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Beige Halbsäulen durchbrachen die in Ockertönen marmorierten Wände. Vorgezogene Stuckleisten versteckten die Röhren der indirekten, sanften Deckenbeleuchtung. Schwarze Stehlampen und dazu passende Wandlampen mit tulpenartigen Schirmen aus Milchglas setzten stilvolle Akzente. Ein paar echte Aquarelle mit Städtemotiven vervollständigten das Ambiente. Große Blattpflanzen anstelle von Vorhängen verwehrten zu viel Einblick von draußen durch die bodennahen hohen Fenster.
Die Aufteilung des Restaurants durch viele Raumteiler und weitere große Pflanzen in kleine Sitzgruppen erschwerte Maik die Suche. Die Plätze waren bereits gut besetzt, ohne Vorbestellung war es selbst unter der Woche beinahe aussichtslos, abends einen Tisch zu ergattern.
Runde um Runde suchte Maik und wurde allmählich ein wenig nervös. Hatte er Linus nicht richtig zugehört oder war dies das verkehrte Restaurant? Dann, nur wenige Meter vor ihm, stand eine Frau auf, zog den knapp knielangen Rock ihres Kostüms straff und griff nach ihrer Handtasche.
Maiks Sensoren vibrierten auf Hochtouren. Oha, die fackelte nicht lange, wenn die Verabredung zu spät kam. Die schimmernden schwarzen Haare lockten sich sanft den Rücken herab, fast bis zum Po. Das musste sie sein!
»Maureen?«
Langsam, wie in Zeitlupe, drehte sie sich auf ihren Stilettos um. Ein atemberaubender Anblick. Ein damenhaftes, aber nicht überstylt wirkendes Kostüm, darunter eine elegante Bluse. Ausdrucksvolle Augen und ein sinnlich geschwungener Mund. Und Mann, was für tolle lange Beine diese Frau hatte!
Der Blick aus den strahlend blauen Augen allerdings erschütterte ihn bis ins Mark. Es war kaum zu ertragen, ihrer intensiven Musterung standzuhalten. Dabei verzog sie keine Miene. Ihr Ausdruck war weder freundlich noch spöttisch oder herablassend. Er hätte es nicht benennen können, denn auf diese Weise war er noch nie angeschaut worden. Auf jeden Fall aber war Maik davon in eine Art ehrfürchtiges Erstaunen versetzt, sodass sein Gehirn sich von einer Sekunde auf die andere wie leergefegt anfühlte und er sich entsetzlich willenlos vorkam.
»Linus?«
Ihre Stimme war fest und bestimmend, dabei von einer angenehmen Tonlage, nicht schrill oder durchdringend. Und gleichzeitig lag in diesem einen Wort so viel Strenge, dass Maik mit einem Male bewusst wurde, in was für einem Schlamassel er sich befand.
Er war nicht der, den sie erwartete.
Er hieß nicht Linus.
Er war nicht pünktlich.
Er hatte nicht einmal Blumen zur Begrüßung mitgebracht.
Er war nicht passend gekleidet.
Und warum zum Kuckuck war ihm dies auf einmal wichtig?
Endlich fand er Worte. Er streckte ihr die Hand entgegen, wobei er ein klein wenig zu ihr aufschauen musste und war überrascht über den sicheren Händedruck, mit dem sie seinen erwiderte. Als er sich vorbeugte, um sie zusätzlich auf die Wange zu küssen, wich sie ihm aus.
Wer so vorsichtig war, seine Mobilnummer nicht rauszugeben, ließ sich halt auch nicht beim ersten Kontakt gleich abschmusen. Eigentlich hatte sie recht, so zu reagieren.
»Hallo Maureen, ich freue mich ja so, dich endlich persönlich kennenzulernen und …«
Eine Handbewegung genügte und ihre gebieterische Geste ließ ihn innehalten.
»Kommst du immer zu spät?«, schnaubte sie.

