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Angst vor der Dunkelheit, vor den hoch aufragenden Bäumen, in denen sich der Blick verlor und durch die man keinen Steinwurf weit sehen konnte. Angst vor den Geräuschen des Waldes, der sich so von dem unterschied, welcher direkt vor seinem Dorf lag und in dem er unbesorgt viele Stunden seines jungen Lebens mit Spielen und Herumtollen verbracht hatte. Darius war froh als er endlich wieder beim Baum ankam, auf dem Therry bereits ungeduldig wartete. Zu seiner Erleichterung sprach sie genau diese Ängste an und zeigte ihm damit, dass er nicht allein war.
»Da bist du ja endlich, ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
»Sind Irys und Skal aufgetaucht?«, fragte Darius überflüssigerweise.
»Nein und ich mache mir langsam wirklich Sorgen, dass ihnen etwas zugestoßen sein könnte. Darius, ich hab ein ganz komisches Gefühl, wir müssen jetzt aufbrechen, bevor es zu spät ist. Ich kann es nicht erklären, aber dieser Wald hat irgendetwas Bedrohliches. Wir müssen unseren Meistern helfen, ehe es zu spät für sie ist.« Therry sagte das mit einer solchen Gewissheit, dass Darius ihr nicht widersprach. Und spätestens jetzt verwarf er den Gedanken, nach Baknakaï zurückzukehren, um dort Meldung zu machen, endgültig.
»Einverstanden, lass uns gehen«, erwiderte er deshalb grimmig nickend. Ihr karges Mahl verspeisten die beiden noch im Gehen, denn auf einmal waren sie von einer tiefen Unruhe erfüllt. Weder wussten sie, wohin sie sich zu wenden hatten, noch was sie im Inneren des Albewaldes erwarteten würde.
Obwohl die Sonne hoch am Himmel stand, drang fast kein Licht durch das dichte Blätterdach auf den Waldboden. Nach einiger Zeit – es ließ sich unmöglich sagen, wie weit sie gegangen waren – lichtete sich das Geäst ein wenig. Das dichte Gestrüpp, durch das sie sich bisher gekämpft hatten, machte einem schmalen Trampelpfad Platz, welcher dem Flusslauf eines kleinen Baches folgte. Auf dem schmalen Streifen kahler, platt getretener Erde kamen die beiden ungleich besser voran und legten so ein gutes Stück des Weges zurück, von dem sie immer noch nicht wussten, wohin er sie führen würde.
Ohne es genau erklären zu können, waren sowohl Darius als auch Therry sich sicher, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, als sie zwischen den Bäumen ein großes steinernes Gebäude erblickten. Es war das Einzige seiner Art, in der ansonsten unberührten Natur des Waldes. Sie brauchten sich nicht abzusprechen, um zu wissen, was der andere dachte. Darius sah Therry nur kurz an, sie nickte und beide gingen entschlossen auf das große Haus, welches mehr einem Tempel glich, zu. Es war unmöglich die Größe des Bauwerks abzuschätzen, da sich der hintere Teil im Dickicht der Bäume verlor, geradeso als wäre es im Laufe der Zeit erweitert und immer tiefer in den Wald hineingebaut worden. Der vordere Teil jedoch lag auf einer gut überschaubaren Lichtung, die etwa fünfzig Schritte nach allen Seiten hin fast baumfrei war.
Darius hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. In Kafais gab es einen Otairio-Tempel, in den er gemeinsam mit Ryu im vergangenen Jahr eingedrungen war, um Opfergaben zu stehlen. Doch dieser hier war wesentlich größer und beeindruckender. Das Dach auf dem zweistöckigen Bauwerk lief spitz zusammen und war aus roten Backsteinen gefertigt, die einen beinahe schon Ehrfurcht gebietend schönen Gegensatz zu den weißen Marmorwänden bildeten.
Erst jetzt fiel Darius die Widersprüchlichkeit auf. Denn der Tempel mit seiner weißen Fassade und den baumdicken Säulen vor dem Eingang passte nicht nur rein optisch nicht zu der verwilderten Umgebung des Waldes, welcher einen von ständigem Verfall und Erneuerung geprägten Kreislauf des Lebens bildete. Nein, das Gebäude war sauber. Kein Moos hatte sich an der Mauer abgesetzt, kein Unkraut kämpfte sich zwischen den Fugen der Terrasse hervor und nicht ein Vogel nistete in den breiten, hölzernen Dachgiebeln.
