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Boris begriff gar nichts mehr.
Jewy grinste überlegen. »Er wird was hören und nachsehen. Und dann reitet er in die Stadt und alarmiert den Marshal. Bis der Tag wieder graut, sind die Leute der Stadt da und machen, wenn wir Glück haben, kurzen Prozess. Hauptsache, die Kerle selbst hören die Schüsse nicht.«
Noch eine halbe Stunde folgten die Zattigs dem Planwagen, dann hielt dieser an.
»Was ist jetzt?« Boris sprang sofort ab.
»Er scheint ein bisschen schlafen zu wollen.« Jewy blickte sich um. Er glaubte, dass sie weit genug entfernt waren, um den Überfall riskieren zu können, ohne dass die Cowboys etwas hörten. Hohes Buschwerk und ein paar Hügel lagen zwischen ihnen und der aufgegebenen Farm. Und Louis Wolters Farm konnte nicht mehr fern sein.
»Weiter, Boris. reiß dich zusammen! « Jewy zog die Sharps 52 aus dem Scabbard und spannte den außenliegenden Hammer.
Boris stieg auf, nahm den Remington-Karabiner zur Hand und repetierte ihn.
Sie ritten langsam zwischen den Fahrrinnen weiter. Die Hufe schlugen in den Sand. Boris’ Pferd schnaubte.
»Ist da jemand?«, rief die keifende Stimme des fahrenden Händlers. »Halt, nicht näherkommen!«
Die beiden Zattigs hielten an. »Hier ist Jewy Zattig, McClure. Wolltest du nicht noch mal bei uns vorbeischauen?«
»Zattig?« Das Gesicht des Händlers war hinten unter der Plane wie ein heller Fleck zu erkennen. »Nein, nicht, dass ich wüsste.«
»Aber wir wollten was kaufen«, wandte Boris ein.
»Warum habt ihr das nicht getan, als ich bei euch war?« Nacktes Misstrauen ließ sich heraushören.
»Da sprachen die Umstände dagegen«, erklärte Jewy.
»Was redest du denn für dummes Zeug, zur Hölle?«
»Wir können dich doch nicht auf unserer Farm in die Hölle schicken, McClure, alter Halsabschneider!« Boris lachte krächzend. Dann drückte er ab.
Ein Feuerstrahl fuhr dem Händler, von einem Donnern begleitet, entgegen. Die Kugel bohrte sich in seine Brust. Er schrie. Seine Arme stießen zur Plane hinauf.
Jewy drückte ebenfalls ab.
McClure wurde noch einmal getroffen, stieß einen zweiten, abgerissenen Schrei aus und stürzte hinten über die Bordwand.
Das Krachen verlor sich in der Wildnis.
Jewy stieg ab und beruhigte sein Pferd. »Sieh nach, ob es ihm reicht, Boris!«
Der jüngere Zattig sprang kichernd vom Pferd. »Hat der blöd aus der Wäsche geguckt, Jewy!«
Den älteren interessierte das nicht. Er lief am Wagen entlang und kletterte auf den Bock.
Boris wälzte den steif hinter dem Wagen liegenden Händler auf den Rücken. »Nein, der hat keine Sorgen mehr, Jewy.«
Mit einer abgeschabten Satteltasche in der Hand stieg Jewy Zattig vom Bock. »Dann nichts wie weg. Wir reiten zuerst zum Creek, damit sie keine Spuren finden.«
Boris beugte sich über den Toten. »Sieh mal, dem fehlen zwei Zähne, Jewy. Die hatte er in der Kneipe noch im Mund.«
Jewy schaute nun doch auf den Toten.
»Die muss der Kerl ihm aus der Futterluke geschlagen haben, als sie rauften. Lässt sich anders nicht erklären.«
»Dann liegen sie sicher noch vor der Hütte im Sand.« Ein sattes Grinsen überzog Jewy Zattigs Gesicht. »So was übersieht der tüchtige Marshal bestimmt nicht. Los, ab geht die Post!«
Sie stiegen auf die Pferde und ritten ins Dickicht westlich der Straße. Das Knacken brechender Äste entfernte sich.
