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Und jetzt dies – wie ein Blitz aus heiterem Himmel die endgültige Diagnose: Es war aus, vorbei. Thomas war gestorben, sie hatten ihm nicht mehr helfen können! Thomas war tot!
Schauernd wandte er sich ab und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, um sich auf die Worte des Professors zu konzentrieren. Was hatte der da gerade von irgendeinem ihm unbekannten Anrufer gesprochen? »Wie, der Herr Bär? Welcher Herr Bär?« Irritiert stierte er den Professor an.
»Na, der Landrat!« Genauso indigniert glotzte der ganz offensichtlich schwer gestresste Mediziner nun zurück. Sicher, auch für einen wie ihn, der ja jeden Tag schon rein berufsmäßig irgendwie im Clinch mit dem Tod zu liegen hatte, war so eine Geschichte alles andere als leicht zu verdauen. Wozu war man schließlich – zu Recht – stolz auf die Druckkammer im Überlinger Krankenhaus? Um wie viele Lichtjahre würde es nun die Statistik wieder zurückwerfen, wenn man einen Exitus während des laufenden Betriebs zu verzeichnen hatte. Während eines Betriebs, der doch schon so viele Leben gerettet hatte – wie auch immer und zu welchem Preis auch immer (was sowohl die Frage nach der künftigen Lebensqualität des so geretteten, eventuell im Rollstuhl sitzenden Notfallpatienten genauso aufwarf wie die hartnäckige, ständig wiederkehrende Frage der Krankenkassen nach Kosten und Effizienz einer solchen Einrichtung). Klar, dass die verantwortlichen und auf ihre Druckkammer wie erwähnt stolzen Ärzte alles andere als erbaut darüber waren, dass nach langer Zeit mal wieder einer ihrer Patienten »über den Jordan gegangen war«!
»Welcher Landrat?« Soweit Horst sich in der Kommunalpolitik des Landkreises Friedrichshafen auskannte, und zu diesem gehörte schließlich auch die Stadt Überlingen, hörte der Landrat des Bodenseekreises auf einen ganz anderen Namen.
Mit einer unwirschen Bewegung des rechten Armes schien der Chefarzt Horsts Frage regelrecht vom Tisch zu wischen. »Na, der Dr. Bär eben – der Landrat von Konstanz! Wer denn auch sonst?!« Missmutig fixierte er sein Gegenüber durch die dicke Hornbrille hindurch.
»Aber der ist doch dafür gar nicht zuständig, woher weiß denn der schon …«
»Was heißt hier: nicht zuständig? Schließlich ist der Unfall – rein theoretisch – in der Schweiz passiert und ein Beamter aus dem Landkreis Konstanz war das Opfer! Wir sind doch hier nicht in einer Bananenrepublik, sondern in einem modernen telekommunikativen Rechtsstaat, hören Sie mal! Da weiß man so was eben ganz einfach! Da hat man das schlichtweg zu wissen!« Zornesfalten zerfurchten nun die Stirn des Mediziners. »Und glauben Sie bloß nicht, dass diese Geschichte so mir-nichts-dir-nichts im Sande verlaufen wird! Das ist eine internationale Affäre, die noch nicht einmal innerhalb der Europäischen Gemeinschaft geregelt werden kann. Denn der Unfall ist schließlich auf Schweizer Boden passiert, und das macht die Sache besonders delikat!«
Horst konnte – trotz seines momentanen Gemütszustandes – einfach nicht anders: »Na ja, Schweizer Boden würde ich nicht direkt sagen, eher schon Schweizer Wasser …«
Der Professor fixierte ihn mit einem bösen Blick: »Also ich an Ihrer Stelle würde mir mehr Gedanken über eine ordentliche Erklärung der ganzen Chose machen, als mein bisschen Gehirnschmalz auf solch eine saudumme Replik zu verwenden! Jetzt sagen Sie doch endlich mal: Was ist da unten denn eigentlich passiert?«