Hatte Darius bis eben noch vermutet, in dem Tempel eine verlassene Ruine vorgefunden zu haben, so musste er jetzt erkennen, dass er einem Fehlurteil aufgesessen war. Das Gebäude, welches einer unüberschaubaren Menge an Personen Unterschlupf bieten mochte, wurde eindeutig benutzt. Gerade in dem Moment als er Therry darauf aufmerksam machen wollte, bewies sich seine Vermutung urplötzlich, als eine Handvoll Männer in schwarzen Roben aufgeregt miteinander sprechend und gestikulierend um die Ecke kamen. Weite Kapuzen verhüllten ihre Gesichter.
»Verstecken!«, zischte Therry nur. Und keinen Moment zu früh zog sie Darius hinter einen der letzten Bäume, die vor der gewaltigen Tempelanlage standen. Die Männer schienen sie nicht bemerkt zu haben, was wohl damit zusammenhing, dass sie viel zu aufgeregt und mit sich selbst beschäftigt waren, um einen Blick zur Seite zu werfen, wo sich Darius und Therry mehr schlecht als recht hinter einem viel zu dünnen Baum versteckten.
»Hinterher?«, fragte Darius knapp, als die schwarz gekleideten Personen die große, hölzerne Eingangspforte öffneten.
»Ja, aber vorsichtig«, flüsterte Therry, die sich gerade erheben wollte, als jemand aus dem soeben geöffneten Tor trat. Blutüberströmt und mit einem Schwert in der Hand stürmte die Gestalt ins Freie. Die Schwarzgekleideten, vier an der Zahl, waren offenbar genauso erschrocken wie Darius und Therry.
Sofort rannte der Bewaffnete auf die Priester – wenn es denn welche waren – zu und streckte zwei von ihnen mit dem Schwert nieder, noch bevor sie überhaupt reagieren konnten. Erst als die anderen beiden die Flucht ergriffen und der Angreifer hinter ihnen hersetzte, erkannte Darius den Mann, dessen Gesicht von Blut und einer weiteren schwarzen Flüssigkeit besudelt war.
Es war sein eigener Meister.
Die Rückkehr der Alben
»Skal, was tust du?«, rief Darius vollkommen entsetzt, da er nicht glauben konnte, was sich soeben vor seinen Augen abgespielt hatte. Sicher wusste er noch nicht alles über die Iatas, wie Therry ihm in den letzten zwei Tagen zur Genüge bewiesen hatte. Aber selbst in der kurzen Zeit seiner Ausbildung zum Elitekämpfer für Recht und Ordnung wusste Darius doch, dass man keine Unbewaffneten angreifen durfte. Schon gar nicht durfte man sie ohne Warnung einfach mit dem Schwert durchbohren.
»Nein, hör auf!«, hörte er sich selbst schreien, als ein weiterer Mann zu Boden fiel. Zielsicher mit einem Wurfmesser von Skal in den Tod geschickt. Darius dachte gar nicht darüber nach, dass Skal womöglich einen Grund für dieses Massaker haben konnte, er wollte seinen Meister einfach nur am Morden hindern.
Der schien ihn erst jetzt erst zu bemerken, denn plötzlich rief er mit tiefer Stimme: »Darius, halt ihn auf!«, als der letzte der vier sich ihm näherte. Aber der junge Krieger dachte gar nicht daran und ließ den Schwarzgekleideten, der kaum zwei Armlängen an ihm vorbeilief, unbescholten entkommen. Zumindest hatte er es vorgehabt, denn Therry schien die Anweisung eines Iatas-Meisters, sei es auch nicht der eigene, blind zu befolgen.
Nicht hinterfragend, warum Skal voller Blut war oder wieso er wehrlose Menschen tötete, fegte sie dem Flüchtenden mit einem halbkreisförmigen Tritt die Beine weg. Als er sich gerade wieder erheben wollte, drehte sie ihm kurzerhand den Arm auf den Rücken und versetzte ihm fast schon beiläufig einen Aufwärtshaken in die Nieren.