*
Graue Nebelschwaden zogen über das Buschwerk und den verfallenen Korral.
Jeff Logan stöhnte so laut, dass Jay davon erwachte. Er erhob sich und trat ans Fenster.
Rio schaute auf. »Was ist?«
»Ich weiß nicht.« Jay blickte hinaus. Wie Watte schwebte der Nebel über den Büschen. »Aber irgend etwas muss los sein.«
Rio kniete und kroch neben Jeff Logan. »Wie geht es dir, alter Junge?«
Der Verletzte reagierte nicht darauf.
Rio stand auf. »Ich hab ehrlich keine Lust, ein paar Tage mit ihm allein hier zu warten. Vor allem, er kann mir unter den Händen sterben, Jay. Ich habe keine Hoffnung, dass er in drei bis vier Tagen noch lebt.«
»Also gut, dann bleibe ich hier und du reitest nach Rancho Bravo«, erwiderte der Vormann.
Eins der Pferde am Zaun gegenüber schnaubte.
Rio öffnete die Tür.
Auch die beiden anderen Tiere wurden unruhig.
»Da stimmt doch was nicht.« Der ehemalige Scout trat über die Schwelle. »Ist da jemand?«
Die aufgehende Sonne drückte die Nebelfelder auf den Boden und verdichtete sie noch einmal kurz. Die Wipfel einzelner Krüppelkiefem und Cottonwoods traten über den Schwaden klar ans Licht. Dann stachen die waagerechten Sonnenstrahlen wie ein Goldhauch darüber hinweg, und in der jähen Hitze lösten sich die grauen Felder binnen zwei Minuten völlig auf.
Zwischen den Büschen hielten Reiter. Auf einmal waren sie klar zu erkennen. Der Stadtmarshal mit dem funkelnden Stern an der Jacke gab seinem großen Tier die Sporen.
»Vorwärts!«, rief der Mann barsch.
Rio trat rückwärts in die Hütte. »Die wollen was von uns, Jay!«
»Den Eindruck habe ich auch«, entgegnete der Vormann sarkastisch.
Von vorn und von rechts und links ritten sie mit angeschlagenen Gewehren näher.
Jay Durango griff zum Colt, ließ ihn jedoch wieder los. Gegen die vielen Männer besaßen sie keine Chance, was immer diese von ihnen wollten.
»Dreizehn Mann«, murmelte Rio. »Das bedeutet nie etwas Gutes!«
Jay schob den Partner zur Seite und trat aus der Hütte. »Hat es einen bestimmten Grund, dass ihr halb in der Nacht schon so weit reitet, Leute?«
»Und ob es den hat!«, rief der Marshal grollend. »Hebt die Hände hoch!«
»Warum denn?« Rio kam nun ebenfalls wieder in den Hof.
»Blöde Fragen stellen können die jedenfalls«, sagte jemand.
»Ein paar Meilen von hier entfernt wurde der fahrende Händler McClure ermordet«, erklärte der Marshal. »Auf der Straße nach Norden.«
»Ermordet und ausgeplündert«, setzte der Drugstorebesitzer Savage hinzu. »Davon habt ihr natürlich keine Ahnung, was?«
»Allerdings nicht«, sagte Jay, dem es kalt über den Rücken rann.
»Ihr habt euch eingebildet, es könnte lange dauern, bis man ihn findet«, fuhr der Marshal fort. »Viel Verkehr ist auf der Straße schließlich nicht. Aber der Platz war schlecht gewählt.«
»Was ein Fremder nicht wissen kann!« Der bullige Schmied lachte polternd. »Da gibt es ganz in der Nähe eine Farm. Und dort hörte man die Schüsse.«
»Ich hab Ohren wie ein Luchs!« Der kleine Farmer stellte sich in den Steigbügeln auf.