»Wenn ich das nur wüsste!« Horst war dem Wahnsinn nahe; es war ein regelrechter Albtraum, dem er sich seit Stunden wehrlos ausgesetzt fühlte. Und wenn er ehrlich war, wusste er nicht mehr aus noch ein. »Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass wir zusammen ordnungsgemäß abgetaucht sind, alles war vorher durchgecheckt, alle Systeme waren in Ordnung. Wir haben nichts übertrieben, haben uns am Grund völlig kontrolliert und normal verhalten, Thomas war sowieso ein absolut umsichtiger und erfahrener Taucher …«
Der Professor schnaubte wütend: »Erfahrener Taucher! Wenn ich das schon höre … Wie viele ›erfahrene Taucher‹ vom Teufelstisch habe ich schon hinterher auseinandernehmen müssen? Und jedes Mal dasselbe: Selbstüberschätzung, Panik, Exitus …!«
Jetzt stieg auch in Horst allmählich die Galle hoch! Nein, derartige Legenden würde er seinem toten Freund nicht anhängen lassen! »Reden Sie keinen Blödsinn, ja! Sie waren schließlich nicht dabei! Also noch mal: Da war nichts und da gab es auch nicht den Hauch eines Fehlverhaltens! Mir ist die ganze Geschichte mehr als schleierhaft!«
Horst wurde schwindlig, wenn er auch nur ansatzweise an die zurückliegenden fünf Horrorstunden dachte: Als er panikartig zurück zum Ankerseil geschwommen war, hatte er schemenartig zuckende Bewegungen im Wasser wahrgenommen. Das musste Thomas sein! Doch durch das aufgrund der hektischen Flossenschläge heftig durcheinandergewirbelte Sediment war eine klare Sicht selbst auf gerade mal drei Meter Entfernung unmöglich geworden. Thomas! Was war mit ihm geschehen?! Wieso bewegte er sich derart merkwürdig und wieso baumelte da unter ihm … Nein! Was er da sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren! Weshalb um alles in der Welt hatte Thomas denn sein Mundstück herausgenommen und es offenbar auch nicht einmal in der Hand behalten?
Horst hatte keine Chance, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen, denn im selben Moment schoss Thomas, wie von einer Rakete getrieben, in Richtung Oberfläche! Das durfte doch alles einfach nicht wahr sein! Horst fühlte sein Herz unter dem dicken Neoprenanzug heftig pochen. War das etwa die erste Stufe des Tiefenrausches? Verfolgten ihn üble Halluzinationen? War mit Thomas tatsächlich irgendetwas Schlimmes geschehen oder befand er sich selbst mittlerweile in Lebensgefahr, weil seine Sinne ihm Dinge vorspiegelten, die weitab von der Realität waren, ja sein mussten?! Hatte in Wirklichkeit also ihn der Tiefenrausch in seine tödliche Umklammerung genommen?
Unter Nichtbeachtung sämtlicher Dekotabellen und Sicherheitsmargen folgte Horst seinem Tauchpartner so schnell wie irgend möglich nach oben. An der Wasseroberfläche angekommen glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können. Tatsächlich: Hier trieb Thomas, mit dem Bauch nach oben, das Mundstück ausgespuckt (ganz offensichtlich war ihm unter Wasser schlecht geworden und er hatte sich übergeben müssen). Ein dünnes rotes Rinnsal floss aus seinem Mund, die Augen waren in panischem Entsetzen auf einen fiktiven Punkt am Himmel gerichtet, der Atem ging unregelmäßig, keuchend und stoßweise.
»Thomas, um Gottes willen, Thomas! Was ist denn um alles in der Welt passiert da unten?« Nur mühsam stieß Horst die Worte hervor, überwältigt vom dramatischen Geschehen der letzten fünf Minuten und selbst kurz vor einem Ohnmachtsanfall stehend!
