Colt-Helden: Super Western Sammelband 7 Romane

- -
- 100%
- +
*
Jay schob sich an der Wand entlang. Sein Ärmel kratzte über die rohen Wandbretter. Er sah den aus dem Saloon fallenden Lichtschein und mehrere Männer drinnen am Tresen. Als er einen Blick um die Ecke werfen konnte, atmete er auf.
Im Office brannte kein Licht. Wie erwartet hielt sich der Stadt-Marshal nicht darin auf.
Jay schob sich zurück, glitt hinten um die Ecke und erreichte die schmale Hintertür. Er schaute sich um und meinte Rio und die Pferde bei den Büschen im Mondschein schemenhaft zu sehen. Bestimmt war der hünenhafte Partner noch aufgeregter als er selbst. Jay lächelte darüber.
Die Tür besaß innen einen Riegel, der sich jedoch von außen nicht betätigen ließ. Dafür saß er nicht sehr fest, so dass die Tür zwei Fingerbreit bewegt werden konnte.
Jay griff in den Falz, stemmte einen Stiefel gegen die Wand und zog an der Tür. Das aufgesetzte Fugenbrett brach ab. Durango strauchelte, vermochte sich jedoch zu fangen. Er klemmte das Brett quer in die Fuge und benutze es als Hebel. Der Riegel platzte von der Tür und schlug drinnen dumpf auf den Boden. Die Tür sprang auf. Im Mondschein erkannte Jay eine kleine Kammer, gerade groß genug für das Bett und einen Gang daneben.
Jay trat ein, erreichte die Verbindungstür und stand einen Augenblick später im leeren Office. Die Tür der Zelle war nicht mehr geschlossen worden. Auf dem Tisch lagen die Stricke, die er selbst dem Nacht-Marshal angelegt hatte.
Im Spind neben dem Waffenständer fand Durango wie erwartet seinen Colt und den von Rio. Die Patronengurte waren um die Waffen gewickelt. Er schnallte seinen um, legte den anderen auf den Schreibtisch und entnahm dem Schrank auch ihre Gewehre.
Aus dem Saloon gegenüber trat eine Gestalt. Laut knarrten die schwingende Türflügel.
»Gehst du schon, Tobe?«, rief eine, von Whisky heisere Stimme.
Der Mann auf der Veranda erwiderte nichts, wandte sich ab und lief die Straße hinunter.
Rasch verließ Jay hinten hinaus das Office und lehnte das abgerissene Brett als Sicherung gegen die Tür.
Rio atmete auf, als Jay ihn erreichte. Er nahm seinen Waffengurt und schnallte ihn um. Durango schob die Gewehre in die Scabbards.
»Für den Marshal müssten wir noch ein Pferd haben, Jay!«
»Das schaffen wir nicht. Den nehmen wir auf unseren Pferden mit. Einer von uns. Aber vielleicht besitzt er selbst einen kleinen Stall.«
»Das denke ich eigentlich auch, Jay. Hier wird doch keiner dem Stallmann zu Einkünften aus der eigenen Tasche verhelfen.«
»Das sehen wir gleich.« Jay führte seinen Braunen an den Büschen entlang weiter.
»Das vorletzte Haus muss die Büchsenmacherei sein!«
Jay blieb stehen, blickte auf die schemenhaften Gebäude, führte das Tier ins Dickicht und wartete, bis Rio ihn erreichte. Mit den Zügeln banden sie die Tiere zusammen, lockerten die Colts in den Halftern und traten erneut aus dem Schutzwall.
Es musste bereits Mitternacht sein. In den Häusern brannten keine Lampen mehr. Nirgendwo bewegte sich etwas.
»Gehen wir.« Jay schritt den Häusern entgegen. Das Risiko, von einem Beobachter hinter einem Fenster zufällig gesehen zu werden, mussten sie auf sich nehmen.
Der Hof war nach hinten nicht abgeschlossen. Selbst das Buschwerk der beginnenden Wildnis wies Lücken auf. In der Tat sahen sie einen kleinen Stall im Hof neben der schmalbrüstigen Werkstatt, auf der ein Blechschild verriet, dass sie richtig waren.
