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Einzig den örtlichen Gegebenheiten des engen Vorplatzes auf dem sie kämpften war es zu verdanken, dass sie überhaupt solange durchgehalten hatten. Die dicken Marmorsäulen, die das Vordach in gut zwölf Schritt Höhe trugen, behinderten ihre Angreifer, deren hohe Zahl auf diesem engen Raum beinahe schon von Nachteil war. Aber eben nur beinahe, denn jetzt hatte sich der Kreis um Darius und Therry endgültig geschlossen und ihre Feinde drangen nun von allen Seiten gleichzeitig auf sie ein.
Therry konnte all die Klingen, welche auf sie gerichtet waren, schon gar nicht mehr zählen. Darius schielte indessen aus dem Augenwinkel heraus noch immer dahin, wo Skal zu Boden gegangen war, den er jetzt schon nicht mehr erkennen konnte. Dafür sah er aber dessen Peiniger, die unablässig auf ihn eintraten, bis schließlich einer von ihnen mit seinem langen Schwert ausholte, um ihm den Todesstoß zu versetzen.
Doch in eben dem Moment als der Alb das Schwert in der höchsten Position über seinem Kopf hielt, verharrte er. Anstatt die Waffe hinabfahren zu lassen, war er es, der – die Klinge noch immer steil erhoben – zu Boden fiel. Ein langer, gefiederter Schaft ragte aus seinem Rücken. Im Gegensatz zu seinen Mitstreitern, die verwirrt auf ihren niedergehenden Gefährten blickten, sah Darius schlagartig in die Ferne. Sein Herz machte einen euphorischen Hüpfer, als er am Rande des Dickichts eine Gruppe erkannte, die im Laufschritt auf sie zugestürmt kam und während des Rennens vereinzelt weitere Pfeile verschoss.
Zu verblüfft, um in Deckung zu gehen oder Therry zu warnen, blieb Darius wie angewurzelt stehen. Glücklicherweise traf ihn keines der Geschosse und als er sich umsah erkannte er, dass auch Therry unverletzt geblieben war. Damit gehörten sie allerdings zu den wenigen Glücklichen. Denn gut die Hälfte der Krieger auf dem terrassenähnlichen Vorplatz sank von der Pfeilsalve durchbohrt zu Boden. Die Überlebenden wandten sich nun geschlossen der neuen Bedrohung zu und damit ab von Skal, Darius und Therry.
Letztere beiden sahen sich erstaunt an. Keuchend sagten sie wie aus einem Munde: »Weg hier!« Beide nickten sich zu und eilten zu Skal hinüber, der inzwischen vergebens versuchte, sich wieder aufzurichten.
Mit wildem Gebrüll prallten die beiden Partein aufeinander. Metall schlug gegen Metall und das Schreien von Sterbenden durchpeitschte die Luft. Erst jetzt erkannte Darius, dass es sich bei ihren Rettern um die Orks von letzter Nacht handelte. Offenbar waren sie ihren Spuren durch den Wald gefolgt. Schwer war das angesichts der Tatsache, dass Therry und er sich zu Anfang mitten durchs Unterholz gekämpft hatten wohl kaum. Anschließend brauchten die Schuppenhäutigen, genau wie sie, nur dem Trampelpfad zum Tempel zu folgen.
»Die gehen auf alles los, was sich bewegt, oder?«, schnaufte Darius und versuchte Skal am Arm in die Höhe zu ziehen.
»Das sollten wir ausnutzen«, meinte Therry nicht weniger außer Atem und half ihm so gut sie konnte. Es fiel ihr schwer, den Blick von der brüllenden Meute zu lassen, die wie wilde Tiere, denen man Waffen in die Klauen gedrückt hatte, auf die nun zahlenmäßig unterlegenen Alben einschlugen und -hackten. Zwar ließ sich der eine Ork kaum vom anderen unterscheiden, aber sie war sich sicher, in dem Großen den Anführer zu erkennen, der letzte Nacht zum Rückzug geblasen hatte. Jetzt war er mit einer Verstärkung von fast dreißig Mann zurückgekehrt und wollte Rache.