»Und mir fiel in meinem Store schon auf, wie der Kerl auf McClures Geld schielte!«
»Ach so«, sagte Jay. »Da wurde also jemand überfallen, und ihr habt auch gleich ein paar Verdächtige.«
»Wir konnten die Spuren von zwei Pferden finden«, erläuterte der Stadtmarshal. »Sie führten von der Straße nach Westen, ließen sich natürlich nur bis zum ausgetrockneten Creek verfolgen. Nun müssen wir feststellen, wo die Dollars von McClure geblieben sind. Sicher eine Menge Geld.«
«Allein zweieinhalbtausend Bucks von mir«, erinnerte Savage. »Und wenn ich mich recht erinnere, sagte er, dass er hier noch einmal vorbeischauen wollte!«
»So?« Marshal Cobbs Augen zogen sich zusammen. »Hat er das getan?«
»Nein!«, stieß Rio sofort hervor.
Cobb stieg ab. Der mittelgroße, bullige Sechziger kam vor die Pferde, das Gewehr weiterhin an der Hüfte angeschlagen. »Er war also nicht hier?«
»Hören Sie schwer?«, schmimpfte Rio.
»Wir müssen die Hütte durchsuchen«, entschied der StadtMarshal. »Und natürlich auch das Dickicht in der Nähe.«
»Wenn Sie meinen.« Jay zuckte mit den Schultern.
Cobb winkte zwei Männern, die ebenfalls absaßen und an Jay vorbeigingen. »Und drei suchen draußen«, sagte der Stadtmarshal.
Weitere Reiter saßen ab, ließen die Zügel auf den Boden fallen und verschwanden neben dem langsam verfallenden Haus, an dem die Wildnis nagte. Sie schlugen das laut raschelnde Gestrüpp auseinander und suchten den Boden ab.
»Passt auf, ob irgendwo frisch gegraben wurde!«, rief ihnen der Händler aus der Stadt nach.
In der Hütte wurde das primitive Mobilar umgeworfen und die Pritsche mit dem Verletzten darauf von der Wand gezogen. Mit seinem Gewehr klopfte einer der Männer die Dielen ab.
Jay fragte sich, ob es nicht doch klüger gewesen wäre, mit dem Verletzten auf der Schleppbahre langsam weiterzuziehen, nachdem der Barbier Jeff kaum geholfen hatte. Doch gleich darauf sagte er sich, dass sie von den Reitern eingeholt worden wären. Und vielleicht müsste deren Verdacht dann noch schwerwiegender ausfallen.
»Nein, hier ist nichts.« Der erste Mann trat aus der Hütte.
Der andere folgte dichtauf und schüttelte den Kopf.
»Was ist mit dem anderen, lebt er noch?«, wollte der Barbier wissen.
»Ja, der lebt noch.«
»Habt ihr ihn auch gründlich durchsucht?«
»Selbstverständlich.«
»Marshal!«, schallte es an der Hütte vorbei.
Das Dickicht prasselte. Keuchend erreichte einer der Sucher den Hof und zeigte eine abgeschabte Satteltasche.
Jay zog den Kopf ein. »Das gibt es doch nicht«, murmelte er entsetzt. Sein Blick fiel auf Rio.
Stadtmarshal Cobb nahm dem Mann die Tasche ab, öffnete sie und drehte sie so herum, dass alles herausgefallen wäre, befände sich noch etwas darin.
»Leer«, konstatierte der Händler.
Cobb hielt ihm die Tasche hin. »Gehörte sie McClure?«
»Ja, Marshal.«
»Kein Irrtum möglich?«
»Nein, bestimmt nicht.« Savages bernsteinfarbene Augen leuchteten auf.
Der Marshal warf die Tasche dem Mann zu, der sie aufhob. »Aber wo sind die Bucks? Mehrere tausend Dollar Hartgeld?«
»Die man vergraben kann«, sagte der Händler. »Mindestens für eine Weile.«
Die anderen Männer des Suchtrupps kehrten ebenfalls zurück.
Cobb sah nachdenklich aus.
»Wir würden doch nicht so verrückt sein, die Tasche hinter die Hütte zu werfen«, sagte Jay. »Damit ihr sie gleich finden müsst, wenn ihr hier aufkreuzt.«
Cobb blickte überlegend in den Sand, trat einen Schritt vor und beugte sich nieder. »Was ist denn das?« Er griff zu, richtete sich auf und zeigte einen Zahn.
Hiram Savage stieg ab, kam vor die Pferde und ließ sich den braunweißen Stummel geben.
