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Der Verletzte bewegte sich unruhig auf der knarrenden Pritsche.
Jay vermochte nicht einzuschlafen. Mehrmals wollte er aufstehen, sein Pferd satteln und losreiten, um den Barbier zu holen. Aber immer wieder sagte er sich, dass es kaum möglich sein würde, aus der fremden Stadt jemanden in der Nacht hier heraus zu holen. Sie würden ihn für verrückt erklären.
Schließlich erhob er sich doch.
Shayne schlief nicht, setzte sich auf und stülpte den Hut aufs weißblonde Haar.
»Ich reite jetzt los, Rio. Bleib du bei ihm.«
»Soll ich dir sagen, was der Barbier dir erzählt?«
»Nein, ich weiß es doch. Trotzdem muss ich es versuchen.« Jay trug Sattel und Campdecke hinaus und sattelte den braunen Hengst.
Shayne folgte ihm. »Es ist noch finster, wenn du die Stadt erreichst. Und um ganz ehrlich zu sein, ich würde mit einem wildfremden Menschen auch nicht bei Nacht und Nebel in die Wildnis reiten. Du verpasst gar nichts, wenn du erst ein paar Stunden schläfst!«
Jay zog den Sattelgurt fest, band den Zügel los und saß auf. »Dann bis später.«
Shayne zuckte mit den Schultern, kehrte in die Hütte zurück und schloss die Tür.
*
Montrose bestand aus genau fünfzehn Häusern. Ein paar davon waren Lagerschuppen, eins der Mietstall und eins verfallen. Sie reihten sich rechts und links der Overlandstraße auf, die ohne Bogen durch den Ort führte.
Wie erwartet lag noch tiefe Nacht über dem Land, als Jay in den Ort ritt. Der Braune lief langsam und wurde dennoch von verschiedenen Leuten gehört. Türen klappten.
»Wer ist das?«, fragte jemand unter einem weit nach unten gezogenen Vordach.
Jay hielt an und blickte hinüber. Sehen konnte er niemand. »Ich bin Jay Durango und brauche dringend den Barbier für einen verletzten Kameraden!«
Männer mit Gewehren im Anschlag betraten die Fahrbahn. Manche trugen Hemden und Hose wie die beiden Farmer im Buschland, einer hatte einen alten Militärmantel übergezogen, zwei kamen in langen, grauen Nachthemden ins Mondlicht.
Von der anderen Seite näherten sie sich ebenfalls. Und die Straße herunter kam einer, der noch die Hosenträger über die Schultern und die Jacke überzog. Ein Stern steckte an seiner Brust.
Sie kreisten das Pferd ein.
»Ein Freund von mir wurde am Nueces River von einem Bären angegriffen und liegt schwerverletzt in einer Hütte im Norden. Ein Paar Farmer machten uns auf das verlassene Haus aufmerksam.«
»Die Zattigs, was?«, fragte der Marshal.
»Keine Ahnung, wie sie heißen.«
»Was fehlt ihm denn?« Ein kleiner weißhaariger Mann schob sich in den Vordergrund. »Ich bin Keach, der Barbier, der auch Zähne zieht.«
»Seine Zähne sind in Ordnung, Mister Keach. Ein paar Rippen gebrochen, die sich nach innen gestellt haben.«
»Dafür brauchen Sie einen richtigen Arzt. Wo es so was gibt, wissen wir hier aber nicht. Vielleicht in Fort Worth.«
»Es geht ihm sehr schlecht«, sagte Jay.
»Also gut, ich sehe ihn mir an. Lassen Sie fünf Dollar da. Ich komme dann hinaus.«
Jay saß ab und kramte das verlangte Geld zusammen. Er besaß immer noch ein paar Dollar.
Der Barbier nahm die fünf Dollar und steckte sie ein.
»Könnten Sie nicht sofort mitreiten?«
»Ich weiß, wo die Hütte ist, und werde sie finden.«
»Er ist bewusstlos und blutet sehr stark.«
»Wann geschah das Unglück?«
»Am Spätnachmittag.«
»Dann spielen ein paar Stunden keine Rolle mehr. Sie müssen das verstehen. Wenn ich nicht lange genug geschlafen habe, zittern mir die Hände. Das wäre sehr schlecht für Ihren Freund.« Der weißhaarige Mann wandte sich ab.
