müssen nicht glauben, daß ich jede einzelne Karte unter die Lupe genommen habe, sonst säße ich ja noch dort. Ich nahm aus jedem Spiele nur eine Karte, allerdings ein Honneur. Wenn nämlich die wichtigen Karten nicht gezeichnet waren, dann waren es die übrigen sicher auch nicht. War aber ein Spiel markiert, dann mußten es in erster Linie jene Blätter sein, auf die es in der Partie hauptsächlich ankommt. So konnte ich doch in drei Stunden fertig werden.«
»Und was hast du gefunden?« fragte Grumbach.
»Wie ich bereits bemerkt, – daß im Klub falsch gespielt wird. Ich habe sechs gezeichnete Spiele beseitigt und unter Verschluß genommen. Eines davon ist das hier.«
»Sie haben uns noch immer nicht gezeigt, wie sie markiert sind.«
»Ich glaube es doch schon gesagt zu haben, – Maquillage, einfache Maquillage!«
»Wir sind nicht vom Fach, lieber Dagobert. Mit uns müssen Sie schon etwas deutlicher reden.«
»Wohlan, hören Sie mir zu, gnädige Frau. Sie werden enttäuscht sein, wie einfach die Geschichte ist. Sehen Sie sich diese Rückseite der Karten an. Sie ist bedruckt und weist ein einfaches, mit Absicht so gewähltes Muster auf, daß es dem Auge keine besonderen Anhaltspunkte biete. Wir haben hier zahllose Punkte und kleine, nicht ganz geschlossene Kreislinien. Der Falschspieler hat nun folgende Methode gewählt: er nahm eine seine Nähnadel, tauchte ihre Spitze in reines, farbloses und durch Erhitzung flüssig gemachtes Wachs. Dann stach er leicht an bestimmter Stelle in die Rückseite, natürlich nicht so stark, daß die Spitze durch das Blatt durchgedrungen wäre. So leicht er auch stach, die Spitze hat doch eine kleine Vertiefung verursacht, und in dieser setzte sich ein Atom von Wachs fest.«
»Das kann man aber doch unmöglich mit den Fingerspitzen spüren!« bemerkte Frau Violet, indem sie gleich die Probe zu machen versuchte.
»Wenn er sich auf seinen Tastsinn hätte verlassen wollen, hätte er eine andere Methode versucht. Es gibt solche, sie sind aber gefährlicher und darum weniger empfehlenswert.«
»Aber sehen kann er diese Pünktchen doch auch nicht!« fuhr Frau Violet fort, wieder bemüht, dem Geheimnis auf den Grund zu kommen.
»Man kann sie sehr gut sehen. Lassen Sie nur das Licht auf der Rückseite spielen!«
»Ja, wahrhaftig!« rief Frau Violet erfreut. »Hier sieht man es ganz deutlich, – ein matter Punkt!«
»Das ist der ganze Witz. Das Kartenpapier glänzt, und in den Lichtreflexen macht sich ein toter Punkt leicht bemerkbar, allerdings nur für den Wissenden. Alles übrige ergibt sich von selbst. Sie sehen, da stehen acht kleine Kreislinien in einer Reihe, und es gibt zwölf Reihen. Ein Spiel könnte also aus sechsundneunzig Blatt bestehen, und der Künstler käme noch immer nicht in Verlegenheit, wo er für jedes Blatt seinen Punkt hinsetzen soll, wenn er sein System einmal festgestellt hat. Seinem Gedächtnis ist dabei gar nicht viel zugemutet. Die erste Reihe gilt für Coeur, die zweite für Carreau und so weiter. Angefangen wird mit dem König, dann kommt die Dame, – die ganze Sache, so frech sie ist, ist beinahe kindisch.«
Grumbach hatte bei weitem nicht das Interesse für die Details wie seine Frau. Ihn peinigte die kritische Lage, in die nun er und mit ihm der ganze Klub geraten war. Seine Gedanken bewegten sich nach ganz anderer Richtung.