Doch aus Thomas’ Mund kam keine Antwort mehr. Hektisch zerrte Horst am Jacket des Verunglückten – er musste ihn irgendwie ins Boot bekommen, aber wie um alles in der Welt? Übelkeit stieg in ihm auf, eine eiserne Kralle schien gnadenlos sein Gehirn zusammenzuquetschen! Er war viel zu schnell aufgestiegen, das war klar, aber was tun jetzt? Bloß nicht ohnmächtig werden, alle Kräfte zusammennehmen, sich konzentrieren, dagegen ankämpfen, sonst hatten sie beide keine Chance mehr. Wo war das Boot eigentlich? Er schaute sich um – na, Gott sei Dank! Er löste seinen Griff von Thomas und schwamm mit wenigen Flossenschlägen hinüber. Aber wie hineinkommen? Das Boot neigte sich bedenklich, als er sich mit beiden Händen an der Seite festhielt. Jetzt hätte er Thomas gebraucht, wenn der sich an der gegenüberliegenden Seite festhalten könnte und so für das nötige Gegengewicht gesorgt hätte! Aber von Thomas war keine Hilfe zu erwarten – im Gegenteil. Ein rascher Blick zurück ließ Horst fast verzweifeln: Das rote Rinnsal aus dem Mund von Thomas hatte sich verstärkt, die Atmung war weder sicht- noch hörbar, es musste nun ganz rasch etwas passieren!
Krampfhaft schälte sich Horst aus seinem Jacket. Nur so konnte es gehen! Nur wenn er das Gewicht von Flasche und Blei abgestreift hatte, war er eventuell in der Lage, ins Boot zu klettern. Unter Aufbietung all seiner verbliebenen Kräfte und permanent gegen die ständig zunehmende Übelkeit ankämpfend zog er sich – unterstützt von heftigen Paddelbewegungen mit den Flossen – in das sich bedrohlich zur Seite neigende Boot. Vor Anstrengung keuchend blieb er einige Sekunden bäuchlings so auf dem Boden liegen. Schwarze Dunkelheit breitete sich in seinem Kopf aus. Nein, das durfte er nicht zulassen, er musste bei Bewusstsein bleiben, er musste jetzt schauen, wie er Thomas in das Boot hieven konnte. Irgendwie musste er es schaffen und dann versuchen, ans Ufer zu gelangen und Hilfe zu suchen. Hoffentlich kam er mit dem Motor zurecht! Aber jetzt galt es erst mal, Thomas aus dem Wasser zu bekommen!
Vom Boot aus gelang es ihm, wieder das Jacket von Thomas zu fassen. Doch an ein Anheben des Verunglückten war nicht zu denken. Horst spürte, wie seine Kräfte mehr und mehr schwanden – lange würde er nicht mehr durchhalten und Hilfe war weit und breit nicht in Sicht! Wenn doch bloß ein Boot in der Nähe wäre, das er auf ihre Notlage aufmerksam machen könnte! Im selben Moment drang ein merkwürdig gedämpftes Geräusch wie von weiter Ferne an sein Ohr. Irritiert drehte er sich in die Richtung, aus der er das Geräusch zu hören gemeint hatte. Irgendwie kam es ihm bekannt vor, aber seine erschöpften Sinne schienen ihm allmählich die Gefolgschaft zu versagen. Da! Wieder dieses Geräusch, von links unten, meinte er, könnte es gekommen sein! Halluzinationen – ganz offensichtlich! Horst senkte den Blick auf die Stelle, wo er das Klingeln vermutet hatte. Das Klingeln! Die Sporttasche! Und wieder hörte er es: Richtig, das kam aus seiner Sporttasche, das war sein Handy! Doch, er hatte es vorher eingepackt und offenbar vergessen auszuschalten. Gott sei Dank!
Mit zitternden, vor Kälte steifen Fingern öffnete er den Reißverschluss der Tasche und durchwühlte hektisch deren Inhalt. Da war es! Endlich! Wieder ein Klingeln, jetzt klar und deutlich zu hören. Mit einem energischen Ruck riss er das Telefon aus der Tasche und drückte den grünen Knopf. »Hilfe!« Es war mehr ein heiseres, fast unverständliches Krächzen, das er mühsam zwischen den Zähnen hervorstieß, als ein Hilferuf. War das überhaupt seine Stimme gewesen, die er da gerade gehört hatte?
»Hallo? Hallo – ist da jemand?!« Der Teilnehmer am anderen Ende schien nichts verstanden zu haben.