Jay blickte auf den Stadtmarshal. Er war ein mittelgroßer, bulliger Mann mit einem quadratischen Schädel und angegrauten Borstenhaaren.
»Er kommt bestimmt«, versprach der Mann.
»Können Sie ihn nicht dazu ...«
»Ausgeschlossen«, unterbrach der Marshal den Vorman barsch. »Vor zwei Stunden hat Keach seinen letzten Whisky getrunken. Konnten Sie die Fahne nicht riechen?«
»Nein.«
»Na ja, er stand vielleicht ein bisschen weit weg von Ihnen. Nein, der braucht den Schlaf.«
Jay schaute sich in der Runde um. Ein paar Männer grinsten verstohlen. Es konnte keinen Zweck haben, noch lange Worte zu verlieren.
»Ich werfe Keach aus dem Bett, sobald die Sonne aufgegangen ist«, versprach der Marshal. »Und ich bringe ihn selbst hinaus.«
»Danke, Marshal.« Jay saß auf. Der Kreis lichtete sich. Er lenkte den Braunen nach Norden und ritt langsam durch die Stadt.
»Ein Revolvermann – so einer ist das«, sagte jemand und spuckte in den Sand. »Irgenwelche Satteltramps, die es mal im Wald am Fluss mit der Jagd versuchen wollten.«
»Um ein paar schnelle Dollars zu machen«, stimmte ein anderer Mann zu. »Und deswegen werden ehrbare Leute dann nachts aus den Federn geworfen.«
Der Marshal wandte sich ab und lief die Straße hinauf.
Seine Frau schaute aus einem Fenster der Büchsenmacherei, die James Cobb in seinem Hauptberuf betrieb. »Wer war das?«
»Irgendein Fremder. Hat einen Verletzten auf der aufgegebenen Farm liegen.«
»Diese Sattelstrolche sollten sich schämen, mitten in der Nacht hier aufzutauchen.«
*
Barbier Keach sah sehr besorgt aus, als er aus der Hütte trat.
Marshal Cobb lehnte bei den Pferden an einem Stück des noch stehenden Korralzauns.
Jay kam hinter dem Barbier her, der seine schwarze Tasche ans Sattelhorn hängte. Shayne blieb in der Hütte und blickte auf das spitz gewordene Gesicht von Jeff Logan. Der Barbier hatte ihn nach der Behandlung verbunden, aber das Blut tränkte den weißen Stoff in der Herzgegend.
»Und?«, fragte der Marshal.
»Ich weiß nicht. Hat verdammt viel Blut verloren. Er müsste vor allem ein schmerzstillendes Mittel kriegen. Sonst dreht er durch, wenn er zu sich kommt. Aber mir ist das Zeug ausgegangen. Sie kriegen es im Store. Savage hat davon noch. Das weiß ich.«
Jay nickte. »Dann reite ich mit Ihnen.«
Barbier Keach blickte an Jay vorbei auf Shayne an der Tür. Der hünenhafte, weißblonde junge Mann hatte etwas Wildes an sich, was Keach gar nicht gefiel.
Jay sattelte seinen braunen Hengst und ritt wenig später mit den beiden Männern auf der Overlandstraße nach Süden. Als sie die Stadt erreichten, stand die Sonne schon fast im Zenit und glühende Hitze lag über dem Hügelland.
Vor dem Store stand ein kurzer Planwagen. Zwei Maultiere waren in die Sielen gespannt. »McClure’s Drugstore« stand auf der grauen Plane.
Der Barbier hielt vor seinem Haus.
Jay zügelte sein Pferd ebenfalls. »Vielen Dank, Mister.«
Keach schüttelte den Kopf. »Warten Sie damit, bis Ihr Freund auf den Füßen steht. Aber sagen Sie nicht, es wäre meine Schuld, wenn das nicht geschieht.«
»Kann man für ihn nichts weiter tun?«
Keach schüttelte den Kopf und schob seine Melone in den Nacken. Das Sonnenlicht fiel auf sein zerfurchtes Gesicht. »Nein. Er braucht Ruhe, damit sich neues Blut bilden kann. Sollte er aber schon zuviel verloren haben, wird er wohl ....« Der Mann brach vieldeutig ab.
