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»Ah … Scheiße …«, stöhne ich gequält, als ich mich aufrichte. Mein Schädel dröhnt und alles dreht sich um mich wie im Schleudergang einer Waschmaschine. Eindeutig zu viel Alkohol. Mir wird von dem Karussell in meinem Kopf schwindelig. Außerdem ist mir kotzübel. Stöhnend sinke ich wieder in die Kissen zurück. Langsam öffne ich ein Auge und sehe an die Zimmerdecke, die so gar nicht aussieht wie die in meinem Schlafzimmer. Mist, wo bin ich hier überhaupt und wie bin ich in dieses Bett gekommen? Dass es nicht meins ist, kann ich spüren, denn die Matratze ist viel weicher und auch die Bettwäsche fühlt sich ganz anders an.
Ächzend drehe ich mich auf die Seite. Meine Hand berührt warme Haut, was mich erschrocken zusammenzucken lässt. Blitzschnell ziehe ich die Hand weg, als habe ich mich verbrannt. Da liegt jemand leise schnarchend neben mir. Als erstes hebe ich die Decke ein Stück an und schaue an mir herunter, ohne den Fremden näher zu betrachten. Bis auf meine Shorts bin ich nackt. Auch der Mann neben mir trägt nichts weiter als enganliegende Pants, die sich um seine beachtliche Morgenlatte spannen. O Gott! Was ist hier gestern Nacht passiert? Ich schlucke hart bei diesem Anblick und traue mich kaum, ihm ins Gesicht zu schauen. Mein Blick haftet wie hypnotisiert auf der Beule zwischen seinen Beinen.
Erneut versuche ich, mich im Bett aufzusetzen. Ein dumpfer Schmerz pocht hinter meinen Schläfen. Meine Kehle ist trocken, die Zunge ein pelziges Etwas. Zudem habe ich schrecklichen Durst.
»Wasser …«, krächze ich. Der Mann neben mir regt sich, dreht sich weg und tastet mit einer Hand neben dem Bett herum, bis er mir eine angebrochene Flasche Wasser reicht. Ich greife nach ihr und leere sie in wenigen Zügen.
»Guten Morgen«, brummt er dann und richtet sich ebenfalls auf, das Gesicht mir zugewandt. Jetzt erkenne ich, dass es Kevin ist. Entgeistert starre ich ihn an. Ich habe keinen blassen Schimmer, was wir hier gestern Nacht getrieben haben. Wir haben nicht wenig Alkohol getrunken und Kevin hat mir das Haus gezeigt … Und dann? Egal wie sehr ich mein Hirn anstrenge, ich habe einen totalen Filmriss, was die gestrige Nacht betrifft. Was ist zwischen uns passiert? Hatten wir vermutlich sogar Sex? Wir tragen zwar beide noch unsere Unterwäsche, aber wer weiß? In meinem Kopf herrscht gähnende Leere und ich kann mich einfach nicht erinnern, was passiert ist. Oh, Scheiße, Scheiße, Scheiße! Eigentlich bin ich überhaupt nicht der Typ für One-Night-Stands, denn bis auf diese seltsame Telefonsexsache letzte Woche ist jeglicher intimer Kontakt mit Männern immer mit einer festen Beziehung verbunden gewesen.
»Na, so schlimm sehe ich doch wirklich nicht aus, dass du so entsetzt dreinblicken musst, oder? Gestern schien es so, als könntest du mich noch ganz gut leiden.« Kevin schmunzelt und fährt sich mit den Händen übers Gesicht, um den Schlaf zu vertreiben. Seine blonden Haare stehen ihm wirr vom Kopf ab. Er gähnt herzhaft und streckt sich dabei, sodass ich in den Genuss komme, seinen nackten Oberkörper zu begutachten. Er wirkt ziemlich gelassen und im Gegensatz zu mir geht es ihm wohl gar nicht so schlecht nach der Party.
»Was … also … was haben wir … gemacht?«, presse ich stockend hervor, weil ich diese Ungewissheit nicht länger ertrage.
Kevin mustert mich überrascht, dann lacht er auf. »Du kannst dich echt nicht erinnern?«
Ich schüttele den Kopf. Verdammt, wie viel Alkohol muss ich getrunken haben, dass ich so einen Totalblackout habe?