Mit unbändiger Kraft ließ der Riese seine Axt über den Kopf kreisen und spaltete einen der Alben bis zum Bauchnabel. Als er die Waffe wieder herauszog, sah er zu Therry herüber und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Eilig schob sie Skal, der wieder das Bewusstsein verloren hatte, auf die Schultern von Darius, damit sie so schnell wie möglich ins Dickicht fliehen konnten. Aber zu spät.
Als sie wieder zurücksah, umspielte ein dämonisches Lächeln die Gesichtszüge des Orkführers, der sich mit fünf seiner Leute aus dem Schlachtgetümmel gelöst hatte und nun entschlossen auf die drei zu trat. Ein dunkelbrauner Lederharnisch panzerte seinen Oberkörper. Lässig ließ er den Griff seiner zweischneidigen Axt, deren Blatt so groß war wie ein Neugeborenes, zwischen den geschuppten Händen wippen, so als würde sie nichts wiegen.
»Lauf mit Skal in den Wald, ich halte sie auf!«, befahl Therry eindringlich, während sie zu ihrem eigenen Schwert noch ein zweites vom Boden aufhob. Die albische Klinge war so erstaunlich leicht, dass sie sogleich ihre eigene Waffe zu Boden fallen ließ und sie durch eine weitere von einem der toten Gegner ersetzte. Grimmig stellte sich die Kriegerin, die noch ein halbes Mädchen war, den Orks entgegen und wirke dabei wie eine Karikatur. Allein ihr Anführer maß beinahe die doppelte Größe und die dreifache Breite von ihr. Und seine Leute standen ihm kaum in etwas nach.
»Du bist die Schlampe, die gestern meinen Bruder abgestochen hat!«, grunzte er aufgeregt und deutete mit seiner Waffe auf Therry. Dabei verengte er die kleinen, gelben Augen wütend zu Schlitzen. »Das wirst du bereuen, du elende Menschin.«
»Bist du schwerhörig?«, blaffte Therry Darius an, ohne den Blick von den Orks abzuwenden. »Ab in den Wald!«
»Und was wird aus dir?«, fragte er und wich keinen Schritt zurück. Im Gegenteil. Konzentriert machte der angehende Iatas sich bereit, seine Haut zum zweiten Mal in kurzer Zeit gegen eine Übermacht von Gegnern zu verteidigen.
»Wir schaffen es sowieso nicht alle drei. Einer muss sie aufhalten, nur so können die anderen beiden fliehen«, entgegnete Therry entschlossen und umklammerte die Griffe der Schwerter noch fester, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Ist das der Mann, der so furchtbar unter euch gewütet hat, Drug?«, fragte einer der Orks an seinen Anführer gewandt als sie nur noch wenige Schritte von den Menschen entfernt, unmittelbar neben dem geöffneten Portal, anhielten. Es war ein besonders hässliches, schildkrötengesichtiges Exemplar, dessen lange, gewölbte Hauer ihm weit aus dem Gesicht hervorstanden.
»Dann flieh du und ich kämpfe gegen die Orks«, versuchte Darius seine Gefährtin umzustimmen.
