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Nach dem Ende des Anlasses waren die Angestellten in ihre Büros zurückgekehrt. Aus den anderen Büros war kein Laut zu hören, was zu dem Trugschluss führte, sie wären die Einzigen im Gebäude.
Sirenengeheul liess sie alle zusammenzucken. Gleichzeitig eilten sie zum Fenster und sahen einen Ambulanzwagen vorfahren.
«Kommt der wegen Johanna Bürgi?», fragte Linda.
«Nur wegen einer Grippe?», fragte Erik.
«Sie könnte was anderes haben.»
«Was meinst du mit ‹anderes›?»
«Ihr Gesicht war gerötet, und hast du ihre Augen gesehen?», sagte Linda.
«Was war mit ihren Augen?»
«Die Pupillen waren riesig», antwortete Linda.
«Wieso konntest du ihre Pupillen erkennen?», fragte Julia.
«Ich sass neben dem Gang, und sie ist direkt an mir vorbeigelaufen.»
«Drogen?», warf Erik ein.
«Johanna Bürgi?», rief Linda. «Nein, bestimmt nicht.»
«Warum nicht? Sie könnte Tabletten eingeworfen haben, um diesen Anlass zu überstehen.»
Heftiges Kopfschütteln von Linda und Julia war die Antwort. «Okay. Vielleicht doch ein Infekt», sagte Erik. «Und vergiss nicht, wie heiss es da drin war. Ich finde es nicht verwunderlich, wenn sie schlappgemacht hat. Und hier drin ist es auch stickig.»
Er öffnete das Fenster. Der Luftzug, der in den Raum wehte und über Samanthas Gesicht und die Arme strich, war angenehm. Bald würde sich das bestimmt ändern. Es hatte aufgeklart, und die Sonne begann die Luft aufzuheizen. Meteo Schweiz hatte Temperaturen von über dreissig Grad vorausgesagt.
Die Geräusche des Verkehrs von der Autobahn und eines vorbeifahrenden Personenzuges taten gut und drängten das Gefühl zurück, die Einzigen zu sein.
«Ich glaube, wir sollten versuchen zu arbeiten, wie uns Reto Bürgi darum gebeten hat, obwohl es nach diesem Anlass schwer wird, sich zu konzentrieren», sagte Linda.
Das Klingeln des Telefons auf Samanthas Schreibtisch liess alle ein weiteres Mal zusammenzucken. Samantha starrte es an, als käme es aus einer anderen Welt.
«Du solltest rangehen», sagte Erik.
Warum ausgerechnet ich, dachte Samantha und wankte zu ihrem Tisch. Die Telefonnummer auf dem Display kam ihr nicht bekannt vor. Sie spürte, wie die Blicke der anderen jede ihrer Bewegungen verfolgten, als sie das Gespräch entgegennahm.
«AarePharm, Samantha Kälin.»
«Hallo, Samantha, hier ist Simona.»
«Wer?»
«Joels Schwester.»
Samanthas Beine sackten weg, und sie traf knapp den Stuhl. Erik war im selben Augenblick bei ihr. Er legte die Hand auf ihre Schulter und beugte sich zu ihr. Besorgnis spiegelte sich in seinem Gesicht wider.
«Ist es wegen Frau Bürgi?», flüsterte er.
Samantha machte eine verneinende Geste mit der Hand. Konnte der Tag schlimmer werden, als er es bisher war?
«Es tut mir leid, wenn ich dich im Büro anrufe, aber ich wusste nicht, wie ich dich sonst kontaktieren könnte.»
Gar nicht, dachte Samantha. «Kein Problem.» Sie schaute die anderen an, die versuchten, in ihrer Reaktion zu lesen. Samantha drehte ihnen den Rücken zu. Gleichzeitig fragte sie sich, wie sie das Gespräch überstehen sollte.
«Ich hole uns etwas zu trinken», sagte Linda. Die Tür fiel mit einem Klicken ins Schloss. Samantha wandte sich nicht um, um zu schauen, ob die anderen ihr gefolgt waren. Die Antwort kam nämlich gleich, als sie Schritte Richtung Fenster vernahm.
«Rufe ich ungelegen an?»
Ja. – «Nein, schon gut.»
«Ich weiss, das diskutiert man nicht am Telefon und erst recht nicht am Arbeitsplatz.» Samantha verkrampfte sich weiter. «Daher wollte ich dich fragen, ob du spontan Zeit hättest, heute zu uns zu kommen?»
