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Senatoren- und Ritterstand (Rn. 75) blieben im Prinzipat erhalten. Die Position des princeps gegenüber dem Senatorenstand war durch den Gesichtspunkt der Aussöhnung, gegenüber der Ritterschaft durch die Einräumung von Vertrauenspositionen bestimmt. Für die adlectio in den Senat (durch den Kaiser) war ein Vermögen im Werte von 1 oder 1,2 Millionen Sesterzen Voraussetzung, für die Erhebung in den Ritterstand von 400 000 Sesterzen. Senatoren waren Provinzstatthalter, sogar in den kaiserlichen Provinzen. Auch der praefectus urbi für Rom war Senator. Rittern (equites) stand die Provinzstatthalterschaft in kleineren Provinzen zu sowie die in Ägypten. Sie bekleideten die Ämter des praefectus annonae (Getreideversorgung Roms), des praefectus praetorio (zunächst Kommandant der kaiserlichen Schutztruppe, der Prätorianer, gegen Ende des Prinzipats der höchste Minister), des praefectus vigilum (städtische Feuerwehr) und der principales officiorum (Leiter der kaiserlichen Kanzleien).
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Wie sich schon aus der vorstehenden Aufzählung ergibt, entstand im Prinzipat ein kompliziertes System der kaiserlichen Verwaltung für Rom und das Reich. Zu erwähnen sind auf diesem Gebiet cohortes urbani (Stadtpolizei), der cursus publicus (Staatspost, nicht für das allgemeine Publikum), die curatores für Wasserleitungen, öffentliche Bauten und anderes. Das vom Senat verwaltete aerarium wurde vor allem von der Grundsteuer aus den Senatsprovinzen und von der Bürger-Kopfsteuer gespeist. In den fiscus Caesaris (kaiserliches Staatsvermögen) gelangten u. a. die Grundsteuern aus den kaiserlichen Provinzen. Das aerarium militare diente der Versorgung der ehemaligen Soldaten (Veteranen) mittels Erbschafts- und Auktionssteuer. Das Privatvermögen des Kaisers (Krongut im Gegensatz zum Staatsgut) hieß patrimonium Caesaris. Kaiserliche Kanzleien waren die officia a memoria (Personalwesen), ab epistulis (Berichte und Anfragen von Beamten) sowie a libellis (private Eingaben, praktisch oft in Rechtsangelegenheiten). Seit Augustus gab es ein stehendes Heer aus Legionen (in den Grenzprovinzen), provinzialen Hilfstruppen (der Dienst bei ihnen führte oft zum Erwerb des römischen Bürgerrechts) und der Prätorianergarde (in Rom).
In der näheren und weiteren Umgebung Roms sollten von Augustus eingerichtete Polizeistationen mit Strafgewalt die innere Sicherheit vor allem auf den Straßen gewährleisten. Die legati Augusti pro praetore in den Provinzen hatten vornehmlich militärische Aufgaben. Mit der Einführung der Besoldung für die Provinzstatthalter (eine Million Sesterzen jährlich für Prokonsulare) verminderte sich die Ausbeutung der Provinzialen. Persönliches „Gehalt“ und Mittel für die Amtsaufgaben waren aber noch nicht getrennt. Provinziallandtage (concilia), beschickt von Vertretern der Gemeinden, befassten sich vor allem mit dem Kaiserkult, seltener mit Verwaltungsangelegenheiten.
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Von den Einwohnern des Reiches hatte weiterhin zunächst nur eine Minderheit das Bürgerrecht (Rn. 42, 75 f). Durch die Gründung von Kolonien und die Erhebung von Gemeinden zu Titularkolonien erhielten jedoch viele Provinzbewohner das latinische Recht (Bürgerrecht ohne Wahlrecht), Ratsherren der Städte auch das volle Bürgerrecht. Die Provinzen wurden so zunehmend romanisiert, aber im Gegenzug gelangten ehemals „Fremde“ in höchste Positionen des Reiches. So waren die flavischen Kaiser noch Italiener, Trajan (98-117) und Hadrian (117-138) waren Spanier, Antoninus Pius (138-161) stammte aus Südfrankreich, Alexander Severus (222-235) aus Syrien. Die Soldatenkaiser des 3. Jahrhunderts kamen vom Balkan, aus Syrien oder Nordafrika.