»Red kein Unsinn, Darius. Skal ist verletzt. Er kann nicht schnell genug laufen und ich kann ihn nicht tragen.«
»Lass dich nicht von seinem Äußeren täuschen!«, knurrte Drug über das Lamentieren der beiden Menschen hinweg zu seinem Nebenmann. Dabei hielt er die Axt hocherhoben, um jederzeit auf alles gefasst zu sein. »Er mag wie ein gewöhnlicher Mensch wirken, aber seine Kräfte haben die unseren in der letzten Nacht bei Weitem überstiegen. Jetzt scheint er mir aber irgendwie ... verändert. Ich kann nicht genau sagen, was ich meine.« Der Ork schien angestrengt nach Worten zu suchen und machte ein dümmliches Gesicht, während er sich mit seiner schwarzen Zunge über die zerfurchten Lippen fuhr. »Irgendwas an ihm ist anders als bei unserem letzten Zusammentreffen. Er wirkt ... schwächer.«
»Nun, das werden wir gleich sehen«, meinte eine weitere der grüngeschuppten Bestien. Eine fette Kreatur, die es sowohl an Größe als auch an Muskelmasse beinahe mit ihrem Anführer aufnehmen konnte und eine riesige Keule in der Rechten trug.
Noch immer stand Therry schützend vor Darius, der den leblosen Skal auf seinen Schultern trug. Als der Ork mit seiner Waffe ausholte, machte sich die Iatas-Anwärterin schon bereit, auszuweichen, um dann ihrerseits anzugreifen. Doch so weit kam es nicht. Augenblicklich hielt das Ungeheuer in seinem Angriff inne, als es das Gebrüll seines Befehlshabers vernahm, der sich mit eingezogenem Kopf den Hals hielt. Bereits im nächsten Moment zog Drug sich ein schmales Wurfmesser aus der Wunde. Dunkelgrünes Blut lief daran herab. Wütend wandte der Ork sich nach links, dem Eingang des Tempels entgegen, aus dem erneut Kriegsschreie drangen. Auch seine Kumpane verfielen sogleich in wildes Gegrunze, nicht unähnlich dem von Schweinen.
»Hier muss irgendwo ein Nest sein«, zischte Darius, der nicht glauben konnte, dass sie es nun mit noch mehr Gegnern zu tun bekommen sollten. In dem Moment, da die Orks abgelenkt waren, nutzte er die Gunst des Augenblicks, packte Therry am Handgelenk, die die zwei Albenschwerter noch immer kampfbereit erhoben hatte, und zog sie eilig in Richtung des Waldes.
Als sie noch einmal zurückblickte, sah die junge Kriegerin, dass die Übermacht der Orks die albischen Soldaten gänzlich ausgelöscht hatte. Geschlossen stürmten sie nun auf das Portal zu und damit ihrem Anführer zu Hilfe, der trotz seiner Verletzung, die einem Menschen sicher das Leben gekostet hätte, unerbittlich um sich schlug. Das Letzte, was Therry noch sah, bevor sich das undurchdringliche Dickicht der Bäume wie ein Vorhang über das Kampfgeschehen legte, war der hasserfüllte Blick von Drug. Der Anführer der Orks sah ihr direkt in die Augen, während seine Axt tief in den Körper eines Albes fuhr und das schwarze Blut nach allen Seiten spritzen ließ.
Pahrafin hatte das Geschehen von seinem Zimmer aus beobachtet. Auch wenn ihm noch nicht gänzlich klar war, was Skal getan hatte, so konnte er sich das Wesentliche doch denken. Es frustrierte ihn zutiefst, dass der Mensch – zwar schwer verletzt, aber augenscheinlich noch am Leben – zusammen mit seinen beiden Helfern entkam. Gerade in diesem Moment konnte Pahrafin sehen, wie die drei hinter den ersten Bäumen jenseits der Lichtung verschwanden.
Hätte er einen Bogen zur Hand gehabt, wäre er ihnen vielleicht noch habhaft geworden. Doch im Moment gab es andere, dringlichere Probleme. Orks. Diese minderwertigen Kreaturen, die noch hassenswerter waren als Menschen, bedrohten seinen heiligen Tempel. Wenngleich er auch felsenfest davon ausging, dass keines dieser widerlichen Wesen in sein Innerstes vorzudringen vermochte, so war es dennoch ein Grund zur Sorge. Seine gesamte Wachmannschaft wurde zuerst von den drei Menschen aufgerieben und nun von den Schuppengesichtern gänzlich vernichtet. Jetzt mussten bereits die persönlichen Leibwächter von ihm und seinem Bruder den Eingang zum Tempel verteidigen.