Eine Einladung? Das musste sie falsch verstanden haben. «Ich weiss nicht, wie lange ich arbeiten muss.»
«Ich weiss, es ist recht kurzfristig. Komm einfach, wenn du Feierabend hast. Es wäre wichtig, gewisse Dinge zu klären.»
Die Tür wurde hinter ihr geöffnet.
«Hier seid ihr.» Joels Stimme. Samantha fuhr herum. Er stand neben Linda und runzelte die Stirn, als er Samantha am Telefon erblickte.
«Ich muss Schluss machen», sagte Samantha eilig.
Ärger mischte sich in Joels Züge.
«Heute Abend?», fragte Simona.
«Ja.» Rasch legte sie auf.
«Du hast keine Zeit für private Gespräche, da du genug zu tun hast», knurrte er, und Samantha fiel auf, dass er nicht mehr heiser war.
Joels Blick schweifte zu den anderen. «Ich habe eine traurige Nachricht», sagte er. «Johanna Bürgi ist gerade gestorben.»
«Gestorben?», riefen Erik und Julia gleichzeitig.
«Als nach dem Ende der Veranstaltung Lisa Bürgi nach ihrer Mutter schaute, fand sie diese bewusstlos vor. Sofort hat sie den Notarzt verständigt. Als er eintraf, starb sie.»
«Hatte sie einen Herzinfarkt?», fragte Erik.
«Das weiss ich nicht.»
Herzinfarkt, dachte Samantha. Schon wieder?
Der sonnige Sommertag passte nicht zu Johanna Bürgis Tod, der Samantha die letzten Stunden wie ein Schleier umgeben hatte. Nach der Nachricht von ihrem Tod hatte Grabesstille geherrscht.
Als Samantha das Gebäude von AarePharm verliess, musste sie erst einmal stehen bleiben und blinzeln. Die heisse Luft flimmerte über dem Parkplatz. Es war, als würde sie aus einem schlechten Traum erwachen.
Samantha gab Simonas Adresse ins Navi ein. Da die Halterung kaputt war, legte sie das Navi auf den Beifahrersitz und fixierte es auf ihrer Handtasche, damit sie das Display sehen konnte.
Samantha fuhr auf die Autobahn und stand erst einmal im Stau. Vor ihr begannen ungeduldige Fahrer, die Spur zu wechseln. Ausnahmsweise war sie froh darum, dass sie sich mehr konzentrieren musste und abgelenkt war – von Johannas Tod und von dem, was ihr bei Simona bevorstand. Wiederholt hatte sie sich gefragt, was es mit der Bitte um ein Gespräch auf sich hatte. Es wäre wichtig, gewisse Dinge zu klären …
Wollte sie ihr Vorhaltungen machen? Hatte das Kind aus der Sache gar einen Schaden davongetragen und zum Arzt gemusst?
«Du hast nichts getan», wiederholte Samantha das Mantra, das sie den ganzen Nachmittag vor sich hin gemurmelt hatte, wenn sie alleine gewesen war.
Der Stau löste sich bald auf, und es herrschte dichter Verkehr. Als sie an Liestal vorbeifuhr, vermied sie es, die Ausschilderung anzusehen. Unweigerlich blickte sie in den Rückspiegel. Joel würde zu einer ähnlichen Zeit das Büro verlassen haben, und sie nahm jeden Augenblick an, seinen Wagen zu erblicken. Samantha wechselte auf die A 3 und verliess bei Rheinfelden-Ost die Autobahn. In Rheinfelden forderte das Navi sie auf, sich an der Kreuzung rechts Richtung Zürich und Stein zu halten. Kurz darauf wechselten sich Felder und Wiesen ab. Die friedliche Atmosphäre begann sich auf Samantha zu übertragen und Johanna Bürgis Tod unwirklicher erscheinen zu lassen.
Sie dachte an das Telefongespräch, das sie mit Maik geführt hatte. Simona hatte sie gebeten, sich kurz zu melden, wenn sie abfuhr. Als Samantha angerufen hatte, war nur Maik zu Hause gewesen.