212 n. Chr. verlieh der Kaiser Antoninus Caracalla grundsätzlich allen freien Einwohnern des Reiches das Bürgerrecht (constitutio Antoniniana). Ausgenommen waren nur die dediticii. Wer damit gemeint war, ist nicht genau zu sagen. Es waren wohl nicht die peregrini dediticii (Rn. 76), sondern gewisse zu schweren Kriminalstrafen verurteilte Personen. Caracalla handelte nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern um die Bürger-(Kopf-)Steuer von mehr Steuerpflichtigen einziehen zu können. Mit dieser constitutio Antoniniana entstand das später unter den Schlagworten Reichsrecht und Volksrecht diskutierte Problem. Denn natürlich gebrauchten die Neubürger nun nicht auf einmal das ihnen oft fremde römische Recht, sondern blieben mehr oder weniger bei ihrem vertrauten Heimatrecht. Das gilt vor allem für den kulturell eigenständig (hellenistisch) gebliebenen Osten des Reiches, insbesondere für Ägypten mit seiner ausgeprägten Rechts- und Verwaltungstradition.
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Die wirtschaftliche Entwicklung verlief zunächst günstig, wobei natürlich nicht übersehen werden darf, dass die Masse der Menschen nach heutigen Maßstäben recht kümmerlich lebte, oft nur am Rande des Existenzminimums. Der Zustrom neuer Sklaven verringerte sich. Deshalb ging man in der Landwirtschaft zunehmend zum Pachtsystem über. Den Pächtern (coloni) wurde teilweise schon im späten Prinzipat verboten, ihre Pachtstelle zu verlassen. So bereitete sich die im Dominat und germanischen Recht übliche Bindung an die Scholle vor.
Die damaligen Produktionsmöglichkeiten konnten die Bedürfnisse des Militär- und Beamtenapparates auf die Dauer nicht voll befriedigen. Das republikanische System der Steuerverpachtung wurde zunehmend durch staatliche Eintreibung ersetzt. Zwangsmaßnahmen sollten die Erträge sichern, beschleunigten aber im Ergebnis nur den Niedergang der Wirtschaft. So wurden die zunächst freiwilligen Zusammenschlüsse (collegia) der Gewerbetreibenden (Kaufleute, Handwerker) gegen Ende des Prinzipats zunehmend zu Zwangskorporationen, in denen die Mitgliedschaft sogar vererblich war. Söhne waren also gezwungen, den Beruf des Vaters fortzuführen. Die Korporation haftete kollektiv für die von ihr zu erbringenden Leistungen. Die Ratsherren der Gemeinden wurden mit ihren Privatvermögen für das von der Gemeinde geschuldete Steueraufkommen verantwortlich gemacht. Auf diese Weise entstand der allgemeine Zwangsstaat des Dominats.
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Politisch lief das Prinzipat nach der Ermordung des Kaisers Alexander Severus (222-235 n. Chr.) in das Zeitalter der sog. Soldatenkaiser aus. Es handelt sich bei diesen Kaisern um militärische Anführer, die von ihren Soldaten zu Herrschern ausgerufen und meistens nur kurze Zeit regierten. Oft wurden sie von ihrer eigenen Soldateska umgebracht, wenn sie nicht im Kriege fielen. Die Soldaten erwarteten von ihnen vor allem Geldspenden und Gelegenheiten zum Beutemachen. Neben der ständigen Erhöhung der Last an Steuern und Zwangsleistungen an den Staat waren die Folgen dieser Zustände Münzverschlechterung und Inflation. Mit der Regierung des Gallienus (260-268) bahnte sich eine Konsolidierung der Verhältnisse in Richtung einer stabilen autokratischen Despotie an. Er trennt die Militär- von der Zivilverwaltung. Aurelian (270-275) ließ die noch heute zum großen Teil erhaltene Stadtmauer um Rom erbauen, ein Anzeichen für die zunehmende militärische Bedrohung selbst der Hauptstadt des Reiches.