Rechts und links der Hoftür blieben sie am Haus stehen. Jay versuchte, die Tür mit der Klinke zu bewegen, doch das misslang.
Rio ging zum Fenster, presste die Hände gegen das untere Teil und vermochte es nach oben zu drücken. Die Halterung am Rahmen schnappte in eine Feder und hielt die Fensterhälfte fest.
Jay schwang sich hinauf und kletterte über den Sims. Er kam in der Küche an. Im Herd glühte es noch dunkel unter der Asche. Hitze erfüllte den Raum.
Rio kletterte geräuschlos herein.
Jay trat an den Tisch, während Rio an den abgehenden Türen lauschte.
»Hier drin schnarcht einer!«
Jay zündete die. Lampe an und hängte sie von der Kette. Er trat zu Rio, die Lampe in der linken Hand, öffnete die Tür und stieß sie auf. Die Tür schwang heftig kreischend herum. Der Lichtschein erfasste den Marshal und seine Frau, die beide erwachten und im Doppelbett in die Höhe fuhren. Die Frau stieß einen spitzen Schrei aus.
»Keine Bewegung und absolute Ruhe!«, befahl Rio.
»Mein Gott, die Banditen!«, rief die Frau entsetzt.
»Ich dachte ...« Cobb brach ab.
»Sie dachten, wir wären mit der Beute über alle Berge, Marshal, nicht wahr?«
»Ja«, gab Cobb zu.
»Haben Sie den US Marshal bereits verständigt?«
»Nein. Das muss schon warten, bis die nächste Postkutsche dahinfährt.«
Jay nickte. »Was für ein Glück für Sie.«
»Wieso?«
»Weil Sie sich unsterblich blamiert hätten. Wir reiten jetzt dahin, wo das Geld ist. Und dann werden Sie sehen, dass nicht jeder Fremde unbedingt ein schlechterer Mensch sein muss als diejenigen, die man gut zu kennen meint. Los, aufstehen! Und machen Sie uns keine Schwierigkeiten, sonst erfahren Sie die Wahrheit nie mehr.«
Cobb gehorchte und hob die Hände.
Rio ging in die Küche und in den Flur hinaus. Er kehrte zurück und warf ein Seil und ein Messer auf das Bett. »Binden Sie ihre Frau und stecken Sie ihr einen Knebel in den Mund. Aber bitte ein bisschen ordentlich!«
Cobb schaute Jay an.
»Was soll das alles heißen?«, rief die Frau. »Sie werden dich umbringen, James!«
»Wenn wir das wollten, wären nicht solche Umstände nötig«, sagte Rio gepresst. »Nun bewegen Sie sich schon, Marshal. Sonst wird’s verdammt ungemütlich.«
Der Mann nahm Seil und Messer vom Bett und ging zur anderen Seite hinüber.
Jay und Rio bedrohten den Mann mit den Colts.
»Woher habt ihr Waffen?«
»Sie gehören uns«, erwiderte Jay. »Ich war so frei, sie zu holen.«
»Sie haben eingebrochen!«
»Richtig, Marshal. Vergessen Sie nicht, was Sie tun sollen.«
Cobb blickte auf seine Frau. »Sie werden mich töten, wenn wir nicht gehorchen, Mattie. Leg dich auf den Bauch.«
»Sie wollen dich verschleppen und irgendwo in der Wildnis meuchlings ermorden, James!«
»Wir hassen Umstände«, sagte Jay barsch. »Solche Umstände, wie Sie vermuten, Madam, und solche, wie Sie sie uns machen, Marshal!«
»Mattie, komm, sei ein Schatz!«, bettelte der Stadt-Marshal. »Es wird schon nicht so schlimm werden.«
Jammernd legte sich die Frau zurück und rollte herum.
»Die Hände nach hinten, Mattie!«
»Machen Sie das ordentlich, sonst binde ich die Stricke noch mal fest!«, drohte Rio.
Cobb fesselte die Frau und knebelte sie anschließend mit einem Taschentuch und dem Rest des Stricks. .