»Was macht ihr beide hier? Wir haben euch doch angewiesen, uns nicht zu folgen!«, schimpfte Skal erzürnt, wobei er jedoch kaum die Stimme erhob. Rasch trat er näher und schlug dem Fremden, noch während des Sprechens, mit einem beidhändig geführten Schwertstreich sauber den Kopf ab.
Therry, die von einem Schwall schwarzen Blutes, der aus dem Stumpf des noch kurz zuckenden Körpers schoss, getroffen wurde, schien es wenig auszumachen. Aber Darius musste sich bei dem Anblick beinahe übergeben. Dass er es nicht tat, lag vermutlich nur daran, dass er kaum etwas im Magen hatte. Es wunderte ihn zwar, dass das Blut des Geköpften nicht rot war, sondern schwarz wie die Nacht, doch im Moment beschäftigten ihn weit dringendere Fragen. Fassungslos starrte er seinen Meister an, dem er bis eben noch den größten Respekt gezollt hatte. Jetzt empfand er für ihn nur noch Ekel.
»Was soll das? Was hast du getan?«, schrie Darius ihn unentwegt an, während er Skal am Kragen schüttelte.
»Das kann ich dir alles erklären. Später. Aber jetzt beruhige dich erst mal«, entgegnete ihm der Schlächter, mit noch immer gesenkter Stimme und sah sich nach allen Seiten hin um. »Wir müssen jetzt als Allererstes so schnell wie möglich hier weg. Kommt schon!«
»Wo ist Irys?«, fragte Therry forsch und ließ den toten Körper, dessen komplettes Gewicht nun auf ihr lastete, fallen wie ein Stück Unrat.
»Tot«, entgegnete Skal ihr knapp. »Und wenn du nicht willst, dass ihr Opfer für umsonst war, dann kommst du jetzt mit.«
»Tot?«, hauchte Therry ungläubig und wurde mit einem Mal stocksteif. Mit ihrem bedingungslosen Gehorsam war es schlagartig vorbei. Abwechselnd starrte sie Skal und das Gebäude an. »Das ist unmöglich ... wie ...?«
»Das erkläre ich euch alles später«, zischte Skal, während er die beiden jeweils an einem Handgelenk greifen und mit sich ziehen wollte. Aber sowohl Darius als auch Therry wichen zurück. Der eine ungläubig über das, was Skal eben getan, die andere über das, was er gesagt hatte. Doch in diesem Moment zeigte sich zumindest, weshalb Skal es plötzlich so eilig hatte. Unverhofft drangen aus der noch immer geöffneten Pforte mit einem Mal ein gutes Dutzend gerüsteter Krieger hervor.
Ob sie von dem wütend schreienden Darius, dem Fehlen der schwarz gekleideten Männer oder von den dreien, die in einem so ungünstigen Winkel standen, dass man sie von drinnen sehen musste, angelockt wurden, konnte auch im Nachhinein keiner mehr sagen. Doch sahen sie sich nun innerhalb von wenigen Lidschlägen einer wütenden Kriegstruppe gegenüber, die den Tod ihrer Leute rächen wollte.
War es Wut, Reflex oder der einfache Instinkt zu überleben, jeder der drei wandte sich wie selbstverständlich mit erhobener Waffe den Angreifern entgegen. Auch wenn die Vertrauensbasis zwischen ihnen soeben stark erschüttert worden war, so wussten doch jeder von ihnen, dass sie nur gemeinsam eine Chance hatten.
Darius, sicher der Unerfahrenste, wenn auch der Mutigste von ihnen, setzte wild entschlossen auf den ersten Angreifer zu. Er war sich sicher, jeden Moment wieder mit unerklärlichen Kräften und Kampfgeschick über sich selbst hinauszuwachsen. Doch vergebens, der angehende Iatas ließ sein Schwert auf das des Gegners treffen und gleich zweierlei überraschte ihn.