»Trotzdem besten Dank.« Jay ritt mit dem Marshal weiter. Vor dem Saloon sah er die beiden Farmer wieder. Bei Tageslicht sahen sie noch abgerissener aus als während der Nacht.
Jay hielt an.
»Stand die Hütte noch?«, fragte Jewy Zattig.
»Ja. Vielen Dank für den Tipp.«
»Wie geht es Ihrem Freund denn?«
»Den Umständen entsprechend.«
»Er lebt also noch?«, wollte Jewy Zattig wissen, während er an den Fußweg trat.
»Ja, er lebt noch.«
»Na also, dann kommt er irgendwann schon wieder auf die Beine. Nur die Guten sterben jung!«
Boris lachte krächzend. Sein Bruder wandte sich um und schob ihn vor sich in den Saloon.
Der Marshal stieg bereits bei seinem Haus ab und führte das Pferd in den Hof.
Jay ritt zum Store weiter, saß neben dem Planwagen ab, führte den Braunen zur Zügelstange und band ihn daran fest. Als er den Drugstore betrat, sah er zwei Männer hinter den deckenhohen, vollgestapelten Regalen an einem kurzen Tresen. Auch hinter der Tafel erhoben sich noch einmal Regale über die gesamte Breite des Hauses. Nur die Tür war ausgespart. Wie durch einen Tunnel ging es in den Flur dahinter.
Die beiden Männer blickten dem Eintretenden entgegen.
»Guten Tag«, sagte Jay, lief an den Regalen vorbei und blieb an der Ecke des Tresens neben einem aufgebockten Rumfass stehen. Eine kleine Waschschüssel und ein paar Gläser auf einem Lappen verrieten, dass der Krämer auch Gäste bewirtete.
»Und?«, fragte der Mann hinter dem Tresen unwirsch. Er war ein großer Mann wie ein Hüne und hatte Schultern von der Breite eines mittleren Kleiderschrankes. Dazu einen kantigen Schädel auf einem dicken Hals, der in einem Stiernacken auslief, schwarzes Haar, finstere Brauen und bernsteinfarbene Augen. Wie ein Spieler trug er ein weißes Rüschenhemd, gestreifte Röhrenhosen und eine doppelreihige schwarze Jacke. Eigentlich sah er nicht wie ein Händler aus, allerdings verriet Jay bereits vor dem Laden ein Schild, dass er auch Fuhrunternehmer war. Im Hof neben dem Haus standen auch ein paar abgestellte Frachtwagen. Das lange Gebäude dahinter schien der Stall zu sein.
»Der Barbier schickt mich. Sie hätten ein schmerzlinderndes Mittel.«
»Laudanum, Mister. Es senkt das Fieber, ist gut gegen Zahnschmerzen und sonstige Wehwehchen.« Der Mann grinste, sah deswegen aber nicht freundlicher aus.
»Sicher meint er das.«
»Ich hab gar nichts anderes.« Der Mann griff unter den Tresen und legte eine kleine Tüte darauf. »Jedes mal eine Messerspitze, wenn der Patient brüllt. Und vor allem muss man ihn darauf aufmerksam machen, dass er was gegen den Schmerz bekommt. Die moralische Wirkung ist ungeheuerlich. «
Der andere Mann grinste nun ebenfalls von einem Ohr bis zum anderen. Er zählte mindestens fünfundsechzig Jahre, war mittelgroß und gedrungen, grauhaarig und stoppelbärtig. Falten und Runen zeichneten sein Gesicht und ließen ihn älter wirken. Er trug ein graues, derbes Hemd ohne Kragen, ausgebeulte, zerschlissene Hosen, ’ Schaftstiefel, eine fadenscheinige Jacke und einen schweißdurchtränkten Schlapphut.