Rio ging vor den Betten vorbei, wackelte drohend mit dem Revolver und dirigierte Cobb damit in die Ecke, wo Jay ihn wieder bedrohen konnte. Rio kontrollierte die Arbeit des Stadtmarshals.
»Gut, das hält. Gehen wir, Mister!«
Jay trat rückwärts in die Küche und am Tisch vorbei zur Tür. Der Schlüssel steckte innen. Er drehte ihn um und verließ rückwärts auch das Haus.
Cobb folgte mit erhobenen Händen. »Wisst ihr eigentlich, was darauf steht, einen Marshal zu entführen?«
»Wir werden dann dreimal gehenkt, wenn es nach euren Köpfen geht«, erwiderte Jay gleichmütig.
»Los, weiter!« Rio stieß dem Mann den Colt in den Rücken. »Wir gehen zum Stall, Marshal.«
Im Hof blieb Cobb stehen. Die Situation war gefährlich, weil der Lichtschein von der Straße aus gesehen werden konnte. Und wenn jetzt einer der Nachzügler den Saloon verließ und die Straße herunterkam, würde ihr ganzer Plan platzen.
»Wo ist das Mädchen?«, fragte der Marshal.
»Wir haben Fee weggeschickt.«
»Und was war der Preis?«
»Die Hälfte der Beute, Marshal. Das hatte Fee so festgesetzt. Später begriff sie dann schneller als Sie jetzt, dass es keine Beute gab. Nicht bei uns.«
»Los weiter!« Rio stieß mit der Revolvermündung und brachte den Marshal damit weiter hinter Jay her, der immer noch rückwärts lief und den bulligen Mann seinerseits in Schach hielt.
»Moment, Rio!« Jay stieß mit dem Rücken gegen den kleinen Stall.
»Stehenbleiben!«
Cobb verharrte. Jay schob den Colt in die Halfter, öffnete die Tür und zog den Revolver wieder. Er betrat den Stall. Rio schickte den Marshal weiter.
»Es scheint zu klappen!«, frohlockte er. »Aber es ist kaum zu glauben.«
»Los, Marshal, stehen Sie nicht herum, als wollten Sie bedient werden!«, fuhr Jay den mittelgroßen Mann an.
Cobb trat neben das Pferd und sattelte es. Im letzten Augenblick, als er schon zugriff, erkannte Jay ein Schimmern und wusste, dass es von der Kolbenplatte der Winchester im Scabbard herrührte. Er sprang vorwärts.
Cobb riss das Gewehr heraus und wollte herumwirbeln. Da setzte Jay ihm den achtkantigen Lauf des Revolvers auf den Kopf. Der Mann verlor das Gewehr, taumelte gegen die Trennwand und stürzte ins Stroh.
»Der hat Haare auf den Zähnen!«, schimpfte Rio.
Jay hob das Gewehr auf und schleuderte es neben den Futterkasten.
»Fällt dir eigentlich auch auf, dass er noch im Nachthemd ist?« Rio kicherte. »Das sieht vielleicht komisch aus.«
»Hol ihm was anderes.«
»Warum?«
»Weil er uns das ankreidet, wenn wir ihn so bloßstellen. Und das nützt uns nichts.«
Rio verließ den Stall und überquerte den Hof.
Jay suchte ein Lasso. Er fand auch ein Messer, schnitt eine Fessel zurecht und legte sie auf die Futterkiste.
Rio brachte ein Hemd, eine Hose, Stiefel, die derbe Jacke mit dem Stern und den Hut Cobbs. Sie zogen ihn an. Er erwachte dabei, wollte Rio angreifen und kassierte einen Kinnhaken.
»Sag es, wenn dir das Fell juckt, Marshal. Halunken sind nicht pingelig!«
Jay fesselte dem Marshal die Hände.
»Wollen wir ihn nicht quer über den Gaul werfen, wie er es mit uns machen ließ?«
»Wollen wirklich genauso mies sein, Rio? «
»Am liebsten wäre ich es.«
»Ich nicht.« Jay stieß den Mann gegen die Krippe und führte das Pferd hinaus.
»Komm, Marshal, der Ritt geht los!«
Rio bedrohte den Sternträger, bis der auf seinem Pferd saß. Jay führte das Tier hinten hinaus. Sie erreichten die eigenen Pferde, gaben Cobb den Zügel in die gefesselte Hand und saßen selbst auf.