»Du willst wissen, ob wir Sex hatten, richtig?«, mutmaßt er und trifft damit genau ins Schwarze. Ich nicke mit hochrotem Kopf, etwas Anderes bringe ich im Moment nicht zustande. Ein freches Grinsen umspielt Kevins Lippen, er nähert sich mir, dann legt er seine Hand auf die Bettdecke, an die Stelle, an der er wohl meinen Oberschenkel vermutet.
»Keine Sorge, es ist nicht viel zwischen uns gelaufen, auch wenn ich nicht abgeneigt war, muss ich gestehen. Du kannst verdammt gut blasen.«
Erschrocken starre ich ihn an. Ich habe Kevin einen geblasen? Daran müsste ich mich doch erinnern können! Kevins Lachen wird immer lauter, während ich angestrengt versuche, mich an vergangene Nacht zu erinnern. Leider klingelt gar nichts bei mir.
»Spaß, Mann. Ich mach doch nur Spaß.« Kevin lacht sich über meinen Gesichtsausdruck halbtot. »Ich hab dich nur verarscht. Du musst mal dein Gesicht sehen, Tobi. Als ob es so schlimm wäre, mir einen zu blasen. Also echt. Darüber hat sich mein Ex auch nie beschwert. Ich habe einen ziemlich tollen Schwanz, kannst dich gerne davon überzeugen.«
Erleichtert atme ich aus.
»Bist du bescheuert? Mir ist vor Schreck beinahe das Herz stehengeblieben, Mann«, entgegne ich mit einem bösen Blick auf Kevin. Der hat ja echt Nerven mir so früh am Morgen einen Schrecken einzujagen. Vor allem dann, wenn ich an fürchterlichen Kopfschmerzen leide. Natürlich finde ich Kevin sexy … aber ich kenne ihn gerade mal ein paar Stunden, sodass ich nicht richtig einschätzen kann, was er über mich denkt. Aber okay, diesen Fremden am Telefon – den kenne ich noch weniger und muss gestehen, dass ich seine Stimme ziemlich anziehend finde, weshalb sie mir nicht aus dem Kopf geht. Aber Kevin ist real, er sitzt halbnackt neben mir und lacht mich an. Da sollte ich nicht an einen anderen Mann denken müssen, der mir einmal sexy ins Ohr gestöhnt hat.
Kevins Lachen verklingt und er wird wieder ernst. Seine blauen Augen fixieren mich.
»Tobi, mal ehrlich? Es ist wirklich nichts gelaufen zwischen uns. Du warst gestern Abend ziemlich hinüber. Hast ständig von so einem Kerl geredet, mit dem du Telefonsex hattest. In diesem Zustand hätte ich dich nicht angerührt, schließlich habe auch ich meinen Stolz.«
Oje, das auch noch! Ich habe mich wohl wirklich nicht gerade beliebt gemacht bei Kevin.
»Außerdem wolltest du in deinem Zustand noch alleine nach Hause fahren. Zum Glück konnte Michael dich zum Bleiben überreden«, klärt er mich auf und rückt etwas näher zu mir, um mich in seinen Arm zu ziehen. »Und ich konnte die Situation doch nicht einfach so ausnutzen, dass du vom ganzen Alkohol nicht mehr wusstest, was du eigentlich tust. So einer bin ich nicht, auch wenn ich zugeben muss, dass du mir gefällst.« Ohne groß darüber nachzudenken schmiege ich mich an ihn. Die Wärme seines Körpers ist angenehm und sein Geständnis lässt mein Herz einen Takt höherschlagen.
»Nachdem ich dich in mein Zimmer geführt habe, bist du auf dem Bett direkt eingeschlafen. Ich habe dich ausgezogen und einfach schlafen lassen«, ergänzt er und streicht mir durchs Haar.