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Obwohl aus der auf volkstümliche Reformen gerichteten Bewegung der Popularen (Rn. 95 ff) hervorgegangen, führte das Prinzipat niemals, auch nicht in Ansätzen, zu einem demokratischen oder liberalen Gemeinwesen. Das galt für die Masse des Volkes ebenso wie für die höheren Stände. Gerade deren Angehörige mussten stets besorgt sein, sich das Wohlwollen des mehr oder weniger selbstherrlichen princeps zu erhalten. So berichtet Sueton über Augustus, dieser habe, obwohl überhaupt nicht auf Erbschaften erpicht, die Urteile seiner Freunde über ihn in ihren Testamenten genauestens abgewogen und er habe weder seinen Schmerz verborgen, wenn jemand seiner zu knapp, noch seine Freude, wenn jemand dankbar und liebevoll seiner gedacht hatte.[2] Den Angehörigen eines Verstorbenen konnte es nicht gerade förderlich gewesen sein, wenn dem Kaiser im Testament Schmerz statt Freude bereitet worden war.
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Angesichts der allgemeinen Verhältnisse in der römischen Kaiserzeit überrascht es nicht, dass den Menschen die schon von Haus aus pragmatisch-kühle römische Staatsreligion zunehmend gleichgültig wurde. Die göttliche Verehrung der Kaiser (Rn. 137), zunächst meistens nach ihrem Tode und später auch zu ihren Lebzeiten, hätte als Integrationsfaktor wirken können, wurde aber von der Mehrzahl der Einwohner des Reiches als äußerliche Pflicht abgetan. Stattdessen wuchs die Neigung zu Kulten, die den emotionalen Bedürfnissen eher Rechnung trugen. Nun herrschte in Rom stets Religionsfreiheit in dem Sinne, dass die Verehrung aller möglichen Gottheiten erlaubt war, solange nur den Staatsgöttern und später den Kaisern die ihnen zukommenden Opfer erbracht wurden.
Die Religionen der Juden und Christen, die nur einen Gott anerkennen (Monotheismus) mussten mit den Erfordernissen der Staatsreligion in Konflikt geraten. Von den damals im römischen Reich meist aus den östlichen Gebieten vordringenden neuen Religionen trug schließlich nach Wechsel von Tolerierung und Verfolgung unter den verschiedenen Herrschern das Christentum den Sieg davon und wurde im Dominat selbst Staatsreligion (Rn. 197).
1. Faktoren der Rechtsbildung[3]
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Unter allen diesen Umständen muss es schon erstaunen, dass sich das römische Privatrecht wenigstens seiner Idee nach als ein Reservat relativer Freiheit erhielt, wenn auch nur für wenige Personen. Die Rechtspraxis wurde jedoch zum einen weitgehend durch außerhalb des Privatrechts bestehende „metajuristische“ Vorgaben bestimmt, wie etwa das Beispiel der Testierfreiheit der Freunde des Kaisers zeigt (Rn. 146). Auch hat das Recht, anders als die Religion, nicht die Finsternis der sozialen Verhältnisse erhellt. Es war Honoratiorenrecht (Rn. 173). Nach welchem Recht weniger vornehme Römer (die faktisch die Juristen nicht oder nur selten bzw. mittelbar beschäftigt haben) in der Praxis lebten, wissen wir kaum.