*
Der Mond stand tief im Süden. Sein fahler Lichtschein verglomm langsam. Die Dunkelheit wurde intensiver.
Entsprechend spät tauchte die Farm vor ihnen auf. Sie zügelten die Pferde. Rio hielt Cobbs Pferd mit an.
»Hier ist das Geld, nach dem Sie suchen«, erklärte Jay. »Bei den feinen Brüdern Zattig!«
Cobb blickte ihn prüfend an. »Sie müssen das nicht glauben, Marshal. Wir nahmen Sie ja mit, um es Ihnen zu zeigen. Aber es ist besser, Sie wissen schon alles, wenn Sie anfangen zu begreifen, dass es so und nicht anders wahr. Also wir kamen zuerst hierher, und die Zattigs sagten uns, wo wir eine leere Hütte finden könnten. Hinter dieser Hütte fanden Ihre Leute später eine leere Tasche, die man als die von McClure erkannte. Und wir sollten so dumm gewesen sein, so ein gefährliches Beweisstück hinter das Haus geworfen zu haben. Der oder die, die das veranlassten, müssen gewusst haben, dass in Montrose nicht lange gefackelt und der Verstand nicht strapaziert wird. Das wiederum konnte nur jemand sein, der die Leute genau kennt und zugleich wusste, wo wir uns befanden. Der Farmer Wolter schied deswegen aus, er wusste von uns zu diesem Zeitpunkt nichts. Blieben die Zattigs und die Leute der Stadt selbst. Aus der Stadt war es kaum einer. Der wäre die ganze Nacht unterwegs gewesen. Das hätte wohl doch jemand bemerkt.«
»Haben wir das kapiert, Mister?«, fragte Rio.
»Als Sie gestern hier auftauchten, steckten wir da drüben im Maisfeld«, fuhr Jay fort. Er nickte über den Hof hinweg. »Und kaum sind Sie mit Ihrem Haufen weg gewesen, haben die Zattigs das Geld aus dem Versteck geholt.«
»Ihr habt förmlich darauf gestanden!«, rief Rio. »Am Beginn der Büsche war es in einem Beutel verscharrt. Jewy hat gesagt, den würden sie nun unter den Dielen im Haus verstecken. Und zwar unter dem Herd, den man bewegen könnte.«
Cobb schaute wieder auf Jay. Noch immer war kein einziges Wort über seine Lippen gekommen.
»Wenn wir das Geld jetzt dort finden, haben Sie den Beweis, wer McClure ermordete. Die Zattigs haben vielleicht seit Jahren auf eine Gelegenheit gewartet, ihn über den Jordan zu schicken und es anderen anzulasten. Und ohne Fee wäre der verschlagene Plan sicher auch aufgegangen. Also, Marshal, steigen wir ab!«
Cobb gehorchte und trat vor die Pferde. Noch waren seine Hände gefesselt, so dass er ihnen nicht sehr gefährlich werden konnte. Ob er ihren Worten Glauben schenkte, ließ sich auf seinem Gesicht nicht ablesen.
»Die Zattigs waren immer hier«, fuhr Jay fort. »Denen konnten wir die Beute also nicht ins Haus schmuggeln.«
»Noch dazu, wo wir doch keine Waffen besaßen, Marshal!«
Cobb standen die Lippen wie ein Strich im Gesicht. Offenbar wehrte er sich gegen die Einsicht, einen gewaltigen Bock geschossen zu haben und von ein paar gerissenen Farmern hereingelegt worden zu sein.
Jay und Rio nahmen ihn mit über den Hof und erreichten die Tür.
»Melden Sie sich!«, flüsterte Jay und schlug mit dem Revolver gegen die Tür.
Drinnen rumorte etwas. Jewy Zattig fluchte lästerlich. »Wer ist denn da, verdammt?«
»Marshal Cobb«, sagte der Mann aus der Stadt tatsächlich.
Jay atmete tief durch. Bei Cobb schien das Eis gebrochen zu sein, auch wenn er sich noch zierte, das zuzugeben.