Mit geschlossenen Augen genieße ich diesen Moment der Ruhe. Nicht jeder Mann hätte so cool reagiert wie Kevin, sondern meine missliche Lage sicher ausgenutzt …
Kapitel 2
-Kevin-
Tobias ist gegangen. Dass er mir sofort geglaubt hat, wir hätten es gestern Nacht getrieben, musste ich einfach ausnutzen, um ihn ein bisschen zu ärgern, was er mir zum Glück nicht krummgenommen hat. So konnte er mir wenigstens für einen kurzen Moment die Leere aus meinem Herzen vertreiben, die ich seit der Trennung von meinem Freund empfinde. Und, Scheiße, Tobias hat mich in diesem Moment an ihn erinnert, als er mich so verwirrt angesehen hat, die schokobraunen Haare vom Schlafen zerzaust und der Blick noch etwas müde.
Seufzend drehe ich mich auf die Seite und vergrabe mein Gesicht in dem Kissen, auf dem Tobias geschlafen hat. Atme seinen Geruch ein, der noch schwach an dem Stoff haftet. Schon wieder muss ich an meinen Ex denken. An den Tag vor zwei Jahren, an dem wir uns kennen gelernt haben. Gott, wie sehr er mich bei unserer ersten Begegnung in seinen Bann gezogen hat. Die Wärme in seinem Blick, das schüchterne Lächeln auf seinen Lippen. Unser erster Kuss. Es tut immer noch weh, an ihn zu denken, auch wenn die Trennung bald zwei Monate zurückliegt. Trotzdem ist er mir immer noch nah, obwohl ich derjenige gewesen bin, der Schluss gemacht hat. Aber so ging es einfach nicht mehr weiter. Ich durfte ihn nicht noch mehr verletzen.
Mit einem Seufzen schlage ich die Decke zurück und schwinge meine Beine aus dem Bett. Langsam sollte ich wirklich aufstehen. Es ist sicher schon spät, was mir mein Magen nun ebenfalls bestätigt. Das Frühstück ist längst überfällig. Schnell ziehe ich mir eine Jogginghose und ein T-Shirt über, dann begebe ich mich in die Küche. Doch die Gedanken an meinen Ex schwirren immer noch in meinem Kopf umher, ohne dass ich es verhindern kann.
Niklas hat am Morgen nach unserem One-Night-Stand, der nun schon so lange zurückliegt, ähnlich erschrocken reagiert wie Tobias vorhin. Nicht, weil er den Sex vermutlich bereute, denn ich glaube kaum, dass er so etwas Spontanes zum ersten Mal getan hatte. Sondern wegen der Tatsache, in einem fremden Bett erwacht zu sein. Vermutlich überraschte es ihn, dass ich ihn mit zu mir nach Hause nahm, statt ihn in einem billigen Hotel zu ficken. Glücklicherweise konnte ich ihm damals noch seine Handynummer entlocken, bevor er Hals über Kopf das Haus verließ. Dass ich ihn wiedersehen wollte, stand für mich fest.
Meine Schwägerin Maria steht am Herd und rührt in einem Topf, aus dem es herrlich nach Milchreis duftet. Der Tisch ist bereits gedeckt, obwohl sich noch nicht alle Mitglieder der Familie versammelt haben. Michael muss sicher noch mit Lara im Bad sein, denn sie weigert sich stets, allein ihre Zähne zu putzen, sodass mein Bruder immer mit ihr diskutieren muss.
Ich setze mich dem beinahe dreijährigen Jungen gegenüber an den Küchentisch, schnappe mir ein Brötchen aus dem Brotkorb und bestreiche es dick mit Nutella. Felix lacht mich an, wartet dabei geduldig auf sein Frühstück.
»Kevin, was hast du denn mit Tobi angestellt?«, will Maria von mir wissen. Ihre Stimme klingt vorwurfsvoll. »Der arme Junge ist Hals über Kopf von hier geflüchtet, ohne auch nur einen Bissen zu essen.« Sie füllt eine Portion von dem Milchreis in ein Schälchen und stellt es vor ihrem Sohn ab, der erwartungsvoll zum Löffel greift, ehe sie sich ebenfalls an den Tisch setzt. Ich zucke bloß mit den Schultern und beiße in mein Brötchen.
»Ich war ausnahmsweise ganz brav heute Nacht. Hab ihn nicht angerührt«, beteuere ich mit unschuldigem Augenaufschlag. Maria verdreht die Augen.