»Da liegt doch noch einer!« Der Barbier stieg ab und kam ebenfalls vor die Pferde. Doch Stadtmarshal Cobb bückte sich schneller und hob auch den zweiten Zahn auf.
»Und hier sehe ich Wagenspuren, die nicht alt sein können!« Barbier Keach streckte den Arm aus. »Ich glaube, die lügen uns die Hucke voll, Marshal. McClure war hier. Und ein paar Zähne fehlten der Leiche auch.«
»Gestern in der Stadt noch nicht.« Händler Savage gab den ausgeschlagenen Zahn zurück.
»Habt ihr dafür eine Erklärung?« Stadtmarshal Cobb steckte die Zahnstummel ein.
»Ja, er war hier«, gab Jay zu. »Wollte uns unbedingt etwas verkaufen. Irgendein Mittel von den Kiowas, das besser sein sollte als das Pulver aus dem Store.«
Sie stiegen alle ab und bildeten rechts und links der Hütte vor den Pferden Mauern.
»Er war hier, und ihr habt sein Geld gesehen«, stellte Savage fest. »Und das musstet ihr natürlich abstreiten.«
»Lügen haben kurze Beine«, orakelte der Barbier und kicherte erfreut. »Der Tote wird von einem Mann samt dem Wagen in die Stadt gebracht. Dort werde ich feststellen, dass die Zähne in McClures Gebiss gehörten. Einfache Sache!«
»Er wollte uns unbedingt etwas verkaufen«, sagte Jay noch einmal. »Um jeden Preis.«
»Das hättest du besser gleich zugeben sollen!« Savages Augen strahlten.
»Wo ist es?«, fragte der Marshal barsch.
»Wir sind ihm nicht gefolgt.«
Von beiden Seiten schoben sich die Mauern dichter heran.
»Die verheizen uns, Jay!« Rio trat rückwärts.
»Schön die Hände über die Köpfe!«, befahl der Stadtmarshal. Rio wirbelte herum, stieß das Gewehr zur Seite und setzte dem verdatterten Mann die Faust ans Kinn. Er sprang vorbei und wollte zwischen die Pferde.
Ein Schlag mit einem Gewehrlauf in den Nacken beendete Rios Fluchtversuch. Er stürzte zwischen die erregt tänzelnden Pferde. Die Gewehrmündung presste sich in seinen Rücken.
»Noch eine Bewegung, dann hörst du den Knall nicht mehr!«
Jay trat zurück und stieß neben der Tür gegen die Hüttenwand. Ein Fluchtversuch erschien ihm sinnlos. Auch wenn die Männer nicht schossen, um sich nicht gegenseitig den Garaus zu machen, konnte er den Ring nicht durchbrechen.
»Wo ist es versteckt?«, fragte Cobb schroff.
Rio wurde an Händen und Füßen gefesselt und zu den abgesattelten Pferden am Korral geschleift. Jay sah noch immer keine Lücke. Im Gegenteil, der Kreis schloss sich noch.
Rio wurde auf sein Pferd geworfen. Seine Arme, der Kopf und die Beine hingen beiderseits des Tieres nach unten.
»Wir müssen eben alles richtig auf den Kopf stellen«, sagte der Händler. »Irgendwo werden die Bucks schon auftauchen.«
»Hier findet ihr nichts. Der Kerl ist weggefahren, und wir verließen die Hütte nicht mehr.«
Sie grinsten ihn an.
»Ich schätze, wir binden ihn erst mal«, schlug der Marshal vor. »Dann suchen wir in aller Ruhe weiter. Hände vor!«
Jay verspürte noch immer keine Lust, sich kampflos zu ergeben. Aber zugleich erschien ihm ein Fluchtversuch so sinnlos wie vorher der von Rio.
»Stehst du auf den Ohren?«, brüllte Savage ihn an.
Da warf er sich der Mauer doch entgegen, entriss dem Marshal das Gewehr, besaß aber zu wenig Raum, um mit dem Kolben um sich schlagen zu können. Sie hielten den Schaft fest und entrissen ihm die Winchester. Eine Faust kam von Savage wie ein Hammer auf ihn zu. Er wurde getroffen und knallte mit dem Hinterkopf gegen die Wand. In seinem Gehirn schien etwas zu explodieren. Er schwankte. Da versetzten sie ihm schon die nächsten Schläge. Seine Knie gaben nach. Er taumelte gegen einen der Kerle und wurde zur Seite gestoßen. Wie Rio landete er auf dem Gesicht.