Samantha bog Richtung Wallbach ab. Sie fuhr durch den beschaulichen Ort. Eine Frau mit einem Rollator und eine jüngere – vermutlich die Tochter – spazierten auf dem Trottoir entlang. In einer Einfahrt spielten zwei Teenager Basketball. Einer von ihnen warf den Ball auf den Korb, der neben dem Garagentor hing, und traf. Sie gelangte an den Rhein, fuhr am Haus des Pontonier-Vereins vorbei und erhaschte einen Blick auf einige der grauen länglichen Boote. Zwei Männer, nur mit Shorts und Schirmmützen bekleidet, inspizierten eins von ihnen. Vor dem Ortsschild nach Mumpf entdeckte Samantha eine kleine Parkfläche und stellte ihren Smart auf den gelblichen Kies neben einen dunklen Toyota. Sie stieg aus und ging Richtung Rhein. Ein kühler Luftzug strich über ihr Gesicht, was bei den sommerlichen Temperaturen guttat. Die Wetterfrösche behielten offenbar mit ihrer Behauptung recht, dass die nächste Hitzewelle im Anzug sei.
Sie stand auf dem Uferweg und blickte über das zügig dahinfliessende Wasser zum deutschen Ufer, das mit Büschen und Bäumen bewachsen war. Dabei versuchte sie die Nervosität, die sich in den Vordergrund schob, zurückzudrängen, was nur ansatzweise gelang. Samantha lief ein Stück den schmalen Weg entlang und kehrte zurück zur Strasse. Autos parkten am Strassenrand. Aus einem der Gärten schallte Kindergelächter. Den Geräuschen nach zu urteilen, wurde ausgiebig geplantscht. Samantha lief weiter durch das ruhige Wohnquartier und erreichte nach einigen Minuten Simonas Haus.
Als sie den Garten betrat, fragte Samantha sich, was Simona damit bezwecken wollte, als sie Samantha gebeten hatte zu kommen. Immerhin musste sie den Angaben ihrer Mutter glauben, Samantha habe ihr Baby geschüttelt.
Die Tür öffnete sich, kurz nachdem Samantha geklingelt hatte. Maik füllte mit seinem muskulösen Körper beinahe den gesamten Türrahmen aus. Erneut fragte sich Samantha, mit welcher Sportart der ohnehin grosse Mann zu dieser Erscheinung kam. Einfach nach Fitness-Training sah es nicht aus.
«Hallo, Samantha», sagte er mit seiner tiefen Stimme. «Komm rein.»
Samantha forschte in seinen Gesichtszügen, die neutral blieben. «Simona ist auf der Terrasse.»
Joels Schwester kam Samantha lächelnd entgegen, als sie diese erblickte. Lächelnd? Samantha würde an ihrer Stelle sie nicht so begrüssen. Verstohlen blickte sie sich um. Von Nico keine Spur.
«Er ist drinnen und schläft. Endlich. Diese Hitze schlaucht ihn, aber er findet den Schlaf nicht.»
Auf den zweiten Blick fiel Samantha auf, wie müde Simona aussah. «Ich kann ein anderes Mal kommen.»
«Nein, nein.»
Maik ging zu Samanthas Verwunderung zu einer Aussengrillstelle und kontrollierte das Feuer und legte Fleisch auf den Grill. Samantha fiel der gedeckte Tisch auf.
«Ihr bekommt Besuch. Ich kann …»
«Unser Besuch ist da. Bitte setz dich. Was möchtest du trinken?»
«Einen Prosecco?», fragte Maik, der zurückgekehrt war.
Verdattert schaute Samantha von einem zum anderen und zurück zum Tisch. Drei Gedecke standen darauf.
«Joel weiss nichts davon», sagte Simona. «Ich dachte, es ist besser, wenn du erst einmal alleine kommst. Verstehe es als eine Art Entschuldigung für das, was meine Mutter getan hat.»
«Nicht ihr, sondern ich muss mich entschuldigen», brachte Samantha endlich hervor.
«Blödsinn. Die Story, du hättest Nico geschüttelt, nehme ich ihr nicht ab. Genauso wenig wie, dass du meiner Mutter ausfallend gegenüber geworden bist und sie beschimpft hast. Es wäre nicht die erste derartige Aktion von ihr.»
«Was meinst du damit?» Samanthas Verwirrung nahm zu.
«Setz dich erst einmal.»
Samantha kam der Aufforderung nach.
«Prosecco?», wiederholte Maik.
«Oder einen Hugo mit selbst gemachtem Holundersirup?», fügte Simona hinzu.