»Anscheinend hast du es deinem unwiderstehlichen Charme zu verdanken, dass die Männer alle Reißaus vor dir nehmen«, neckt sie mich frech. Ich weiß ja, dass sie es nicht böse meint, doch mein Herz zieht sich bei ihren Worten trotzdem zusammen. Eher bin ich es wohl, der die Männer von sich stößt. Aber ist es nicht besser, einen Schlussstrich zu ziehen, als sich immer weiter zu verletzen?
»Sag mal, wann suchst du dir endlich eine neue Bleibe? Du willst doch nicht ewig in unserem Gästezimmer hausen, oder?«, meint Maria nachdenklich. »Ist doch auch nicht so schön, wenn du deine Bekanntschaften immer in ein fremdes Haus mitbringen musst.«
»Ich bringe doch keine Bekanntschaften mehr mit.« Ich seufze schwer. Seit nunmehr fast zwei Monaten lebe ich wieder bei meinem Bruder, weil ich es nach dem Streit mit Niklas nicht mehr in der WG ausgehalten habe. Ich konnte seine Tränen nicht länger ertragen, weil ich es war, der ihm das Herz gebrochen hat. Es war einfach zu viel für mich. Auch mein eigener Schmerz war unerträglich. Genau aus diesem Grund habe ich mich bisher von Männern ferngehalten – bis Tobias gestern hier aufgetaucht ist.
»Liebe Maria. Sag bloß, dir gefällt meine Kinderbetreuung nicht mehr? Immerhin kannst du so ohne Weiteres nachmittags arbeiten gehen, ohne einen Babysitter zu organisieren. Bis Felix in den Kindergarten kommt, dauert es noch ein halbes Jahr«, erwidere ich kauend. Nachdem ich mein Brötchen verputzt habe, lecke ich mir das Nutella aus den Mundwinkeln.
»Natürlich ist es schön, dass du auf die Kleinen aufpasst. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Willst du dich denn nicht wieder mit Niklas vertragen? Seit zwei Monaten läufst du hier mit einer Trauermiene durch die Gegend, wenn du glaubst, keiner würde zusehen. Glaub nicht, dass es uns nicht aufgefallen ist.« Sie legt ihre Hand auf meine, doch ich lasse diese Berührung nur kurz zu. Mich mit ihm vertragen? Wie gern würde ich es tun. Doch das kann ich nicht. Ich habe ihn verletzt und er ist ohne mich einfach viel besser dran.
»Oder du versuchst, jemand Neues kennenzulernen«, ertönt die Stimme meines Bruders von der Tür. Er betritt die Küche, streicht Felix kurz über den Kopf und setzt sich dann mir gegenüber. Lara kommt ebenfalls herein und zieht einen der Küchenstühle mit voller Wucht zurück, sodass die Stuhlbeine auf den Fliesen quietschen.
»Wie wär’s denn mit Tobi? Er ist echt ein lieber Kerl«, fragt er mich, das stürmische Verhalten seiner Tochter ignorierend. Da hat Michael recht. Ich habe mich gestern in seiner Gegenwart sehr wohl gefühlt. Vielleicht sollte ich wirklich einen Schlussstrich ziehen und neu beginnen? Mit Tobias könnte ich mir etwas Längerfristiges durchaus vorstellen, sollte er ebenfalls Interesse haben. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, doch die Anziehungskraft zwischen uns habe ich deutlich gespürt. Er ist echt sympathisch, sieht gut aus und hat eine angenehm ruhige Art. Auch wenn er gestern alles andere als ruhig war nach dem ganzen Alkohol.
»Du könntest ihn ja mal anrufen«, schlägt mir mein Bruder zwinkernd vor. Ich nicke nachdenklich. Vielleicht sollte ich das tun …
Kapitel 3
-Kevin-
Zwei Jahre zuvor
Es war damals noch nicht so lange her, dass ich aus unserem kleinen Dörfchen in der Nähe von Leipzig nach Berlin zu meinem Bruder gezogen war. Hier hatte sich für mich die Chance ergeben, als Geselle in einer größeren Kfz-Werkstatt neu anzufangen. Michael hatte mir vorerst Asyl in seinem Haus gewährt, doch bald würde ich mich um eine eigene Wohnung kümmern müssen, um die Gastfreundschaft seiner Familie nicht überzustrapazieren. Für Maria war es schon stressig genug mit den beiden Kindern, da musste sie sich nicht auch noch um einen zusätzlichen Gast kümmern.