Überliefert ist vor allem Privat- und Prozessrecht. Es wurde später wiederholt zum Begleiter, wenn nicht zum Instrument „fortschrittlicher“ Entwicklungen in Deutschland, so am Ende des Mittelalters, als es das überkommene germanische Recht verdrängte, oder am Anfang des 19. Jahrhunderts, als es zur Grundlage der Rechtsordnung des Bürgertums wurde, das sich aus den Bindungen des Feudalismus und des Absolutismus löste. Begünstigt wurden diese Entwicklungen durch die Abhebung des römischen Rechts von außerrechtlichen Faktoren, insbesondere von politisch-wirtschaftlichen.[4]
Nicht besonders geeignet war dieses Recht, absolute Herrschaft zu rechtfertigen oder zu unterstützen. Zwar hatte man wiederholt versucht, Herrschaftsansprüche mithilfe des römischen Rechts zu legitimieren. Die deutschen Kaiser haben, unterstützt von mittelalterlichen italienischen Juristen, auf die alten Quellen zurückgegriffen (Rn. 382). Beispielsweise der Satz princeps legibus solutus (der Herrscher ist frei von Gesetzen, d.h. er kann sich über das Recht hinwegsetzen) stammt jedoch in dieser Allgemeinheit nicht von den römischen Juristen. Er findet sich etwa in Dig. 1, 3, 31 (von dem spätklassischen Juristen Ulpian), bedeutet dort aber nur, dass der Kaiser den augusteischen Gesetzen gegen Ehe- und Kinderlosigkeit nicht unterlag.
Im Folgenden geht es nun um die Rechtsquellen, aus denen die Römer während des Prinzipats ihr Recht bezogen bzw. die sie selbst für verbindlich hielten.[5] Es ist ein erstaunliches Neben- und Übereinander verschiedener Rechtsschichten zu konstatieren.[6]
a) Vom Kaiser beeinflusste Gesetzgebung
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Durch seine Ehegesetze hatte Augustus versucht, Moral und Zahl der römischen Bürgerschaft zu erhalten und zu vermehren. Sie gehören zu den noch in der Volksversammlung erlassenen Gesetzen (Rn. 140). Die lex Iulia de maritandis ordinibus vom Jahre 18 v. Chr., wohl ein Plebiszit, verbot freigeborenen Bürgern die Ehe mit Prostituierten, Kupplerinnen, Ehebrecherinnen und vielleicht sogar mit Schauspielerinnen. Senatoren und ihre männlichen Abkömmlinge durften keine Freigelassenen, Schauspielerinnen oder Schauspielertöchter heiraten. Die entgegen dem Verbot geschlossenen Ehen waren nicht unwirksam; die Ehegatten erlitten aber die gleichen Nachteile wie Unverheiratete. Ebenfalls ein Plebiszit war offenbar die aus dem gleichen Jahr 18 v. Chr. stammende lex Iulia de adulteriis coercendis. Sie enthielt Strafvorschriften gegen Unzucht (stuprum) und Ehebruch (adulterium).
Auch mit der lex Papia Poppaea (9 n. Chr., wohl ein Komitialgesetz) sollten Ehe und legitime Fortpflanzung gefördert werden. Sie verpflichtete Männer zwischen 25 und 60 sowie Frauen zwischen 20 und 50 zur Ehe. Bürger (und Bürgerinnen) mit mindestens drei, Freigelassene mit mindestens vier Kindern waren ausgenommen. Sanktion für Ehelosigkeit war die Unfähigkeit zu erben. Kinderlose Verheiratete durften nur die Hälfte der ihnen angefallenen Erbschaften oder Vermächtnisse behalten. Die frei werdenden Nachlässe gingen an andere Erben (die Kinder hatten) oder fielen an die Staatskasse (verfallen: caducum, kaduk, vgl. auch Rn. 153). Außerdem waren andere Maßnahmen angeordnet. Der vollständige Inhalt der Gesetze ist nicht mehr bekannt.