»Genug«, sagte der Marshal scheinbar weit entfernt.
*
»Zur Hölle, das gibt es nicht!«
Jay lag wie Shayne quer über dem Pferderücken und sah den leuchtenden Sand unter sich, das Unkraut und einen Pfahl von Zaunrest.
»Irgendwo muss es sein!«, schimpfte der Marshal verbittert. »Die haben es doch nicht weggeworfen.«
Der Sand knirschte. Jay sah den langen Schatten eines Mannes. An den Haaren wurde sein Kopf angehoben. Er erkannte den Händler, der wütend dreinschaute.
»Wo ist es?«
Er gab darauf keine Antwort, weil es ihm sinnlos erschien, sie von der Wahrheit überzeugen zu wollen. Die ausgeschlagenen Zähne, Rios Lüge, dass der fahrende Händler gar nicht hier gewesen wäre, das allein überzeugte die Männer mehr als tausend andere Argumente, die man vielleicht hätte finden können.
Fluchend stieß der schrankbreite Händler Jay zurück. Er rutschte über den Sattel, wurde losgelassen und stürzte in den Sand. Das Pferd schnaubte.
Trotz der gefesselten Hände gelang es Jay, sich zu setzen. Er kroch zurück, weil sie schon wieder eine drohende Mauer mit vorgereckten Gewehren bildeten. Fuchsteufelswild sahen sie aus.
Jay stieß gegen den Zaunrest und konnte nicht weiter.
Zwischen den Gewehren ging der Stadtmarshal in die Hocke. »Wir lassen dich nicht mehr laufen, soviel musst du wissen. Aber vielleicht rechnen wir es dir an, wenn du redest!«
»Anfängen könnt ihr mit den Dollars sowieso nichts mehr!«, verriet der Barbier. »Dafür sorgen wir, mein Junge!«
»Wir haben es nicht!«
»Ihr bildet euch ein, dass wir euch laufen lassen müssten, wenn wir nichts finden«, verkündete der Marshal. »Ohne Beweis keine Anklage. So habt ihr euch das doch ausgedacht, was?«
»Wir haben es nicht«, sagte Jay wieder.
»Wer einem wie dir glaubt, betrügt die eigene Großmutter«, sagte der Händler.
Mehrere nickten zustimmend. Allein dieses Vorurteil würde sie noch dazu bringen, jegliche Hemmungen zu verlieren.
Der Barbier beugte sich neben dem Stadtmarshal herab. »Wenn du es sagst, baumelt ihr nur einmal! Und falls der Strick reißt.. .« Er brach vieldeutig grinsend ab.
»Marshal, ein Reiter!«, rief ein Wächter an der Hütte.
Cobb und der Barbier richteten sich auf. Der Kreis schob sich auseinander.
Aus dem Dickicht westlich der halb verfallenen Farmhütte ritt Jewy Zattig.
»Ach der.« Cobbs Haltung entspannte sich.
Der krummrückige Reiter, dem das lange Silberhaar unter dem speckigen Zylinder hervorhing, zügelte seine Mähre und stützte die Hände auf das Sattelhom. »Hallo! Was ist denn hier los? Wollt ihr die alte Farm wieder flott machen? Der Boden taugt doch nichts, Leute. Boris und ich reden manchmal auch schon davon, dass es klüger wäre, hier gar nicht erst Wurzeln zu schlagen.«
Cobb verließ die anderen und ließ die Gewehrmündung nach unten sinken. »McClure wurde ermordet.«
»Der fliegende Händler?«, staunte der Farmer.
»Ja, der.«
»Hier?« Zattig blickte sich um. »Wo ist er denn? Was ist mit seinem Wagen?«
»Nicht hier, sondern auf der Overlandstraße. Ein paar Meilen nördlich von hier.«
»Ach so. Von denen? Ich sage ja immer, einem Fremden darf man nicht über den Weg trauen. «
»Was machst du denn hier, Zattig?«, wollte der Marshal wissen.