Außer meinem Bruder und seiner Frau kannte ich noch niemanden in der Stadt, also nahmen mich meine Kollegen von der Autowerkstatt unter ihre Fittiche. Ich verstand mich auf Anhieb prima mit den Jungs und es schien für sie kein Problem zu sein, dass ich mich nicht für hübsche Blondinen mit großen Brüsten erwärmen konnte, sondern auf Männer stand.
»So bist du wenigstens aus dem Rennen und es bleibt mehr Beute für uns«, erklärte Peter mir, als wir eines Samstagabends mit den anderen durch die Stadt zogen. Peter war ein typischer Weiberheld, aber eigentlich ganz in Ordnung. Ich war wirklich heilfroh, dass meine sexuelle Orientierung nicht meine Arbeit beeinflusste. Außerdem fühlte ich mich hier total wohl, die Arbeit machte Spaß und die Stadt hatte etwas Pulsierendes, das mich wie magisch anzog. Vor allem das Nachtleben war aufregend.
Meine Kollegen nahmen mich auch an diesem Abend wieder mit zum Feiern. Wir waren alle ungefähr im selben Alter und hatten viel Spaß zusammen. Ich hatte schon reichlich mit den Jungs in einer Kneipe vorgetrunken.
»Leute, wollen wir noch weiterziehen und bei bisschen tanzen?«, fragte Peter in die Runde, nachdem wir unsere Getränke gezahlt hatten.
»Hoffst du wieder darauf eine abzuschleppen, du Weiberheld?«, entgegnete Klaus mit einem frechen Grinsen. Auch ich musste schmunzeln, denn mittlerweile kannte ich Peter. Natürlich hoffte er auf einen One-Night-Stand. Ich machte mir da keine großen Hoffnungen, denn es war unwahrscheinlich, in einem Club auf einen schwulen Kerl zu treffen, solange ich mit meinen Kollegen unterwegs war. Außerdem glaubte ich kaum, dass mir mein Traumprinz in einer Disco über den Weg laufen würde. Zwar hatte ich überhaupt nichts gegen gelegentliche One-Night-Stands einzuwenden, aber eigentlich war ich schon auf der Suche nach etwas Festem.
Einstimmig beschlossen wir, Peters Vorschlag anzunehmen, denn der Abend war noch jung und wir bereits gut angetrunken. Ein bisschen Tanzen würde da auf jeden Fall nicht schaden. Als wir lachend durch die Straßen zogen, in der sich Bars und Clubs aneinanderreihten, bemerkte ich einen Mann, der meinen Blick sofort auf sich lenkte. Er stand nur wenige Meter von mir entfernt vor dem Eingang eines Clubs und unterhielt sich mit einem anderen Mann, der mir den Rücken zuwandte. Der Fremde war groß und schlank, mit braunen Haaren, die ihm zerzaust vom Kopf abstanden. Der Dreitagebart ließ ihn verwegen aussehen. Wie vom Blitz getroffen blieb ich mitten auf dem Gehweg stehen und starrte ihn an. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Moment und ich glaubte, ein Lächeln in seinem schönen Gesicht zu erkennen, ehe er mit seiner Begleitung im Club verschwand.
»Hey, Mann. Wo bleibst du denn?«, wollte Klaus wissen, als er sich nach mir umsah. Mir war klar, dass die Jungs woanders hingehen wollten. Da vor dem Eingang, in dem der Fremde verschwunden war, fast ausschließlich Männer auf den Einlass warteten, musst es sich um einen Schwulenclub handeln.
»Ich denke, ich klinke mich für heute aus. Zieht ihr ruhig weiter, ich würde nämlich gerne hier rein«, antwortete ich und zeigte auf den Clubeingang. Klaus überlegte kurz, dann zuckte er mit den Schultern. Auch Peter schien damit einverstanden, nun getrennte Wege zu gehen. Nachdem ich mich von den beiden verabschiedet hatte, reihte ich mich in die Schlange der Wartenden ein. Große Hoffnungen, dem Fremden nochmals über den Weg zu laufen, hatte ich zwar nicht, doch ich könnte mich dennoch ein wenig umsehen, um Spaß zu haben.