Zum einen passierte gar nichts mit ihm. Er fühlte zwar Aufregung in sich aufsteigen, doch nicht mehr und nicht weniger als bei einer gewöhnlichen Straßenschlägerei. Das Gefühl, in Trance zu fallen und die Kontrolle über seinen Körper abzugeben, blieb aus. Die andere Überraschung, die ihn sogar noch mehr schockierte, war sein Gegner. Es handelte sich nicht um einen Menschen, sondern um die Sagengestalt, von der er erst kürzlich erfahren hatte. Ein Alb.
Darius hatte in seinem Leben bisher erst einmal einen Elfen gesehen – es war schon Jahre her, aber trotzdem erinnerte er sich, als wäre es gestern gewesen. Die ebenmäßige Haut, die große, schlanke Gestalt, das schöne Gesicht, welches dieser Rasse zu eigen war und die spitz zulaufenden Ohren. Dieser hier sah genauso aus. Jedoch mit zwei Unterschieden. Das makellose Antlitz wirkte keinesfalls friedlich und erhaben, sondern war zu einer Fratze des Hasses verzogen und seine Augen waren schwarz.
Nicht nur die Pupillen, wie bei den Zwergen, wo diese von Natur aus viel größer waren, damit sie unter Tage das wenige Licht so gut wie möglich ausnutzen konnten. Nein, die kompletten Augäpfel des ihm gegenüberstehenden Mannes waren schwarz und glänzten, sodass Darius sein eigenes Spiegelbild in ihnen erkennen konnte. Allerdings blieb ihm keine Zeit, die Reflexion länger zu betrachten oder sich weiter Gedanken über seinen Gegner zu machen. Denn schon hieb der Alb mit wuchtigen Schlägen, die man weder seinem schmalen Körper, noch der schlanken Klinge in seinen Händen zugetraut hätte auf ihn ein.
Darius war in arger Bedrängnis, mehr als nur einmal konnte er einen Hieb erst im letzten Moment abblocken. Er selbst schaffte es indessen kaum einmal einen Angriff auszuführen und wenn doch, dann wehrte der Alb ihn scheinbar mühelos ab. Wenn das so weiterging, würde er den Kampf verlieren, zumal die anderen Krieger – ob es Alben oder Menschen waren, das vermochte er nicht zu sagen – einen Kreis um ihn und seine beiden Gefährten zogen. Zum einen taten sie es wohl, um ihre Opfer an der Flucht zu hindern, zum anderen würden sie sie von allen Seiten aus gleichzeitig angreifen können, sobald der Kreis einmal geschlossen war.
»Scheiße!«, war das Einzige, was Therry hervorbrachte, als sie die Krieger aus dem Inneren des Gebäudes heraus rennen sah. Direkt auf sie zu. Doch anstatt zusammenzubleiben, stürmte Darius den Männern sogar noch entgegen, was sowohl von seinem Mut als auch von seiner Dummheit zeugte. Denn wenn er allein direkt in den gegnerischen Angriff lief, würden die Bewaffneten ihn unversehens gemeinsam attackieren und damit schlicht und einfach überrennen. Da Therry das nicht zulassen wollte, musste sie ihm wohl oder übel hinterher.
Aus vollem Lauf heraus sprang sie den erstbesten Widersacher an und brachte ihn mit einem harten Tritt gegen die Brust zu Fall. Nur einen Lidschlag bevor dieser sein Schwert schützend vor sich halten konnte, womit er ihr sicher den Fuß durchtrennt hätte.
Kaum, dass sie wieder auf dem Boden aufgekommen war, sah Therry sich gleich zwei Bedrohungen gegenüber. Ein Mann, fast drei Köpfe größer als sie selbst, versuchte sie mit einem waagerecht geführten Hieb in zwei Teile zu hacken. Währenddessen geschah nur ein paar Schwertlängen entfernt genau das, was die angehende Iatas befürchtet und gerade zu verhindern versucht hatte.
Darius, der sich zu weit vorgewagt hatte und erbittert mit einem Gegner focht, bemerkte nicht, dass die anderen Angreifer dabei waren, einen weiten Kreis um ihn herum zu bilden. Als ihre Feinde den Ring enger zogen, wollte einer von ihnen Darius in den Rücken fallen und holte bereits zum tödlichen Stich aus.