»Was wollen Sie?«
»Das sage ich euch, wenn die Tür offen ist, Zattig!«
»Was will denn der?«, fragte Boris leiser, aber immer noch laut genug, um draußen verstanden zu werden.
»Du hörst doch, dass er es nicht sagt.« Jewy fluchte wieder, stieß irgendwo an und brüllte, als wäre er schwerverletzt worden. Dann schabte Eisen über das Holz, und der Riegel schnappte aus der Sperre.
Jay schob die Tür mit der Schulter auf, drang in die Hütte ein und bedrohte den alten Zattig. Der Kerl hob unaufgefordert die Hände.
»Verdammt!« Boris packte einen Schemel und schleuderte ihn Durango entgegen. Der Vormann sah es undeutlich und duckte sich.
Das Wurfgeschoss streifte über seinen Kopf, schlug draußen in den Sand und zerbrach.
Jewy wollte sich nach dem Gewehr umdrehen.
Jay ließ den Colt fallen, riss den Mann am Ärmel herum und hieb ihm die Faust auf den Punkt. Mit rudernden Armen flog der Kerl zurück und knallte gegen die Wand.
Jay hob den Revolver auf.
Inzwischen ergriff Boris den Tisch und schleuderte ihn zur Seite. Aber Rio war schon bei ihm und warf ihn hinter seinem Bruder her. »Dort bleibt ihr stehen, bis ich was anderes befehle!«
Jay zündete die Lampe an. Sie schwang an einem verbogenen Draht hin und her und ließ Schatten durch die Hütte tanzen.
»Was soll das bedeuten?«, schimpfte Jewy wild. Er war mit Unterhemd und Unterhose wie sein Bruder bekleidet. Das weiße Haar hing wie eine Mähne um seinen Kopf.
»Teufel, der Marshal ist gefesselt!«, rief Boris.
»Dem müssen wir leider mit ein bisschen Gewalt auf die Sprünge helfen«, erklärte Jay. »Jetzt rücken wir mal den Herd zur Seite. Aber nur einer von euch!«
Die beiden rührten sich nicht.
»Jewy!« Rio winkte mit dem Colt zum gemauerten Herd.
Die beiden alten Teufel sahen bleich aus.
»Der Herd ist gemauert, das sieht doch ein Blinder!«, wagte Jewy mit krächzender Stimme einzuwenden.
»Aber doch nicht aufs Holz.« Rio schüttelte den Kopf. »Los, der bewegt sich, wenn du richtig schiebst. Versuch es mal.«
»Sind die beiden verrückt, Marshal?«
Rio packte Jewy und stieß ihn gegen den Herd. »Wir halten jetzt keine Reden, Freundchen!«
Jewy Zattig taumelte gegen die Wand.
»Lässt sich der Herd bewegen?«, fragte Cobb schleppend. »Sehr groß ist er eigentlich nicht.«
»Die beiden sind nicht dicht in den Köpfen.«
»Mit dem Holz verbindet sich der Mörtel aber wirklich nicht«, sagte der Stadt-Marshal. »So einfach das ist, so schwierig hat man es, darauf zu kommen. Willst du es nicht versuchen, Jewy?«
»Ich frage mich, was der Quatsch soll.«
»Sie behaupten, McClures Geld wäre darunter versteckt.«
Boris zitterte. Hörbar schlugen seine Zähne aufeinander. Schweiß perlte ihm auf der Stirn.
»Hilf deinem Bruder!«, befahl Cobb.
»Wir haben McClure nicht auf dem Gewissen!«, stieß Boris hervor. »Großes Ehrenwort!«
Cobbs Gesicht verzog sich zu einem müden Grinsen. »Ihr habt uns schön an der Nase herumgeführt. Wirklich prachtvoll ist euch das gelungen. Aber alles hat irgendwann ein Ende. Bindet mich los, ich rücke den Herd weg!«
Jay holte ein Messer aus dem schmalen Spind hinter der Tür und befreite den Stadt-Marshal. Cobb ging zum Herd und schob ihn mit Gewalt zur Seite. Er bückte sich, entfernte mit den Fingern das eingesetzte Bodenbrettstück und griff in das Loch darunter.