Bereits nach Betreten des Clubs drängten sich viele Besucher an mir vorbei, die von der lauten Musik angetrieben wurden. Der große Mainroom war gerammelt voll mit tanzenden, halbnackten Männern, die sich ungeniert aneinander rieben. Mit Blicken suchte ich die Menge ab, konnte den Mann jedoch nicht ausfindig machen. Also beschloss ich, mich vorerst an die Bar zu setzen und die Lage zu checken, bevor ich mich auf die Tanzfläche wagte. An der Bar bestellte ich einen Tequila-Shot und schaute mich noch einmal um.
»Du siehst aus, als hättest du jemanden verloren«, bemerkte der Barkeeper, als er mir einen weiteren Drink reichte. »Vielleicht kann ich helfen?«
»Hier ist eben so ein großer, braunhaariger Mann in einem weißen Shirt reingegangen. Vielleicht etwas größer als ich. Seine Begleitung war blond«, erklärte ich dem Barkeeper, in der Hoffnung, er hätte den Fremden gesehen. Der Barkeeper lachte auf.
»Nun, diese Beschreibung trifft auf so gut wie jeden zweiten hier zu, Hübscher. Da wirst du vermutlich lange suchen müssen.« Mit diesen Worten widmete er sich den anderen Gästen an der Bar und ließ mich mit meinem Tequila allein.
Keine Ahnung, wie lange ich dort saß, doch ich war schon gut angetrunken, als sich irgendwann jemand auf den freien Hocker neben mir setzte.
»Alleine trinken macht doch gar keinen Spaß«, sagte ein Mann an mich gewandt. Als ich zu ihm hinüber sah, traute ich meinen Augen kaum. Es war der Fremde, den ich am Eingang gesehen und hier nicht mehr gefunden hatte! Mein Herz reagierte sofort. Wild schlug es in meiner Brust Purzelbäume, als er mich anlächelte und sich als Niklas vorstellte. Dann bestellte er eine weitere Runde Tequila für uns beide. Mir gefiel sein Lächeln, mit dem er mich die ganze Zeit ansah. Der Alkohol brannte in meiner Kehle, als ich ihn hinunterkippte. Auch Niklas verzog kurz das Gesicht, dann biss er in die bereitgelegte Zitrone.
»Ich habe dich hier noch nie gesehen«, begann er das Gespräch. Ich schmunzelte. Irgendwie war es eine typische Anmache, die ich selbst schon zu oft genutzt hatte. Doch in seinem Blick lag Neugier, soweit ich das erkennen konnte. Ob ich ihm ebenfalls draußen am Eingang aufgefallen war? Sonst hätte er mich doch kaum einfach angesprochen, oder?
»Wohne hier noch nicht so lange«, sagte ich also wahrheitsgemäß, »und bin nur zufällig hier vorbeigekommen.«
»Ist mir aufgefallen. Deine Freunde wollten wohl nicht mitkommen?«
Das bunte Licht der Discoleuchten zuckte durch den Raum, ließ Niklas’ Gesicht mal blau, mal rot aufleuchten. Er lächelte immer noch und da er noch nicht wieder zu seinem Begleiter gegangen war, nahm ich an, dass er ein gewisses Interesse an meiner Gesellschaft hatte.
»Sie stehen auf Frauen, deshalb sind sie weitergezogen«, entgegnete ich schulterzuckend, nahm einen weiteren Shot vom Tresen und hielt ihn ihm hin. Für einen kurzen Augenblick berührten sich unsere Finger. Die Berührung war wirklich nur kurz und wahrscheinlich hatte Niklas es nicht einmal gespürt, doch mir ging sie durchs Mark. Ein Kribbeln breitete sich in mir aus. Es mochte am Alkohol liegen, den ich bereits zu Genüge intus hatte, doch seine Nähe löste etwas in mir aus, das ich lange nicht mehr gespürt hatte. Eigentlich wollte ich bloß Spaß haben und war an diesem Abend überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen, einen Mann zu treffen, der mein Herz plötzlich zum Beben brachte.