»Ich hasse es, wenn ich recht habe!«, fluchte Therry lautstark. Rasch duckte sie sich unter dem Streich ihres Gegners hinweg und trat ihn aus der Aufwärtsbewegung heraus blitzschnell zwischen die Beine. Anschließend wischte sie mit einer schnellen Parade die herannahende Klinge beiseite, nur einen Wimpernschlag, bevor sie Darius durchbohrt hätte. In diesem Moment kreuzte sich ihr Blick mit dem des heimtückischen Angreifers und Therry wäre vor Schrecken beinahe erstarrt. Die Augen des Mannes waren pechschwarz.
Ein Alb? Doch darüber konnte sie sich auch später noch Gedanken machen. Der kurze Moment des Zögerns hatte ausgereicht, dass er sein Schwert erneut schwingen konnte. Therry wich gerade noch rechtzeitig aus, um nun ihrerseits zu einem Hieb mit der Waffe auszuholen, der den Kopf des Schwarzäugigen von schräg oben durchtrennen sollte.
Aber es kam anders. Darius wurde von seinem Gegner so hart zurückgedrängt, dass sie mit dem Rücken aneinanderstießen. Dabei wurde ihr Angriff so weit abgefälscht, dass sie ihrem Feind lediglich ein Ohr abschnitt, welches zu ihrem Erstaunen länglich geformt war und spitz zulief.
Skals Befürchtung, dass sie von den Wachen entdeckt werden könnten, hatte sich bewahrheitet, woran sicher nicht zuletzt das Geschrei von Darius und die Starrköpfigkeit Therrys Schuld waren. Als er sah, wie die ersten Bewaffneten aus dem Inneren des Tempels hervordrangen und Darius sich ihnen, dicht gefolgt von Therry, entgegenwarf, schmolz seine letzte Hoffnung auf eine wenig Aufsehen erregende Flucht wie Butter in der Sonne.
Warum können diese Kinder nicht einmal das tun, was man ihnen sagt?, dachte Skal verärgert und mahlte mit den Zähnen. Doch als er den beiden mit hocherhobenem Schwert zu Hilfe eilte, wurde dem Iatas-Meister bewusst, dass er selbst in diesem Alter kaum anders gewesen war ... ebenso wenig wie heute.
Der erste Gegner, auf den er traf, war ein noch junger Alb. Zumindest sah er so aus, obwohl sich die bisherige Lebensspanne dieser dunklen Kreaturen genauso schwer abschätzen ließ wie bei ihren gutartigen Verwandten, den Elfen. Der Alb schien anzunehmen, dass er leichtes Spiel mit seinem menschlichen Kontrahenten haben würde. Er kam nie dazu, seinen Fehler wieder auszugleichen. Denn schon wich Skal dem unkoordinierten Angriff mit einer solch behänden Geschwindigkeit aus, wie man sie einem Mann seines Alters nicht mehr zugetraut hätte. Noch in der gleichen Bewegung durchbohrte er den Jüngling mit einem so kraftvollen Schwertstoß, dass er selbst über das Geschrei der anderen Angreifer hinweg hören konnte, wie dessen Rippen geräuschvoll barsten. Schwarzes Blut pulsierte unablässig aus der Wunde des Sterbenden, während dieser mit weit aufgerissenen Augen zu Boden fiel.
Gegen ein oder zwei dieser Geschöpfe kam Skal allemal mit Leichtigkeit an. Doch handelte es sich hier – einer groben Schätzung nach, für die er nur einen Herzschlag lang Zeit hatte, bis der nächste Angreifer an ihn heran war – um wenigstens zwölf bis fünfzehn Gegner. Zudem kamen in unregelmäßigen Abständen immer weitere aus dem Inneren des Tempels hervor. Selbst mit Darius und Therry an seiner Seite schien es ein aussichtsloser Kampf zu werden.
In einer fließenden Bewegung wehrte er den Schwerthieb des nächsten Alben ab und stieß ihm gleichzeitig seinen Dolch mit aller Kraft durch das Kettenhemd in den Bauch. Als der Getroffene aufschreiend zu Boden sank, versuchte Skal gar nicht erst, die eingekeilte Waffe aus den geborstenen Kettengliedern zu ziehen.