»Wollte eben mal nachsehen, wie es dem Jungen geht, dem der Bär eins versetzte.«
»Er lebt noch«, sagte der Barbier. »Jedenfalls noch ein wenig. Der war aber auch nicht beteiligt.«
»Hatte McClure denn viel Geld?« Zattig legte den Kopf schief.
»Mindestens fünftausend Dollar«, wandte der Händler aus der Stadt ein. »Das weiß ich mit Sicherheit. Es können aber auch siebentausend, achttausend Dollar oder noch mehr gewesen sein.«
»McClure?« Zattig grinste und schüttelte den Kopf.«
»Ausgeschlossen. Der erinnerte mich noch immer an einen, der vom Betteln sein Dasein fristet. Mit soviel Geld hätte er ja wie der Herrgott in Frankreich leben können. Alt genug, um aufzugeben, war er auch längst. Nein, nein, das müsst ihr schon einem erzählen, der die Hosen mit der Zange anzieht!« Zattig kicherte, als habe er einen Witz gehört und könnte sich darüber prächtig amüsieren.
»Er besaß auf jeden Fall mehr als fünftausend Bucks allein an barem Geld« erklärte Savage mit Nachdruck.
»Und was anderes interessierte die Lumpenhunde nicht!«, setzte der Barbier wissend nickend hinzu.
»Hätte ich nie für möglich gehalten«, murmelte der Farmer erschüttert. »Damit wäre er ja praktisch ein reicher Mann gewesen. Wieso setzte er sich noch dem Risiko aus, auf der Straße überfallen, meuchlings ermordet und gefleddert zu werden?«
»Warum rackern die meisten Leute, bis sie ins Gras beißen?«, fragte der Marshal brummig zurück.
»Jaja, das sage ich zu Boris auch immer wieder.« Zattig seufzte. »Wir sollten aufgeben. Einfach alles hinwerfen, das sowieso nichts einbringt. Aber jedes Jahr versucht man es noch einmal von vorn. Dabei taugt der Boden noch nie für was anderes, als zur Rinderzucht, falls er überhaupt zu etwas nutze ist.«
»Sie wollen ernsthaft aufgeben?«, fragte der Marshal gespannt.
Zattig zuckte mit den Schultern. »Richtig entschlossen dazu bin ich natürlich nicht, Marshal. Aber halb entschlossen dazu bin ich wiederum schon seit Jahren.« Ein unglückliches Grinsen entstellte das Gesicht des Farmers. Er schaute sich um. »Können die Dollars denn hier irgendwo sein?«
»Ausgeschlossen. Wir haben alles abgesucht.«
»Dann haben die Kerle es vielleicht östlich der Straße vergraben!«, vermutete der Farmer.
»Gut möglich. Aber auf Verdacht können wir nicht alles absuchen. Die lachen sich ja krank über uns.«
»Wir holen es schon aus ihnen heraus!«, versicherte der schrankbreite Händler. »Nur abwarten.«
»Und der Verletzte?«, fragte Zattig. »Sollen Boris und ich uns um ihn kümmern?«
»Den nehmen wir mit«, entschied der Marshal. »Geht nicht anders zu machen. Los, Leute, setzt die Schleppbahre zusammen.«
Mehrere Männer betraten die Hütte.
Jay war heilfroh, dass das Auftauchen des Farmers die Aufmerksamkeit von ihm ablenkte. Sicher hatten sie hier schon anfangen wollen, auf ihre Art etwas aus ihm herauszuholen, wovon er nichts wusste.
»Also wenn ich gar nicht helfen kann ...?« Zattig brach ab und schaute mit gefurchter Stirn auf den Marshal.
»Haltet die Augen offen, Zattig.«
»Warum?«
»Könnte ja sein, die haben noch ein paar Kumpane.«
»Vielleicht Indianer?« Zattig beugte sich über den Pferdehals.
Die Männer starrten sich an.
»Daran dachten wir noch gar nicht«, gestand der Händler.