Horst versuchte, die mehr und mehr von ihm Besitz ergreifende Panik hinunterzuschlucken. Konzentration war jetzt alles. Er schloss die Augen, versuchte einen ruhigen Atemzug und murmelte leise, so leise, dass er es selbst kaum hören konnte: »Hilfe! Helfen Sie mir bitte!«
»Hallo! Hallo? Wer ist denn da am Telefon?«
Das war zu leise gewesen! Klar! Horst wurde schwindlig, aber es half alles nichts: Er musste sich jetzt zusammennehmen! Das war ihre letzte Chance! Also – ein neuerlicher Versuch – und diesesmal konnte er relativ deutlich eine Stimme hören, eine ihm fremde Stimme, gerade so, als ob jemand neben ihm stünde und in sein Mikrofon sprechen würde: »Hier ist Meyer, Horst Meyer! Hilfe! Helfen Sie mir bitte, wir sind in Seenot …«
Jetzt überschlug sich die Stimme des Gesprächsteilnehmers: »Horst! Was soll denn das! Mach keine Witze mit mir Horst! Komm, lass den Quatsch!«
Wie durch immer dichter werdende Nebelschwaden registrierte Horst den Tonfall und die ihm irgendwie bekannte Aussprache des anderen. Wo hatte er schon einmal … früher … schon lange her … Protnik! Das war Protnik! Protnik war am Telefon! Der ihm so vertraute Name elektrisierte ihn förmlich und verschaffte ihm ein letztes Mal die nötige Energie, um seinen Hilferuf abzusetzen. Jetzt nur nicht durchdrehen! Bleib ruhig und versuche, deutlich zu artikulieren: »Hallo, Michael«, raunte er heiser in den Hörer. »Michael, das ist kein Quatsch. Ich bin in Seenot! Thomas auch! Michael, wir brauchen Hilfe, dringend! … Sind getaucht …« Das Sprechen fiel ihm schwerer und schwerer. »Getaucht … Bodensee … Michael … Jura … von Schweiz aus … Michael … merk dir … Bottighofen … Tauchen … Dekounfall … Micha … schnell …«
Der Hörer fiel ihm aus der Hand und Horst sackte zusammen. Ein undurchdringlicher weißer Nebel breitete sich in seinem Kopf aus und Sekundenbruchteile später schoss er durch die unheimliche tiefe schwarze Dunkelheit des unendlichen Universums, ein Staubkorn im Weltall … Horst war in einer gnädigen tiefen Ohnmacht versunken …
»Horst, hallo, Horst, wo genau, sagst du, war das? Horst!!! Melde dich!! Horst!!!« Die Panik hatte nun auch Protnik am anderen Ende der Leitung ergriffen. Was um alles in der Welt war da passiert? Hoffentlich hatte er den fast unverständlich geflüsterten Ortsnamen richtig verstanden! Bottenhofen? Bottichkofen? »Horst! Sag doch einmal was! Horst!!!!!«
11
Zwei Tage nach dem grässlichen Unfall bekam Horst Besuch in seinem Zimmer im Überlinger Kreiskrankenhaus, wo die Ärzte ihn, all seinen Protesten zum Trotz, noch eine Zeit lang zur Beobachtung untergebracht hatten.
Es klopfte leise an der Tür und kurz darauf betrat Michael Protnik den Raum: »Ja, da ist ja unsere Wasserleiche! Frisch gewaschen und gekämmt! Und schon wieder so schöne rote Bäckchen!«
Horst stöhnte leise. »Protnik, bitte! Ich bin nicht so richtig in Stimmung für alberne Scherze!«
Beschwichtigend hob sein Besucher die Hände. »Ist ja schon gut! Ich hab’s ja nur gut gemeint! Wollte dich halt ein bisschen aufmuntern! Aber klar, akzeptiert: Du musst die ganze Geschichte erst mal verdaut haben! Seh ich ein – logisch!« Jovial tätschelte er seinem Freund die Schulter. »Wird schon wieder werden, wart nur mal ab!«
»Wenn ich nur wüsste, was eigentlich überhaupt los war, dann wäre ich ja selber schon ein ganzes Stück weiter!« Nachdenklich stierte Horst auf die Decke seines Krankenbettes, danach blickte er auf. »Sag mal, Sputnik! Hast du denn in der Zwischenzeit irgendwas läuten hören?« Forschend blickte er seinem Freund und ehemaligen Kollegen aus Ulmer Mordkommissionszeiten ins Gesicht. Ein kaum wahrnehmbares, ganz leichtes Flackern in dessen Augen verriet die Verlegenheit, in der dieser bei der Beantwortung der Frage kurzzeitig steckte.