Zu seinem Verdruss sah der Iatas, dass sein Schüler sich auf einen Zweikampf mit einem der Schwarzaugen eingelassen hatte. Zwischen den beiden schien es weder ein Vor noch Zurück zu geben und Therry hatte anscheinend beschlossen, ganz auf das Töten ihrer Feinde zu verzichten. Denn schon rappelten sich zwei der Alben wieder auf, die sie zwar zu Boden getreten, es jedoch versäumte hatte, ihnen den Gnadenstoß zu versetzen.
Da diese Arbeit nun an ihm hängen blieb, holte Skal halbkreisförmig zum Schlag aus, um dem sich gerade aufrichtenden Alb den nach vorn gebeugten Kopf abzuschlagen. Aber so weit kam es nicht. Denn genau in diesem Moment der Unachtsamkeit, als der Iatas sich nach dem Wohlergehen seiner unfreiwilligen Kampfgefährten umgesehen hatte, geschah es. Einer der Alben, die einen Kreis um sie herum gezogen hatten und nun aus allen Richtungen gleichzeitig auf sie zuzukommen schienen, ließ seine kaum zwei Finger breite Klinge nach Skals Hals zucken.
Nur einen Lidschlag später hätte er diesen wohl auch durchbohrt, wenn es dem Iatas-Meister nicht noch im letzten Augenblick gelungen wäre, ihn mit der Schulter abzublocken. Das rettete zwar sein Leben, fügte ihm dafür aber einen tiefen, wenn auch nicht tödlichen, Schnitt zu. Brennend heißer Schmerz durchflutete die gesamte linke Körperhälfte von Skal und ließ ihn unter Qualen die Augen verdrehen.
Kaum einen Herzschlag später traf ihn etwas Stumpfes am Rücken und ließ ihn die Orientierung verlieren. Aus dem Gleichgewicht gekommen, wäre er fast in die Klinge eines dritten Angreifers gelaufen, die er mit seinem Schwert erst im letzten Moment beiseite wischen konnte. Da ihm aber der feste Stand fehlte, verlor er nun endgültig die Balance und fiel hin. Mitten in den Kreis der auf ihn eindringenden Angreifer.
Skal war schon oft dem Tode nahe gewesen. Zum ungezählten Mal zog sein Leben in rasantem Tempo an ihm vorbei. Die vielen namenlosen Leben, die er genommen hatte, die heroischen Taten der letzten Jahre, die von ebenso namenlosen Menschen bejubelt wurden. Und Cedryk. Der Anblick von der blutüberströmten Leiche seines einstigen Schülers schmerzte ihn am meisten. Es tut mir so leid, dachte er nur noch, während er den tödlichen Hieb abwartete.
Doch der blieb aus. Zumindest vorerst. Stattdessen machten die Alben sich einen Spaß daraus, den am Boden Liegenden zu quälen. Ganz so, wie es ihrer finsteren Natur entsprach. Mit eisernem Griff hielten sie ihm Arme und Beine fest. Das Schwert hatte man ihm längst entwendet. Mehrmals schlugen und traten die schwarzäugigen Gestalten lachend auf ihn ein. Skal spürte, wie mehrere seiner Rippen brachen. Als Letztes sah er nur noch die Unterseite eines Stiefels, der mit voller Wucht auf sein Gesicht traf und ihn besinnungslos werden ließ.
Das wohlige Gefühl der Ohnmacht, welches ihn die Schmerzen nicht mehr spüren ließ, hielt jedoch nur kurz an. Denn den übrigen Alben fiel es keineswegs ein, mit den Angriffen auf Skals geschundenen Körper aufzuhören. Wodurch sein Bewusstsein schmerzhaft wieder zurück ins Hier und Jetzt gerufen wurde. Seine Nase war gebrochen und das wenige, was der Iatas-Meister durch seine tränenden Augen und den Schleier aus Blut sehen konnte, war, dass die Alben nun wohl endlich genug davon hatten, ihn zu quälen. Denn in ebendiesem Moment trat einer von ihnen mit dem Schwert in der Hand in sein Sichtfeld und wollte die Sache offenbar zu Ende bringen.