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Die lex Fufia Caninia (2 v. Chr.) hingegen diente der Verhinderung von übertriebenem Luxus. Aus Prahlerei geschahen oft (Massen-)Freilassungen durch Testament. Das Gesetz beschränkte die Freilassungen von Sklaven zahlenmäßig, je nachdem, wie viele Sklaven der Freilasser hatte. So durften etwa von zwei bis zehn Sklaven die Hälfte, von elf bis dreißig nur ein Drittel und nie mehr als 100 Sklaven freigelassen werden.
Eine lex Aelia Sentia (4 n. Chr.) verbot zudem Freilassungen ohne gerechtfertigten Anlass, wenn der Herr noch nicht 20, der Sklave noch nicht 30 Jahre alt war. Freilassungen, welche die Gläubiger des Freilassenden benachteiligten, waren nichtig. Verbrecherische Sklaven wurden bei Freilassung peregrini dediticii (Rn. 76). Sonst führte die (formgerechte) Freilassung zum Erwerb des römischen Bürgerrechts (Rn. 42, 61, 174).
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Später bevorzugten die Kaiser den Senat als Organ der Gesetzgebung (Rn. 140), obwohl die senatus consulta offiziell nie bindende Wirkung erhielten, sondern nur Empfehlungen darstellten. Da diese Senatsbeschlüsse aber dem Willen des (antragsbefugten) princeps entsprachen, wagte niemand, ihnen zuwider zu handeln. Als Beispiele solcher senatus consulta auf dem Gebiet des Privatrechts werden hier die folgenden angeführt:
Das senatus consultum Velleianum (etwa 46 n. Chr.) erklärte Interzessionen von Frauen für unwirksam. Interzession bedeutet das Eintreten für fremde Schulden, also (befreiende) Schuldübernahme, Schuldbeitritt, Bürgschaft, aber auch Verpfändung und die Aufnahme von Darlehen im fremden Interesse. Grund der Regelung war die damalige Vorstellung, Frauen seien allgemein weichherzig, aber unklug. Praktisch wurde das senatus consultum dadurch verwirklicht, dass die verklagte Frau eine Einrede erhielt (exceptio senatus consulti Velleiani). Das Interzessionsverbot für Frauen galt im gemeinen Recht bis zum Inkrafttreten des BGB.
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Hauskinder konnten bekanntlich zu Lebzeiten ihres Vaters für sich selbst kein Eigentum erwerben (Rn. 67, 133). Zwar waren sie in der Lage, sich zu verpflichten, aber das Vermögen zur Begleichung solcher Schulden fehlte ihnen. Um seine ihn bedrängenden Gläubiger befriedigen zu können, ermordete daher ein Haussohn namens Macedo seinen Vater. Der Kriminalfall bot den Anlass für das senatus consultum Macedonianum (zwischen 69 und 79 n. Chr.), wodurch Gelddarlehen an Söhne, die unter väterlicher Gewalt standen, verboten wurden. Im Formularprozess gewährte der Prätor dem beklagten Haussohn eine Einrede, die exceptio senatus consulti Macedoniani.
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Mit Rücksicht auf die augusteischen Ehegesetze fielen manche Erbschaften als „kaduk“ an das Aerar oder (später) an den Fiskus (Rn. 149). Sein Recht an solchen Nachlässen machte der Staat mit der sog. vindicatio caducorum geltend, nicht im Formularprozess, sondern im Verfahren der cognitio (Rn. 155). Für einen solchen Prozess bestimmte das senatus consultum Iuventianum (129 n. Chr., unter Hadrian), dass der gutgläubige private Besitzer der Erbschaft nur haftete, soweit er noch bereichert war. Hatte er indessen im Bewusstsein des Fehlens seines Rechts gewollt Erbschaftsgegenstände fortgegeben, so war er dafür verantwortlich, d.h. er wurde zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt, der den Wert der fehlenden Gegenstände einschloss. Benannt ist der Senatsbeschluss nach dem Juristen Publius Iuventius Celsus, von dem später noch die Rede sein wird (Rn. 167). Hier liegt der Ursprung unserer §§ 2018, 2021 BGB, die weitgehend der Regelung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses (§§ 987 ff BGB) entsprechen. Die §§ 987 ff BGB haben ihre Wurzeln in der Geldkondemnation bei der rei vindicatio (Rn. 57 ff), in deren Berechnung auch Nutzungen, Schadensersatz und Verwendungen einbezogen wurden.