»McClure, junger Freund.« Der Mann tippte an seinen Hut. »Hab schon gehört, was Ihnen widerfuhr. Werde mal vorbeischauen, ob Sie noch etwas brauchen.«
»Ich glaube nicht, dass wir etwas brauchen.« .Jay blickte den anderen Händler an. »Was kostet es?«
»Vierzig Cent. Kaum der Rede wert.«
Jay atmete auf und bezahlte. Der Händler stellte ihm ein Glas voll Whisky hin und gab dann das restliche Geld heraus.
»Der Whisky ist inbegriffen. Immer, wenn man bei mir was kauft.«
»Danke.« Jay steckte das Kleingeld wieder ein. Er war so ziemlich blank und hoffte, dass das Pulver ausreichte, bis sie daran denken könnten, Jeff weiter zu transportieren. Dabei überlegte er aber schon, ob er nicht Rio bei dem Verletzten allein zurücklassen und zur Ranch reiten sollte, um den Boss zu verständigen und einen Wagen zu holen.
Das war sicher besser. Sie würden dann früher aufbrechen können.
»Also, ich kriege dann zweitausendfünfhundert Bucks«, erinnerte McClure. »Und den obligaten Whisky hab ich auch noch nicht.«
Der Mann hinter dem Tresen schenkte ein zweites Glas voll und stellte es dem fahrenden Händler hin. Dann öffnete er die Kasse und brachte ein Bündel Banknoten zum Vorschein.
McClure hustete scharf und stellte sich gerade. Mit funkelnden Augen starrte er den anderen böse an.
»Ist was, McClure?«
»Steck das Teufelszeug wieder ein, verdammt! Seit fünfzig Jahren nehme ich nur Hartgeld und gebe auch nichts anderes aus. Ich will Silberdollars!«
»Ich würde mich langsam mal umstellen.« Der schrankbreite Stadthändler steckte das Geld wieder weg.
»Denke gar nicht daran. Auf die komischen Zettel kann jeder drauf drucken, was er lustig ist. Und wenn man mal Pech hat, verbrennt der Plunder!«
»Man muss mit der Zeit gehen.«
»Ich nicht!«, schimpfte der fahrende Händler.
Hiram Savage entnahm seiner Kasse Silberdollars und zählte sie in Reihen auf den Tresen.
Jay trank den Whisky und ließ das leere Glas ins Spülwasser fallen. »Herzlichen Dank, Mister.«
»Sonst keine Wünsche?« Savage hielt inne und blickte auf.
»Nein, danke.« Jay wandte sich ab.
»Ich schaue mal bei euch vorbei!«, rief McClure ihm nach.
»Das wird nicht nötig sein.« Durango verließ den Store.
Savage zählte weitere Reihen Silberdollars auf den Tresen. »Den Umweg kannst du dir schenken. Der pfeift auf dem letzten Loch.«
»Kann man nie wissen.«
»Tramps sind das, McClure. Die leben von der Hand in den Mund und sind dabei meistens verdammt hungrig.«
Draußen band Jay sein Pferd los und zog den Sattelgurt nach.
Die Menschen der kleinen Stadt beobachteten ihn. Er spürte es, obwohl er sie nicht alle sehen konnte.
Vor dem Planwagen scharrten die Maultiere im Sand.
Jay stieg auf und ritt die Straße hinunter. Er spürte die Blicke im Nacken noch, als er schon jenseits der Häuser der Straße nach Norden folgte.
»Schneller!«, rief er dem Braunen zu und gab ihm die Sporen.
Das Pferd streckte sich. Rechts und links der ausgefahrenen Straße wurde das vorbeifliegende Buschwerk dichter. Staub wehte hinter den Hufen in die Höhe.
*
Jay Durango erreichte die halbverfallene Hütte am Nachmittag. Rio Shayne trat ihm entgegen. Jay zügelte den Hengst und sprang ab.