»Nein, Unsinn, die sind allein«, wandte der Barbier ein. »Sonst hätten sie doch den Verletzten nicht hierher geschleppt. Sie waren einfach abgebrannt. Und da kam ihnen dieser Halsabschneider in die Quere und wurde frech, weil sie keinen Zaster hatten und nicht kaufen konnten, was er los sein wollte. Wir kannten ihn doch alle!«
»Aber das ist noch lange kein Grund, ihn umzubringen und auszuplündern!«, schimpfte der Marshal.
»Sage ich ja auch gar nicht. Aber so kam das alles. McClure. wird ganz schön auf den Putz gehauen haben. Na ja, dann sagten sich die Jungens, hinterher und nichts als drauf. Vielleicht meinten sie sogar, McClures Schicksal würde keinen Menschen interessieren!«
Der Barbier wandte sich um und schaute Jay mit funkelnden Augen an. »Falsch geraten, mein Junge! Wir kümmern uns um jeden feigen Mord. Grundsätzlich.«
»Werft ihn wieder aufs Pferd!«, befahl der Stadtmarshal.
Jay wurde auf die Beine gezogen und quer über sein Pferd geworfen.
Jeff Logan wurde aus dem Haus getragen. Im Hof stellten sie die Schleppbahre ab.
»Der ist fertig«, verkündete der Farmer. »Fragt ihn doch mal aus.«
»Blödsinn, der nimmt doch nichts mehr auf«, sagte der Barbier. »Hängt die Bahre an. Und vergesst die Sättel der Halunken nicht, die verrotten hier nur!«
»Dann will ich nicht länger stören.« Zattig tippte an den alten Zylinder, wendete seine Mähre und ritt nach Westen zurück. Rasch tauchte er in den aufziehenden Dunstschleiern unter.
*
Jay Durango wurde es immer elender. Die Sonne brannte ihm in den Nacken. Blut stieg in seinen Kopf. Zudem wirbelten die Pferdehufe immer neuen Staub auf, der ihm das Atmen erschwerte. Manchmal begann sich in seinem Kopf bereits alles in wilden Kreisen zu drehen. Er meinte Feuerschweife und Funkenflug sehen zu können.
»Halt!«, rief der Barbier irgendwo in dem Zug des Aufgebots.
Jays Pferd wurde angehalten.
»Was ist los, Keach?«
»Der Junge ist tot, Marshal.«
Jay war es, als würde eine Nebelwand vor ihm zerissen. Überdeutlich hörte er von einer Sekunde zur anderen jedes Geräusch.
»Der hat den Transport nicht vertragen«, meldete sich der Barbier abermals. »Hätte ich euch vorher sagen können.«
»Sollten wir ihn da draußen liegenlassen?«, schimpfte der Stadtmarshal aufgebracht. »Ist es vielleicht unsere Schuld, dass wir die Lumpenkerle verhaften mussten?«
»Wahrscheinlich wäre er da draußen auch gestorben«, sagte der Barbier. »Aber genau wissen kann man es natürlich nicht.«
»Und nun?«, fragte der Händler.
»Am besten, wir beerdigen ihn gleich«, schlug der Schmied vor. »In der Stadt kostet es Geld.«
»Kein Wunder, da hab ich auch die ganze Arbeit damit!«, maulte der Schreiner.
Sattelleder knarrte. Die Männer entfernten sich auf dem Weg zurück, den sie kamen. Jay meinte zu hören, wie sie ein Grab aushoben.
Nach ungefähr einer halben Stunde näherten sich die Schritte wieder. Jay wurden die Fesseln an den Füßen abgenommen. Sie zogen ihn über das Pferd. Er kam mit den Füßen auf und drohte dennoch umzufallen, so benommen war er noch.
Rechts und links standen je zwei Männer mit Revolvern in den Händen und finster verkniffenen Gesichtern.
»Keine Mätzchen«, drohte der Marshal. »Uns genügt einer, um zu erfahren, wo die Bucks sind. Einen können wir leicht entbehren. Vorwärts jetzt!«
Mit gefesselten Händen lief Jay von vier Revolvern bedroht an den Pferden vorbei. Dahinter, zwischen Scrubbüschen, die bald darüber hinwegwachsen würden, hatten sie ein Grab ausgehoben.