b) Formularverfahren und Beamtenkognition[7]
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Die Rechtsfortbildung durch die Prätoren (Rn. 117 ff) blieb auch im Prinzipat zunächst noch möglich. Um 130 n. Chr. ließ der Kaiser Hadrian jedoch die Edikte des Stadt- und des Fremdenprätors sowie das Edikt des kurulischen Ädils (zum Kaufrecht) durch den Juristen Salvius Iulianus (Rn. 166) in eine Fassung bringen, die nur noch mit Erlaubnis des princeps geändert werden durfte. Damit wurde das ohnehin schon weitgehend fest stehende Edikt endgültig zum edictum perpetuum (ewigen Edikt). Die Rechtsgrundlage für die „Versteinerung“ des Edikts ist nicht bekannt. Jedenfalls reichte der Wille des Kaisers aus, um eine prätorische Rechtsbildung für die Zukunft zu unterbinden. Unklar ist, ob auch die Edikte der Provinzstatthalter, die den römischen weitgehend ähnelten, festgeschrieben wurden.
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Dem vom Prätor eingeleiteten Formularprozess machte in der Kaiserzeit eine neue Prozessart Konkurrenz, die extraordinaria cognitio (außerordentliche Untersuchung, gerichtliche Erkenntnis). Hier entschied ein beamteter Richter ohne Erteilung einer Klagformel auf Grund des freien Sachvortrags der Parteien. Es handelte sich um eine Klage (actio) im untechnischen Sinne, also nur nach den Regeln des materiellen Rechts, woraus sich später der (materielle) Anspruch entwickelte. Die Einrede (exceptio) war nun nicht mehr eine „Ausnahme“ von den Verurteilungsbedingungen, sondern jedes dem Beklagten günstige Vorbringen. Der Prozess war nicht zweigeteilt und der Richter hatte viel mehr Einfluss auf das Verfahren, das mit einer halbamtlichen Ladung begann und mit einem schriftlichen Urteil endete.
Die Anfänge dieser „modernen“ Prozessart gehen wohl mindestens auch auf Prozesse zwischen bzw. mit Peregrinen (Nichtrömern) in den Provinzen zurück, was eine erstaunliche Parallele zur Entstehung des Formularverfahrens darstellt. Beide Male dürfte also der (wirtschaftliche) Kontakt mit Fremden sich erneuernd und belebend auf das römische Recht ausgewirkt haben.
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Augustus setzte kaiserliche Beamtenrichter zunächst zur Entscheidung von Rechtsfragen ein, für die es im Edikt keine Formel gab. Das waren einmal Prozesse um angeblich „kaduke“ Nachlässe im Besitz des Aerars (Rn. 149, 153).
Zum anderen konnten (römisch-rechtliche) Fideikommisse in der extraordinaria cognitio eingeklagt werden. Fideikommisse waren ursprünglich rechtlich unverbindliche Bitten an den Erben, einzelne Nachlassgegenstände oder unter gewissen Umständen auch den ganzen Nachlass an einen Dritten (fideicommissarius) herauszugeben, so etwa die „Bitte“ an die erbende Ehefrau, den Nachlass im Falle ihrer Wiederverheiratung den gemeinsamen Kindern zu überlassen. Fideikommisse wurden üblicherweise in formlosen Nachträgen zum Testament (Kodizillen) angeordnet. Augustus ließ Klagen aus Fideikommissen zu, und zwar auch, wenn ein Peregrine bedacht war. Fideikommisse dienten bald dazu, Wirkungen ähnlich der unserer Vor- und Nacherbschaft zu erreichen, die dem römischen Recht fremd war (semel heres – semper heres; einmal Erbe – immer Erbe).