Die zahlenmäßig überlegenen Orks hatten jedoch keine Chance, denn ihre Garde war aus einem anderen Holz geschnitzt als diese Unwürdigen, für deren Leichen Pahrafin nur Verachtung übrig hatte. Sie waren ihrer Aufgabe, den Tempel von Loës zu schützen, nicht gerecht geworden und verdienten deshalb den Tod. Unter anderen Umständen wäre es eine Tragödie gewesen, so viele der letzten verbliebenen Alben zu verlieren, aber nicht heute.
Heute war es endlich gelungen. Loës war zum ersten Mal wieder bei Bewusstsein. Er war zwar noch schwach und es würde einige Zeit dauern, bis der Gott der Alben wieder seine ursprüngliche Kraft zurückerlangt hatte, aber nun war ein Stein ins Rollen gebracht worden, der sich nicht mehr aufhalten ließ.
Das Zeitalter der Alben hatte begonnen.
Das Urteil der Götter
Da sie nicht wussten, ob und wann die Orks ihre Spur wieder aufnehmen würden, liefen sie den gesamten restlichen Tag hindurch. Die erste Zeit trug Darius seinen Meister wie einen Sack Mehl auf den Schultern. Als der gegen Abend das Bewusstsein zurückerlangte und auch wieder aus eigener Kraft laufen konnte, wechselten die beiden Schüler sich darin ab, ihn zu stützen. Aufgrund seiner gebrochenen Rippen hatte Skal jedoch noch immer Schwierigkeiten, vorwärtszukommen. Da sie sich im Laufschritt bewegten, wurde nicht gesprochen, um sich die Kräfte besser einteilen zu können. Dabei plagten sowohl Darius als auch Therry unzählige Fragen.
Wohin sie liefen, wussten die drei längst nicht mehr, da sie bei ihrer übereilten Flucht den schmalen Waldweg, auf dem sie zum Tempel gekommen waren, nicht wieder gefunden hatten. Anfangs hatte Therry noch versucht, sich am Stand der Sonne zu orientieren, doch je weiter sie sich von der Lichtung entfernt hatten, desto dichter wurde das Blätterdach und machte eine Bestimmung der Himmelsrichtung unmöglich.
Erst als die Nacht hereinbrach und es für ein Weitergehen zu gefährlich wurde, da man in der Dunkelheit leicht über eine Wurzel stolpern und sich das Genick brechen konnte, rastete die kleine Gruppe. Die zweite Nacht in Folge mussten sie aus Angst vor Verfolgern auf ein wärmendes Feuer verzichten und erneut war das Einzige, was sie in den Magen bekamen, ein paar Wurzeln und eine Handvoll Beeren, die sie im Laufen geerntet hatten. Skal, der hart im Nehmen war, hatte sich inzwischen wieder weitestgehend erholt. Seine Rippenbrüche zwangen ihn dazu, in aufrechter Position still gegen einen Baum gelehnt zu sitzen. Behutsam richtete er seine gebrochenen Nase mit einem Tuch, dass er in einer nahen Pfütze angefeuchtet hatte.
»Was ist mit meiner Meisterin?«, platzte es aus schließlich aus Therry heraus.
»Therry, es tut mir unendlich leid, dir das sagen zu müssen, doch Irys ist tot«, erklärte er betreten, woraufhin sie nur ungläubig den Kopf schüttelte.