Verlegen senkte Protnik den Kopf. »Nö, eigentlich nichts! Die Zeitungen haben halt einen Artikel gebracht über einen tödlichen Unfall beim Wracktauchen da drüben, in der Schweiz. Nichts Großartiges eigentlich.«
Horst wusste, da steckte mehr dahinter. Protnik versuchte, ihn zu schonen. »Und uneigentlich? Was hört man da so? Ich verwette meinen letzten Liter Pressluft, wenn die nicht was von bodenlosem Leichtsinn, Unerfahrenheit und Amateuren in ihr Blatt geschmiert haben!« In diesem Augenblick schoss Horst ein stechender Schmerz durch die Brust. Seine Wette mit dem letzten Liter Luft war aber auch alles andere als geschmackvoll gewesen, denn in genau dieser Situation hatten er und sein verunglückter Freund ja letztendlich gesteckt. Seine Nerven waren anscheinend immer noch …
Doch bevor Horst sich weiter in Selbstmitleid und diffuse Kritik an nicht gelesenen Zeitungsartikeln verstricken konnte, polterte es neuerlich an der Zimmertür. Ohne die Aufforderung einzutreten abzuwarten, flog noch im selben Moment die Tür auf und vier Personen stürmten in das Krankenzimmer. Überrascht wandten Horst und Protnik sich um.
Bei den vier Besuchern handelte es sich um den Professor, der Horst und Thomas in der Druckkammer behandelt hatte, sowie einen Polizeibeamten in Uniform und zwei Mitdreißiger, die Horst bisher noch nie gesehen hatte.
»Entschuldigen Sie, dass wir einfach so hereinplatzen«, begann der Professor grußlos die Unterhaltung. Und man merkte es ihm auf den ersten Blick an: Es war ihm völlig schnuppe, ob sich Horst und sein Besucher gestört fühlten oder nicht. Eine unangenehme Spannung schien mit einem Mal den Raum zu beherrschen.
»Also, um gleich zur Sache zu kommen«, damit drehte sich der Arzt mit einer leichten Bewegung des Oberkörpers in Richtung der beiden Männer in Zivil, die gerade die Tür hinter sich geschlossen hatten. »Diese beiden Herren sind Kollegen von Ihnen – und von Ihrem verstorbenen Tauchpartner!«, fügte er stirnrunzelnd hinzu.
Allein die Formulierung »verstorbener Tauchpartner« ließ Horst frösteln. Er konnte noch immer nicht glauben, was ihm da vorgestern widerfahren war. Matt nickte er den beiden zu.
Der größere der Kollegen machte die Andeutung eines Kopfnickens und zog seinen Dienstausweis aus der Jackentasche: »Hauptkommissar Hofer, Polizeidirektion Konstanz. Und das hier«, er nickte in Richtung des neben ihm stehenden Mannes, »das ist der Kollege Schlotterbeck vom Landeskriminalamt in Stuttgart.«
Horst murmelte einen schwachen Gruß, während Protnik auf die beiden zuging und ihnen die Hand schüttelte. »Freut mich, Kollegen. Und mein Name ist Protnik, Michael Protnik von der Mordkommission Ulm.«
Irritiert blickten sich Hofer und Schlotterbeck an. Der Konstanzer Kommissar ergriff wiederum als Erster die Initiative. »Mordkommission Ulm? Was haben Sie denn mit diesem Fall zu tun?«
Protnik lächelte hilfsbereit. »Überhaupt nichts. Rein gar nichts. Ich bin nur ganz privat hier, weil der Herr Meyer«, damit nickte er in Horsts Richtung, der sich gerade stöhnend in eine senkrechtere Sitzhaltung zu bringen versuchte, »der Herr Meyer und ich sind Kollegen – alte Kollegen schon. Und auch seit Langem gut befreundet«, fügte er noch rasch hinzu.