»Wie geht es Jeff?«
»Unverändert, würde ich sagen. Der Verband ist durchblutet. Hast du das Zeug?«
Jay nickte. »Aber wenn ihm das hilft, glaube ich an die Wunder, von denen mir erzähl wurde, als ich noch Kind war.«
Sie betraten die Hütte. Jay blickte auf das spitze Gesicht Logans. Die bleichen Lippen des Partners bewegten sich, seine Augen waren geschlossen. Die schwarzen Ränder darum hatten Jeffs Aussehen stark verändert. Er ähnelte sich kaum noch.
»Ich reite nach Rancho Bravo«, sagte Durango. »Der Boss muss wissen, was passiert ist. Einen Wagen brauchen wir auch. Und mein Geld ist praktisch alle.«
»Hast du ihnen gesagt, dass wir zu dieser Ranch gehören?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Jay wandte sich um. »Warum sollte ich?« Auf dem Tisch öffnete er die kleine Tüte, zog das Messer, reinigte es an der Hose und nahm die Spitze voll von dem weißen Pulver. »Wasser!«
Sie flößten Jeff das Pulver und Wasser ein. Der Verletzte hustete und spuckte die Hälfte wieder aus.
»Du wirst mindestens vier Tage unterwegs sein«, maulte Rio.
Jay schob das Messer hinter den Gürtel. »Aber dann bin ich zurück und habe einen Wagen und Leute dabei. Ist das nicht besser, als wenn wir in vier Tagen immer noch allein hier herumsitzen?«
Rio fluchte verdrossen, weil es ihm nicht behagte, dass er so lange allein bei dem Verletzten bleiben sollte, dem er überdies nicht zu helfen wusste. »Und wenn er mir unter den Händen stirbt?«
»Dann würde es auch nichts ändern, wenn wir beide hier sitzen.«
»Warte wenigstens bis morgen.«
Jay hob den Kopf. »Warum denn das?«
»Vielleicht ist es gar nicht ....« Rio brach ab und biss sich in die Unterlippe.
»Ach so.« Jay schaute auf das spitze Gesicht Logans. Vielleicht erlebte der Cowboy den nächsten Tag wirklich nicht mehr und der ganze Aufwand erübrigte sich.
»Es wird sowieso bald Nacht«, setzte Rio hinzu. »Es dürfte auf ein paar Stunden auch nicht ankommen. Außerdem wird deinem Gaul die Pause gut tun. Seit wir vom Nueces weg sind, bist du beinahe ununterbrochen geritten.«
»Ich könnte dein Pferd nehmen.« Jay lächelte dünn. »Das ist ausgeruht. «
»Ich glaube nicht, dass er es überlebt. Die innere Blutung ist nicht gestoppt.«
Jay schob Logans Hemd zur Seite und sah den roten Verband. Der Fleck besaß die Größe einer Hand, so dass die linke Brustseite davon völlig bedeckt war.
»Also gut, dann warte ich bis morgen.«
*
Die beiden Farmer holten ihre Pferde aus dem Mietstall.
Vor dem Saloon stand Fee, ein alt gewordenes Saloonmädchen mit blond gefärbten Haaren. Als sie ins Sonnenlicht trat, offenbarte das Kattunkleid mit den silbernen Pappsternen daran seine ganze Schäbigkeit.
Die beiden Zattigs stiegen auf die Pferde und winkten dem Mädchen mit dem faltigen Gesicht.
»Geht zum Teufel, ihr Geizkragen!«, schimpfte Fee mit rauer Stimme.
Jewy Zattig warf noch einen Blick auf den Planwagen des fahrenden Händlers, der inzwischen an der Ecke des Saloons im Schatten stand. Dann trieb er sein Pferd an.
Boris folgte dem Bruder. Sie ritten aus der Stadt, verließen die Straße und hielten zwischen hohen Sagebüschen an.
»Absteigen, sonst kann man uns vom Karrenweg aus sehen.« Jewy ging sofort mit gutem Beispiel voran.