Darius wollte ihr tröstend den Arm um die Schulter legen, doch sie stieß ihn von sich, ohne dabei Skal aus den Augen zu lassen. »Das hast du vorhin schon gesagt, aber ich kann das einfach nicht glauben ... Wie ...?«, sie unterbrach sich und in den Augen der jungen Frau standen Tränen. »Vielleicht ist sie doch noch am Leben. Vielleicht konnte sie fliehen, so wie ...«
»Nein«, unterbrach Skal sie so sanft wie möglich und schüttelte leicht mit dem Kopf. »Ich habe ihre Leiche mit eigenen Augen gesehen. Und ihr beide habt ein Recht zu erfahren, was in dem Tempel geschehen ist. Ich werde euch erklären, wie es dazu kommen konnte.« Bevor er weitersprach, schwieg Skal einen Moment und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Eigentlich hatte ich vor, mit Darius im Albewald eine Lektion des Überlebens in unwirtlicher Umgebung durchzunehmen. Aber das änderte sich als wir auf dich und deine Meisterin trafen. Irys wurde vom Hohen Rat zum Albewald gesandt, um dort Gerüchten auf den Grund zu gehen. Gerüchten wonach einige überlebende Alben des Großen Krieges vor zweihundert Jahren in einem geheimen Tempel ihren Gott, Loës, wieder zurück ins Leben rufen wollten.«
»Sind das immer noch dieselben Alben wie damals oder deren Nachfahren?«, unterbrach Darius seinen Meister mit gesenkter Stimme.
»Ich vermute, sowohl als auch. Die Alben gehören, genau wie die Elfen und Zwerge, zu den alten Rassen von Epsor und somit zu den langlebigen Geschöpfen. Das heißt, dass sie zwar im Gegensatz zu den Göttern nicht unvergänglich sind, aber sie sterben nicht infolge von Alterserscheinungen oder Krankheit, so wie wir. Ich gehe jedoch davon aus, dass viele von ihnen erst nach Kriegsende geboren wurden. Schließlich galt ihre Rasse als untergegangen und wahrscheinlich hat nur eine Handvoll überlebt.
Als Irys und ich den Tempel entdeckten, gingen wir nicht sofort hinein, sondern untersuchten zuerst die nähere Umgebung. Ein wenig abseits von der Lichtung konnten wir im Wald ein kleines Dorf der Alben ausmachen. Sie scheinen dort, unentdeckt vom Rest der Welt, die Zeit überdauert zu haben. Ihr Zahl ließ ich nur schwer abschätzen, da der Wald so dicht war, dass man kaum einen Steinwurf weit sehen konnte. Aber wir haben ihre Behausungen in einem weiten Bogen umrundet. Viel mehr als fünfhundert können es kaum sein.«
Als Skal zu Ende gesprochen hatte, herrschte ringsum Totenstille. Selbst die Tiere des Waldes schienen für einen Moment aufgehört zu haben, das immerwährende Spiel des Fressens und gefressen Werdens zu spielen. Darius war der Erste, der das Schweigen durchbrach.
»Aber trotzdem sind das doch bei Weitem nicht genug, um damit einen Krieg auszulösen, geschweige denn ihn zu gewinnen, nicht wahr?«
»Nein, aber das ist auch nicht das eigentliche Problem«, entgegnete Skal düster. »Habt ihr schon einmal etwas vom Urteil der Götter gehört?« Therry nickte wortlos und Darius, der sich wieder einmal wie ein Dummkopf vorkam, verneinte.
»Jedes Volk glaubt an die Existenz einer höheren Macht. Bei uns Menschen ist es Otairio, der große Schöpfer. Die Zwerge glauben an Boringars, der die Schätze aus dem Erdinneren schürft und die Elfen haben Sylfone, Göttin der Kunst, der Schönheit und des Lebens. Selbst niedere Wesen wie die Orks haben etwas, woran sie glauben, auch wenn dieses feige und abergläubische Pack häufig auf das Wohlwollen von gleich mehreren höheren Wesen setzt. Nicht selten verehren die einzelnen Stämme sogar ihre toten Häuptlinge als Götter.