»Ich bin nur glücklich, Dagobert,« begann er, »daß ich dich jetzt zur Hand habe. Du bist der Mann, dem Schwindel ein Ende zu machen.«
»Ich schmeichle mir allerdings, der richtige Mann zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein. Ich verbürge mich dafür, daß ich dir den Gauner in wenigen Tagen stelle!«
»Du bist zu gütig, Dagobert, aber dafür danke ich ganz entschieden!«
»Habe ich mir so gedacht.«
»Wenn ich ihn kenne, muß ich ihn dem Gerichte ausliefern. Muß ich, geht gar nicht anders; und dann haben wir den öffentlichen Skandal mit all seinen Konsequenzen.«
»Das glaube ich auch. Was soll ich aber sonst tun?«
»Bringe mir den Schurken in aller Stille weg. Er soll sich seinen Strick anderswo suchen. Kein Mensch darf von der Geschichte auch nur ein Sterbenswörtchen erfahren, und was mich betrifft, so will ich nie mehr etwas von ihr hören.«
» Bon! Soll besorgt werden.«
Vier Tage später saßen sie wieder zu dritt im Grumbachschen Hause. Bei Tisch, wo die Dienerschaft ab und zu ging, wurde nur von gleichgültigen Dingen gesprochen, von den Soireen bei Eichstedts, von dem nächsten Damenabend, der im Klub veranstaltet werden sollte, und dergleichen mehr. Als sie aber dann im Rauchzimmer saßen, sicher vor Störungen durch die Dienerschaft, und Dagobert sich anschickte, harmlos weiterzuplaudern über die alltäglichen Ereignisse, da konnte Grumbach doch nicht länger an sich halten und brach mit der spannungsvollen Frage los: »Nun, Dagobert, wie steht's?«
»Womit?«
»So sei doch nicht so, – du kannst dir ja denken!«
»Du meinst doch nicht die – die gewisse Affäre?«
»Natürlich meine ich die! Was sollte ich sonst meinen?!«
»Ich dachte, damit dürfe man dir überhaupt nicht mehr kommen!«
»Sei nicht kindisch, Dagobert, ich muß doch wissen, was vorgeht!«
»Ich habe selbstverständlich deinen Auftrag erfüllt. Die Sache ist erledigt. Du kannst ruhig sein: es ist all right.«
»Gott sei Dank!« rief Grumbach aufatmend. »Ich kann also wirklich wieder ruhig schlafen?«
»Wie ein Murmeltier. Kein Mensch wird je etwas davon erfahren. Es müßte denn sein, wofür ich mich natürlich nicht verbürgen kann, daß der betreffende Herr selber plaudert, aber ich glaube, daß das nicht sehr wahrscheinlich ist.«
»Sie müssen erzählen!« drängte nun Frau Violet.
»Aber der Herr Gemahl erlaubt es ja nicht!«
»Unsinn, Dagobert, – erzähle!«
»Es gibt nicht viel zu erzählen, wenigstens nichts Dramatisches, da ich mich natürlich an deine Befehle halten mußte. Ich hatte zu erreichen, daß nicht mehr falsch gespielt werde. Das ist erreicht.«
»Ich bin furchtbar neugierig, wie Sie das gemacht haben,« warf Frau Violet ein.
»Die Sache war von Haus aus nicht schwer, und sie ist noch leichter gegangen, als ich mir es vorgestellt hatte. Zunächst also, meine Gnädige, mußte ich mir klarmachen, wie der Betrug ins Werk gesetzt wurde. Die Karten waren selbstverständlich vorher präpariert, – wie aber wurden sie auf den Spieltisch geschmuggelt? Am einfachsten ließ sich das machen, wenn einer von den Dienern, die mit den Karten zu tun haben, mit im Einverständnis war. Bei uns ist die Einrichtung so, daß zu jedem Spieltisch eine silberne Tasse mit drei Päckchen Karten auf ein niedriges Taburett gestellt wird. Die Herren lieben es, wenn sie eine Stunde mit einem Spiele gespielt haben, ein frisches Päckchen zu nehmen. Der Diener hätte also zu dem betreffenden Spieltisch und der betreffenden Gesellschaft –«
»Welche Spielgesellschaft war es?« fragte Grumbach.
»Keine Ahnung! – unter den drei Spielen nur das gezeichnete mit zu servieren gehabt. So hätte sich die Sache ganz unauffällig gemacht.«
»Und ist es so gemacht worden?« forschte Frau Violet.