Ein weiteres Beispiel für die extraordinaria cognitio war das Honorar (honorarium = Ehrensold) für einen an sich unentgeltlichen Auftrag. Der Auftrag (mandatum) hatte höhere Dienste (operae liberales) zum Gegenstand. Niedere Dienste (operae illiberales) wurden auf Grund locatio conductio (Rn. 132) für Lohn (merces) geleistet.
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Zum kaiserlichen Beamtenprozess wurden im Laufe des Prinzipats auch Klagen zugelassen, die an sich im Formularverfahren hätten erhoben werden können. Die beiden Prozessarten traten also nebeneinander und der Formularprozess verlor faktisch an Boden. Ausdrücklich abgeschafft wurde er durch eine Kaiserkonstitution im Jahre 342 n. Chr.[8] In der Praxis der extraordinaria cognitio entstand auch der Instanzenzug an den Kaiser, genauer an das mit kaiserlichen Juristen besetzte consilium (Rat). Schließlich bildete sich der Grundsatz heraus, dass der Kaiser jedes Gerichtsverfahren an sich ziehen konnte und dass jedermann in jedem Verfahren an den Kaiser appellieren durfe.
c) Kaiserkonstitutionen
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Für die Rechtsfortbildung im Prinzipat erlangten kaiserliche Erlasse zunehmende Bedeutung. Diese Kaiserkonstitutionen (constitutiones principum) unterteilt man wie folgt: Edikte behandelten allgemeine Fragen verbindlich und waren auf dem Gebiet des Privatrechts eher selten. Die constitutio Antoniniana des Kaisers Caracalla (Rn. 143), durch welche die meisten Einwohner des Reiches das römische Bürgerrecht erhielten, zählt zu den edicta. Auch die endgültige Redaktion des prätorischen Edikts (Rn. 155) könnte auf einer solchen Verordnung beruhen. Mandate (mandata = Befehle, Weisungen) hingegen waren Dienstanweisungen an Beamte, oft mit genereller Bedeutung im Sinne einer Verwaltungsanordnung. Ein Beispiel dafür ist der Gnomon des Idios Logos, eine Dienstanweisung für den Verwalter gewisser Einkünfte des Kaisers aus Erbschaften und Domänen in Ägypten.
Wichtiger für das Privatrecht waren die rescripta, schriftliche Antworten auf Anfragen von Beamten, Korporationen, Gemeinden und Landtagen. Sie erfolgten in Briefform (epistulae aus einer der kaiserlichen Kanzleien, dem officium ab epistulis) oder als Bescheid (rescriptum des officium a libellis), auch auf Anfragen Privater in Rechtsfragen. Decreta schließlich waren richterliche Entscheidungen des Kaisers, welche auf Anrufung durch die Parteien oder Gerichte ergingen.
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Der Begriff ius hat die verschiedensten Bedeutungen, ebenso wie der Begriff lex (Rn. 18 ff, 50, 54). Das Begriffspaar ius – leges meint den Gegensatz von traditionellem ius civile (XII Tafeln und deren Interpretation) und den Weiterentwicklungen des ius honorarium (praetorium) auf der einen Seite (ius) sowie dem neuen Kaiserrecht auf der anderen Seite (leges). Echte Gesetze mit ursprünglich allgemeiner Bedeutung sind unter den Kaiserkonstitutionen indessen selten. Die kaiserliche Befugnis zur Rechtsetzung ergab sich aus der faktischen Autorität der princeps. Die Herleitung dieser Befugnisse aus der vom Volk erteilten lex de imperio erscheint als nachträglich untergeschobene Rechtfertigung.