Beim Volk der Alben heißt diese Gottheit Loës. Er ist der Grausamste von allen und selbst garstige Völker wie die Orks oder Trolle fürchten ihn. Die Legende besagt, dass die anderen Götter die Bosheit von Loës über alle Maßen fürchteten. So sehr, dass sie sich in alter Zeit – noch lange vor dem Großen Krieg oder bevor es auch nur das Bündnis der Zivilisierten Völker gab – vereint haben, um ihn zu verbannen. Da selbst ein Gott nicht mächtig genug ist, einen anderen zu töten, sollte Loës für alle Zeit, fernab von ihnen, den Rest der Ewigkeit in einem dunklen Loch verbringen, welches Boringars mit seiner riesigen Spitzhacke geschlagen hatte und in das Otairio ihn hineinstieß. Anschließend legte Sylfone einen Zauberbann auf die Stelle, an der Loës lebendig begraben war. Auf dass er niemals mehr herauskommen möge.«
Skal sah die anderen beiden durchdringend an, bevor er mit ernster Stimme weitersprach. »Dies war das Urteil der Götter. Und seit diesem Tag, so sagt man, ist es das innigste Ziel von Loës, wieder zurückzukehren und die Welt mit Chaos und Schrecken zu überziehen, um sich für diese Schmach zu rächen.«
»An diesen Unsinn glaubst du?«, fragte Darius mit zweifelnder Stimme, nachdem Skal geendet hatte. Obschon er die Götter der anderen Völker zwar nicht kannte, so war ihm doch zumindest Otairio ein Begriff – auch wenn er nicht wirklich an ihn glaubte. Für Darius existierte seit jeher immer nur das, was er auch sehen und anfassen konnte.
»Ob man an die Götter glaubt oder nicht, spielt keine Rolle«, fuhr Skal unbeeindruckt fort. »Ich persönlich halte die Ereignisse von damals für eine Erfindung von Gelehrten. Aber Tatsache ist, dass die Alben alles daran setzen, Loës wiedererstarken zu lassen. Zu meinem Bedauern muss ich eingestehen, dass sie es vermutlich bereits geschafft haben oder im besten Fall unmittelbar davor stehen.«
»Was macht dich da so sicher?«, fragte Therry knapp, die die ganze Zeit über aufmerksam zugehört, jedoch nichts gesagt hatte. Skal sah sie einen Moment lang durchdringend an, bevor er ihr antwortete und schien dabei jedes seiner Worte genau abzuwägen.
»Als Irys und ich ins Innere des Tempels eindrangen, entdeckten wir einen Zeremoniensaal, in dessen Mitte sich ein steinerner Altar befand, vermutlich zu Opferzwecken. Mir war das Beweis genug, doch Irys wurde neugierig. Sie entdeckte immer noch einen weiteren geheimnisvollen Raum und noch eine Abzweigung. So gerieten wir immer tiefer in das Gemäuer. Schließlich gelang es uns im letzten Moment in eine Kammer zu schleichen, kurz bevor zwei Priester sie betraten, sodass wir ihr Gespräch belauschen konnten.
Alles habe ich leider nicht verstanden, aber das, was ich heraushören konnte, klang sehr zuversichtlich bezüglich der Auferweckung von Loës. Doch nach kurzer Zeit schon entdeckten uns die beiden. Einen konnte ich außer Gefecht setzen, aber der andere schrie und alarmierte die Wachen. Anfangs waren wir noch davon überzeugt, die Sache im Griff zu haben, doch es wurden immer mehr. Für jeden Alb, den wir erschlugen, traten zwei neue an seine Stelle. Wir mussten uns das Unausweichliche eingestehen, nämlich dass wir nicht beide lebendig aus dieser Anlage würden entkommen können.