»Nein, meine Gnädige. Unser Künstler arbeitet ohne Gehilfen. Das ist sicherer und billiger. En Mitwisser ist immer eine Gefahr, und zu große Spesen will man sich bei dem Geschäft doch auch nicht machen.«
»Ich begreife überhaupt nicht recht,« bemerkte Grumbach dazwischen, »wie einer bei uns auf diese Idee verfallen konnte, wo ich doch grundsätzlich und mit aller Strenge darauf halte, daß im Klub kein Hasardspiel gespielt werde. Das dulde ich absolut nicht!«
»Ein sehr schöner Grundsatz – zweifelsohne, und du hast sehr recht damit, mein lieber Grumbach, aber in der Praxis gibt es auch da einen Haken. Das Verbot muß bestehen – natürlich; der Staat erläßt es ja auch, obschon nur da die Bevormundung weniger gefällt. Wenn ein paar Tagediebe dumm genug sind, sich auch auf solche Scherze einzulassen, so weiß ich nicht, ob man das Recht oder die Pflicht hat, sie gerade da beim Zipfel zu nehmen. Läßt man sie da nicht, so wissen sie sich sicher irgendeine andere, nicht minder ausgiebige Dummheit zu finden.«
»Man muß die Leute vor sich selber schützen,« bemerkte der Herr Präsident.
»Vielleicht die wirtschaftlich Schwachen. Für die Schwachen im Geist und Charakter gibt es keinen Schutz.«
»Nur jetzt keine Philosophie, lieber Dagobert!« flehte Frau Violet. »Erzählen Sie lieber weiter; so neugierig war ich noch nie!«
»Sofort, meine Gnädige – nur noch eine Bemerkung. Der Trieb, Hasard zu spielen, besteht einmal, ist vielleicht in der menschlichen Natur begründet, und da kann er, wenn er sich betätigt, leicht gefährlicher werden, wenn das gezwungenermaßen im geheimen geschieht, als im Lichte und unter der Kontrolle der Gesellschaft. Aber das nur nebenbei. Das Verbot muß natürlich schon anstandshalber doch aufrechtbleiben. In unserem Falle bedurfte es des Hasardspiels gar nicht. Gespielt wird mit Marken. Wie hoch sich die Herren diese bewerten, das ist ganz ihre Sache, und kein anderer braucht es zu erfahren. Unser Künstler konnte sich da auch bei dem harmlosesten und erlaubtesten Spiele ganz ohne alles Aufsehen täglich seine drei- oder fünfhundert Gulden verdienen. Das ist, meine ich, auch schon etwas!«
»Hinrichten müßte man einen solchen Menschen!« meinte Frau Violet so nebenbei.
»Ich habe also die Klubdiener aufs Korn genommen. Es wird dir angenehm sein zu hören, Grumbach, daß sie mit dieser Sache absolut nichts zu tun haben. Ich habe sie, ohne daß sie's merkten, besonders scharf examinierte Sie sind vollkommen ahnungslos.«
»Das ist mir auch angenehm,« bestätigte Grumbach.
»Nun mußte ich also weiter kombinieren. Ich hatte sechs Spiele säsiert, und zwar drei Tarock- und drei französische Spiele, und alle waren nach demselben System gezeichnet. Durchgesehen hatte ich das Material von einer Woche. Nun war ich zu folgenden Schlüssen berechtigt: erstens: es gibt da nur einen Falschspieler. Zweitens: der Falschspieler hat täglich nur ein gezeichnetes Spiel in Verwendung gebracht. Das ist auch erklärlich. Denn drittens: er mußte das vorbereitete Spiel selber auf das Taburett praktizieren und dafür ein anderes Spiel in seiner Tasche verschwinden lassen. Kein ganz leichtes Problem, ich gebe es zu, aber doch immerhin lösbar. Die jungen Herren erscheinen meist im Frack. Denn gewöhnlich haben sie entweder ein Diner hinter sich oder irgendeine andere gesellschaftliche Verpflichtung noch vor sich. Mit Hilfe eines Claque und eines seidenen Taschentuches, die unauffällig auf die Kartentasse gelegt und von dort wieder ebenso unauffällig weggenommen werden können, ist das Problem schon zu lösen. Bei drei Spielern hatte der Fälscher immer zwei Chancen, neben dem Taburett zu sitzen. Bei einiger liebenswürdigen Beflissenheit hatte er überhaupt alle Chancen für sich. Auf die Wahl der Plätze wird ja nicht geachtet; es kommt auch nicht darauf an. Er konnte sogar noch einein der Partner gegenüber zuvorkommend sein und brauchte dann nur dem anderen wirklich zuvorzukommen.«
»Du warst von vornherein überzeugt,« fragte Grumbach, »daß es ein junger Mann sein müsse?« »Ja. Einer von unseren alten gediegenen Firmenträgern läßt sich auf solche Dinge nicht ein. Da wäre doch zuviel auf dem Spiele gestanden. Nein, das mußte ein leichtsinniges Früchtchen, irgendein verlorener Sohn sein.«
»So rücken Sie doch endlich mit Ihrer Enthüllung heraus, Dagobert!« mahnte die Hausfrau ungeduldig.