»Hast du noch einen letzten Wunsch, Mensch?«, fragte er unter dem gehässigen Gelächter seiner Kumpane.
»Verrecke!«, war das Einzige, was Skal herausbrachte und spuckte dem Mann einen Klumpen blutigen Speichel ins Gesicht. Der Alb, dessen Gesichtsausdruck sich daraufhin verfinsterte, erhob das Schwert, fest entschlossen, dem frevlerischen Menschen sein Ende zu bereiten.
Darius focht unablässig mit seinem Gegner, dessen schwarze Augen ihn permanent taxierten. Warum nur stellte sich die übermenschliche Kraft, die ihm im Kampf gegen die Orks das Leben gerettet hatte, nicht ein? Langsam fürchtete er die Auseinandersetzung zu verlieren, zumal die Gegner jetzt von allen Seiten auf ihn eindrangen. Ein ums andere Mal konnte er Therry aus dem Augenwinkel erkennen, die ihm den Rücken freihielt. Einmal stieß er sogar versehentlich mit ihr zusammen, als sein Gegenüber dem Schwerthieb, welchen er gerade noch parieren konnte, einen schnellen Fußtritt folgen ließ.
Endlich gelang es Darius, seinen Gegner ein wenig unter Druck zu setzen. Zwar verfügte der Mann über eine ausgezeichnete Technik, doch fehlte es ihm an der nötigen Kondition. Zudem schien ihm sein Schwert mit jedem Schlag immer schwerer zu werden. Darius, der wesentlich muskulöser war, konnte im Gegensatz dazu seine deutlich breitere Klinge ohne Probleme auch weiterhin mit kraftvollen Bewegungen auf den Schwarzäugigen niederfahren lassen.
Nun war es an dem Alben zurückzuweichen, und als es dem angehenden Iatas gelang, für den Bruchteil eines Wimpernschlages schneller zu sein, schaffte er es, dem Mann einen tiefen Schnitt am Oberarm beizubringen. Die Wunde war nicht tödlich, doch so schmerzvoll, dass sie den Alben für einen kurzen Moment ablenkte. Und Darius nutzte die Schwäche seines Gegenübers erbarmungslos aus. Jegliche technische Raffinesse, die Skal ihm in der letzten Woche beizubringen versucht hatte, ignorierend, ließ er seinen Kopf mit aller Macht nach vorn, direkt auf den des Schwarzäugigen zuschnellen.
Desorientiert taumelte der Alb einige Schritte weit nach hinten, bevor er das Gleichgewicht verlor und bewusstlos zu Boden ging. Während er sich schon nach dem nächsten Feind umsah, bemerkte Darius gerade noch, wie sein Meister, von mehreren Gegnern umringt, hart in den Rücken getreten wurde und ebenfalls benommen zu Boden fiel.
»Nein!«, schrie er aus Leibeskräften, als er sah, wie sie sich alle zugleich auf ihn stürzten. Bis vor wenigen Augenblicken hatte Darius noch einen immensen Hass auf Skal gehabt, weil der die wehrlosen Robenträger hingemetzelt hatte. Doch sein Meister hatte ihm den Grund dafür noch erklären wollen und zu keinem Zeitpunkt wünschte Darius sich dessen Tod.
»Pass doch auf!«, rief Therry von der Seite und riss die Gedanken ihres Gefährten urplötzlich wieder zurück zum Kampfgeschehen. Einer der albischen Krieger hatte soeben versucht, ihn hinterrücks zu erstechen und es gelang ihr gerade noch ihn daran zu hindern, indem sie ihrerseits die Klinge im Rücken des Schwarzäugigen versenkte. Der vermeintliche Tod ihrer Meisterin, den sie sich selbst gegenüber nach wie vor beharrlich leugnete, verlieh der jungen Frau ungeahnte Kräfte. Wenn auch nicht solche, wie Darius sie in der letzten Nacht gegen die Orks aufzubringen vermocht hatte. Sie war kurz davor ihn anzuschreien, weshalb er sie nicht einsetzte, doch in diesem Moment waren auch schon die nächsten Gegner heran.