Auch sein Bruder kletterte aus dem Sattel. Er dachte noch an McClure, den ziehenden Händler, der zuletzt bei ihnen am Tresen des Saloons stand. »Wieviel Geld hat er?«
»Genug.«
»Bist du sicher, dass es glatt geht?«
»Aber klar. Hast du denn nicht gehört, wie verächtlich sie von dem Fremden redeten? Den schickt uns der Himmel.«
»Wenn wir den Zaster eines Tages anfangen auszugeben, riechen sie doch noch Lunte.«
Jewy grinste den Bruder herablassend an. »Wir geben den Zaster nicht aus. Nicht hier. Wir leben bis zum Winter wie die ärmsten Teufel der Welt weiter und werden nie vergessen, entsprechend zu jammern. Und so ganz nebenbei fangen wir an, von der Aufgabe der Farm zu reden. Das fällt überhaupt nicht auf, zumal wir nicht die ersten sind.«
»Ja, das könnten sie schlucken.« Boris grinste.
»Dann gehen wir weit weg. Und dort, wo wir das Geld ausgeben, erzählen wir eine fantastische Geschichte. Von einer Ölquelle, die wir auf unserem miesen Land fanden und verkauften.«
Die beiden Halunken lachten schallend.
Ihre Geduld wurde noch auf eine längere Probe gestellt. Als die Sonne jedoch tief nach Westen gesunken war, hörten sie Peitschenknallen. Die Plane des Wagens ließ sich bald über dem Buschwerk erkennen.
»Na also!«, frohlockte Jewy und rieb die Hände aneinander. »Er nimmt immer den gleichen Weg. Und er fährt auch glatt am Abend los, um die Bucks fürs Übernachten zu sparen.«
»So ein verdammter Geizhals!«
»Das kannst du laut sagen!«
Der Wagen rollte hundert Yard von den lauernden Farmern entfernt vorbei und entfernte sich rasch.
Jewy führte sein Pferd an den Rand der Straße und beugte sich zur Seite. So sah er den leicht schaukelnden Wagen wieder.
Boris tauchte neben ihm auf. Sie stiegen auf die Pferde und folgten dem Gefährt mit großem Abstand.
Als der Wagen die Straße verließ, pfiff Jewy durch die Zähne. »Merkst du was?«
»Er fährt zu der verlassenen Hütte, die nicht mehr verlassen ist«, erwiderte der jüngere Bruder.
»Genau. Will den Kerlen noch versuchen, was anzudrehen. Der lässt aber auch nichts aus.«
»Schlecht für unseren Plan, was?«
»Aber nein, Boris. Das ist gut. Sehr gut sogar. Die Radrinnen sehen sie morgen noch. Die Cowboys sind danach zehnmal so verdächtig wie vorher. Haben hier bei McClure genau gesehen, was der mit sich herumschleppt!«
*
Jay trat vor Rio aus der Hütte, als der Wagen im verwahrlosten Hof der aufgegebenen Farm anhielt.
»Hallo, da bin ich!«, rief der Händler. Ein kicherndes Lachen folgte den Worten.
»Ist der verrückt?«, flüsterte Rio hinter Durango.
»Kein bisschen.«
McClure stieg ab, zog den alten Schlapphut vom Kopf und schlug den Staub damit von der Kleidung. »Na, ist euch eingefallen, was ihr noch gebrauchen könntet?«
»Wir haben kein Geld.« Jay lehnte sich neben der Tür an die Hüttenwand.
»Aber, aber, Mister, einen Notdollar hat doch jeder noch!« Der Händler kicherte wieder. »Wie geht es dem Freund?«
»Ziemlich schlecht.«
»Ich hab noch ein anderes Pülverchen, mit dem schon verblüffende Wirkungen erzielt wurden. Aus getrockneten Blättern von den Kiowas gerieben. Konnte bei Savage nur nicht davon erzählen, weil er das übelgenommen hätte. War schließlich sein Laden, in dem wir standen.«
»Ich glaube, dass alle eure Pülverchen nur einem helfen«, murmelte Rio. »Und zwar dem, der sie verkauft!«
»Nana, junger Mann, keine Beleidigungen!«, schimpfte der fahrende Händler grollend. »Ich verkaufe nur echte Sachen! Das Pulver kriegt ihr von mir für einen halben Dollar.«
»Ich glaube, Sie hören nicht zu, wenn andere reden«, erwiderte Jay schleppend. »Wir haben kein Geld.«
McClures stoppelbärtiges Gesicht zog sich in die Länge. »Kann ich den Jungen mal sehen?«
Rio trat zur Seite.