Ich wollte, dass Irys sich selbst rettete, doch sie hatte bereits eine tiefe Wunde am Bein und konnte deshalb nicht schnell genug laufen. Sie schrie, dass ich fliehen solle, während sie die Alben aufhielte. Ihre letzten Worte waren: ›Kümmere dich um Therry‹.« Skal unterbrach sich, als Therry den Blick abwandte und sich zur Seite drehte. Darius indessen entging trotz der Dunkelheit nicht, dass ihr in stummer Trauer die Tränen über das Gesicht rollten.
Als Therry sich ihm wieder zugewandt hatte, fuhr Skal mit bedrückter Stimme fort: »Damit wenigstens einer von uns beiden durchkam, rannte ich so schnell ich konnte aus dem Raum und stieß dabei noch einige nachrückende Angreifer um. Doch kurz bevor ich um die Ecke bog, hörte ich ihren Schrei. Ich wandte mich noch einmal um und sah gerade noch Irys’ Körper, der im Fallen von mehreren Schwertern der Alben durchbohrt wurde.«
Keuchend schlug Therry sich die Hände vors Gesicht und Darius legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. Diesmal ließ sie ihn gewähren.
»Irgendwie«, setzte Skal nach einer kurzen Pause fort, während der er Therry mitleidig ansah, »gelang es mir, sie in dem Labyrinth von Gängen abzuhängen und mehr durch Glück oder Zufall fand ich den Ausgang wieder. Den Rest der Geschichte kennt ihr ja. Ich wollte nicht noch einmal das Risiko eingehen entdeckt zu werden.« Er blickte Darius verzeihend an.
»Deshalb habe ich die Priester vor dem Gebäude ohne Vorwarnung getötet. Damit Irys nicht für umsonst gestorben ist, ist es nun von höchster Wichtigkeit, dass wir sofort nach Baknakaï zurückkehren und dem Hohen Rat Bericht erstatten. Wir müssen den Orden darüber in Kenntnis setzen, dass wir es womöglich mit der Rückkehr von Loës und damit wohl mit der größten Katastrophe seit Menschengedenken zu tun haben. Denn wenn der Albengott tatsächlich wiedererstarkt ist, dann haben wir ein größeres Problem als nur einen Krieg. Dann steht das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel.«
Skals Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, denn sowohl Darius als auch Therry nickten ihm fest entschlossen zu.
»Therry, ich kann deinen Schmerz sehr gut nachempfinden. Vermutlich besser als du glaubst, denn ich habe vor Kurzen selbst meinen Schüler verloren. Ich weiß, dass ich weder deine Meistern für dich ersetzen kann, noch wird der Hohe Rat mir einen zweiten Schüler neben Darius erlauben. Aber es war Irys’ letzter Wille und ich werde alles tun, um ihn zu erfüllen. Was meinst du, willst du meine Schülerin werden?« Die Tränen, die vorhin noch in den Augen der jungen Frau standen, waren weggewischt und einem grimmigen Gesichtsausdruck gewichen.
»Ja«, antwortete Therry bestimmt, während sie Skals ausgestreckte Hand ergriff. »Aber ich habe eine Bedingung. Ihr zwei müsst mir helfen, die Mörder meiner Meisterin zu töten.«
»Das würde ich nur zu gern«, sagte Skal und auch Darius, der ebenso angesprochen war, nickte. »Aber ich war zu weit weg und es ging alles so schnell, außerdem sieht für uns Menschen der eine Alb aus wie der andere. Ich glaube nicht, dass ich sie wiedererkennen würde, zudem bin ich sicher, dass die Orks sie ...« Doch Therry unterbrach ihn barsch und mit einem irren Gesichtsausdruck, der zu ihrem schönen Gesicht so wenig passte, wie die Sonne zur Nacht.
»Ich spreche von allen Alben. Einschließlich Loës.« Ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. »Ich will sie alle bluten sehen.«
Skal und Darius sahen sich kurz an, dann nickten sie und alle drei legten ihre Hände übereinander, um den Schwur zu besiegeln.
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