7
Bodennebel waberte über die an die Autobahn grenzenden Grünflächen und zeugte von Feuchtigkeit und fallenden Temperaturen. Der tagsüber zart keimende Frühling versank des Nachts unter einer herb frostigen Decke.
Morgen muss ich zum Glück nicht fahren, dachte Lola erleichtert. Vor einigen Monaten war ihr das Arbeiten im Homeoffice genehmigt worden und seither durfte sie Dienstags und Freitags zuhause bleiben. Eine, wie sie fand, sehr viel effizientere Art zu arbeiten. Niemand kam herein, um sie abgesehen von einer einzigen wichtigen Frage darüber hinaus in einen längeren privaten Plausch zu verwickeln. Ab und zu war das ja ganz nett und natürlich wollte auch sie ein bisschen mehr von ihren Kollegen erfahren, aber manchmal nervte es sie auch, wenn sie gerade an einer kniffligen Sache saß. Irgendwelche Fragen ließen sich erfahrungsgemäß schneller per Email oder Telefon abklären.
Seither kochte Lola sich an diesen Tagen gegen sechs oder halb sieben Uhr morgens eine Tasse Tee und setzte sich noch im Pyjama an den Rechner. So arbeitete sie am liebsten, im Hintergrund leise Musik aus dem Radio oder von einer ihrer Lieblings-CDs. Ein stressfreier Morgenbeginn, ohne den Krieg auf der Straße. Meistens schaffte sie bis zehn Uhr mehr als an den anderen Tagen und gönnte sich dann ein verspätetes, ausgiebiges Frühstück. Inzwischen freute sie sich schon auf der abendlichen Heimfahrt darauf.
Die beiden Männer schwatzten erstmal eine Runde, ehe sie sich um ihr Auto kümmerten. Vielleicht kannten sie einander von anderen Fällen? Atemwölkchen stiegen vor ihren Gesichtern auf und verloren sich im Dunkeln. Dann endlich nahm der Abschleppwagen seinen kleineren Artgenossen Huckepack.
Wehmut machte sich in Lola breit. Hoffentlich fehlte ihrem Schätzchen nichts Ernstes. Wie süß sich das angehört hatte, als der Pannenhelfer ihren Wagen als »Knutschkugel« bezeichnet hatte. Ja, diesem Auto haftete schon etwas »Nettes« an, so klein und kompakt wie es war. Wobei der Mini sich sportlicher gab, als sie selbst vermutet hatte und ihren Ansprüchen völlig genügte. Und geknutscht hatte sie darin noch nie. Mangels Gelegenheit.
Der Mann vom Abschleppdienst klopfte an die Scheibe und öffnete die Beifahrertür für die Unterschrift unter ein Formular. Er fragte Lola nach ihrem Ziel und ihrer Wunschwerkstatt und sie nannte ihm die Adresse.
Linus startete den Wagen und gähnte kurz hinter vorgehaltener Hand. Mühelos reihten sie sich hinter dem vorausfahrenden Abschleppwagen ein. Vom Stau war inzwischen nichts mehr zu sehen und auch alle Hinweise auf den verursachenden Unfall waren verschwunden.
»Müde?«, fragte Lola und fühlte selbst eine gewisse Schwere in den Gliedern.