McClure ging hinein. »Teufel, der sieht aber gar nicht gut aus. Dem würde mein Pulver bestimmt helfen, Jungens!«
Jay blickte auf die Büsche, die vom letzten Sonnenlicht wieder in bunten Farben beleuchtet wurden und einen goldenen Schimmer wie einen Heiligenschein bekamen.
»Der gefällt mir wirklich nicht.« McClure trat aus der Hütte. »Dem würde meine Medizin bestimmt helfen.«
»Soll ich ihm auf meine. Art nochmal sagen, dass wir kein Geld haben?«, fragte Rio.
»Verschwinden Sie, Mister«, sagte Jay. »Wir kaufen nichts, weil wir kein Geld mehr haben.«
»Also schenken kann ich euch meine Ware nicht!«, schimpfte McClure. »Ihr denkt wohl, ich will mich aus lauter Menschenfreundlichkeit an den Bettelstab bringen?«
»Er geht mir auf die Nerven, Jay!«
»Mir auch.«
Drohend schob sich Rio an den miesen Händler heran, der partout nicht einsehen mochte, dass kein Geschäft abgewickelt werden könnte.
»Ich bin extra von der Straße abgebogen!«
»Hau ab!« Rio stieß den Mann mit der Schulter an. »Los, zieh Leine, Krämerseele!«
»Und beschimpfen lasse ich mich auch nicht!« McClure stieß Rio den Ellenbogen in den Leib.
Der Cowboy krümmte sich im jähen Schmerz zusammen. In der nächsten Sekunde schmetterte er dem Händler die Faust gegen das Kinn.
McClure brüllte, taumelte zurück und stürzte vor dem Wagen zu Boden. Sein Gesicht sah verschoben aus. Er kniete und spuckte zwei Zähne aus.
Rio schaute maßlos verblüfft auf Jay. »Ich hab doch kaum hingelangt?«
»Seine Zähne sind lang wie bei einem alten Pferd und stecken kaum noch im Kiefer«, erwiderte Jay.
Fluchend erhob sich der Mann. »Das werdet ihr mir büßen, Halunken! Das zahle ich euch heim!«
»Bleib hier!« Jay hielt Rio fest, als der hinter dem schimpfenden Krämer her wollte.
McClure kletterte auf den Bock und nahm die Peitsche. »Spitzbuben! Mördergesindel!«
Die Peitsche knallte. Die Maultiere zogen an.
»Banditengesindel!«, brüllte der Händler mit einem pfeifenden Unterton hinten durch den Wagen. Dann knallte die Peitsche wieder. Der Wagen walzte das Dickicht nieder und verschwand hinter einer Staubwolke. Die Geräusche entfernten sich.
Jay betrat die Hütte.
»Ob sein Kiowapulver doch was genützt hätte?«, fragte Rio, den leise Zweifel zu plagen schienen.
»Blödsinn.«
*
Die beiden Zattigs hockten noch im Gestrüpp hinter dem verfallenen Korral und schauten in den Staub, der durch die Dämmerung zog und das verfallene Haus zusätzlich verhüllte.
»Hast du das gesehen?«, flüsterte Boris.
»Ich bin nicht blind. Aber wir können damit nichts gegen sie anfangen.«
»Wieso nicht?«
»Weil wir nicht sagen dürfen, dass wir sie beobachtet haben.« Jewy schüttelte den Kopf. »Bei dir schreitet die Verkalkung in jüngster Zeit erschreckend rasch voran, Bruder.« Jewy kehrte um. Zweihundert Yard entfernt standen die Pferde. Er stieg auf und ritt nach Osten, um die Straße zu erreichen.
Den Wagen hörten sie erst wieder vor sich, als die Dunkelheit bereits über das Land sank. Eine Meile mochten sie sich von der verfallenen Farm entfernt haben.
»Jetzt?«, fragte Boris.
»Noch ein Stück.«
»Aber bald ist es nicht mehr weit bis zu Wolters Farm. Er wird die Schüsse hören!«
»Soll er ja auch.«