Der Professor verzog missmutig das Gesicht. »Dann steht also einem kriminalistischen Kaffeekränzchen nichts mehr im Wege! Kommen wir also zur Sache«, mit einer übertrieben deutlichen Bewegung blickte er auf seine Armbanduhr, eine echte Taucheruhr – eine von der teuren Sorte, wie Horst sofort registrierte. So eine, mit der man theoretisch bis auf 200 Meter Tiefe gehen konnte, was man ja bekanntlich nie und nimmer konnte. Eine richtige Angeberuhr also. »Ich habe nämlich noch ein paar Patienten mehr zu betreuen!«
Auch den beiden Kripokollegen schien dieser Ton nicht sonderlich zu schmecken, doch sie sahen sich nur vielsagend an. »Einen Moment noch, Professor!« Wieder war es Hofer, der das Gespräch weiterführte. »Zuerst müssen wir, rein formal nur, aber immerhin, fragen, ob es dem Herrn Meyer recht ist, wenn sein Kollege bei der Vernehmung im Zimmer bleibt. Er ist zwar Polizeibeamter, aber dennoch …« Damit drehte er sich zu dem uniformierten Beamten um: »Ach ja, Löschner, Sie können gerne unten in der Cafeteria auf uns warten.«
Der Uniformierte nickte und verließ augenblicklich das Zimmer.
»Also, Herr Meyer, damit wir weiterkommen. Soll Ihr Bekannter ebenfalls solange rausgehen?« Nervös trommelte der Arzt mit den Fingern der rechten Hand auf seinem linken Unterarm.
»Nein, natürlich nicht. Der Herr Protnik kann bleiben, selbstverständlich. Aber bitte, meine Herren«, und damit richtete er sich noch etwas steiler auf, »wir sind doch unter Polizeibeamten! Aber – nichts für ungut Herr Kollege – was hat ein Kommissar vom LKA aus Stuttgart bei einem Tauchsportunfall am Bodensee zu suchen?«
Der Professor schnaubte heftig. »Tauchsportunfall! Schön wär’s ja! Von wegen Unfall!«
Irritiert stierte Horst den Mann im weißen Kittel an. »Natürlich Unfall, was denn sonst? Glauben Sie etwa, ich habe den Herrn Grundler umgebracht?!« Er zitterte plötzlich vor Erregung, am liebsten hätte er dem unsympathischen Schnösel eins auf die Mütze gegeben … aber dessen Antwort kam postwendend.
»Weiß ich nicht, ob Sie das waren oder irgendjemand anders. Ich weiß auch nicht, warum, ich weiß nur, dass. Also noch mal, um es klipp und klar, und zwar in aller Deutlichkeit auszusprechen: Ihr Kollege Thomas Grundler ist bei dem Tauchgang, den Sie mit ihm zusammen unternommen haben, umgebracht worden!«
Horst fühlte sich, als hätte er in diesem Augenblick einen Messerstich in die Magengegend versetzt bekommen. »Aber … aber wie denn? Da, da war doch gar niemand außer uns beiden. Da war doch nur der Thomas und da war ich, sonst war da keiner!«
»Eben!« Der Professor nickte düster. »Aber um die Frage nach dem Täter aufzuklären, dafür sind ja ihre Kollegen da. Ich für meinen Teil kann nur sagen, womit der Mord verübt worden ist. Meine Theorie ist in dieser Hinsicht eindeutig und die Untersuchung der Taucherflasche Ihres Kollegen wird sie bestätigen. Dennoch: um ganz sicherzugehen, möchte ich jetzt von Ihnen noch einmal eine haargenaue Schilderung, was seit dem Moment passiert ist, als Sie und Ihr Kollege ins Wasser gesprungen sind. Und bitte so detailliert, wie es nur irgend geht!«
Das Zimmer schien sich um Horst zu drehen. Seit Tagen hielt ihn ein Albtraum gefangen, von dem er offenbar nie mehr loskam. Im Gegenteil, mit jeder Minute wurde alles immer noch schlimmer! Hilfe suchend fixierte er Protnik, doch der runzelte lediglich, selbst tief betroffen, die Stirn.
»Also, Herr Meyer! Dann schießen Sie mal los!« Auch Schlotterbeck, der Mann vom LKA, hatte sich nun in das Verhör eingeklinkt und drückte auf die »Record«-Taste seines Diktiergerätes.