»Verstehe.« Niklas setzte das Glas an seine Lippen und trank. Wie gebannt starrte ich auf seinen Mund. Ich trank ebenfalls, dann bewegte ich meine Beine so unauffällig wie möglich zur Seite, bis sich unsere Knie berührten. Niklas zog sein Bein nicht weg, saß einfach lässig auf dem Hocker. Er hatte sein Gesicht in die rechte Hand abgestützt, während er mich weiterhin interessiert musterte.
»Was ist denn aus deinem Begleiter geworden?«, fragte ich ganz beiläufig, um schon mal nachzuhorchen, ob Niklas in festen Händen war oder nicht.
»Ach, du meinst sicher Max. Keine Ahnung, er lässt sich vermutlich von irgendeinem Kerl im Darkroom vögeln«, meinte er lässig und trank den Shot in einem Zug aus. Erleichterung breitete sich in mir aus und mein Herzklopfen wurde stärker, als sich seine Hand auf meine legte. Er schien Interesse zu haben. Ob er dabei bloß auf einen One-Night-Stand aus war, konnte ich nicht beurteilen, doch ich freute mich gerade wirklich, den Abend etwas länger mit Niklas verbringen zu können.
»Magst du tanzen?«, fragte er mich. Zwar tanzte ich nicht wirklich gut, doch diese Gelegenheit, seinen Körper eng an meinem zu spüren, wollte ich mir ganz sicher nicht entgehen lassen. Der Alkohol in meinem Blut machte mich mutiger, also nickte ich zustimmend. Niklas zog mich auf die Tanzfläche, legte besitzergreifend die Arme um meine Taille und zog mich fest an sich. Es fühlte sich gut an. Wir bewegten uns im Takt der Musik und ich nahm kaum noch etwas Anderes wahr als seine dunklen Augen, die mich intensiv ansahen. Die sexuelle Anziehung zwischen uns war deutlich spürbar. Zudem pochte mein Herz vor Aufregung wie wild, sobald wir uns berührten.
Die Musik änderte sich, wurde schneller. Niklas ließ mich los, blieb jedoch dicht vor mir. Tanzte ausgelassen und schwang die Hüfte hin und her, was verdammt sexy aussah. Ich macht es ihm nach, wedelte wie wild mit den Armen über meinem Kopf und sprang auf und ab, als der Beat der Musik mich durchdrang. Niklas lachte über meine albernen Tanzversuche, doch das machte mir nichts aus, denn ich fühlte mich in seiner Gegenwart großartig. Schon lange hatte ich mit einem Kerl nicht so viel Spaß gehabt. Dann spürte ich, wie sich jemand von hinten an mich drängte. Ich wurde von hinten umarmt, sodass ich in meinem Tanz innehalten musste.
»Süßer, hast du Lust auf eine schnelle Nummer?«, raunte mir eine tiefe Stimme ins Ohr. Der heiße Atem des Mannes streifte meine Wange und ließ mich erschaudern. Es war mir zwar nicht unangenehm, doch Niklas’ Berührungen fühlten sich um einiges besser an. Gerade stand mir nicht der Sinn danach, meine Aufmerksamkeit jemand anderem zu widmen, weshalb ich mich von dem Kerl loszumachen versuchte. Ehe ich mich jedoch zu ihm umdrehen und ihm eine Abfuhr erteilen konnte, griff Niklas ein.
»Sorry, aber er ist mit mir hier. Such dir deinen Spaß bei jemand anderem«, sagte er mit fester Stimme und zog mich besitzergreifend in seine Arme. Gegen diesen Körperkontakt hatte ich nichts einzuwenden. Der Fremde brummte verstimmt, verschwand jedoch wieder so schnell er gekommen war.
Der erste Kuss ging von mir aus und war noch etwas unbeholfen, da ich doch etwas zu viel getrunken hatte. Niklas ging sogleich auf meine Annäherung ein, was das Verlangen in mir immer mehr entfachte. Seine Zunge schob sich zwischen meine Lippen in meinen Mund, tastete nach meiner und ließ mich leise keuchen. Ich genoss den Kuss, die Leidenschaft, die von Niklas ausging und mich ebenfalls erfasste. Die Bedenken, er würde sich nicht weiter auf mich einlassen, zerstreuten sich augenblicklich, als seine Hand ungeniert meinen Hintern knetete.