«Zweites», erwiderte Samantha. «Aber nur ein Glas. Ich muss fahren, und bei der Hitze steigt mir der Alkohol schneller in den Kopf als sonst.»
Maik verschwand im Haus und kehrte gleich darauf mit den Gläsern zurück. Er reichte eins Samantha und stiess mit seinem an. Simona hob ein Wasserglas und folgte Maiks Beispiel.
«Ich kümmere mich um das Fleisch», sagte er und stellte sein Glas ab.
«Was meintest du mit ‹nicht ihre erste derartige Aktion›?», fragte Samantha.
Simona seufzte. «Das gestern war ein Déjà-vu. Sie hat so was Ähnliches schon einmal gemacht. Hat Joel nichts davon erzählt?»
«Nein.»
«Ich denke, es ist besser, wenn er dir davon berichtet und nicht ich. Nur das: Sie hat schon einmal eine Beziehung zerstört. Ich dachte, die beiden wollten heiraten.»
«Wie bitte?»
«Mich hat es gewundert, als Joel dich gleich zum ersten Treffen nach … Keine Ahnung, wie lange wir uns nicht gesehen haben. Weil er dich gleich beim ersten Treffen mitgebracht hat. Eigentlich hätte er aus Vergangenem lernen sollen, und ich an seiner Stelle hätte erst einmal die Situation alleine abgecheckt. Genauso wundert mich, dass er überhaupt zugesagt hat.»
Maik kehrte mit dem grillierten Fleisch zurück. Samantha fragte sich, wen Simona und Maik ausserdem verköstigen wollten, als sie die Menge sah. «Ich habe Poulet, Lammracks und Schweinesteaks.» Fragend schaute er Samantha an.
«Das ist mir egal. Ich habe alles gerne.»
«Okay, alles.»
«Stopp», rief Samantha. «Nur eins.» Die Grillzange kreiste über den Teller. «Ich nehme gerne von den Lammracks.»
«Für den Anfang Lammracks für die Dame.»
Simona reichte Samantha die Salatschüssel.
«Ein Gurken-Erdbeersalat?», fragte Samantha.
«Ich weiss, das sieht speziell aus. Aber du musst ihn probieren.» Simona reichte Samantha das Knoblauchbrot.
Das Essen war gut, und nachdem Samantha die ersten Bissen geschluckt hatte, merkte sie, wie gross ihr Hunger war. Nach dem Zwischenfall bei AarePharm hatte sie am Mittag nichts essen können.
«Zurück zu Joel», nahm Simona den Faden wieder auf. «Hat er mit dir gesprochen?»
«Wir gehen uns aus dem Weg.» So ganz stimmte es nicht. Sie hatten keine Gelegenheit gehabt, miteinander zu reden. Nach dem Zusammentreffen in der Kaffeeecke hatte Samantha ihn nicht mehr gesehen, bevor der Informationsanlass begonnen hatte. Linda hatte erzählt, sie hätten eine Sitzung gehabt. Nach Johanna Bürgis Tod war er nicht in seinem Büro gewesen. Samantha vermutete, dass die Geschäftsleitung zusammengekommen war.
«Das habe ich befürchtet.»
«Wie ist es mit Mario? Hat sie bei ihm wie bei Joel eine Hochzeit zunichtegemacht?», fragte Samantha. Vermutlich nicht, dachte sie. Das Verhältnis von Mario zu seinen Eltern hatte bei Weitem nicht so verkrampft ausgesehen, wie es bei Joel der Fall gewesen war.
«Mario ist bis jetzt nicht in Verlegenheit gekommen zu heiraten. Er schleppt Frauen nur zu kurzen Affären ab, ohne sich binden zu wollen.» Simona legte Messer und Gabel neben den Teller. «Er ist ganz anders als Joel. Manchmal habe ich das Gefühl, er liebt es, andere zu verletzen.» Simona schlug sich mit der Hand auf den Mund. «Das hätte ich nicht sagen sollen.»
«Es stimmt aber», sagte Maik.
«Verletzen ist übertrieben. Unfrieden stiften passt besser. Wenn ich daran denke, was er für einen Spass hatte, als ihm vor einem Jahr AarePharm als Kunde zugeteilt wurde und er feststellte, dass Joel dort in der Geschäftsleitung arbeitet.»
«Das hat er vorher nicht gewusst?», fragte Samantha.