Als er den Sack mit den klimpernden Münzen aus der Hand fallen ließ, rannte Jewy ihn um. Rio ging dazwischen, zog Jewy hoch und setzte ihm die Handkante gegen den Hals. Der Kerl schrie und strauchelte.
Boris fand den Weg zur Tür frei und rannte los.
Jay sah ihn zu spät und griff ins Leere.
Draußen schwang sich Boris auf das Pferd des Marshals.
»Rio, bleib hier!«, rief Jay und rannte hinter dem flinken Farmer her. Er konnte ihn nicht mehr einholen.
Boris sprengte in die Nacht hinaus.
Jay schwang sich auf seinen braunen Hengst und galoppierte hinterher. Er zog das Gewehr aus dem Scabbard und feuerte. Doch das konnte Boris Zattig nicht mehr beeindrucken. Er schlug auf das Pferd ein und schlug einen Haken. Mitten durch das Maisfeld erreichte er das Buschland, das er wie seine Tasche kannte.
Als er den dritten Haken schlug und Jay hinterher wollte, lief der Braune ins Dickicht und verfing sich darin. Jay wurde ausgehoben und über den Hals des Pferdes geschleudert.
Boris preschte davon.
Jay erhob sich. Die Schulter und der Arm schmerzten ihn, und er hinkte, als er zurückging und dem Tier half, sich aus dem Buschwerk zu befreien. Aber er wollte nicht aufgeben, stieg in den Sattel und nahm die Verfolgung wieder auf.
*
Jewy saß zusammengesunken auf einem Schemel und blickte die Dielen an. »Alles sah so einfach aus«, murmelte er kopfschüttelnd. »Diese blöde Gans aus der Kneipe.«
Cobb zählte das Geld auf dem Tisch und hörte gar nicht hin. Die Silbermünzen formten sich unter seinen Händen zu funkelnden Türmen und wurden zu einer ganzen Kette.
» Achttausendzweihundertdreißig «, sagte der Stadt-Marshal. »Ganz schön für zwei.«
Jewy blickte auf. »Jahrelang sprachen wir davon, den alten Trottel zu erleichtern. Aber der Verdacht wäre immer gleich auf uns gefallen. Nie hätten wir hoffen dürfen, dass Gras darüber wächst und wir mit dem Geld verschwinden könnten.«
Cobb räumte das Geld über die Tischkante in den Beutel zurück, den er darunter hielt. Er schnürte ihn zu und legte ihn auf den Tisch. Sein Blick fiel auf Rio Shayne, der an der Wand lehnte. Den Revolver hatte er in den Halfter gesteckt.
Vom Hufschlag konnten sie längst nichts mehr hören.
»McClure wurde von zwei Kugeln getroffen«, sagte der Stadt-Marshal. »Aus zwei Gewehren, wie ich annehme. Ihr seid beide seine Mörder, Jewy!«
»Das blöde Weib«, knurrte Zattig, der dem Marshal offenbar nicht zugehört hatte und den am Geschehen auch nur interessierte, dass sein Plan nicht aufging.
»Wir warten, bis dein Freund zurück ist«, wandte Cobb sich an Rio. »Dann reiten wir zur Stadt.«
*
Jay zügelte den Braunen am Saum des Waldes. Vor ihm brach das Unterholz zwischen den Kiefern. Boris Zattigs Vorsprung schmolz wieder dahin. Da er auch keine Waffe an sich bringen konnte, sah Durango keine große Gefahr für sieh.
»Weiter!«, rief er dem Hengst zu und trieb ihn an.
Der Braune trug ihn in das Gehölz hinein.
Da erreichte ein scharfes Wiehern seine Ohren. Der Verfolgte stieß einen Schrei aus. Ein tiefes Brummen übertönte die anderen Laute.
Jay dachte augenblicklich an den verletzten Bären, riss das Gewehr aus dem Scabbard und repetierte es.
Da der nächste Schrei.
Der Braune bockte. Jay wusste, dass er ihn nicht weiterbringen würde, sprang ab und hastete vorwärts.