»Ein wenig. Jetzt wäre ein doppelter Espresso recht, oder wenigstens ein Kaffee. Aber meine Thermoskanne ist leider auch schon leer.«
»Seit wann sind Sie denn unterwegs?«
»Heute seit acht Uhr.«
»Variiert das?«
»Oh ja, das kommt auf den Einsatzplan an. Manchmal muss ich eine Woche lang morgens um vier raus, dafür die andere Woche erst um zwei Uhr nachmittags, und dazwischen sind wir natürlich auch wechselweise für Wochenend- und Nachtdienst eingeteilt.«
»Ist es nicht recht anstrengend, zu so unregelmäßigen Zeiten zu arbeiten?«
»Eigentlich nicht, daran gewöhnt man sich im Laufe der Jahre. Und wir vertreten ja den Anspruch, zu jeder Tages- und Nachtzeit den Autofahrern zu helfen«, sagte Linus, mit heraushörbarem Stolz. »Und Sie?«
»Ach, ich stehe um fünf Uhr auf, aber ich glaube, daran werde ich mich nie gewöhnen. Das ist einfach nicht meine Zeit.« Lola lächelte. »Wenigstens muss ich an zwei Tagen die Woche nicht ganz so früh raus, weil ich da Homeoffice mache, so wie morgen.«
»Und? Ist das gut oder sind Sie da oft in Versuchung, mal eben zwischendurch die Waschmaschine anzuwerfen oder den Geschirrspüler auszuräumen?«
Lola lachte. »Die Versuchung, sich ablenken zu lassen, ist schon da. Aber das hab ich im Griff. Dafür stehlen mir keine Kollegen die Zeit, die bei mir im Büro herumstehen und reden und reden und vergessen haben, wo die Tür ist.«
»Tja, das kann mir natürlich nicht passieren«, erwiderte Linus und schaute lachend wieder kurz zu ihr herüber.
War es einfach so, dass sie einem Orangen Engel automatisch ein gewisses Vertrauen entgegen brachte, oder strahlte er ganz persönlich etwas aus, das ihr Inneres ansprach? In seiner Gegenwart fühlte sie sich wohl und geborgen, als ob sie sich schon eine Ewigkeit kennen würden.
»Ist Ihnen warm genug?«
»Oh ja, vielen Dank. Finde ich übrigens toll, dass Sie mich mitnehmen. Machen Sie so etwas öfter?«
Himmel, was fragte sie denn so blöd? Hitze stieg ihr ins Gesicht.
Eine Sekunde verging, dann schaute er kurz zu ihr herüber, wandte den Blick aber gleich wieder zurück auf die Straße. Konnte es sein, dass sie ihn verlegen gemacht hatte?
»Nein, das ist das erste Mal«, erwiderte er ein wenig rau.
Am liebsten hätte sie ihn gefragt warum, und sie wünschte sich, dass es etwas zu bedeuten hätte. Gegen die Dunkelheit zeichnete sich sein Profil jetzt nur noch schwach ab, aber was sie von ihm gesehen hatte, genügte ihr. Ein markant männliches Gesicht mit einer gewissen Ähnlichkeit zu Paul Walker, und braunen, kurz geschnittenen Haaren. Straßenretter hatte sie sich immer ein wenig grobschlächtiger vorgestellt, eher mit der Statur eines Bodybuilders. Aber natürlich war das Blödsinn.
»Und – was arbeiten Sie da so, in Manching? Ich meine, sofern Sie darüber sprechen können.«
Was das betraf, hatte er ins Schwarze getroffen. Der größte Teil ihrer Arbeit unterlag der Geheimhaltung. Zu groß war die Gefahr von Werksspionage oder anderen kriminellen Interessen.
»Also, im weitesten Sinne bereite ich Informationsmaterial und technische Unterlagen auf.«
»Sie fertigen Handbücher über die Funktionsweise eines bestimmten Flugzeugtyps?«
»Nja, so etwas Ähnliches«, gab Lola zu. Seine Vermutung war nicht allzu weit von der Wirklichkeit entfernt.
»Und vermutlich streng geheim«, raunte er kaum hörbar zurück, mit einem Schmunzeln.
»Genau das«, hauchte Lola zurück, als müssten sie beide heimliche Zuhörer befürchten.
Eine Weile sagte keiner von ihnen mehr etwas, bis die Lichter der Stadt in der Dunkelheit vor ihnen auftauchten.
Lola sah auf die Uhr. »Oh, schon so spät? Hoffentlich treffen wir überhaupt noch jemanden in der Werkstatt an!«
»Falls nicht, laden wir Ihren Wagen dort ab und Sie rufen morgen früh an.«
»Hmm.« Das kostete alles Zeit. Von ihrer Vertragswerkstatt bis nach Hause brauchte sie normalerweise fast zwanzig Minuten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch länger. Aber vielleicht konnte sie einen Leihwagen bekommen.