«Nein, wenn man das glauben kann, was Mario sagt. Allerdings denke ich, er hat es wirklich nicht gewusst, obwohl er gerne damit prahlt, AarePharm zugeteilt bekommen zu haben, weil Joel dort Geschäftsleitungsmitglied ist.»
«Haben die beiden direkt miteinander zu tun?»
«Nein. Mario sprach von einem Herrn Schäfer, der sein Ansprechpartner sei.» Fragend schaute sie Samantha an.
«Paul Schäfer ist der Leiter für die Finanzen der Firma, das stimmt und macht Sinn.»
«Samantha …», setzte sie an.
«Nenn mich Sammy», unterbrach Samantha sie. Sie realisierte, wie sie sich in Gegenwart der beiden wohlfühlte und zu entspannen begann.
«Bitte geh auf Joel zu. Lass eure Beziehung nicht von meiner Mutter kaputt machen. Hattet ihr heute wirklich keine Gelegenheit, miteinander zu sprechen?»
Er hat mich zusammengestaucht, dachte Samantha. «Nein», sagte sie. «Das ist aber nach dem Zwischenfall heute Morgen kein Wunder.»
«Was für ein Zwischenfall?» Simona sah alarmiert aus. «Zwischen euch?»
«Nein, es hat …» Samantha bremste gerade rechtzeitig. Joel würde sie verwünschen, wenn sie darüber sprach.
«Was ist passiert?» Simonas Besorgnis war deutlich.
Samantha verspürte den Drang, mit jemand Aussenstehendem über Johanna Bürgis Tod zu sprechen. Ausserdem hatten bestimmt die Medien über den Vorfall berichtet, und Simona und Maik würden es früher oder später erfahren.
«Oh mein Gott!», rief Simona, nachdem Samantha geendet hatte. «Als ob der Tod ihres Sohnes nicht reichen würde.»
«Sie könnte einen Herzinfarkt oder so gehabt haben – die Symptome, die du beschreibst, könnten passen», sagte Maik.
«Schon wieder?», rutschte es Samantha heraus.
«Was meinst du damit?», fragte Maik.
«Bei Alexander Bürgi hat es geheissen, er habe einen gehabt. Nun die Mutter und vor zwei Jahren der Vater?»
«Das klingt in der Tat nach einer seltsamen Häufung», sagte Maik. «Und alle waren kerngesund. Zumindest hat das Verena erzählt.»
«Kennen deine Eltern die Familie Bürgi?», fragte Samantha Simona erstaunt.
«Kennen ist übertrieben. Ein halbes Jahr vor Fritz Bürgis Tod haben sie an einer organisierten Reise nach Verona zur Oper Aida in der Arena teilgenommen. Fritz Bürgi und seine Frau waren in derselben Reisegruppe. Sie haben sich gemocht und hatten ein tolles Wochenende zusammen. Soviel ich weiss, hatten sie aber später nicht mehr als einen lockeren Kontakt.
«Das war, bevor Joel bei AarePharm arbeitete?»
«Ja. Er hat erst ein halbes Jahr später oder so dort angefangen. Kurz nach Fritz Bürgis Tod.»
FÜNF
«Kommt bitte in mein Büro», hatte Joel gesagt, als er kurz den Kopf ins Büro gestreckt hatte. Bevor Linda und Samantha antworten konnten, war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen. Die Ankündigung hatte bedrohlich geklungen. Zuerst hatte Samantha angenommen, sie empfände es wegen ihrer und Joels Vorgeschichte so, aber Linda sah ebenfalls verunsichert aus.
Gemeinsam verliessen sie den Raum und gingen zu Joels Büro. Kurz nach ihnen trafen Erik und Julia ein.
Joel kam einige Sekunden nach ihnen. Statt des Kaffees, den er meistens zu den spontanen Sitzungen brachte, kam er dieses Mal mit leeren Händen. Er zog seinen Schreibtischstuhl heran und setzte sich zwischen Erik und Linda an den Vierertisch. Seine Miene war ernst, als er in die Runde schaute. Sein Blick blieb an Samantha hängen, und sie überlegte fieberhaft, was sie getan haben könnte. Hatte sie einen Auftrag nicht zufriedenstellend erledigt und hatte es deswegen Probleme gegeben? In diesem Fall hätte Joel sie aber alleine zu sich zitiert.