Das Bersten von Ästen, ein neuer Knurrlaut und Zattigs Geschrei verrieten, wo Durango suchen musste. Ein paar Herzschläge später erreichte er eine kleine Lichtung und sah im Morgengrauen, wie das gewaltige Tier den Farmer festhielt, an sich zog, ihn biss und zur Erde schleuderte.
Jay feuerte. Die Kugel traf den bereits verletzten Kodiakbären und ließ ihn zusammenzucken. Durango repetierte, feuerte wieder und ging dabei rückwärts.
Die Bestie ließ von dem am Boden liegenden Opfer ab. Schwankend verfolgte sie den neuen Gegner.
Jay schoss und traf das gewaltige Tier diesmal zwischen die Augen. Es schwankte stärker, kam nicht mehr vorwärts und drohte nach der Seite zu kippen.
Schuss um Schuss jagte der Vormann aus der Winchester, und jede Kugel traf den Leib des Tieres, aus dem das Blut in Strömen floss. Und doch näherte sich das fast brüllende Tier ihm immer weiter und schlug mit den Pranken um sich.
Die letzte Kugel fuhr der Bestie in den aufgesperrten Rachen. Sie stoppte, taumelte rückwärts wie betrunken und brach zusammen.
Aus dem Wald hallte das Wummern der Schüsse zurück.
Jay ließ die Winchester sinken. Pulverdampf und Schweiß brannten ihm auf der Haut. Er wartete darauf, dass der Kodiakbär sich wieder erheben würde, aber das Tier schlug nur um sich, versuchte zwar, auf die Füße zu kommen, besaß aber keine Kraft mehr dafür.
Jay umging den geschlagenen Gegner. Als er Boris Zattig richtig sehen könne, wurde ihm übel. Der Mann sah sich kaum noch ähnlich. Gesicht, Arm und Hüfte waren verletzt. Er wollte etwas sagen, formte auch noch Worte, nur auszusprechen vermochte er sie nicht mehr.
Der Farmer war am Ende.
*
Als sie die Stadt erreichten, stand .die Sonne bald im Zenit. Die Menschen säumten die Straßenränder und liefen mit zum Office des Marshals hinauf. Dort erst hielt James Cobb an. Zwischen ihm und Jay saß Jewy Zattig gefesselt auf seinem Pfred. Boris hatten sie auf der Farm beerdigt, weil ihn der Kodiakbär so fürchterlich zurichtete.
Alle Leute sahen, dass etwas anders war, als sie vermutet hatten. Und alle blickten abwartend auf den Marshal.
»Zattig und sein Bruder«, sagte Cobb, zog den Beutel aus der Tasche und warf ihn dem Drugstorebesitzer zu.
»Was?«, fragte der Schmied.
»Begreift ihr es etwa immer noch nicht?«, herrschte Cobb die Menge an. »Die beiden haben für uns eine gewaltige Komödie vorbereitet. Und wir Idioten stolperten prompt in die Falle und wollten zwei völlig unschuldige Fremde verheizen!«
»Dann können wir jetzt wohl was essen.« Jay stieg ab.
Rio folgte seinem Beispiel. Sie führten die Pferde zum Saloon hinüber, banden sie an der Zügelstange fest und betraten die Kneipe.
Cobb saß ab, zog Zattig vom Pferd und bugsierte ihn ins Office. Ein Teil der Männer folgte ihm, die anderen mussten vor der offenstehenden Tür warten.
Während der Stadt-Marshal Zattig einsperrte und von den Fesseln befreite, erzählt er zusammenhängend, was er inzwischen wusste.
Drugstorebesitzer Hiram Savage stellte den Geldbeutel auf den Schreibtisch.
Cobb setzte sich hinter das ramponierte Möbel. »Sind wir vernagelt gewesen. Das mit der leeren Tasche hinter der Hütte hätte uns doch etwas sagen müssen.«
»Wieso, die konnten sich der Tasche wirklich so entledigt haben, weil sie zu spät darauf kamen, sie noch zu besitzen«, widersprach der schrankbreite Schmied.
»Eben«, stimmte Savage zu.
»Peinliche Sache für uns«, wandte der Barbier ein.
Sie blickten ihn alle an.