12
Eine knappe halbe Stunde später schloss Horst erschöpft die Augen und ließ sich in sein Kissen zurücksinken. Das war ja ein Verhör wie im Agententhriller gewesen! Jede Sekunde ihres Tauchgangs hatte er haarklein schildern müssen und bei jedem noch so kleinen Detail hatten sie eingehakt und nachgefragt.
»So – das war’s von meiner Seite – mehr weiß ich nimmer. Denn noch während ich mit dem Herrn Protnik telefoniert und ihn um Hilfe gebeten habe, bin ich ohnmächtig geworden. Das Nächste, was ich mitbekommen habe, war der Raum vor der Druckkammer hier im Krankenhaus. Und neben mir lag der Herr Grundler auf einer Trage!« Ihm war plötzlich eiskalt, trotz des strahlenden Sonnenscheins, der von draußen durch das Fenster drang, fröstelte er. Seine Nerven würden das alles nicht mehr lange mitmachen!
»Komischer Zufall, dass ausgerechnet in dem Moment das Handy klingelt, wo sie sich ins Boot ziehen«, Schlotterbeck zog die Stirn in Falten und musterte Protnik durchdringend.
Dem schoss die Röte ins Gesicht. »Na ja. Ich hatte halt eine Abmachung mit dem Herrn Meyer. Der wollte mich nämlich anrufen und mir sagen, wo und wann wir uns zu einem gemeinsamen Abend mit dem Herrn Grundler treffen wollten. Und weil der Horst«, mit einem verlegenen Gesichtsausdruck wandte er sich vom Krankenbett ab, »na ja, weil der Herr Meyer halt schon mal vergessen hat, mich anzurufen, hab ich gedacht, ich probier’s halt mal selber. So einfach war das – und übrigens«, fügte er noch hinzu. »Ich hab davor schon zweimal durchgeklingelt. Aber da ist niemand rangegangen. Erst beim dritten Mal …« Er brach den Satz an dieser Stelle ab.
Schlotterbeck nickte nachdenklich.
Jetzt war es aber langsam an der Zeit nachzuhaken. Horst drehte sich in Richtung des Arztes. »So – und nun bitte erzählen Sie mir aber auch, welche Schlussfolgerungen Sie gezogen haben! Wieso um alles in der Welt kommen Sie auf Mord?« Gespannt nahm er den Professor ins Visier.
»Ihr Kollege«, begann dieser mit ernster Miene, »ist an einer Sauerstoffvergiftung … nun ja – vielleicht nicht gestorben, aber zumindest hat er unter Wasser eine erlitten.«
Horst beugte sich mit einer heftigen Bewegung nach vorne. »Aber das ist unmöglich. So lange waren wir doch gar nicht im Wasser – und auch unsere Grundzeit war doch höchstens neun Minuten – allerhöchstens. Tiefenrausch vielleicht, aber Sauerstoffvergiftung: unmöglich!« Heftig schüttelte er den Kopf, so als ob er seine gerade getroffene Feststellung mit dieser Geste noch unterstreichen könne.
Der Professor hob indigniert eine Augenbraue. »Erklären Sie mir nicht meinen Beruf! Wenn ich sage Sauerstoffvergiftung, dann meine ich Sauerstoffvergiftung! Ihr Freund mag zwar nicht ursächlich daran gestorben sein, aber der Auslöser für die ganze Katastrophe, die sich vorgestern an der »Jura« abgespielt hat, war ganz eindeutig und ohne Zweifel eine Sauerstoffvergiftung in großer Tiefe!«
Horst schüttelte neuerlich den Kopf. »Ich begreif das trotzdem nicht! Wie soll denn das gehen?«
Der Professor schaute ihn durchdringend an. »Leider ganz einfach – obwohl selbst ich von solch einem Fall auch noch nie gehört habe: Irgendjemand hat an der Pressluftflasche ihres Kollegen herummanipuliert. Ganz konkret: Man hat bei ihrem Freund die Pressluft aus der Flasche abgelassen und dann reinen Sauerstoff, O2, hineingefüllt!«
Horst war sprachlos. »Aber das ist ja unglaublich! Wer soll denn das getan haben?!«, stammelte er.