«Okay», sagte er gedehnt und wirkte, als suche er nach einem Einstieg in das Thema, das er zur Sprache bringen wollte. Erik und Julia waren ähnlich verunsichert, und Samantha registrierte die verstohlenen Blicke, die sie einander zuwarfen.
«Also», nahm Joel einen neuen Anlauf. «Wir haben die Polizei im Haus.»
«Polizei?», wiederholte Erik verdutzt. «Wieso das?»
«Es geht um den Tod von Johanna Bürgi gestern Vormittag.»
«Wieso kommt die Polizei wegen eines Herzanfalls?», fragte Erik. «Die arme Frau hat den Tod ihres Sohnes nicht verkraftet, und es ist ihr zu viel geworden, wie die Klatschpresse berichtet.»
«Würdest du mich bitte aussprechen lassen», sagte Joel scharf.
Erik hob mit einer entschuldigenden Geste die Hände.
«Der Arzt hat den Verdacht geäussert, Frau Bürgi könne vergiftet worden sein.»
«Wie bitte?», riefen Erik und Julia wie aus einem Munde. Durch Lindas Körper ging ein Ruck, und Samantha hatte das Gefühl, jemand habe ihr den Boden unter den Füssen weggezogen.
«Wieso meinen sie das?», fragte Erik.
«Der Notarzt hat entsprechende Vermutungen geäussert, als er Frau Bürgi gesehen hat.» Joel blickte in die Runde, als warte er, ob sich jemand dazu äussern wolle. Als das nicht geschah, fuhr er fort. «So wie ich es verstanden habe, wollen sie mit den Mitarbeitern sprechen, die gestern bei der Informationsveranstaltung waren.»
«Das waren mehr oder weniger alle», sagte Erik. «Knapp …» Er verstummte, als er einen missbilligenden Blick von Joel erntete.
«Werden sie es schaffen, alle heute zu vernehmen?», fragte Julia.
«Frage mich bitte was Leichteres.»
«Heisst das, wir müssen bleiben, bis wir dran waren?»
«Sobald ich Genaueres weiss, werde ich euch informieren. Bis dahin bitte ich euch, euch eurer Arbeit zu widmen. Ich weiss, es wird schwer sein, sich zu konzentrieren, aber wir haben genug zu tun und müssen nach vorne schauen.»
Seltsame Schlussworte, dachte Samantha, als sie über das von Joel Gesagte nachdachte und zum Büro zurückkehrte.
Die Sitzungszimmer und ein Teil der Büros waren zu Vernehmungszimmern umfunktioniert worden. Erik, Julia und Linda waren gleichzeitig geholt und auf verschiedene Räume verteilt worden. Als Samantha das Sitzungszimmer auf ihrem Stock betrat, warteten zwei Beamte auf sie. Ein Mann, der um die vierzig sein musste, und eine Frau, die schwer zu schätzen, aber bestimmt älter als der Mann war.
Sie reichte Samantha die Hand. «Ich bin Sarah Schneeberger von der Kriminalpolizei Solothurn. Das ist mein Kollege Luca Egger. Der Mann mit der dunkelblonden Stoppelfrisur und dem Dreitagebart nickte Samantha zu.
Schneeberger strich ihre schwarzen Haare, die ihr knapp bis zu den Schultern reichten, hinter das Ohr. Am Haaransatz konnte Samantha einen schmalen Streifen Grau erkennen.
Die Beamten umrundeten den anthrazitfarbenen, länglichen Sitzungstisch, auf dem zwei Thermoskannen, eine Mineral- und eine Rivella-Flasche standen. Gläser und Tassen befanden sich daneben.
Schneeberger ergriff eine der Kannen. Als sie einschenken wollte, tropfte nur ein Rest Kaffee in den Plastikbecher.
«Luca, kannst du bitte schauen, ob du einen Kaffee auftreiben kannst?»
Fragend schaute Luca Samantha an.
«Rechts den Gang hinunter und, wenn es nicht mehr weitergeht, ein weiteres Mal rechts. Dort ist eine Küchenecke mit Kaffeemaschine.»
«Vielen Dank.»
Samantha wünschte sich, Sarah Schneeberger wäre gegangen. Sie empfand sie als unnahbar, und der durchdringende Blick schüchterte sie ein. Sie schauten einander schweigend an, und Samantha verspürte den Drang, Konversation zu machen. Über irgendwas Belangloses. Allerdings hatte sie keine Idee, worüber sie mit der Frau sprechen konnte.
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