»Da vorne ist es.«
Linus nickte. Er parkte auf der Straße, während der Abschleppwagen auf das Gelände einbog.
Glücklicherweise war noch jemand in der Werkstatt und nahm die Schlüssel entgegen. Lola schilderte mit Linus’ Unterstützung das Problem. Enttäuscht vernahm sie, dass der Mitarbeiter nicht befugt war, ihr einen Leihwagen zu geben. Sie musste einfach damit zufrieden sein, dass überhaupt noch jemand vor Ort gewesen war.
»Wenn Sie möchten, bringe ich Sie nach Hause«, bot Linus ihr an.
Beklemmung erfasste Lola. Ein ähnlich formuliertes Angebot hatte sie einmal angenommen und die schlechte Erfahrung machen müssen, dass damit eine bestimmte Erwartung verbunden worden war. Man sah Menschen nicht immer an, was sie dachten und in Wahrheit wollten. Gehörte dieser Mann auch dazu? Andererseits, er würde sicherlich nicht riskieren, dass sie sich über ihn beschwerte, weil er sie sexuell belästigt hatte.
Lola dachte noch immer über die Optionen nach, als Linus sie anlächelte und damit ihren Argwohn zerstreute. Als er die Beifahrertür öffnete, stieg sie ein. »Und es macht Ihnen auch bestimmt keine Umstände?«
Linus schüttelte den Kopf. »Nein, machen Sie sich darüber keine Sorgen.«
»Okay, dann sage ich Danke.«
Während der Fahrt sprachen sie kein Wort.
»Da vorne ist es.« Lola deutete geradeaus, auf ein Mietshaus, dessen gelber Anstrich im Licht der wenigen Straßenlaternen kaum zu erkennen war. »Der zweite Eingang.«
Linus hielt mangels freiem Parkplatz in zweiter Reihe, schaltete die Warnblinkanlage ein und den Motor aus.
»So, da sind wir.«
»Ja. Angekommen.«
Herrgott, fiel ihnen denn nichts Intelligenteres zu reden ein? Sollte sie ihn noch hereinbitten? Eigentlich war er ja ganz nett und sah auch gut aus. Aber nein, er war lediglich ein Mann, der ihr geholfen hatte und das war sein Beruf.
»Ich drück’ Ihnen die Daumen, dass der Fehler schnell gefunden wird. Bestimmt ist es nur eine Kleinigkeit, die dem Auto fehlt.«
»Der Knutschkugel«, ergänzte Lola.
»Genau«, grinste Linus und streckte ihr die Hand entgegen. »Auf Wiedersehen, Frau Gehrke. Und noch einen schönen Abend.«
Lola schluckte. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Nicht einmal ein Trinkgeld konnte sie ihm geben. Ihre Geldbörse war fast leer, wie sie wusste, da sie am Morgen getankt hatte.
»Ihnen auch. Und noch einmal vielen Dank fürs Heimfahren und überhaupt.«
Sein Händedruck war angenehm fest, ohne jedoch ihre Finger zu quetschen, und sie erwiderte den Druck entsprechend. Vorsichtig öffnete sie die Tür, darauf bedacht nicht an dem neben ihnen parkenden Auto anzustoßen, und stieg aus. Er wartete noch und sah ihr hinterher, bis sie die Haustür erreicht hatte. Dann erst startete er den Motor, winkte ihr einen letzten Gruß zu und fuhr weiter.
Ein Gefühl der Leere überkam sie, als sie die Wohnung betrat und das Licht anmachte. Es war so still, so verdammt still. Nicht einmal, als keiner von ihnen gesprochen hatte, war es derart still gewesen.
Verwirrt setzte Lola sich auf das Sofa im Wohnzimmer und starrte vor sich hin.
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